Moderne Experimente der Kernphysik II

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Transkript:

Moderne Experimente der Kernphysik II - Aktuelle Fragestellungen der Kernstrukturphysik - Prof. Dr. Reiner Krücken Physik Department E12 Raum 2003 Tel. 12433 E-mail: reiner.kruecken@ph.tum.de

Ein Blick zurück Wesentliche Punkte des letzten Semesters

Rückblick Grundzustandseigenschaften von Kernen Massen, Radien, elektromagnetische Momente, Spin Eigenschaften der NN-Wechselwirkung Deuteron Fermi Gas Modell Schalenmodell Mittleres Potential und resultierende Einteilchenzustände Restwechselwirkung und deren Konsequenzen Transfer-Reaktionen zum Studium von Schalenmodellzuständen Kollektive Anregungen Rotation und Vibrationszustände Elektromagnetische Übergänge Messung von Lebensdauern Verschiedene Deformationen (Quadrupol, Oktupol, Triaxial) Erweiterungen des Schalenmodells deformiertes Schalenmodell / Nilsson Modell Schalenkorrekturen /Strutinsky Methode Einteilchenzustände im rotierenden Potential / Cranking Modell

Rückblick 2 Experimentelle Methoden Massenmessungen Bindungsenergien, Separationsenergien Dichteverteilungen Radien Transferreaktionen: Energien, Winkelverteilungen, Wirkungsquerschnitte Einteilchenenergien, Drehimpuls, Spektroskopische Faktoren Gammaspektroskopie inkl. Winkelverteilung, Polarisation Energien angeregter Zustände, Drehimpuls, Spin, Matrixelemente Coulomb-Anregung: Wirkungsquerschnitte elektromagnetische Momente g-faktor Messung magnetisches Moment Lebensdauermessung Quadrupolmoment u.a.

Zielsetzung für dieses Semester Anwendung und Test der bisher gelernten Konzepte Exemplarische Besprechung aktueller Fragestellungen und Experimente Erweiterung des Horizonts Wo funktionieren die bisher gelernten Konzepte nicht? Wo sind die Grenzen der bisherigen Ansätze? Was sind die fundamentalen Fragestellungen der Kernstrukturphysik? Welche modernen experimentellen Methoden werden verwendet? Was sind die zukünftigen Entwicklungen?

Inhalt Einführung Beschreibung der leichtesten Kerne (A<10) Produktion kurzlebiger radioaktiver Ionenstrahlen Halo Kerne und Phänomene in schwach gebundenen Systemen N=Z Kerne Cluster-Struktur von Kernen Kerne an der Protonenabbruchkante rp- und r-prozess Symmetrien und Phasenübergänge in Kernen Formkoexistenz und Isomerismus Superschwere Elemente Elektromagnetische Response Hyperkerne Exotika (tief gebundenen pionische Zustände, etc.)

Hierarchie der starken Wechselwirkung Protonen, Quarks, Gluonen Neutronen? Leichte Kerne (A 12) QCD? Schwere Kerne Nukleon-Nukleon Wechselwirkung (ab-initio Modelle) Die Natur der effektiven Nukleon-Nukleon Wechselwirkung ist nicht verstanden!! Effektive Nukleon-Nukleon Wechselwirkung

Ziele der Kernstrukturphysik Nach U.S. NSAC Long Range Plan Einheitliche Beschreibung aller Kerne Grenzen der Existenz von Kernen Herleitung der freien NN-Wechselwirkung aus der QCD Symmetrien und Dynamik von Vielteilchensystemen

Das Stabilitätstal

Eigenschaften des 2-Nukleonen 2 Systems Einzig gebundener Zustand: Deuteron Es gibt kein Di-Proton und kein Di-Neutron Eigenschaften des Deuterons: M(d) = 1876,1387 MeV/c 2 (Atommasse) Bindungsenergie B(d) = 2,225 MeV Spin I =1 Radius: R(d) = 1,4 10-13 cm Querschnittsfläche A=πR 2 6 10-26 cm 2 Quadrupolmoment: eq d = 2,86 10-27 e cm 2 = 2,86 10-3 eb (barn) Magnetisches Moment: µ d = 0,857 µ N µ p + µ n = 0,88 µ N Tiefe des Potentialtopfes für das Deuteron: V 0 50 MeV

Konsequenzen für N-N N N Kraft Schlussfolgerungen aus Eigenschaften des Deuterons Proton- und Neutron-Spin parallel (Tripplett-Zustand) wg. µ p + µ n µ d Grundzustand hat L=0 wg. Q d << A Deuteron im wesentlichen sphärisch Q d 0 deutet auf nicht-zentrales Potential (Tensorkraft) NN-Kraft schwach im Vergleich zur Potentialtiefe NN-Kraft verändert kinetische Energie im wesentlichen nicht!

Eigenschaften der NN-Kraft Zusammenfassung: Kurzreichweitig, generell anziehend (Kernbildung, Kerngröße) Sättigung (B.E./A ~ 8 MeV) Schwach im Vergleich zur kinetischen Energie (E B (d) << V 0 ) Nukleonen bewegen sich im wesentlichen unabhängig voneinander Ladungsunabhängig (abgesehen von der Coulomb-WW im Kern) Enthält Paarungskraft für gleichartige Nukleonen (J=0 gg Kerne) Abgesehen von Paarung ist T=1 Kanal abstoßend (ππ, νν ungebunden) T=0 Kanal anziehend und bevorzugt S=1 Kopplung (Deuteron) Proton-Neutron WW bevorzugt nicht-sphärische Form (Q d 0, deformierte Kerne in der Schalenmitte)

Berechnung von Kernen mit einer realistischen NN-Kraft V NN r Mit realistischen NN-Potentialen kann man Systeme weniger Nukleonen beschreiben z.b: Eigenschaften des Deuterons Daten aus der Streuung von Neutronen an Protonen Elastische Elektronenstreuung an leichten Kernen Mit großem numerischen Aufwand kann man auch die Eigenschaften von Kernen mit Massen bis zu A=10 beschreiben: Ab-initio Kernmodelle (Greens-Function Monte Carlo)

Elektronenstreuung an leichten Kernen Elektronenstreuung an leichten Kernen Formfaktor ( ) 2 2 * exp q F d d d d Mott Ω = Ω σ σ 2 cos 2 * θ σ σ Ω = Ω Rutherford Mott d d d d

Elektronenbeschleuniger MAMI in Mainz ( Mainzer Mikrotron ) Energie 855 MeV Es wir die gleiche Beschleunigerstrecke mehrfach verwendet Rennbahnmikrotron

MAMI A1 Collaboration

Ab-initio Rechnungen für leichte Kerne

Schwerere Kerne: Schalenmodell & Mean-Field

Mikroskopische Selbstkonsistente Mean-Field Modelle H 1 = t i + vij 2 Jedes Teilchen spürt ein mittleres Feld U i (A-1) (erzeugt durch die anderen A-1 Teilchen) H mittel ( 1) ( i) = t + U A Primitivste Beschreibung des Verfahrens: Intelligente Wahl des mittleren Potentials U i (A-1) - z.b. Woods Saxon, H.O.+L 2 +LS Berechne Eigenfunktionen Φ i des Hamiltonian H mittel (i) i i Mean-Field Hamiltonian Verwende Eigenfunktionen und effektive NN-Wechselwirkung, um das mittlere Potential U i (A-1) zu berechnen, dass jedes Teilchen spürt. verbesserter Mean-Field Hamiltonian Berechne verbesserte Eigenfunktionen Berechne neues mittleres Potential mit verbesserten Wellenfunktionen Verfahren konvergiert zu selbstkonsistentem Potential und Wellenfunktionen mit minimierter totaler Energie für den Grundzustand optimale Parameter für die effektive NN-Wechselwirkung Details in Ring und Schuck: Hartree-Fock Methode

Vorhersagen mikroskopischer Modelle

Mangel an Vorhersagekraft der Modelle: z.b. Massen Asymptotische Freiheit der Modelle

Spin-Bahn Kopplung in Kernen H.O. + L 2 + L S

Änderung der Schalenabschlüsse Spin-Bahn Kopplung ρ n p V d dr LS V central ρ n p r r V r V r Stabilitätstal neutronenreiche Kerne Schalenstruktur kann durch schwache LS-Kopplung verwaschen werden!!

Beispiel: Synthese der schweren Elemente Physik der bekannten Kerne ist unzureichend für die Erklärung der Elementsynthese

Aufbruch in die Terra Incognita