E-Interview: Wie sicher sind Lebensversicherungen?
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- Lars Markus Abel
- vor 8 Jahren
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1 E-Interview: Wie sicher sind Lebensversicherungen? Name: Dr. Jörg Schulz Organisation: Gerling Firmen- und Privat-Service AG Funktion: Bereichsleiter Marktanalysen Kurzeinführung in das Titel-Thema: Lebensversicherungen galten bislang als sicher. Nun heißt es nicht nur in der letzten Capital: Der DAX reißt die Lebensversicherer in die Tiefe. Wie sicher sind also Lebensversicherungen und Lebensversicherer? Woran lassen sich schwarze Schafe erkennen? Was sind wichtige Kriterien bei der Auswahl einer Lebensversicherung? Welche Vergleichstests sind seriös? Welche Bedeutung hat die Anhebung des Aktienanteils für Lebensversicherer, welche Folgen hat der 341b für Versicherer und Kunden? Wie lässt sich die Branche zukunftssicher gestalten? In diesem E-Interview beantwortet Dr. Jörg Schulz, Leiter des Bereichs Marktanalysen bei Gerling und ein ausgewiesener Experte der Branche, diese Fragen nicht nur aus Sicht von Gerling.
2 Sehr geehrter Herr Dr. Schulz, Lebensversicherungen galten bislang als sicher. Nun heißt es nicht nur in der letzten Capital: Der DAX reißt die Lebensversicherer in die Tiefe. Wie sicher sind also Lebensversicherungen und Lebensversicherer? Muss die Branche einen fundamentalen Image-Schaden fürchten? Die permanenten "Negativ-Nachrichten" in den verschiedenen Medien dürften sicher nicht ohne Auswirkung auf das Image der Branche bleiben. Jedoch muss die Situation differenziert betrachtet werden, da die einzelnen Unternehmen unterschiedlich stark von der aktuellen Situation betroffen sind. Versicherer wie die Allianz, die Hamburg-Mannheimer, die Victoria oder Gerling Leben, die in der Vergangenheit eine eher konservative Unternehmens- und Kapitalanlagepolitik betrieben haben, stehen derzeit sehr viel besser dar als viele Wettbewerber. Vor allem die von Verbraucherschützern immer wieder hochgelobten Direktanbieter sind aufgrund mangelnder Reserven und fehlender Kapitalisierung stärker gefährdet. Dies gilt in gleichem Maße für kleinere Anbieter ohne starke Konzernmutter. Andererseits führt die aktuelle Situation zwangsläufig zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Qualität der Anbieter; die in der Vergangenheit häufig monierte Höhe der Abschlussund Verwaltungskosten der "etablierten" Gesellschaften spielt nun berechtigterweise keine Rolle mehr. Woran lassen sich schwarze Schafe erkennen? Was sind wichtige Kriterien bei der Auswahl einer Lebensversicherung? Grundsätzlich gilt, dass man schwarze Schafe nicht durch einen Vergleich einzelner Kenngrößen oder Produkte erkennen kann, so wie es gerade in Zeitschriften und im Internet immer wieder versucht wird. Weder die Höhe der Bewertungsreserven noch
3 die Verzinsung der Kapitalanlagen geschweige denn die Höhe der Kosten sind als alleiniges Kriterium geeignet. Daher müssen auch zahlreiche Rating-Ansätze, bspw. von Prof. Finsinger oder der Stiftung Warentest in die Irre führen. Hinzu kommt, dass sich jeder Kunde zunächst über seinen eigenen Bedarf klar werden sollte; hierbei können sowohl Versicherungsangestellte als auch Makler hilfreich sein. Erst im zweiten Schritt gilt es dann, den "richtigen" Versicherer zu suchen und hoffentlich auch zu finden. Dabei werden die Kriterien ganz unterschiedlich sein, je nachdem, um welches Produkt es sich handelt. So ist die aktuelle Kapitalmarktkrise bei der Entscheidung bspw. für eine Risikoversicherung eher unbedeutend. Wer jedoch heute seine langfristige private Altersvorsorge plant, sollte vor allem auf die Sicherheit und Solidität seines Unternehmens achten. Wichtige Kenngrößen sind bspw. die (vollständige) Nettoverzinsung der Kapitalanlagen, das Verhältnis der Bewertungsreserven zu den Kapitalanlagen, die Höhe der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattung und die Zusammensetzung der Kapitalanlagen. Aber auch qualitative Größen wie Stornoquoten sollten nicht unterbewertet werden, da es einen signifikanten Zusammenhang bspw. zwischen der Höhe der Stornoquote und der Höhe der RfB-Zuführung gibt. Welche Vergleichstests sind seriös? Was zeichnet Ihrer Einschätzung nach einen seriösen Vergleichstest aus? Was ist unseriös? In Deutschland gibt es bisher im Bereich Lebensversicherung eigentlich keinen "öffentlichen" Vergleich, der von allen Marktbeteiligten als objektiv und seriös anerkannt wird. Insbesondere die Untersuchungen der Stiftung Warentest zeichnen sich immer wieder durch ein beeindruckendes Fehlen von Know-how aus. Dies zeigt sich bspw. in den regelmäßig erforderlichen Gegendarstellungen, Klagen u.ä. Jeder Vergleich sollte einige Mindestanforderungen erfüllen; diese sind: Nachvollziehbarkeit in dem Sinne, dass der Rating-Interessent nachvollziehen und im Idealfall nachrechnen kann, wie das Ergebnis zustande gekommen ist.
4 Angemessenheit in dem Sinne, dass bei der Erstellung des Ratings die gleichen Maßstäbe angelegt werden, die der individuelle Entscheidungsträger auch zugrunde legen würde. Genauigkeit in dem Sinne, dass die verwendeten Zahlen und Fakten richtig und aktuell sind. Schließlich sollten Ratings auch eine gewisse Stabilität im Zeitablauf haben. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kann man den map-report und das Morgen & Morgen-Rating in Capital insofern hervorheben, als hier zumindest diese Mindestanforderungen erfüllt sind. Das heißt natürlich noch nicht, dass die Verfahren deswegen uneingeschränkt sinnvoll und nützlich sind. Immer noch weit verbreitet ist auch die Unsitte, Sachverhalte, die bewertet werden sollen, gleichzeitig als Bewertungskriterium für diesen Sachverhalt heranzuziehen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Ein Rating versucht zu bewerten, mit welcher Sicherheit die in Aussicht gestellten Gewinnzusagen realisiert werden können. Dann kann nicht die Höhe der prognostizierten Leistungen ihrerseits positiv mit dem Rating-Ergebnis korreliert werden. Oder mit anderen Worten: Die Gewinnbeteiligung eines Lebensversicherers kann nicht um so sicherer sein, je höher sie ist. Welche Bedeutung hat die Anhebung des Aktienanteils für Lebensversicherer auf 35%? Ist dadurch fahrlässig das Risiko erhöht worden? Welche Folgen hat der 341b für Versicherer und Kunden? Zur Zeit dürfte sich diese Frage kaum noch stellen, da zwischenzeitlich (fast) alle Lebensversicherer ihre Aktienquote wieder z.t. dramatisch zurückgefahren haben. Letztlich ist nicht die Frage entscheidend, ob ich 35% Aktien habe oder 30% oder 25%, sondern vielmehr die Frage, ob ich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Aktien gekauft habe. Wer bspw. bei der 3. Tranche der Emission der T-Aktie dabei war, wird wohl kaum viel Spaß damit gehabt haben. Grundsätzlich hängt das Risiko vor allem von der Seriosität des jeweiligen Versicherers bzw. vom Verantwortungsbewusstsein der Unternehmensleitung ab.
5 Im Zusammenhang mit dem modifizierten 341 HGB wurde in den Medien bereits viel Unsinn verbreitet, so sprach man wiederholt vom sog. "Armutsparagraphen". Dies ist aus unserer Sicht unzutreffend. Die Gesetzesänderung hat den Versicherern die Möglichkeit gegeben, unter bestimmten Voraussetzungen Vermögensgegenstände dem Anlagevermögen zuzuordnen und auf die Anwendung des ansonsten gültigen Niederstwertprinzips zu verzichten. Auf diese Art vermiedene Abschreibungen führen zwar einerseits zu sog. "stillen Lasten", auf der anderen Seite führen sie nicht zu einer Belastung des Geschäftsergebnisses des jeweiligen Jahres. Sollte sich ein Wertverlust tatsächlich als vorübergehend heraus stellen, kann so eine negative Auswirkung auf die Gewinnbeteiligung der Versicherten vermieden werden, und die Anwendung des 341 ist durchaus im Sinne der Kunden. Auch hier gilt, dass der verantwortungsvolle Umgang mit den zur Verfügung stehenden Bilanzierungswahlrechten der entscheidende Faktor ist. Ein Unternehmen, dass den Paragraphen nicht anwendet, kann genauso gegen die Interessen der Versicherten handeln wie ein Unternehmen, dass die neuen Möglichkeiten (exzessiv) nutzt. Wie lässt sich die Branche zukunftssicher gestalten? Was ist von Pool-Lösungen und Sicherungsfonds zu halten? Grundsätzlich sind die restriktiven gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit Lebensversicherern ausreichend. Vor dem Hintergrund der aktuellen Kapitalmarktsituation sind jedoch alle Maßnahmen zu begrüßen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Branche stärken können. Dies dürfte auch verantwortlich dafür gewesen sein, dass die Pool-Lösung tatsächlich zustande gekommen ist. Wir müssen jedoch deutlich anmerken, dass wir keine Krise der Lebensversicherung haben, sondern eine anhaltende Krise der Aktien- und Kapitalmärkte. Auch Gerling stand in den letzten Monaten, vor allem aufgrund der Auseinandersetzung von Herrn Gerling und der Deutschen Bank und der Entwicklung bei der
6 Rückversicherung, in den Schlagzeilen. In aktuellen Tests hat Gerling sehr gut abgeschnitten. Wie wirken sich Schlagzeilen um die Eigentümerstruktur versus Testergebnisse auf das Geschäft von Gerling aus? Wie entwickelt sich die Nachfrage? Im ersten Halbjahr 2002 konnten wir in der Lebensversicherung unser Neugeschäft um mehr als 25% gegenüber dem Vorjahr steigern; dies ist deutlich mehr als im Durchschnitt der Branche. Die Schlagzeilen zum Hause Gerling betreffen uns natürlich schon und führen insbesondere zu vermehrten Anfragen von Kunden und Interessenten. Die Schwierigkeiten unseres Unternehmens resultieren im wesentlichen aus dem Auslandsgeschäft unserer Rückversicherung; die hierdurch entstandene Kapitallücke wurde durch die letzten Kapitalerhöhungen ausgeglichen. Den wirklich interessierten Betrachter können wir nach wie vor von der Solidität bspw. von Gerling Leben überzeugen. Ganz im Gegenteil: Gerade in den letzten Wochen haben wir im Bereich der betrieblichen Altersversorgung einige bahnbrechende tarifliche Lösungen mit wichtigen Branchen, darunter das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie Druck und Medien, gegen starke Konkurrenten für uns gewinnen können. Auch die renommierte Rating-Agentur Moody's hat aktuell unser exzellentes und seit 1998 konstantes Rating bestätigt. Durch die Unsicherheit am Markt sind Sie und Ihre Kollegen in Seminaren und Konferenzen als Markt-Beobachter gefragt. Was bewegt zur Zeit die Teilnehmer dieser Veranstaltungen? Wünschen Sie sich weniger Popularität und mehr Ruhe im Lebensversicherungsmarkt? Was bewegt sonst die Versicherungs-Welt? Was sind Ihre persönlichen Wünsche und Ziele für 2002? Zur Zeit stellen wir immer wieder fest, dass die aktuelle Krise der Kapitalmärkte das Interesse an Bilanzen bzw. Bilanzanalysen geweckt hat. Während wir noch vor 2 Jahren belächelt wurden, wenn wir anhand der Simulation verschiedener Kapitalmarktszenarien Rückschlüsse auf die Qualität von einzelnen Unternehmen gezogen haben, sind derartige Crash-Tests nicht nur Standard in den Unternehmen
7 sondern auch für die breite Öffentlichkeit von Interesse. Parallel dazu stellten wir jedoch eine erschreckende Unwissenheit über elementarste Zusammenhänge vor allen bei Vertretern der schreibenden Zunft fest. Auffallend ist zudem, dass das Thema Kosten jahrelang "Lieblingskind" aller Verbraucherschützer und selbst ernannter Versicherungsexperten inzwischen niemanden mehr interessiert. Etwas weniger Populismus wird gerade von unserem Hause seit Jahren gepredigt; insbesondere würde ich mir wünschen, dass Rating-Ersteller die Ansprüche an ihre eigenen Verfahren herab schrauben. Aussagen wie "Wir machen das einzig konsistente Lebensversicherungsrating in Deutschland" sind ebenso falsch wie überflüssig. Dennoch ist die aktuelle Situation natürlich sehr spannend und wir erfahren an unserem eigenen Lebensversicherer, dass sich Qualität letztlich doch durchsetzt. Für den Rest des Jahres wünschen wir uns vor allem, dass nicht weiterhin Dinge in Zusammenhang gebracht werden, die nichts miteinander zu tun haben. Einen Zusammenhang zwischen den betrügerischen Bilanzmanipulationen bspw. bei WorldCom und der Krise der deutschen Lebensversicherer zu konstruieren, bedarf schon einer gewissen Phantasie. Genauso wünschen wir uns natürlich, dass bei einer Erholung des Aktienmarktes nicht wieder ein solcher "Hype" entsteht wie zuletzt, sondern dass alle Beteiligten mit derartigen Situationen etwas gelassener und vor allem sachgerechter umgehen können. Herzlichen Dank, Herr Dr. Schulz, für dieses E-Interview!
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