Forschungsgeschichte und -methodik

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Transkript:

Mobbing - Möglichkeiten des Opferschutzes Forschungsgeschichte und -methodik Dipl. Soz. Stefanie von Bargen

It is likely that bullying has gone on in schools for as long as schools have existed (Smith Sharp 1994: xi) Seite 2

Überblick 1. Verteilung eines Textes (frei wählbar) zur Präventionseinheit (Liste!) 2. Forschungsgeschichte 3. Erhebungsmethoden 4. Prävalenz 5. Hat Bullying in den letzten Jahren zugenommen? Seite 3

Forschungsgeschichte Norwegen starkes gesellschaftliches Interesse an der Bewältigung von Gewalttätigkeiten in der Schule seit den 1960er Jahren in Schweden > Olweus (1978) Bullies and Whipping Boys 3 Schülerselbstmorde in Norwegen, die Öffentlichkeit ist aufgewühlt, das Kultusministerium startet eine landesweite Kampagne gegen Bullying 1982/83 Olweus entwickelt einen Fragebogen zur Erhebung des Phänomens über 130.000 Schülerinnen und Schüler, tausende Lehrer und Eltern beteiligen sich. Weiterhin entwickelt Olweus ein Interventionsprogramm, welches das Ausmaß erheblich zu senken vermag in Norwegen konnte das Bullyingausmaß an einigen Schulen um bis zu 70% gesenkt werden. Das Olweus-Programm ist seit Jahren Pflichtprogramm an jeder Schule. Seite 4

Forschungsgeschichte England Valerie Besag (1989) gehört zu den ersten Forschern, die auf die prekäre Lage an den Schulen aufmerksam machen Im gleichen Jahr wird Bullying erstmals im Elton-Report erwähnt und erste Forschungen beginnen. Einige Stiftungen unterstützen die Erstellung von Broschüren. Eine Notrufhotline wird eingerichtet (BullyLine). 1992 produziert die BBC eine Reportage über eine Schülerin, die sich nachweislich aufgrund von Bullying das Leben genommen hatte. Zeitgleich nahm sich das Parlament der Problematik an. Die Sheffield-Studie startete 1990 mit 6700 Schülern. An den Schulen wurde zunächst das Bullying-Ausmaß erhoben und anschließend interveniert, und zwar im Sinne von Olweus. Abschließend konnten die Ergebnisse evaluiert werden. Ein Schwerpunkt innerhalb dieses Projektes war die Pausenaufsicht, ebenso wie die generelle Verbesserung der Informationslage über Bullying. Seite 5

Forschungsgeschichte USA Der 1998 evaluiert der Sherman-Report kriminalpräventive Programme hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Denise Gottfredson erachtet Olweus Programm für ausgesprochen wirkungsvoll. 1996 ruft das Center for the Study and Prevention of Violence eine nationale Initiative zur Gewaltprävention. Das Projekt erhielt den Namen Blueprints und evaluierte in den folgenden Jahren mehr als 600 Präventionsprogramme. Forscher um Melton führten das olweussche Programm an 39 Schulen ein, um zu testen, ob es sich auch für den amerikanischen Kontext eigne. Das Olweus Programm war in der Lage auch in Amerika die Bullyingraten um über 25% zu senken. Seite 6

Forschungsgeschichte Deutschland Olweus Programm ist inzwischen weltweit bekannt und das schleswigholsteinische Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur beauftragt das Landesinstitut für Schule mit einer gewaltpräventiven Studie. Versuch, das Olweus-Programm in einem ganzen Bundesland einzuführen. Die Stichprobe umfasste 15.000 Schülerinnen und Schüler und startete im Frühjahr 1994. Studie schließt mit der Erkenntnis, dass das Programm insbesondere dann wirkungsvoll ist, wenn es kontinuierlich weiterbetreut wird. Seite 7

Forschungsmethodik Einschätzung eines Erwachsenen. Einschätzung eines Erwachsenen. Eltern können am besten Auskunft über ihre Kinder geben. Lehrerbefragung Schulleiterbefragung Elternbefragung Was sehen Lehrer wirklich? Wie objektiv sind ihre Einschätzungen? Was wissen Schulleiter? Welche Aussagen können sie machen? Was berichten die Kinder den Eltern? Einseitigkeit der Perspektive? Seite 8

Forschungsmethodik Sie kennen die Situation in der Klasse sehr genau. Fragebogen (z.b. Olweus; Kasper) Schülerbeobachtung (Pepler/Craig) Schülerbefragung Interviews Bildgetragene Erfassung bei sehr jungen Kindern (Smith et al.) Wie gut können die Kinder die Lage in der Klasse einschätzen? Peer- und Selbstnominierung Wer in deiner Klasse ist besonders beliebt? Wer in deiner Klasse wird nicht gemocht? Wen magst du besonders? Wen magst du gar nicht? Wer in deiner Klasse hilft anderen, wenn sie geärgert werden? (Salmivalli et al.; Schäfer et al.) Seite 9

Arbeitspapiere... Seite 10

Prävalenz Prävalenz: Der Anteil von Personen in einer bestimmten Population, die ein bestimmtes Merkmal tragen. Täter- und Opferzahlen schwanken von Studie zu Studie z.t. erheblich, was neben echten Verhaltensunter-schieden auf das Übersetzungsproblem, Erfassungszeiträume, Schulformen und Altersgruppen zurückzuführen ist 60-70% der Kinder sind lt. Olweus (1993) weder der Täter- noch der Opfergruppe zuzuordnen Seite 11

Prävalenz Salmivalli (1996) potentielle Unterstützer 53,7% 11,7% Opfer 8,2% Täter 19,5% Verstärker 6,8% Assistenten 17,3% Verteidiger 23,7% Außenseiter 12,7% keine eindeutige Rolle Täter 34,5% Seite 12

Prävalenzraten für Bullying im Ländervergleich England Deutschland Norwegen Malta Irland USA Opfer 9 5-10 3 32 2 23 Täter 10 5 2 27 1 20 Erhoben wurde der Umstand, dass jemand ein- oder mehrmals pro Woche entweder als Täter oder Opfer in Erscheinung trat. Seite 13

Hat Bullying in den letzten Jahren zugenommen? Wir wissen es nicht! Bullying stellt nachwievor ein Problem dar, welches, obwohl vielfach kleingeredet oder negiert in seinem Ausmaß schwer abzuschätzen ist und von der Auskunftsbereitschaft aller Beteiligten - Tätern, Opfern, Mitschülern, Lehrern und Eltern - abhängt Um folglich ermessen zu können, ob Bullying in den vergangenen Jahren zugenommen hat oder nicht, bedarf es einer einheitlichen Methodik und Definition - dazu ist die noch junge Forschung bisher nicht in der Lage Seite 14

Hat Bullying in den letzten Jahren zugenommen? Dennoch geht Olweus davon aus, dass Bullying an den Schulen seit den 1970er Jahren zugenommen hat und zwar einerseits in seinen Ausprägungen und andererseits bezüglich der Prävalenz Die Frage der Zunahme ist deshalb zweitrangig, dringender Handlungsbedarf besteht in jedem Fall! Seite 15

Literatur: Bargen, Stefanie von (2008): Bullying - Möglichkeiten des Opferschutzes. Saarbrücken Hanewinkel, R./ Knaack, R. (1997): Mobbing: Gewaltprävention in Schulen in Schleswig-Holstein. Landesinstitut Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie der Schule Hanewinkel, R./ Knaack, R. (1999): Prävention von Aggression und Gewalt an Schulen. Ergebnisse einer Interventionsstudie. In: Holtappels, H.G./ Heitmeyer, W./ Melzer, W./ Tillmann, K.-J. (Hrsg.): Forschung über Gewalt an Schulen. Erscheinungsformen und Ursachen, Konzepte und Prävention. 2. korrigierte Aufl., Weinheim und München, S. 299-314 Lösel, F./ Bliesener, T. (2003): Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen. Untersuchungen von kognitiven und sozialen Bedingungen. Neuwied Pellegrini, A. D. (1998): Bullies and Victims in School: A Review and Call for Research. In: Journal of Applied Developmental Psychology 19 (2), S. 165-176 Pepler, D. J./ Craig, W. (1995): A peek behind the fence: Naturalistic observations of aggressive children with remote audiovisual recording. In: Developmental Psychology, 31, S. 548-553 Salmivalli, C./ Lagerspetz, K./ Björkqvist, K./Österman, K./ Kaukiainen, A. (1996): Bullying as a Group Process: Participant Roles and Their Relations to Social Status Within the Group. In: Aggressive Behavior, Vol. 22, S. 1-15 Scheithauer, H./ Hayer, T./ Petermann, F. (2003): Bullying unter Schülern. Erscheinungsformen, Risikobedingungen und Interventionskonzepte. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle Schuster, B.(1999): Gibt es eine Zunahme von Bullying in der Schule? Konzeptuelle und methodische Überlegungen. In: M.Schäfer/ D.Frey (Hrsg.): Aggression und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Göttingen, Bern, Toronto, S. 91-104 Schäfer, M./ Werner-Wellman, N. (1999): Offene Aggression und Beziehungsaggression als geschlechtsspezifische Formen von Aggression unter Schülern (Bullying). Forschungsbericht Nr.112, München: Ludwig-Maximilians-Universität, Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie Schäfer, M./ Albrecht, A. (2004): Wie du mir, so ich dir? Prävalenz und Stabilität von Bullying in Grundschulklassen. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2, ohne Seitenangaben (Manuskript) Seite 16