1.1.2 Zelluläre Integrität, Apoptose und epitheliale Barrierefunktion

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Einleitung 9 1 Einleitung 1.1 Die epitheliale Barriere 1.1.1 Bestandteile der epithelialen Barriere Die epitheliale Barriere bewirkt eine Trennung verschiedener Kompartimente durch Epithelien, im Fall des Magen-Darm-Traktes die Trennung in ein luminales und interstitielles Kompartiment. Darüber hinaus sorgt die epitheliale Barriere für eine Begrenzung der Diffusion von Soluten und Wasser und dient somit der Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes. Die Trennung von luminalem und interstitiellem Kompartiment ist auch immunologisch bedeutsam, da die freie Passage von Fremdeiweißen und Bakterien des Darmlumens in die Darmwand zu einer kontinuierlichen Stimulation des mukosalen Immunsystems führen würde. Bestandteil dieser Barriere sind neben der apikalen und der basolateralen Zellmembran sowie der apikal aufgelagerten Muzinschicht auch die benachbarte Epithelzellen verbindenden Schlussleisten (Tight junctions). 1.1.2 Zelluläre Integrität, Apoptose und epitheliale Barrierefunktion Die Schädigung intestinaler Epithelzellareale durch Erosionen und Ulzerationen führt zur Beeinträchtigung der intestinalen Barrierefunktion mit Elektrolytverlust, Leckflux- Diarrhö und freier Antigenpassage in die Lamina propria [1]. Diese Läsionen und die durch sie hervorgerufenen Störungen sind typisch für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) [2]. Neben diesen schon makroskopisch sichtbaren und stets pathologischen Läsionen stellen jedoch auch physiologische Einzelzellverluste durch programmierten Zelltod (Apoptose) eine permanente Herausforderung für die Aufrechterhaltung der epithelialen Barriere dar. Bis vor wenigen Jahren galt das Dogma, epitheliale Zellregenerationen und der damit verbundene Zellverlust durch Apoptose liefen ohne eine begleitende Störung der epithelialen Barrierefunktion ab [3, 4]. Mittels hochauflösender Leitfähigkeitsmessung (Conductance-scanning) konnte in unserem Labor jedoch gezeigt werden, dass auch Einzelzellapoptosen mit einer lokalen Erhöhung der Leitfähigkeit einhergehen und somit

Einleitung 10 entscheidend zur Gesamtleitfähigkeit des Epithels beitragen [1]. Die Bedeutung von Einzelzellapoptosen für die Integrität der epithelialen Barriere wächst unter Entzündungsbedingungen. Während unter Kontrollbedingungen nur 5% der Gesamtleitfähigkeit der Kolonkarzinom-Zelllinie HT-29/B6 durch Apoptosen verursacht werden, nimmt dieser Beitrag unter TNFα-Stimulation durch Zunahme der Apoptosen und Erhöhung der Leitfähigkeit von Einzelzellapoptosen auf 45% zu [1]. 1.1.3 Tight junctions Tight junctions (Zonulae occludentes, Schlussleisten, TJ) sind linienförmige Kontaktpunkte benachbarter Zellmembranen von Epithelzellen. Sie liegen zumeist im apikalen Teil der lateralen Zellmembran und zeichnen sich elektronenmikroskopisch durch ein Netzwerk sich verzweigender Einzelstränge aus (siehe Abbildung 16, Seite 69) [5]. Durch einen mehr oder weniger ausgeprägten Verschluss des Interzellulärspaltes stellen sie eine Barriere für den Transport von Wasser und Elektrolyten dar. Darüber hinaus erhalten sie die Polarität des Epithels, indem sie die laterale Diffusion von integralen Membranproteinen zwischen apikaler und basolateraler Zellmembran begrenzen. Tight junctions werden durch eine Vielzahl verschiedener integraler Membranproteine gebildet. Zu diesen gehören Occludin, JAM (junctional adhesion molecule) und eine als Claudine bezeichnete Familie von derzeit 24 bei Warmblütern bekannten Proteinen. Vor der Entdeckung der Claudine wurde angenommen, dass Occludin das alleinige funktionelle Rückgrat der Tight junction bildet [6, 7]. Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, dass sich Occludin-defiziente embryonale Stammzellen zu polarisierten Epithelien mit unauffälligen Tight junctions entwickeln [8]. Dies bedeutet, dass Occludin entweder keine Barrierefunktion aufweist oder in embryonalen Stammzellen noch durch andere Tight junction-moleküle ersetzt werden kann. Darüber hinaus kann die vollkommen unterschiedliche Permeabilität verschiedener Epithelien durch Variationen eines Moleküls nur unvollständig erklärt werden [9]. Seit der Entdeckung der Claudine erfolgte die systematische Charakterisierung einzelner Mitglieder dieser Proteinfamilie. Dabei konnte zunächst gezeigt werden, dass die für das jeweilige Gewebe spezifische Tight junction-struktur aus einer unterschiedlichen Zusammensetzung verschiedener Claudine resultiert [10]. Während einige Claudine spezifisch für bestimmte Gewebe sind (z.b. Claudin-16 im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife [11] und Claudin-11 in Sertoli-Zellen [11, 12]), kommen andere in einer

Einleitung 11 Vielzahl verschiedener Gewebe vor und bilden durch Interaktion mit anderen Claudinen die für dieses Gewebe typische Tight junction-struktur aus. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass nur bestimmte Claudine heterolog miteinander interagieren können, während andere keine Kontaktstrukturen miteinander ausbilden (z.b. Claudin-1 und Claudin-2 [13]). Innerhalb der Claudin-Familie konnten in den letzten Jahren mehrere Proteine mit abdichtender Funktion in der Tight junction identifiziert werden. Zu diesen gehören Claudin-1 [14], Claudin-4 [15] und Claudin-5 [16]. Eine Modulation der Tight junction-permeabilität kann jedoch nicht nur durch einer veränderte Expression dieser abdichtenden Tight junction-proteine geschehen. Mehrere Studien der letzten Jahre demonstrierten anschaulich, dass neben abdichtenden Proteinen innerhalb der Tight junction auch porenbildende Proteine existieren (Claudin-2 [17, 18], Claudin-16 [11]), die den transepithelialen Transport von Anionen oder Kationen ermöglichen. Die Expression von Claudin-2 in Geweben, die keine endogene Claudin-2-Expression aufwiesen, führte zu einer Konversion dichter Epithelien in durchlässige Epithelien, was die besondere Bedeutung porenbildender Proteine für die Funktion der Tight junction unterstreicht [17, 18]. Für die Barriere- und Porenfunktion der Tight Junction scheinen daher die Claudine eine führende Rolle zu spielen [9]. Für Occludin wird eine regulative Funktion innerhalb der Tight junction postuliert [19]. 1.2 Morbus Crohn 1.2.1 Historie, Epidemiologie, Klinik, Diagnostik Der Begriff Morbus Crohn geht zurück auf den Namen des Erstautors der 1932 publizierten Phänomenologie der regionalen Enteritis, Burrill Benjamin Crohn [20]. Nachdem bereits 1612 von Wilhelm Fabry und 1769 von G.B. Morgan in Autopsieberichten Veränderungen beschrieben wurden, die typische Befunde bei M. Crohn darstellen [21, 22], gelang es erst B.B. Crohn und Mitarbeitern die regionale Enteritis als eigene pathologische und klinische Entität herauszustellen. Die Autoren beschrieben eine vor allem bei jungen Erwachsenen vorkommende chronische mukosale Entzündung, welche mit Ulzerationen und reaktiver Bindegewebsvermehrung einhergeht, die zu Stenosen und multiplen Fisteln führt. Als klinische Leitsymptome wurden Diarrhö, Gewichtsverlust, Unterbauchschmerzen und Fieber beschrieben [20]. Im Verlauf der folgenden Jahre wurde gezeigt, dass sich diese Entzündungsreaktion bei vielen Patienten nicht auf das terminale Ileum beschränkt, sondern alle Abschnitte des

Einleitung 12 Gastrointestinaltraktes befallen kann sowie durch zahlreiche extraintestinale Manifestationen kompliziert sein kann [23, 24]. In der heute geltenden Klassifikation werden Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und weitere seltenere Erkrankungen als chronisch entzündliche Darmerkrankungen bezeichnet. Allen Erkrankungen ist gemeinsam, dass sie mit einer meist in Schüben verlaufenden chronischen Entzündung verbunden sind, die im Fall des M. Crohn alle Schichten der Darmwand betrifft, bei Colitis ulcerosa jedoch nur Mukosa und Submukosa. Ein weiterer Unterschied der beiden chronisch entzündlichen Darmkrankheiten ist die segmentale Entzündungsreaktion bei M. Crohn und der stets im Rektum beginnende und kontinuierlich nach proximal fortschreitende Entzündungsprozess bei Colitis ulcerosa. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 5 pro 100.000 Personen an M. Crohn [25]. Da die Erkrankung chronisch verläuft, liegt die Prävalenz mit circa 30 pro 100.000 Personen deutlich höher [26]. Die Diagnose stützt sich auf klinische, endoskopische und histopathologische Befunde. Klinisch führend sind die beiden Leitsymptome Diarrhö und Bauchschmerz. Je nach Befallsmuster treten diese Symptome bei 70-80% der Patienten auf [27]. Endoskopisch zeigen sich im Entzündungsschub Aphten, Ulzera und Fisteln. Im Intervall können Folgeerscheinungen des Entzündungsprozesses im Sinne von Pseudopolypen, Strikturen und Stenosen sichtbar sein. Typischerweise sind diese Veränderungen segmental begrenzt und abhängig vom individuellen Verteilungsmuster der Erkrankung (siehe Tabelle 1). Die histomorphologische Untersuchung von Biopsien aus solchen Entzündungsregionen zeigt charakteristische Befunde im Sinne einer transmuralen Entzündung mit Aphten, fissuralen Ulzerationen, Fisteln, Lymphozytenaggregaten und Granulomen. Lokalisation Häufigkeit Ösophagus 0 1 % Magen 2 3 % Dünndarm 32 53 % Kolon 15 35 % Ileum und Kolon 40 55 % Rektum 15 25 % Tabelle 1. Häufigkeit unterschiedlicher Lokalisationen bei M. Crohn.

Einleitung 13 1.2.2 Ätiologie und Pathophysiologie des M. Crohn Die Ätiologie des M. Crohn ist nicht bekannt. In der Pathogenese werden sowohl genetische Ursachen als auch Umweltfaktoren und immunologische Prozesse diskutiert [28]. Eine Vielzahl von Daten spricht für eine genetische Beeinflussung der Erkrankungswahrscheinlichkeit. So konnte gezeigt werden, das Verwandte ersten Grades von M. Crohn-Patienten ein im Vergleich zur Normalbevölkerung 4 20fach erhöhtes relatives Erkrankungsrisiko haben [29, 30]. Zwillingsstudien demonstrierten eine höhere Konkordanz chronisch entzündlicher Darmerkrankungen bei monozygoten Zwillingen verglichen mit dizygoten Zwillingen [29]. Ein Durchbruch auf dem Sektor der Genetik gelang im Jahr 2001, als gezeigt wurde, dass ein Teil der M. Crohn-Fälle mit Mutationen im NOD2/CARD15-Gen auf Chromosom 16 verbunden ist [31]. Varianten im NOD2/CARD15-Gen sind jedoch wahrscheinlich in weniger als 10% der Fälle der alleinige genetische Risikofaktor [32]. Ungeachtet dieser und zukünftig noch zu identifizierender genetischer Prädisposition müssen weitere Faktoren existieren, um die Erkrankung auszulösen. Dies wurde belegt durch Zwillingsstudien, die zeigten, dass weniger als die Hälfte der an M. Crohn erkrankten monozygoten Zwillinge konkordant für diese Erkrankung sind. Neben Risikofaktoren wie Rauchen und dem Gebrauch nichtsteroidaler Antiphlogistika kommt der intestinalen Bakterienflora dabei eine besondere Bedeutung zu. Tiermodelle mit spontaner Kolitis belegen, dass unter keimfreien Bedingungen aufgezogene Tiere keine Kolitis entwickeln, während die Besiedlung mit Kommensalen zur Erkrankung führt [33]. Untersuchungen von CED-Patienten zeigten eine im Vergleich zu gesunden Personen erhöhte Anzahl Oberflächen-adhärenter Bakterien sowie eine intrazelluläre Anreicherung im Epithel des Kolons [34, 35]. Die gemeinsame Endstrecke genetischer und umweltbedingter Faktoren ist eine Aktivierung des mukosalen Immunsystems, die meist in Schüben verläuft und zu typischen Krankheitssymptomen führt. Die pathophysiologische Grundlage dafür ist wahrscheinlich eine Auseinandersetzung mukosaler Immunzellen mit aus dem Darmlumen stammenden Antigenen [28]. Bedingung für das Aufeinandertreffen von Immunzellen und Antigenen ist eine Störung der epithelialen Barrierefunktion. Ob die bei M. Crohn- Patienten gezeigte Barrierestörung [36, 37] ein intrinsischer Defekt ist, der zur Erkrankung führt oder lediglich als sekundäre Störung die Entzündungsreaktion unterhält, ist nicht abschließend geklärt. Die erhöhte intestinale Permeabilität gesunder Verwandter

Einleitung 14 ersten Grades von M. Crohn-Patienten spricht jedoch für einen primären Defekt [38]. Unabhängig davon, ob die Barrierestörung bei M. Crohn Ursache oder Folge der Erkrankung ist, muss davon ausgegangen werden, dass sie zumindest sekundär den Entzündungsprozess durch Antigenpassage in die Lamina propria unterhält [39, 40]. Umgekehrt ist wahrscheinlich, dass die therapeutische Wiederherstellung der epithelialen Barrierefunktion zur Verringerung des Antigentransports und möglicherweise zur vollständigen Ausheilung des mukosalen Entzündungsprozesses führen kann. Die Grundlage der epithelialen Barrierestörung bei M. Crohn ist auch heute noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Untersuchungen anderer chronisch entzündlicher Darmerkrankungen lassen neben makroskopischen Läsionen wie Ulzerationen und Erosionen auch eine Mitbeteiligung von epithelialen Tight junction-veränderungen vermuten. So zeigte die Gefrierbruch-elektronenmikroskopische Analyse von Tight junction-regionen bei Colitis ulcerosa eine Verringerung der Anzahl parallel verlaufender Tight junction-stränge sowie eine Reduktion der apiko-basalen Ausdehnung des Tight junction-netzwerkes [41]. Diese Ergebnisse sind von großer funktioneller Relevanz, da in vielen Epithelien die Barriereeigenschaften quantifiziert z.b. durch Messung des transepithelialen Widerstands mit zunehmender Anzahl von Tight junction-strängen logarithmisch ansteigt [42]. Untersuchungen bei Kollagener Kolitis zeigten darüber hinaus Veränderungen im Expressionsmuster der Tight junction-proteine. Während Claudin-4 eine verminderte Expression im Vergleich zur Kontrolle zeigte, wiesen einzelne Patienten eine deutliche Zunahme der Claudin-2-Expression auf, welche im Gesamtkollektiv jedoch nicht signifikant war [43]. Erste Expressionsanalysen bei M. Crohn zeigten eine Verminderung von Occludin, während die Expression von Claudin-1 sich nicht von den Kontrollpatienten unterschied [44]. Ergebnisse aus Zellkulturexperimenten und Tiermodellen zeigten, dass neben Läsionen und Tight junction-veränderungen möglicherweise auch epitheliale Apoptosen die Integrität der intestinalen Barriere stören. In HT-29/B6-Zellen führte die Stimulation mit TNFα zur Induktion von epithelialen Apoptosen. Während diese Einzelzellapoptosen unter Kontrollbedingungen nur zu 5% zur Gesamtleitfähigkeit beitrugen, lag dieser Anteil unter TNFα-Stimulation bei 45%. Tight junction-veränderungen trugen demnach zu 55% zur erhöhten Gesamtleitfähigkeit bei [1]. Diese Veränderungen sind bedeutsam, da mukosale Immunzellen von M. Crohn-Patienten eine erhöhte Produktion und Ausschüttung von TNFα zeigen [45].

Einleitung 15 TNFα-Injektionen führten bei Mäusen zu einer fulminanten Apoptoseinduktion von Epithelzellen im Dünndarm [46]. Umgekehrt führte die Gabe von TNFα-Antikörpern bei Mäusen mit spontaner Ileitis zur Reduktion der Zahl epithelialer Apoptosen [47]. Untersuchungen an menschlicher Darmschleimhaut zeigten eine deutlich erhöhte epitheliale Apoptoserate bei Colitis ulcerosa [48]. Ein signifikanter Beitrag von Aggregaten apoptotischer Epithelzellen zur Barrierestörung bei Colitis ulcerosa konnte durch Conductance-Scanning belegt werden [2]. 1.2.3 Therapie des M. Crohn 1.2.3.1 Allgemeine Therapieprinzipien Ein Aktivitätsschub der Erkrankung geht mit schwerwiegenden klinischen Symptomen und einer zum Teil deutlichen Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens einher. Daher sollte jeder Erkrankungsschub behandelt werden. Ziel der Behandlung ist zunächst die Remissionsinduktion und anschließend die Remissionserhaltung. Eine kausale Therapie ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenso wie eine definitive Ausheilung der Erkrankung nicht möglich. Grundlage der medikamentösen Therapie sind topische und systemische Steroide, Aminosalicylate und Immunsuppressiva. Leichte bis mittelschwere Schübe werden mit Aminosalicylaten (Mesalazin) oder topischen Steroiden, bei Therapieversagen mit systemischen Steroiden behandelt [49-51]. Standardtherapie für die Behandlung eines schweren Schubes sind systemische Steroide. Sollte es unter dieser Therapie innerhalb 1 Woche nicht zur Remissionsinduktion kommen, wird eine additive Therapie mit Azathioprin empfohlen [52]. Circa 10% der Patienten erreichen auch mit diesem Therapieschema keine Remission. Für diese als therapierefraktär bezeichnete Patientengruppe kann die Behandlung mit TNFα- Antikörpern (z.b. Infliximab) empfohlen werden [53]. 1.2.3.2 TNFα-Antikörper-Therapie Nachdem zu Beginn der 90er Jahre gezeigt wurde, dass M. Crohn-Patienten eine erhöhte mukosale TNFα-Produktion aufweisen [45], begann die Suche nach einer therapeutischen Möglichkeit zur Beeinflussung dieses für den Entzündungsprozess

Einleitung 16 zentralen Zytokins. Bereits im Jahr 1997 wurden die ersten prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studien mit monoklonalen Antikörpern gegen humanen Tumor- Nekrose-Faktor-α bei M. Crohn durchgeführt [54, 55]. Durch Einmalgabe von 5 mg TNFα-Antikörper pro Kilogramm Körpergewicht erreichten 33% der therapierefraktären M. Crohn-Patienten eine Remission, 80% zeigten eine deutliche klinische Besserung (Verringerung des Crohn s Disease Activity Index um > 70 Punkte) [55]. Spätere Studien belegten, dass auch die Langzeittherapie mit TNFα-Antikörpern eine sichere und wirksame Behandlung therapierefraktärer Patienten darstellt [56]. Offen blieb jedoch, auf welchem Weg die Bindung von TNFα zur klinischen Verbesserung beiträgt. Erst Jahre später zeigten Apoptose-Untersuchungen von Immunzellen einen möglichen Therapieweg auf. So zeigte sich, dass die Gabe von TNFα-Antikörpern sowohl bei Monozyten als auch bei T-Lymphozyten der Lamina propria zu einer dramatischen Apoptoseinduktion und somit zur Immunzell-Eradikation führte [57, 58]. Diese Apoptoseinduktion konnte jedoch nur durch TNFα-Antikörper ausgelöst werden, welche neben löslichem auch membrangebundenes TNFα binden. Antikörper, die lediglich lösliches TNFα aus der Blutzirkulation entfernten, hatten keine Wirkung auf die Apoptose von Immunzellen [59]. Die Wirkung von TNFα-Antikörpern wurde somit über eine Bindung der Antikörper an membrangebundenes TNFα erklärt, was zur Induktion des programmierten Zelltodes und damit zur Eradikation von Immunzellen führte. Permeabilitätstests bei M. Crohn Patienten zeigten, dass neben der Wirkung auf Immunzellen auch eine Restitution der epithelialen Barriere durch TNFα-Antikörper erreicht werden konnte [60]. Ob die Wiederherstellung der epithelialen Barrierefunktion die direkte Folge der Antikörper-Wirkung auf Epithelzellen ist oder lediglich aus der Verminderung proinflammatorischer Zytokine als Folge der Immunzell-Eradikation resultiert, konnte nicht geklärt werden. Untersuchungen von Mäusen mit spontaner Ileitis lassen einen Einfluss der Antikörperbehandlung auf epitheliale Apoptoseprozesse vermuten. So führte die Gabe von TNFα-Antikörpern bei diesen Mäusen zu einer Symptombesserung, die mit einer Verringerung der erhöhten epithelialen Apoptoserate einherging [47].

Einleitung 17 1.3 Zielstellung der Arbeit Erstes Ziel der vorliegenden Arbeit war die Quantifizierung der epithelialen Barrierestörung im entzündeten Colon sigmoideum von Patienten mit therapierefraktärem M. Crohn durch Impedanzanalysen an endoskopisch entnommenen Biopsien. Zweites Ziel war die Untersuchung des Einflusses einer TNFα-Antikörper-Therapie auf die epitheliale Barrierestörung bei M. Crohn und die Aufklärung der Mechanismen dieser Barriere-Beeinflussung. Aufgrund der gefundenen Veränderungen erfolgte in einem drittem Schritt an einem unabhängigen Kollektiv von M. Crohn-Patienten eine weitergehende Analyse von Tight junction-veränderungen. Dabei wurde neben einer elektronenmikroskopischen Untersuchung der Tight junction an Gefrierbrüchen auch eine Expressionsanalyse von Tight junction-proteinen und eine fluoreszenzmikroskopische Lokalisierung dieser Proteine durchgeführt.