Sinn und Unsinn von Überwachung und Kontrolle in Arbeitsorganisationen
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- Charlotte Bergmann
- vor 8 Jahren
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1 Sinn und Unsinn von Überwachung und Kontrolle in Arbeitsorganisationen Zentralverband Staats- und Gemeindepersonal Schweiz Fachtagung Brunnen, 9./ FHNW Fachhochschule Nordwestschweiz +41 (0) Hochschule für Angewandte Psychologie, FHNW Inhalt Angewandte Psychologie an der FHNW Kontrolle: Begriffsbestimmung Kontrolle: Wirkungen allgemein - Attribution - Reaktanz - Kognitive Dissonanz Kontrolle und Arbeit - Menschenbild und Führung - Motivation Zusammenfassung und Empfehlungen 2 FH Nordwestschweiz, Olten 1
2 Angewandte Psychologie an der FHNW Studiengang: Mensch und Arbeit - Vertiefungsrichtungen: Leistungsmotivation und Systemzuverlässigkeit Gesundheit Kooperation und neue Medien - Ausbildung mit hohem Anwendungsbezug Erweiterter Leistungsauftrag - F&E, Weiterbildung, Dienstleistung - Institute: Institut Mensch in komplexen Systemen (MikS) Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung (IfK) 4 Kontrolle: Instrumente Wer kontrolliert? - Fremd- versus Selbstkontrolle - Kontrolle durch über-/gleich-/unterstellte Person Was wird kontrolliert? - Handlungsausführung - Handlungsergebnis - Allgemeines Verhalten Wie wird kontrolliert? - Direkt versus vermittelt über technische und organisatorische Systeme - Vollständig versus Stichproben 7 FH Nordwestschweiz, Olten 2
3 Technische Kontrolle: Definition Konformität des Handelns mit bestehenden Handlungsanforderungen und dahinter stehenden Erwartungen, Normen, Zielen durch technische Mittel erreichen, sichern oder wiederherstellen. 8 Technische Kontrolle: Häufigkeit Soziale Kontrolle: (American Management Association, 2001) - 78% der befragten Firmen führen elektronische Überwachungen durch; - 62% überwachen die Internet-Nutzung - 54% überwachen -verkehr Handlungskontrolle - Handlungs- und Entscheidungsunterstützung - Workflow - Automatisierungen 9 FH Nordwestschweiz, Olten 3
4 Technische Kontrolle: Auswirkungen Elektronisch überwachte Mitarbeitende zeigen häufiger Beanspruchungssymptome wie Kopfschmerzen, Erschöpfung und Ängstlichkeit. (ILO, 1993) Elektronische Überwachung von Dateneingabetätigkeiten steigert die Geschwindigkeit und die Fehler. (ILO, 1993) Vorgesetzte verwenden mehr elektronische Überwachung und eher heimlich, wenn sie von ihren Mitarbeitern sehr abhängig sind und kein Vertrauen in deren Leistung haben. (Alge et al., 2004) Mitarbeitende akzeptieren elektronische Anwesenheitsüberprüfungen in verteilten Arbeitssituationen, wenn ihre Privatsphäre geschützt wird und sie die Nutzung als fair erleben. (Zweig & Webster, 2002) Cyberloafing kommt häufiger vor, wenn Mitarbeitende sich in ihrer Organisation nicht gerecht behandelt fühlen. (Lim, 2002) 10 Formen sozialer Kontrolle Externe Kontrolle - Persönliche Kontrolle, z.b. durch Vorgesetzte - Unpersönliche Kontrolle durch technische und organisatorische Massnahmen Innere Kontrolle durch verinnerlichte Normen und Regeln 11 FH Nordwestschweiz, Olten 4
5 Attribution Wie Menschen sich die Gründe für ihr eigenes Verhalten und das Verhalten anderer erklären Zusammenfügen von Informationsbruchstücken - Sinnvoller Erklärungen - Einsichten über Kausalzusammenhängen Internale Attribution: Kontrollierbar - Gründe für ein Verhalten liegen in der Person (Einstellung, Charakter, Persönlichkeit, etc.) Externale Attribution: Nicht kontrollierbar - Gründe für ein Verhalten liegen ausserhalb der Person (Situation, Umwelt, etc.) 13 Attribution: Dimensionen Kontrollierbarkeit kontrollierbar nicht kontrollierbar Stabilität stabil Fähigkeit Schwierigkeit instabil Anstrengung Glück / Pech Zufall 14 FH Nordwestschweiz, Olten 5
6 Attribution: Besonderheiten Selbstwertschützende Attribution - Erfolg: Internal-stabile Attribution - Misserfolg: External-instabil Attribution Selbst- vs. Fremdattribution - Fremdattribution: Tendentiell internal - Selbstattribution: Tendentiell external Fundamentaler Attributionsfehler - Tendenz, das Verhalten anderer Menschen ausschliesslich anhand von Persönlichkeitsmerkmalen zu erklären und dabei die Macht des sozialen Einflusses zu unterschätzen. 17 Attribution und Kontrolle Kontrolle beeinflusst die Attribution und damit das Handeln - Kontrolle begünstigt externale Selbstattribution - Externale Selbstattribution führt eher zu Passivität und Verantwortungsablehnung Fundamentaler Attributionsfehler verleitet zu stärkerer Kontrolle 20 FH Nordwestschweiz, Olten 6
7 Reaktanz Reaktanz: unangenehmer Zustand Die wahrgenommenen Bedrohung von Freiheit (zu denken oder zu handeln wie man will) verursacht Reaktanz Reaktanz kann gemindert werden, indem die bedrohte Handlung ausgeführt wird Reaktanz und Kontrolle - Kontrolle fördert Reaktanz - Kontrolle kann sich kontraproduktiv auswirken 22 Kognitive Dissonanz Gefühl des Unbehagens - Hervorgerufen durch eine Handlung, -... die dem (üblicherweise positiven) Selbstbild widerspricht, - für die keine externe Rechtfertigung (Attribution) besteht, - die damit das Selbstbild bedroht Mensch ist motiviert, kognitive Dissonanz zu reduzieren, durch - Veränderung des Verhaltens - Rationalisierungen: Uminterpretation dissonanter Kognitionen Hinzufügen konsonanter Kognitionen Ziel: Erhalt der Selbstachtung Nicht rational Sondern rationalisierend 24 FH Nordwestschweiz, Olten 7
8 Kognitive Dissonanz und... Anstrengung - Je härter man für etwas arbeitet, desto grösser wird die Zuneigung dazu Rechtfertigung - Je mehr externe Rechtfertigung für ein Verhalten, desto geringer die Dissonanz Bestrafung - Je höher die Bestrafung, desto geringer die Dissonanz bzgl. des bestraften Verhaltens (hohe Strafen schaffen externe Rechtfertigungen) 25 Kognitive Dissonanz und Kontrolle Kontrolle schafft externale Rechtfertigungen (d.h. externale Attributionsmöglichkeiten) Es entsteht weniger kognitive Dissonanz Eine Übereinstimmung von Handlungen und Einstellungen wird damit nicht gefördert 26 FH Nordwestschweiz, Olten 8
9 (McGregor, 1970) Menschenbild und Führung: Theorie X der Mensch... - hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit - versucht der Arbeit aus dem Weg zu gehen (ist arbeitsscheu) - hat wenig Ehrgeiz - will an die Hand genommen werden - drückt sich vor Verantwortung - will vor allem Sicherheit der Führende muss den MA... - zum Arbeiten zwingen und mit Nachdruck Leistung fordern - bei der Arbeit führen, lenken und kontrollieren - mit Sanktionen drohen 28 (McGregor, 1970) Der Teufelskreis der Theorie X bestätigt Theorie X daraus folgt Verantwortungsscheu, keine Initiative strenge Vorschriften und Kontrolle führt zu passivem Arbeitsverhalten führt zu 29 FH Nordwestschweiz, Olten 9
10 (McGregor, 1970) Menschenbild und Führung: Theorie Y der Mensch... - hat ein natürliches Bedürfnis nach Leistungverfügt über ungenutzte Potentiale - ist fähig zur Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, je nach Engagement - strebt nach nach Selbstschätzung und nach Anerkennung - will seine Fähigkeiten nutzen - will etwas dazulernen - möchte Verantwortung übernehmen der Führende muss... - den MA helfen, Ziele realistisch zu formulieren und konsequent zu verfolgen - organisationale und persönliche Ziele beachten - ein Klima des Vertrauens schaffen - MA an Entscheidungen beteiligen 30 (McGregor, 1970) Die verstärkende Wirkung der Theorie Y verstärkt Theorie Y daraus folgt Initiative und Verantwortungsbereitschaft Handlungsspielraum, Selbstkontrolle führt zu Engagement für die Arbeit ermöglicht 31 FH Nordwestschweiz, Olten 10
11 Menschenbild Das Bild, das man sich macht - von anderen Menschen - von sich selbst Muss nicht wahr sein Ist aber immer wirklich - d.h., es bestimmt das eigene Verhalten Hat eine starke Tendenz, sich selbst zu bestätigen - Der erste Eindruck täuscht nicht. 34 Motivation Motivation ist die Mobilisierung des Leistungswillens. Motivation entsteht aus dem Zusammenspiel von Motiven des Menschen und den wahrgenommenen Anregern der Situation. Person Motiv z.b. Antrieb, Bedürfnis Trieb X Situation Anreger z.b. Aufgabe, Geld, Karriere 36 FH Nordwestschweiz, Olten 11
12 (Maslow, 1954) Motivationspyramide Selbstverwirklichung Ich-Motive (Anerkennung, Status, Prestige, Achtung) Soziale Motive (Kontakt, Liebe, Zugehörigkeit) Sicherheitsmotive (Schutz, Vorsorge, Angstfreiheit) Physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst, Atmung, Schlafen) Wachstums-Motive Defizit-Motive 37 (Herzberg et al., 1959) Zwei-Faktoren Theorie Motivatoren - Tätigkeit selbst - Möglichkeit etwas zu leisten - Möglichkeit sich weiterzuentwickeln - Verantwortung bei der Arbeit - Aufstiegsmöglichkeiten - Anerkennung Hygienefaktoren - Arbeitsbedingungen - Beziehung zu den Arbeitskollegen & Vorgesetzten - Firmenpolitik und Administration - Entlöhnung und Sozialleistungen - Sicherheit des Arbeitsplatzes Motivieren Motivieren nicht Demotivieren, wenn nicht erfüllt 38 FH Nordwestschweiz, Olten 12
13 (Herzberg et al., 1959) Zwei-Faktoren Theorie Motivatoren - Tätigkeit selbst - Möglichkeit etwas zu leisten - Möglichkeit sich weiterzuentwickeln - Verantwortung bei der Arbeit - Aufstiegsmöglichkeiten - Anerkennung intrinsisch Motivieren Hygienefaktoren - Arbeitsbedingungen - Beziehung zu den Arbeitskollegen & Vorgesetzten - Firmenpolitik und Administration - Entlöhnung und Sozialleistungen - Sicherheit des Arbeitsplatzes extrinsisch je geringer die intrinsische Motivation desto mehr Kontrolle nötig Motivieren nicht Demotivieren, wenn nicht erfüllt 39 (Ulich, 2001) Vollständige Aufgabe Ziele selbständig setzen. Handlungen selbständig vorbereiten (Planungsfunktion). Mittel und erforderliche Interaktionen selbständig auswählen. Handlung selbständig ausführen (inkl. Fortschrittsfeedback). Ergebnisse der eigenen Handlungen selbständig prüfen (d.h. Resultatfeedback). 41 FH Nordwestschweiz, Olten 13
14 Kontrolle und intrinsische Motivation Die Aufgabenerfüllung selbst wirkt hinreichend motivierend, dass keine externe (persönliche oder unpersönliche) Kontrolle nötig ist, um Zielerreichung sicherzustellen. aber: Blindes Vertrauen möglich? 44 Auswirkungen externer Kontrolle Negativ: Ausdruck von Misstrauen; Reduktion innerer Kontrolle Positiv: Unterstützung bei der Zeilerreichung, wenn Kontrolle als konstruktive Rückmeldung genutzt werden kann.! Voraussetzung: Handlungskontrolle im Sinne von angemessenen Einflussmöglichkeiten des Kontrollierten. 45 FH Nordwestschweiz, Olten 14
15 Gestaltungsempfehlungen Je höher das Qualifikations- und Erfahrungsniveau, desto weniger externe Kontrolle und nur auf Handlungsergebnis bezogen. Je komplexer die Arbeitsaufgabe, desto mehr externe Kontrolle auch auf Handlungsausführung bezogen als Unterstützung nötig. Je weniger vorhersehbar und je innovativer der Arbeitsprozess, desto stärker innere Kontrolle fördern. Nur so viel externe Kontrolle, wie zur angemessenen Unterstützung des Arbeitsprozesses nötig. 46 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit 47 FH Nordwestschweiz, Olten 15
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