Frühdiagnose von Parkinson-Syndromen

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Transkript:

Frühdiagnose von Parkinson-Syndromen Nicht ganz trivial, aber prognostisch und therapeutisch relevant Thomas Gasser Die Diagnose des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS = Parkinson-Krankheit) erfolgt heute nach wie vor klinisch durch den Nachweis der typischen Kardinalsymptome Akinese, Rigor, (Ruhe-)Tremor und posturale Instabilität sowie den Ausschluss anderer Erkrankungen als Ursache eines möglichen symptomatischen (sekundären) Parkinson-Syndroms. Diagnostisch schwierig kann allerdings die frühe Abgrenzung des idiopathischen von sogenannten «atypischen» Parkinson-Syndromen sein, die im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen auftreten. Hier können sowohl klinische und pharmakologische als auch moderne bildgebende Verfahren hilfreich für die frühe und sichere Einordnung sein. Das idiopathische Parkinson-Syndrom, die Parkinson-Krankheit im engeren Sinn, ist mit einer Prävalenz von 100 bis 200 pro 100 000 Einwohner in Deutschland die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach der Alzheimer-Demenz. Generell unterscheidet man zwischen dem Parkinson-Syndrom (PS) als syndromatischem Oberbegriff und den verschiedenen Ätiologien, wobei die sogenannten «atypischen» und die «symptomatischen» von den «idiopathischen» Parkinson-Syndromen abzugrenzen sind. Klinische Zeichen und Klassifikation Unabhängig von ihrer Ätiologie sind alle Parkinson-Syndrome durch das Vorliegen einer Akinese plus mindestens eines der folgenden, in unterschiedlicher Gewichtung auftretenden Kardinalsymptome definiert: Rigor Ruhetremor oder posturale Instabilität. Zunächst wird die Diagnose eines Parkinson-Syndroms aufgrund der Anamnese und der neurologischen Befunderhebung durch den Nachweis von mindestens 2 der 4 Kardinalsymptome mit chronisch-progredientem Verlauf gestellt. Bestehen typische allerdings unspezifische nicht motorische Beschwerden oder Symptome wie Obstipation, Depression, Schmerzen, Verlust des Riechvermögens oder Schlafstörungen, unterstützt dies die Verdachtsdiagnose. All diese Symptome können den motorischen Manifestationen der Erkrankung oft um Jahre vorausgehen. Tabelle 1: Klassifikation der Parkinson-Syndrome Therapierelevante Differenzialdiagnosen frühestmöglich ausschliessen Entscheidend ist dann der Ausschluss eines sekundären Parkinson-Syndroms (Tabelle 1). Hierfür reichen in der Regel eine sorgfältige (Medikamenten-)Anamnese sowie eine einmalige strukturelle Bildgebung (Computer- oder Magnetresonanztomografie), mit deren Hilfe sich eine vaskuläre Enzephalopathie oder ein Normaldruckhydrozephalus ausschließen lässt, aus. Weitere wichtige und therapierelevante Differenzialdiagnosen im Frühstadium der Erkrankung sind der essenzielle Tremor die häufigste Bewegungsstörung überhaupt und die Depression. Im Unterschied zum idiopathischen Parkinson-Syndrom ist der essenzielle Tremor meist symmetrisch und tritt bei Halte- (und teilweise auch bei Ziel-)Innervation auf, gemeint ist das typische «Alterszittern» beim Halten eines Glases. Bei etwa 50 Prozent der Patienten kann Alkohol den Tremor bessern. Schwerer von einem Parkinson-Syndrom im Frühstadium zu unterscheiden ist ein depressives Syndrom mit psychomotorischer Hemmung, insbesondere deshalb, weil eine Depression häufig auch ein frühes Zeichen einer Parkinson-Krankheit selbst sein kann. 1. Idiopathisches Parkinson-Syndrom (zirka 75% aller Parkinson-Syndrome) 2. Parkinson-Syndrome im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen (atypische Parkinson-Syndrome) a. Multisystematrophie (MSA), Parkinson-Typ (MSA-P) oder zerebellärer Typ (MSA-C) b. progressive supranukleäre Blickparese (PSP) c. kortikobasale Degeneration (CBD) d. spinozerebelläre Atrophien (einige Subtypen) 3. Symptomatische (sekundäre) Parkinson-Syndrome a. vaskulär (subkortikale vaskuläre Enzephalopathie) b. Normaldruckhydrozephalus c. medikamenteninduziert (klassische Neuroleptika, Antiemetika, Reserpin, Lithium, Kalziumantagonisten [Cinnarizin, Flunarizin], Valproinsäure) d. seltene Ursachen: Tumor, posttraumatisch, toxininduziert (z.b. Kohlenmonoxid, Mangan), entzündlich (AIDS-Enzephalopathie oder seltene Enzephalitiden), metabolisch (z.b. Morbus Wilson, Hypoparathyreoidismus) 13

Tabelle 2: Klinische Hinweise (red flags) für die häufigsten symptomatischen (sekundären) Parkinson-Syndrome Ursache vaskuläre Enzephalopathie Normaldruckhydrozephalus medikamentös Klinische und anamnestische Hinweise «Lower-body-Parkinson», stufenweise Verschlechterung, Demenz Gangapraxie, Harninkontinenz, Demenz anamnestisch Neuroleptika, auch «atypische» ausser Clozapin und Quetiapin, Metoclopramid Idiopathische versus atypische Parkinson-Syndrome In einem nächsten Schritt gilt es zu entscheiden, ob ein idiopathisches oder ein atypisches Parkinson-Syndrom besteht. Allerdings kann die Einschätzung, ob das vorliegende Syndrom Teil einer anderen neurodegenerativen Erkrankung ist, im Frühstadium eines Parkinson-Syndroms sehr schwierig sein, wenn sie nicht sogar unmöglich ist. Klinische Hinweise, die bei dieser Zuordnung hilfreich sein können, sind in Tabelle 3 aufgelistet. Frühe Diagnose ist von prognostischer Bedeutung Eine frühe Zuordnung ist sowohl in prognostischer Hinsicht als auch für die Wahl der Therapiestrategie wichtig, obwohl für die atypischen Parkinson-Syndrome nach wie vor keine spezifischen Therapien zur Verfügung stehen. IPS-Patienten sollten nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in der Regel initial mit einem Dopaminagonisten behandelt werden, um Spätkomplikationen wie Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien möglichst zu vermeiden. Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen profitieren dagegen von einem solchen Behandlungsansatz häufig nur wenig oder gar nicht. Sie sollten daher von Beginn an L-Dopa erhalten. Frühe nicht motorische IPS-Symptome Wahrscheinlich beginnt der degenerative Prozess des idiopathischen Parkinson-Syndroms nicht in den dopaminergen Neuronen der Substantia nigra, sondern eher im kaudalen Hirnstamm insbesondere im dorsalen Kern des Nervus vagus und im Bulbus olfaktorius (1). Obwohl diese sogenannte braaksche Hypothese nicht ganz unumstritten ist, liefert sie doch eine plausible Erklärung für die Beobachtung, dass viele Parkinson-Patienten schon lange vor dem Beginn ihrer motorischen Symptome eine Verschlechterung ihres Riechvermögens und eine nächtliche Unruhe in der Form eines «motorischen Ausagierens» von Träumen aufweisen (sog. REM-Schlaf-Verhaltensstörung; REM steht hier für «rapid eye movement»). Oft wird dies den Betroffenen jedoch erst retrospektiv bewusst, wenn sie gezielt auf solche Symptome angesprochen werden. Warnsignale: nachlassendes Riechvermögen und nächtliche Unruhe Wie viele Patienten mit einer idiopathischen REM-Schlaf-Verhaltensstörung eine neurodegenerative Erkrankung entwickeln, untersuchten Postuma et al. (2). An ihrer Studie nahmen 93 Patienten mit einem mittleren Alter von 65,4 Jahren teil. 14 dieser Patienten entwickelten im Verlauf des Beobachtungszeitraums eine Parkinson-Krankheit, 7 eine Demenz vom Lewy-Körper-Typ und 4 eine Alzheimer-Demenz. Demnach liegt das geschätzte Fünf-Jahres-Risiko, eine dieser neurodegenerativen Erkrankungen zu entwickeln, bei 17,7 Prozent. Das Zehn-Jahres-Risiko beträgt 40,6 Prozent. Mit einem ähnlichen Ansatz testeten Stiasny-Kolster et al. die Riechfähigkeit von 30 Patienten mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung und verglichen die Ergebnisse mit 30 alters- und geschlechtsgleichen Kontrollpersonen (3). Bei den meisten Patienten mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung fanden sie eine eingeschränkte Riechfunktion, 5 der Patienten wiesen in der neurologischen Untersuchung sogar bereits motorische Zeichen eines Parkinson-Syndroms auf, ohne dass diese Diagnose im Vorfeld gestellt worden war. Wie hoch das Risiko der Betroffenen ist, ist noch unbekannt Sowohl eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung als auch eine nachlassende Riechfunktion können demnach wichtige Prädiktoren für die Entwicklung einer Parkinson-Krankheit sein. Zwar lässt sich die Konversionsrate zum klinisch manifesten Parkinson-Syndrom derzeit noch nicht mit ausreichender Genauigkeit angeben, dennoch ist es sinnvoll, gezielt nach diesen nicht motorischen Störungen zu fragen, um eine frühe Diagnose stützen zu können. Kontrolle Morbus Parkinson Abbildung: Ultraschalldarstellung des Hirnstamms. Links: Normalbefund. Rechts: Hyperechogenität im Bereich der Substantia nigra (>) bei Morbus Parkinson. Kleines Bild: Ebene der Echodarstellung. 14 (Bild mit freundlicher Genehmigung von Prof. Daniela Berg, Tübingen)

Tabelle 3: Klinische Hinweise zur Einordnung von Parkinson-Syndromen Idiopathisches Parkinson-Syndrom einseitiger Beginn und bleibende Asymmetrie der Symptomausprägung typischer «Pill-rolling»-Ruhetremor eindeutiges Ansprechen auf dopaminerge Medikamente anamnestischer Hinweis auf eine Geruchsempfindungsstörung und eine REM- Schlaf-Verhaltensstörung Multisystematrophie frühzeitig auftretende schwere Störungen des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotension, Synkopen, Impotenz oder verringerte genitale Empfindlichkeit, Urininkontinenz oder -retention, Anhidrose) Antecollis deutliche Dysarthrie oder Dysphagie inspiratorischer Stridor irregulärer Haltetremor Progressive supranukleäre Blickparese supranukleäre vertikale Blickparese frühe posturale Instabilität und Stürze Zeichen der frontalen Disinhibition (Applauszeichen) kortikobasale Degeneration ausgeprägte Asymmetrie kortikale sensorische Störungen «Alien-hand»-Syndrom REM = rapid eye movement Funktionelle Bildgebung mit PET und SPECT zeigt charakteristische Muster Der funktionelle Zustand der präsynaptischen (die Terminalen der nigrostriatalen dopaminergen Neurone) und der postsynaptischen (Dopaminrezeptoren im Striatum) Ligandenbindungsstellen lässt sich mittels der Positronenemmissionstomografie (PET) oder der Single Photon Computed Emmission Tomography (SPECT) quantitativ darstellen. Bei beiden Verfahren reichert sich ein spezifischer radioaktiv markierter Ligand in den entsprechenden Strukturen an. Ein charakteristisches Muster einer präsynaptischen Minderspeicherung bei erhaltenen postsynaptischen Dopaminrezeptoren zeigt sich beim idiopathischen Parkinson- Syndrom. Für die progressive supranukleäre Blickparese (PSP) und die Multisystematrophie (MSA) sind dagegen eine Schädigung sowohl der prä- als auch der postsynaptischen Ligandenbindungsstellen typisch. Während jedoch die präsynaptischen Veränderungen bereits sehr früh, ja sogar schon mehrere Jahre vor dem klinischen Auftreten motorischer Symptome nachweisbar sind, wird die differenzialdiagnostisch wichtige postsynaptische Störung oft erst im Verlauf der Erkrankungen deutlich und bietet daher im Frühstadium nicht immer eine entscheidende diagnostische Hilfestellung. Früh- und Differenzialdiagnose mit pharmakologischen Methoden Charakteristisch für das idiopathische Parkinson-Syndrom ist die relativ selektive Schädigung nigrostriataler dopaminerger Neurone. Daher lassen sich die motorischen Symptome der Erkrankung in aller Regel zumindest im Frühstadium gut und anhaltend mit dopaminergen Medikamenten wie Levodopa oder Dopaminagonisten behandeln. Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen dagegen sprechen häufig nicht oder zumindest wesentlich schlechter auf eine dopaminerge Medikation an. Denn sind die Parkinson-Syndrome mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert, sind in der Regel die postsynaptischen Zielstrukturen der dopaminergen Neurone ebenfalls degeneriert die Substanzen verlieren also ihre Wirkung. Aufgrund dieses pathophysiologischen Unterschieds kann man mithilfe pharmakologischer Tests Parkinson-Syndrome differenzialdiagnostisch einordnen. In gebräuchlichen Skalen wie beispielsweise der Unified Parkinson s Disease Rating Scale gilt derzeit eine Besserung der Symptomausprägung von mindestens 30 Prozent nach einer Stimulation mit 150 bis 200 mg Levodopa oder 3 bis 6 mg des subkutan applizierbaren und rasch wirksamen Dopaminagonisten Apomorphin als Grenzwert. Potenzielle erhebliche Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Blutdruckabfall) und die Notwendigkeit ausreichender Erfahrung bei der Anwendung der klinischen Skalen machen diese Tests aber nur in den Händen von Spezialisten sinnvoll. Früh- und Differenzialdiagnose mit bildgebenden Methoden Computer- und Kernspintomografie als Ausschlussverfahren Die kraniale Computer- oder Kernspintomografie zeigt beim idiopathischen Parkinson- Syndrom einen unauffälligen strukturellen Befund. Dementsprechend dienen diese Verfahren im Wesentlichen dem differenzialdiagnostischen Ausschluss anderer Ursachen. Neuere MR-Sequenzen wie die Diffusionswichtung oder die «Tractografie» können zumindest in Querschnittsuntersuchungen Patienten mit idiopathischen und atypischen Parkinson-Syndromen voneinander diskriminieren (4). Transkranielle Sonografie ein zuverlässiges Verfahren für den Spezialisten Mithilfe der transkraniellen B-Mode-Sonografie lassen sich bei ausreichendem temporalen Schallfenster die intrakraniellen Strukturen des Hirnparenchyms und der Liquorkammern darstellen. Seit den Neunzigerjahren ist bekannt, dass mehr als 90 Prozent der IPS-Patienten im Bereich der Substantia nigra ein vergrössertes Areal hyperechogener Signalgebung aufweisen (5). Allerdings findet sich dieses Ultraschallmerkmal zum einen auch bei 8 bis 10 Prozent der gesunden Bevölkerung, zum anderen scheint es sich im Lauf der Krankheitsentwicklung nicht zu verändern. Daher ist ein solcher Befund eher ein Vulnerabilitätsmarker (trait marker) als ein konkretes Zeichen des neurodegenerativen Prozesses (state marker) (6). Um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der transkraniellen Sonografie zur Differenzialdiagnose von Parkinson-Syndromen im Frühstadium zu überprüfen, wurden in einer doppelblinden Studie 60 bislang unbehandelte Parkinson-Patienten untersucht. Alle Patienten hatten ein leichtes Parkinson- Syndrom vom akinetisch-rigiden Typ. Anschliessend wurden die Patienten nach 15

12 und 24 Monaten nachuntersucht, um eine sichere klinische Diagnose zu stellen. Nach diesem Zeitraum wurde bei den Patienten, bei denen die klinische Diagnose noch nicht sicher feststand, eine funktionelle Bildgebung (Dopamintransporter-[DAT-] SPECT oder ein 11C-Racloprid-PET) veranlasst. Ein Jahr nach Studienbeginn war es möglich, bei 53 Patienten (88%) eine Diagnose zu stellen: Bei 39 Patienten hatte sich ein idiopathisches, bei 10 Patienten ein atypisches Parkinson-Syndrom herauskristallisiert. Bei 4 Patienten konnte zu diesem Zeitpunkt ein Parkinson-Syndrom ausgeschlossen werden alle 4 Patienten hatten eine Depression und einen zusätzlichen essenziellen Tremor. Bei allen Patienten wurde bei der Baseline-Untersuchung mithilfe der transkraniellen Sonografie (TCS) der Hirnstamm mit Substantia nigra dargestellt. In dieser Studie hatte die Hyperechogenität der Substantia nigra bezüglich der Diagnose damit eine Sensitivität von 90,7 und eine Spezifität von 82,4 Prozent, während der positive prädiktive Wert bei 92,9 und der negative prädiktive Wert bei 77,8 Prozent lagen (7). In erfahrenen Händen ist die Echogenität der Substantia nigra daher eine hilfreiche Zusatzuntersuchung zur frühen Differenzialdiagnose der Parkinson-Syndrome. Genetische Diagnostik bei Parkinson- Syndromen In Mitteleuropa sind wahrscheinlich weniger als 5 Prozent der Parkinson-Fälle allein durch die Mutation in einem von mehreren Genen bedingt (monogen erbliche Formen des Parkinson-Syndroms; Tabelle 4; [8]). Wann ist eine genetische Diagnostik relevant? Eine genetische Diagnostik ist möglich und relevant zum Beispiel in Fällen mit sehr frühem Krankheitsbeginn, da ein erheblicher Teil (bis zu 50%) der Patienten, die vor dem 35. Lebensjahr erkranken, Mutationen entweder im Gen für Parkin (PARK2) oder für PINK1 (PARK6) aufweisen. Allerdings liegt die Häufigkeit von mutationspositiven Fällen bei einem Erkrankungsalter um das 40. Lebensjahr nur noch bei etwa 5 Prozent. Bei einem Erkrankungsbeginn jenseits des 50. Lebensjahrs und dominanter Familienanamnese (mehr als 2 Betroffene in mehreren Generationen) kann eine molekulargenetische Diagnostik für LRRK2 (PARK8) angestrebt werden, da es sich dabei um die mit Abstand häufigste Form des autosomaldominanten Parkinson-Syndroms handelt. Die häufigste Einzelmutation, G2019S, ist für etwa 5 bis 10 Prozent der familiären, aufgrund ihrer reduzierten Penetranz aber auch für 1 bis 2 Prozent der sporadischen Fälle verantwortlich. Patienten mit einer LRRK2- Mutation sind weder anhand des klinischen Erscheinungsbilds noch durch das Erkrankungsalter oder durch andere zusatzdiagnostische Massnahmen von Patienten mit sporadischem idiopathischen Parkinson- Syndrom zu unterscheiden. Noch keine therapeutischen Konsequenzen Zwar hat die genetische Diagnose nach derzeitigem Wissensstand noch keine therapeutischen Konsequenzen. Hilfreich kann eine solche Genanalyse aber bei einer genetischen Beratung und bei der Einschätzung der Prognose sein. Hat eine frühe Diagnose therapeutische Konsequenzen? Bis vor einigen Jahren galt eine frühe Diagnose eines Parkinson-Syndroms für viele Spezialisten als nicht unbedingt relevant. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde eine medikamentöse Therapie ohnehin erst dann begonnen, wenn die bestehenden Symptome den Patienten signifikant beeinträchtigten. Auch dann wurde zunächst eine Therapie mit möglichst geringer dopaminerger Dosis und ein möglichst später Beginn einer Therapie mit Levodopa favorisiert. Einige neuere Studien haben diese «Lowand-slow»-Strategie in den letzten Jahren allerdings infrage gestellt. Beispielsweise wurden Patienten mit neu diagnostiziertem Parkinson-Syndrom in einer doppelblinden Studie 48 Wochen lang entweder mit Plazebo oder mit unterschiedlichen Dosen von Levodopa (200, 400 und 600 mg) behandelt (9). Dann wurden alle Medikamente für 14 Tage abgesetzt und die Patienten erneut eingehend untersucht. Überraschenderweise zeigten die Patienten des Verumarms nicht nur während der Therapie, sondern auch nach dem Absetzen aller Medikamente signifikant bessere motorische Leistungen als die Patienten der Tabelle 4: Die wichtigsten bekannten Parkinson-Gene 16 Lokus Erbgang Gen Kommentar PARK1 autosomal-dominant α-synuklein erstes entdecktes Parkinson-Gen; kodiertes Protein ist Hauptbestandteil der Lewy-Körper PARK2 autosomal-rezessiv Parkin häufigste Form des früh beginnenden rezessiven Parkinson-Syndroms PARK3 autosomal-dominant SPR? Gen noch nicht sicher bekannt PARK4 autosomal-dominant α-synuclein Duplikationen und Triplikationen des α-synukleingens (PARK1) PARK5 autosomal-dominant UCH L1 Bedeutung unbekannt PARK6 autosomal-rezessiv PINK1 zweithäufigste Form des früh beginnenden rezessiven Parkinson-Syndroms, klinisch von PARK2 nicht zu unterscheiden PARK7 autosomal-rezessiv DJ-1 selten PARK8 autosomal-dominant LRRK2 häufigste Form des erblichen Parkinson-Syndroms, klinisch vom sporadischen IPS nicht zu unterscheiden autosomal-dominant GBA heterozygote Mutationen im Gen für Glukozerebrosidase (GBA), dem Gen für die gauchersche Erkrankung, sind ein überraschend häufiger Risikofaktor für ein IPS

Kontrollgruppe. Demnach, so die Interpretation, kann eine frühe effektive symptomatische Therapie den Erkrankungsverlauf positiv beeinflussen. Eine frühe und präzise Diagnosestellung erspart damit dem Patienten nicht nur eine oft beschwerliche und leidvolle Phase der Unsicherheit, sondern legt auch die Grundlage für eine effiziente Langzeittherapie. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Thomas Gasser Abteilung für Neurologie mit Schwerpunkt neurodegenerative Erkrankungen Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung Hoppe-Seyler-Straße 3 D-72076 Tübingen thomas.gasser@uni-tuebingen.de Zweitabdruck aus Notfall&Hausarztmedizin 2009. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag. Literatur: 1. Braak H, Del Tredici K, Rub U et al. Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson s disease. Neurobiol Aging 2003; 24: 197 211. 2. Postuma RB, Gagnon JF, Vendette M, Fantini ML et al. Quantifying the risk of neurodegenerative disease in idiopathic REM sleep behavior disorder. Neurology 2009; 72: 1296 1300. 3. Stiasny-Kolster K, Doerr Y, Moller JC et al. Combination of idiopathic REM sleep behaviour disorder and olfactory dysfunction as possible indicator for alpha-synucleinopathy demonstrated by dopamine transporter FP-CIT-SPECT. Brain 2005; 128: 126 137. 4. Seppi K, Schocke MF, Wenning GK, Poewe W. How to diagnose MSA early: the role of magnetic resonance imaging. J Neural Transm 2005; 112: 1625 1634. 5. Becker G, Seufert J, Bogdahn U et al. Degeneration of substantia nigra in chronic Parkinson s disease visualized by transcranial color-coded real-time sonography. Neurology 1995; 45: 182 184. 6. Berg D, Becker G, Zeiler B et al. Vulnerability of the nigrostriatal system as detected by transcranial ultrasound. Neurology 1999; 53: 1026 1031 7. Gaenslen A, Unmuth B, Godau J et al. The specificity and sensitivity of transcranial ultrasound in the differential diagnosis of Parkinson s disease: a prospective blinded study. Lancet Neurol 2008; 7: 417 424. 8. Gasser T. Update on the genetics of Parkinson s disease. Mov Disord 2007; 22: S343 S350. 9. Fahn S, Oakes D, Shoulson I et al. Levodopa and the progression of Parkinson s disease. N Engl J Med 2004; 351: 2498 2508. 17