Wann und wo beginnt die Sucht? a. o. Univ. Prof. Dr. Herwig Scholz
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- Ernst Theodor Neumann
- vor 8 Jahren
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1 Wann und wo beginnt die Sucht? a. o. Univ. Prof. Dr. Herwig Scholz
2 Agenda dieser Betrachtung Eine historisch ausgerichtete Reise durch die wichtigsten der zahlreichen Hypothesen über Suchtentstehung Vergleich älterer und aktuellerer Erklärungen speziell am Beispiel des Alkoholismus Versuch einer Schlussfolgerung für unsere praktische Arbeit
3 Frühe Sichtweisen des Alkoholismus / des Alkoholikers Charaktermängel Willensschwäche Rücksichtslose Genusssucht Unbeherrschtheit Unverlässlichkeit etc, etc.
4 Schuld ist der Trinker Durch seinen Charakter und seiner Schwäche gegenüber der Umwelt
5
6 Hier werden vermutlich Ursache und Wirkung verwechselt Außerdem wird nicht jeder labile Mensch Alkoholiker
7 Danach: Sucht entsteht durch das Suchtmittel selbst und seine Wirkung auf den Menschen Zunehmendes Interesse an der chemischen Struktur der Suchtmittel und ihren Interaktionen mit dem Zentralnervensystem
8
9 Spezifische ZNS Effekte : Euphorie Suchtbahnende Komponenten von Substanzen generell Erleichterung z.b.: Schmerzlinderung Beruhigung, Schlaf Angstverminderung, Problembeseitigung Selbstwertsteigerung Neue erweiterte Perspektiven speziell Selbstbild etc Suchtbahnende Komponenten: Rascher Wirkbeginn nach Einnahme Stimulierung des Belohnungssystems
10 Für den Alkohol diskutierte Sucht - bahnende Eigenschaften Alkohol wirkt Sucht bahnend durch Euphorie, Hemmungsabbau Scheinbare Stressreduktion Scheinbare Entspannung Rascher Wirkungseintritt Starke Programmierung des Belohnungssystems..
11 Aber nicht jeder, der Suchtmittel konsumiert, wird dadurch auch süchtig! Es müssen also noch andere Komponenten eine Rolle spielen!
12 Danach dominierte die Hypothese, Alkoholismus als sekundäre Komplikation bei der Selbstbehandlung psychischer, psychosozialer Störungen
13 Sucht fördernde psychosoziale Hintergrundfaktoren Familiäre Faktoren: geerbt - gelernt Psychische Störungen: Affektive Störungen, Angst, Depression, Persönlichkeitsstörungen etc Soziale Faktoren: z.b.: Arbeitslosigkeit..
14 Psychische Faktoren Ängste, Unsicherheiten, speziell soziale Ängste Depressionen Persönlichkeitsstörungen/Stile Massive Spannungen Selbstwertprobleme Psychosoziale Probleme
15 Psychosoziale Hintergründe Resultat unglücklicher Umstände z.b.: Arbeitslosigkeit Negativer Einfluss Anderer z.b.: Peer Group Langeweile Stressberufe Armut Reichtum Etc. etc
16 Allerdings wird nicht jeder Mensch süchtig auch wenn er gegen diese Probleme Mittel mit möglichem Suchtpotential einsetzt!
17 Derzeit dominieren Erklärungsansätze der Neurobiologie Betonung der zentralen Rolle des Belohnungssystems
18 Eigenschaften des Belohnungssystem Die Präferenz von Nahrungsmittel, Drogen, Verhalten bewirkt u.a. durch vermehrte Dopamin - Ausschüttung Euphorie bzw. Zufriedenheit B.S. manipuliert somit unser Verhalten Suchtgefährdung durch Fehlfunktionen des Belohnungssystems Oder übermäßige Inanspruchnahme durch Substanzen mit besonderer Affinität für Belohnungssystem Repräsentiert speziell im N. Accumbens und der mesolimbischen Dopaminbahn
19 Mesolimbische Dopaminbahn Enthemmung des Verhaltens Belohnung, Lernen, Motivation Aus: D. Self, AJP 2004
20 Mesolimbische Dopaminbahn
21 Wann entsteht die Abhängigkeitsbildung Beispiel Alkoholismus Nachhaltige Beeinflussung des Gehirns (Belohnungssystems) durch Schlüsselreize z.b.: Alkohol hilft gegen Unsicherheit Es entstehen verdeckte Lernprozesse Zunehmendes Erleichterungstrinken - Alkoholmissbrauch neue Vernetzungen Weitere Konsumsteigerung bis zur süchtigen Umprogrammierung Danach Point of no return zum Normalkonsum überschritten!
22 Auswirkungen der Umprogrammierung Gesamtbild der Abhängigkeit Massives Suchtmittelverlangen in Schlüsselsituationen Kontrollverluste Entzugssymptome Spätes Alkoholverlangen noch Monate bis Jahre nach Entzug - Krisen Lebenslange Rückfallsbahnung bei neuerlichem Konsum
23 Damit wird vieles vorher Unverständliches erklärt Allerdings sind die neurobiologischen Veränderungen erst die Folge einer langen Vorgeschichte
24 Wo liegt die eigentliche Entwicklungsdynamik? Im Nucleus Accumbens? In der Persönlichkeit? dem Selbstkonzept des Betroffenen?
25 Das Selbst als höchste Integrationsstufe unserer psychischen Struktur Ist als Selbstkonzept ständig in Bewegung und reagiert in Form des Selbstwertsystems
26 Selbstwert ist ein dynamisches Beurteilungs/Reaktionselement Wechselwirkung zwischen Wahrnehmung innerer/äußerer Signale und der Bewertung durch Andere Kontrolliert somit das Ausmaß der sozialen Anerkennung Reagiert bei Wahrnehmung sinkender Anerkennung mit erhöhten Anpassungsleistungen Fungiert somit als Instrument zur Selbstregulation Ist immer in Aktion Kann bei unbewältigten Belastungen zu fehlerhaften Anpassungsreaktionen - Reaktionskaskaden führen
27 Kompensationsmöglichkeiten bei Selbstwertproblemen Konstruktiv- Verbesserung Expansiv pseudonarzisstisch Selbstschädigung durch Aggression nach außen Implosive Regression - Selbstschädigung durch Überanpassung, Selbstaggression
28 Kaskade der aggressiven Flucht nach vorne Kompensationsversuch durch Abwertung des Problems! Pseudonarzisstische Züge Abwerten der Verunsicherung Aktivierung Größenselbst Selbstüberschätzung Verunsicherter Selbstwert Aggressive Konflikte mit der Realität und den Mitmenschen STRESS STRESS Risikoverhalten, Rücksichtslosigkeit Soziale Alexithymie, Konflikte! Stress STRESS Abstürze, Niederlagen Zusammenbrüche Depression, Angst, Sucht, Psychosomatik
29 Kaskade der regressiven Selbstentwertung/ Überanpassung - Wunsch nach Aufwertung durch Andere Verunsicherung durch ungelösten Konflikt/Belastung Verzicht auf Eigenständigkeit Stress Verzicht auf Abgrenzung, Aggressionshemmung! Stress Leistungsangebot Perfektionismus Stress Überlastung Selbstaggression Stresseskalation Zusammenbruch des neurohormonellen Stresssystems Krankheitsebene Depression, Burnout, Sucht, Angst
30 Hier liegt die entscheidende Rolle des Alkohols Steigert Selbstbewusstsein, Beseitigt Ängste Vermindert Hemmungen Fördert Größenideen Reduziert vordergründig den Stress etc. Fördert Entspannung, Müdigkeit etc.etc
31 In Wirklichkeit macht er alles schlechter!! Besonders die Ängste und den Stress und steigert damit die Selbstentwertung
32 Ängste, Probleme Fehlerhafte Selbstwert Regulierung Scheinbare Hilfe durch Alkohol Suchtentwicklung Gefährdung des Selbstwerts Selbstschädigende Fehlreaktionen Selbstentwertung Überanpassung Beseitigt Ängste Selbstwertprobleme Fördert Größenselbst Und Aggressivität Blendet Stress aus Aber leider nur vorübergehend Lernprozess Missbrauch Suchtentwicklung Umprogrammierung im Belohnungssystem psychische Abhängigkeit Suchtverhalten Abwehrmechanismen Fehlende Schutzfunktionen
33 Noch deutlicher sind die Zusammenhänge ZWISCHEN SELBSTWERTPROBLEMEN UND SPIELSUCHT!
34 Untergruppen bei pathologischen Glückspielern (Petry et al. 1999) Depressiv neurotischer Typ: Extreme Beeinträchtigung von Sinnerfülltheit sowie der selbst - fremdbezogenen Wertschätzung Narzistisch persönlichkeitsgestörter Glücksspielertyp: Selbstbezogen, selbst-täuschend, nach außen beschönigend - Im Hintergrund selbstunsicher?
35 Kaskade der regressiven Überanpassung bei Spielern - Depressiv neurotischer Typ verunsicherter Selbstwert, Spielen als Leistung! Gewinn gilt als Aufwertung Leistungsmentalität Wunsch nach Anerkennung Zwanghaftes Spielen Erleichterungsspielen Perfektionismus Versagensangst bei Verlust Stresseskalation Schuldgefühle Selbstaggression Implosion Suchtrisiko, emotionaler Zusammenbruch, psychosoziale Konsequenzen
36 Kaskade der pseudonarzisstischen Flucht nach vorne bei Spielern Narzisstischer Typ Aggressives Spielen, Gewinn bestätigt Größenselbst Verunsicherter Selbstwert Risikosteigerung bei Verlusten, Chasing Sensation seeking Kontrollüberzeugung Schulden, Konflikte Realitätsverlust Zusammenbruch Stresspotenzierung, Suchtentwicklung, psychosoziale Dekompensation
37 Was heißt das insgesamt im Klartext? Die ersten Schritte in Missbrauch und Abhängigkeit entstehen oft aus Überforderung des Selbstwertsystems Die dann fehlerhafte Muster der sozialen Ängste und Überanpassung produziert Und damit zunehmenden Stress bewirkt Alkohol ist dann scheinbar hilfreich, führt aber in den Teufelskreis zwischen Selbstentwertung und Sucht tiefer hinein Spielen führt bei unsicherem Selbstwert zu kognitiv verzerrter Realitätsflucht und risikoreichem Spielverhalten Die neurobiologischen Veränderungen sind somit oft eher die Konsequenz langjähriger Fehlerkreise als die Ursache
38 Sind damit alle anderen Hypothesen falsch? SICHER NICHT!!
39 Hinter einer Suchtentwicklung können somit stehen : Genetische Faktoren Neurobiologische Funktionsaspekte Lernfaktoren Psychische Erkrankungen Psychosoziale Probleme Soziokulturelle Aspekte Störungen der Selbstregulierung Derzeit noch unbekannte Faktoren Selten monofaktoriell fast immer in Kombinationen!
40 Was bedeutet das in der Praxis? Interessant ist die spezielle Geschichte des Patienten Wie ausgeprägt ist der Suchtprozess? Komorbiditäten? Steht ein entgleistes Muster der Selbstregulation im Hintergrund? Einsicht? Motivation zur Veränderung? Alle suchttherapeutischen Maßnahmen Erste Schritte zur aktiven Bewältigung von Belastungen und Stressreizen statt Suchtmittelkonsum Steigerung von aktiver Lebensbewältigung und Resilienz
41 Resilienz statt Bedrohung durch analoge Stressreize (Antonovsky) korreliert zum Selbstwert Gutes Selbstvertrauen, Ressourcen Resilienz Stressquelle (externer oder interner Stressreiz) Herausforderung Bedrohung Schwaches Selbstvertrauen geringe Ressourcen Keine Resilienz Kein Stressor Stressor Aktivierung Leistung Bewältigung Bedrohung Stressreaktion ev. Chronifizierung
42 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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