Das österreichische Asylregime unter besonderer Berücksichtigung der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen
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1 446 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Das österreichische Asylregime unter besonderer Berücksichtigung der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen Herbert Langthaler/ Helene Trauner (Wien) Herbert Langthaler/ Helene Trauner: Das österreichische Asylregime unter besonderer Berücksichtigung der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen (S ) Der Artikel präsentiert ausgewählte Ergebnisse der Studie»Politische Partizipation und Repräsentanz von Flüchtlingen und AsylwerberInnen in der EU«. Im Rahmen einer Analyse der politischen Möglichkeitsstrukturen beleuchten wir die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Beteiligung von Flüchtlingen und AsylwerberInnen in Österreich. Wir untersuchen die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, die Darstellung von Flüchtlingen und AsylwerberInnen im öffentlichen Diskurs zu Asylpolitik sowie die Beziehung von Flüchtlingsselbstorganisationen zu professionellen Flüchtlingsbetreuungs-NGOs. Während die NGOs für die Betreuung und Beratung von Flüchtlingen wesentlich sind, werden Aktivitäten und Potenzial der Flüchtlingsselbstorganisationen wenig beachtet und sind diese von öffentlichen Ressourcen weitgehend abgeschnitten. Letztendlich treten nur einzelne Flüchtlinge mit großem kulturellem und sozialem Kapital als AkteurInnen im Rahmen des Asylregimes in Erscheinung. Schlagworte: Asylregime, Flüchtlinge, zivilgesellschaftliche Partizipation, Integration, NGOs Herbert Langthaler/ Helene Trauner: The Austrian Asylum Regime and the Role of Civil Society Organisations (pp ) The article presents selected findings of a study on»political Participation and Representation of Refugees and Asylum Seekers in the EU«. Within a framework of analysis of political opportunity structures we examine the civil society participation of refugees and asylum seekers, the roles how refugees and asylum seekers are being portrayed in public discourses on asylum policy as well as the relationship of refugee self-organisations to professional NGOs that assist refugees. Whereas NGOs are central concerning the care and counselling of refugees, the activities and the potential of refugee self-organisations, in this field, receive only limited attention, and they are largely cut off from public resources. Keywords: asylum regime, refugees, civil society participation, integration, NGOs
2 1. Relevanz des Themas und Fragestellungen Das österreichische Asylregime 447 Das Politikfeld Flucht/ Asyl steht seit Anfang der 1990er-Jahre immer wieder im Zentrum politischer und medialer Aufmerksamkeit. Entweder weil in politischen Gremien und in den Medien über Gesetzesänderungen debattiert wird, oder weil das»ausländerthema«in Wahlkämpfen zur Profilierung (vorwiegend der rechtsradikalen FPÖ) eingesetzt wird. Dabei lag der Fokus weniger auf sachlichen Fragen des Flüchtlingsschutzes als auf angst- und ressentimentbesetzten Diskursen der inneren Sicherheit und auf Pauschalisierungen, wie es handle sich bei AsylwerberInnen um»wirtschaftsflüchtlinge«,»kriminaltouristen«oder»asylbetrüger«. 1 Symptomatisch dafür ist der seit Beginn der 1990er-Jahre von einigen Medien und einem maßgeblichen Teil der politischen Klasse gepflegte Diskurs, der immer wieder AsylwerberInnen mit Naturkatastrophen assoziiert. Die Rede ist oft von»wellen«,»fluten«und Ähnlichem (Sedlak 2000, Pehm 2005, 39 46). Angesprochen wird auch, dass ein als homogene Gruppe konstruiertes»wir«nicht»alle«(flüchtlinge, MigrantInnen, Arme) aufnehmen könne (Matouschek u. a. 1995, Matouschek 1999, Sedlak 2000, Pehm 2005). Trotz der Brisanz des Themas blieben sozialwissenschaftliche Forschung und Publikationen dazu randständig, insbesondere fehlten bislang Arbeiten, die Flüchtlinge und AsylwerberInnen als AkteurInnen und nicht als Opfer institutioneller Mechanismen wahrnehmen. Auch die Rolle von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sowohl in politischen Prozessen als auch als wichtige Akteure im Asylregime, wurde in Öster reich bisher kaum untersucht. Wir haben versucht, durch die Anwendung des Regimebegriffs (siehe Kap. 2.3) zu einer Sichtweise zu gelangen, die sowohl den strukturellen Rahmen als auch die handelnden Menschen, vor allem die Flüchtlinge und ihre Organisationen, als bisher vernachlässigte AkteurInnen einbezieht. Die vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) im Rahmen des Forschungsprogramms >node< geförderte Studie»Politische Partizipation und Repräsentanz von Flüchtlingen und AsylwerberInnen in der EU«ermöglichte uns einen ersten Schritt, um jenes dichte Geflecht aus Institutionen, Diskursen und Akteuren zu analysieren, die das Feld von Asyl und Migration bestimmen. 2 Für uns stellte sich dabei in erster Linie die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen (Institutionen, Diskurse, politische Kultur) von nichtstaatlichen Akteuren, namentlich von Selbstorganisationen von Flüchtlingen sowie von Flüchtlings hilfs- bzw. -betreuungs-ngos, das politische Feld mitzugestalten. Forschungsleitende Fragen waren: Welche Rolle spielen NGOs und Flüchtlingsselbstorganisationen im Asylsystem und wie verorten sich diese zivilgesellschaftlichen Akteure selbst? 1 Symptomatisch: Das Projekt wurde als Kooperation von ForscherInnen der asylkoordination österreich (Herbert Langthaler, Karin Sohler), des Zentrums für Soziale Innovation ZSI (Helene Trauner) und der Karls Universität Prag (Selma Muhič-Dizdarevič) zwischen September 2006 und Dezember 2007 durchgeführt. Für veröffentlichte Berichte zu den Fallstudien siehe (asylkoordination österreich).
3 448 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Welche individuellen und kollektiven Strategien wählen die Akteure? Welche Ressourcen, Möglichkeiten und Barrieren beeinflussen die Partizipationschancen von Flüchtlingen und ihren Selbstorganisationen? Hier interessierte uns das Verhältnis zwischen Flüchtlingsselbstorganisationen und NGOs sowie die Rolle des kulturellen und sozialen Kapitals der Flüchtlinge (siehe Kap. 5.5), um spezifische Formen demokratischer Partizipation zu entwickeln. Nach der Definition der wichtigsten Begriffe (Kap. 2) und einer Darlegung der theoretischen und methodischen Grundlagen (Kap. 3) geben wir in Kapitel 4 einen kursorischen Überblick über das österreichische Asylregime. In Kapitel 5 werden die politischen Möglichkeitsstrukturen für zivile Partizipation von AsylwerberInnen und Flüchtlingen analysiert. Schließlich wenden wir uns in Kapitel 6 der Organisationslandschaft im Feld der Flüchtlingsbetreuung und -politik zu und gehen noch einmal detailliert auf die verschiedenen Bereiche des Asylregimes sowie auf die Rolle ein, die die Flüchtlingsbetreuungsorganisationen und Flüchtlingsselbstorganisationen darin spielen. Die abschließende Zusammenfassung resümiert die Gestaltungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Akteure im österreichischen Asylregime und bietet einen Ausblick auf Verbesserungen und künftigen Forschungsbedarf. 2. Begriffsdefinitionen und theoretischer Ansatz 2.1 AsylwerberIn, Flüchtling, Flüchtlingsselbstorganisation Wir haben uns in diesem Text bei der Definition der Begriffe»AsylwerberIn«und»Flüchtling«an den rechtlichen Definitionen orientiert. Demnach ist ein/e AsylwerberIn eine Person im Zeitraum von der Stellung des Asylantrags bis zum (positiven oder negativen) Abschluss des Verfahrens. Unter»Flüchtling«verstehen wir im Prinzip nur die nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) 3 anerkannten Schutzsuchenden, haben aber auch den Selbstdefinitionen der von uns Befragten Rechnung getragen. Daraus ergibt sich, dass der Begriff»Flüchtling«hier weiter gefasst wird als in der rechtlichen Definition (nach GFK) und auch MigrantInnen mit de facto-fluchtbiographien umfasst. Nach unserer Definition verstehen wir unter»flüchtlingsselbstorganisation«selbst organisierte Strukturen (informelle und Vereine), in denen sich Flüchtlinge, AsylwerberInnen oder Personen mit Fluchtbiographie (ohne rechtlichen Flüchtlingsstatus) zusammenschließen und sich für die Anliegen und Interessen von Flüchtlingen einsetzen. Eine Schwierigkeit für die Erfassung und Recherche von Flüchtlingsselbstorganisationen bestand darin, dass sich solche vielfach nicht unter der Bezeichnung»Flüchtlingsselbstorganisation«vereinsmäßig organisieren, sondern entlang ihrer 3 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. 55/ 1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. 78/ 1974, geänderten Fassung.
4 Das österreichische Asylregime 449 Herkunftsregion, Nationalität, politischen Zugehörigkeit etc. Eine Vereinsorganisation mit Bezug auf den Status als Flüchtling war nur in den wenigsten Fällen anzutreffen. Auch ist eine Abgrenzung zu MigrantInnenorganisationen schwierig. 2.2 Flüchtlingshilfsorganisationen, NGOs, GONGOs etc. Im Feld der Flüchtlingsbetreuung sind verschiedene karitative Nichtregierungsorganisationen (NGOs) tätig. Diese sind als Vereine oder gemeinnützige Ges. m. b. H. organisiert. Im vorliegenden Text verwenden wir»flüchtlingshilfsorganisationen«,»ngos«und»flüchtlingsbetreuungs-ngos«als Synonyme. Diese grenzen sich in ihrem Selbstverständnis sowohl von kommerziellen privaten Dienstleistungsunternehmen als auch von in der Literatur als»gongos«(governmental-organised- Non-Government-Organisations) bezeichneten regierungsnahen»ngos«wie dem»verein Menschenrechte Österreich«ab. 2.3 Asylregime Der von uns verwendete Regimebegriff wird in der Migrationsforschung vermehrt eingesetzt, weil er es ermöglicht, eine Vielzahl von Akteuren in die Analyse einzubeziehen, ohne immer eine übergeordnete systemische Logik konstruieren zu müssen.»regime«setzen sich aus Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsfindungsverfahren zusammen, entlang derer die verschiedenen Akteure interagieren (Hess/ Karakayali 2007, 48). 2.4 Zivilgesellschaftliche Partizipation Der Begriff»zivilgesellschaftliche Partizipation«, wie wir ihn verwenden, geht über die engere Definition der politischen Partizipation hinaus diese zielt auf Wahlrecht (Bauböck 2003, Jenny 2003) und politische Beteiligung (zumeist von StaatsbürgerInnen) im Rahmen des demokratischen Systems ab. Unser Begriff bezieht sich auf die aktive Gestaltung und Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse durch AsylwerberInnen und anerkannte Flüchtlinge. Unser Ausgangspunkt waren kollektive Formen der Partizipation, wie sie einerseits in Flüchtlingsselbstorganisationen, andererseits bei prekären Protestmobilisierungen etwa gegen die Lebensbedingungen im Lager Traiskirchen auftreten. Dabei geht es um die Frage, wie auch Individuen und Gruppen aus einer machtlosen Position (z. B. AsylwerberInnen) und außerhalb von Institutionen ihre»schwachen«interessen vertreten und Handlungsfähigkeit entwickeln können (Schwenken 2006, 38). 2.5»Political opportunity structures«(pos)-ansatz In unser Fallstudie verwendeten wir den theoretischen Ansatz der»political opportunity structures«(pos) (Koopmans/ Statham 2000, Ireland 2000) als Analysemodell. Dieses Konzept zur Erfassung politischer Möglichkeitsstrukturen (also der von politischen AkteurInnen vorgefundenen Rahmenbedingungen) wurde vor allem in der (politikwissenschaftlichen) Migrationsforschung für die Analyse von Mobilisierung
5 450 Herbert Langthaler/ Helene Trauner und Organisation von MigrantInnen angewendet. Der Ansatz bietet einen Analyserahmen, der sowohl diskursive als auch rechtliche und institutionelle Dimensionen sowie die Ebene der (institutionellen) Akteure und deren Interaktion einbezieht. Folgende Dimensionen der POS waren für uns relevant, um jene auf institutionellpolitischer Ebene wirksamen Faktoren zu analysieren, die aktive Partizipation fördern oder hemmen können: der politische Diskurs zu Asyl, die rechtlichen Rahmenbedingungen für AsylwerberInnen/ Flüchtlinge, die Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren als»gatekeeper«(institutionen der Mehrheitsgesellschaft, die den Zugang zu politischer Partizipation ermöglichen), der Zugang zu (finanziellen und organisatorischen) Ressourcen sowie die Netzwerke und Kooperationen. 3. Untersuchungsmethoden Für die zwischen Jänner und November 2007 durchgeführte empirische Fallstudie wurde ein Methodenmix aus verschiedenen Ansätzen qualitativer Sozialforschung eingesetzt: Dazu zählten beispielsweise die teilnehmende Beobachtung bei möglichst vielen politischen und kulturellen Veranstaltungen von Flüchtlingsselbstorganisationen, bei internen Sitzungen und öffentlichen Kundgebungen (Feste des Afghanischen Flüchtlingsvereins, Generalversammlung der Wiener Integrationskonferenz). Das wichtigste Datenmaterial gewannen wir aus qualitativen, leitfadengestützten Interviews mit 15 VertreterInnen von Flüchtlingsselbstorganisationen (aus Afghanistan, Argentinien, Äthiopien, Irak, Iran, Kamerun, Nigeria, Ruanda, Tschetschenien und der Türkei) und mit sechs MitarbeiterInnen von Flüchtlingshilfsorganisationen aus Wien und Graz. Die Auswahl von Organisationen (bzw. Einzelpersonen) war möglichst breit angelegt, um die Möglichkeiten und tatsächlichen Praxen von Flüchtlingen und AsylwerberInnen im Rahmen der gegebenen politischen Möglichkeitsstrukturen zu beschreiben. Daraus ergab sich, dass der Großteil der Interviewten zum Zeitpunkt unseres Gesprächs schon mehr als fünf Jahre in Österreich gelebt hatte. Die wichtigsten Fragenkomplexe umfassten die biographischen Hintergründe der InterviewpartnerInnen, die Aktivitäten in den einzelnen Selbstorganisationen, deren Vernetzung auf nationaler/ europäischer/ internationaler Ebene, ihr Verhältnis zu NGOs im Flüchtlingsbereich, die Strukturen und Ressourcen, Lobbying-Aktivitäten sowie Möglichkeiten und Hindernisse für politische Partizipation von Flüchtlingen in Österreich. Weiters wurden zahlreiche Primärquellen wie Gesetzeskommentare, Positionspapiere, Parteiprogramme, Stellungnahmen zu Gesetzesvorlagen etc. analysiert. Für eine qualitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung österreichischer Printmedien in ausgewählten Zeiträumen (während der Debatten um die Gesetzesänderungen 2003 und 2005) konnten wir auf den Pressespiegel des Wiener Büros der UNHCR (UN-Flüchtlingshochkommissariat) zurückgreifen: In diesem werden täglich Meldungen zu den Stichworten»Asyl«,»Flüchtling«,»UNHCR«aus österreichischen Tages- und Wochenzeitungen gesammelt.
6 4. Das österreichische Asylregime Das österreichische Asylregime 451 Die rechtlichen Grundlagen des Asylregimes in Österreich sind wie in den anderen EU-Staaten einerseits die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die zwischen 1999 und 2006 beschlossenen EU-Richtlinien. Die praktische Umsetzung dieser internationalen Übereinkommen und EU-Richtlinien erfolgt andererseits im österreichischen Asylgesetz (AsylG) in seiner jeweils gültigen Form 4 (Schumacher/ Peyrl 2006). Mit der Asylgesetzreform wurde in Österreich ein Asylverfahren mit zwei unabhängigen Instanzen und der Möglichkeit einer Beschwerde bei den Höchstgerichten eingeführt. Die erste Instanz ist das Bundesasylamt (BAA) mit seinen Außenstellen. Das BAA ist dem Innenministerium (BMI) untergeordnet. Der Sitz des Bundesasylamts ist Wien. 6 Außenstellen bestehen zurzeit in Wien, Traiskirchen, Linz, Salzburg, Innsbruck, Graz und Eisenstadt. Die Erstaufnahmestellen (EASt) in Traiskirchen, Thalham und Schwechat sind Teil des BAA und dem Bundesasylamtsdirektor unterstellt. 7 Beschwerdeinstanz ist seit 1. Juli 2008 der Asylgerichtshof 8 mit Sitz in Wien und Linz. Er hat durch eine seiner Kammern über Beschwerden gegen erstinstanzliche Bescheide zu entscheiden. 9 Die gesetzlichen Neufassungen und Novellierungen seit 1997 haben das Asylsystem erheblich verkompliziert und zu Problemen beim Zugang zum ordentlichen Verfahren geführt (siehe Langthaler 2007, 2009). Begründet wurden diese Reformen von den jeweiligen InnenministerInnen mit der Absicht, die Asylverfahren zu beschleunigen und»missbrauch«zu bekämpfen. Gleichzeitig will man die Zahl der in Österreich gestellten Asylanträge verringern, indem die Flüchtlinge abgeschreckt werden, in Österreich ihren Asylantrag zu stellen. 10 Eine Grundlage dieser Argumentation war ein seit 1997 stetig angewachsener»rucksack«von unerledigten Verfahren zählte das BMI offene Verfahren, die seither nur langsam abgebaut werden. 11 Die Beschleunigung des Verfahrens ging allerdings mit einer Aushebelung eines grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzips einher: Seit der Einführung des Asylgerichtshofes ist der volle Instanzenzug bis zu einer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof nicht mehr möglich, AsylwerberInnen sind von dieser wichtigen rechtlichen Möglichkeit ausgeschlossen. 4 Derzeit das AsylG 2005 (BGBl. I 100/ 2005), welches seit seinem Inkrafttreten am mit bereits die zweite Novellierung erfährt. 5 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl BGBl. I 76/ 1997 vom 14. Juli AsylG Abs AsylG Bis dahin (1997 bis 2008) war die zweite Instanz der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS). 9 AsylG So wurde die Abnahme der Asylantragszahlen auf der ÖVP-Homepage unter dem Titel»Viel erreicht für Österreich«als Erfolg verbucht:»asylgesetz Neu: Rückgang der Asylwerberzahl von 2002 bis 2005 um minus 42,9 %«( ). 11»Aus dem Inneren. Fremdenwesen«. Fachgespräch mit Innenministerin Maria Fekter, ( ).
7 452 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Das Asylregime zerfällt im Wesentlichen in vier Bereiche: den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Grundversorgung (GV) für die Dauer des Asylverfahrens und schließlich nach Abschluss des Verfahrens die Integration von anerkannten Flüchtlingen bzw. in den letzten Jahren vermehrt die Organisation der»freiwilligen Rückkehr«von AsylwerberInnen und Flüchtlingen. In den einzelnen Bereichen spielen unterschiedliche Akteure eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Wir wollen im Weiteren weniger auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und auf das staatliche Asylsystem eingehen, sondern das Augenmerk auf die zivilgesellschaftlichen Akteure die Flüchtlingsbetreuungs-NGOs und Flüchtlingsselbstorganisationen richten. Ihre Beziehung zu den VertreterInnen des staatlichen Asylsystems und den schutzsuchenden Flüchtlingen sowie die Orte, an denen die für diese Beziehungen relevanten Interaktionen stattfinden, sind wesentlich für eine umfassende Beschreibung des Asylregimes. 5. Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Beteiligung von Flüchtlingen in Österreich Auf die Flüchtlingshilfsorganisationen und deren Stellung im Asylregime werden wir weiter unten (Kap. 6) genauer eingehen. Vorerst gilt es, die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Selbstorganisation von Flüchtlingen in Österreich zu analysieren. Neben diesen strukturellen Bedingungen ist, wie sich bei unserer Studie herausstellte, allerdings auch das kulturelle und soziale Kapital (Bildung, Engagement in politischen Organisationen, transnationale Kontakte) der einzelnen Flüchtlinge (siehe dazu näher Kap. 5.5) wesentlich, um spezifische Formen von ziviler Partizipation zu entwickeln. 5.1 Rechtliche Rahmenbedingungen Die für den rechtlichen Status von AsylwerberInnen und Flüchtlingen maßgebenden Statusregime weisen eine zunehmend komplexe Architektur auf. Sie unterscheiden mehrere Kategorien von Asylsuchenden (aus sicheren Herkunftsländern, nach dem Dublin-Verfahren also solche, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, oder AsylwerberInnen, die zum wiederholten Mal einen Asylantrag stellen sog.»folgeanträge«) und von Schutzberechtigten (GFK-Flüchtlinge 12, subsidiär Schutzberechtigte 13 wie etwa Bürgerkriegs- oder Kriegsflüchtlinge sowie Personen mit einer humanitären Niederlassungsbewilligung). An diesen Status gebunden sind der Aufenthalt und die sozialen, ökonomischen sowie politischen Rechte von Flüchtlingen. In der Praxis bedeutet dies, dass AsylwerberInnen aufgrund ihres prekären Status (unsicherer Aufenthalt, Ausschluss vom Arbeitsmarkt, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Stigmatisierung) kaum Möglichkeiten für politische Partizipation vorfinden. Es bleiben ihnen oft lediglich verschiedene prekäre Formen von Widerstand 12 AsylG (BGBl. I 100/ 2005). 13 AsylG (BGBl. I 100/ 2005).
8 Das österreichische Asylregime 453 oft unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit (Hungerstreik, angedrohter Suizid, Selbstbeschädigung) (siehe Kap. 6, Fußnote 26, S. 459). Mit der Anerkennung als Flüchtling gemäß der GFK (in geringerem Ausmaß als subsidiär Schutzberechtigte/r) verbessert sich die Rechtsstellung grundlegend. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind die Genfer Flüchtlingskonvention, die EU-Statusrichtlinie 14 und deren Implementierung in das österreichische Recht. In Bezug auf soziale Rechte ergibt sich daraus eine weitestgehende Gleichstellung mit österreichischen StaatsbürgerInnen. Flüchtlinge dürfen sich auch in Vereinen organisieren sowie politische Versammlungen und Kundgebungen abhalten. Zentrale politische Rechte bleiben allerdings österreichischen StaatsbürgerInnen vorbehalten (siehe Waldrauch/ Sohler 2004, 98, sowie Thienel 2007, und ). In parlamentarischen Demokratien findet politische Partizipation in erster Linie durch die Teilnahme an Wahlen zu den verschiedenen Gebietskörperschaften und Interessenvertretungen statt. Politische Flüchtlinge sind anders als ArbeitsmigrantInnen, die weiterhin in ihrem Herkunftsland wahlberechtigt bleiben, weitgehend von der passiven und aktiven Teilnahme an Wahlen und somit von einem zentralen Bürgerrecht ausgeschlossen: Lediglich auf der Ebene der Interessenvertretungen (z. B. Arbeiterkammer) gibt es auch für Drittstaatsangehörige die Möglichkeit, zu kandidieren und zu wählen. 15 Zumindest teilweise kompensiert wird dies durch die (zuletzt abgeschwächte) Bevorzugung anerkannter Flüchtlinge beim Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. 16 Anerkannte Flüchtlinge nutzen auch die Möglichkeit, nach der Einbürgerung für eine politische Partei bei Wahlen zu Gebietskörperschaften zu kandidieren (Grasl 2002). Darüber hinaus gibt es auf kommunaler Ebene in Österreich verschiedene Beteiligungsmodelle für ImmigrantInnen: einen gewählten MigrantInnenbeirat in Graz, die Wiener Integrationskonferenz, den vom Bürgermeister bestellten Migrations- und Integrationsbeirat Linz. Mehrere unserer InterviewpartnerInnen waren zum Zeitpunkt der Interviews oder früher in der einen oder anderen Weise an solchen Gremien beteiligt. 5.2 Öffentlicher Diskurs Welche Chancen verschiedene gesellschaftliche Gruppen haben, sich für ihre Anliegen Gehör zu verschaffen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie sie in politischen und medialen Diskursen verortet werden. Im Fall der Flüchtlinge und AsylwerberInnen erfolgte seit dem Ende des Kalten Krieges ein grundlegender Paradigmenwechsel, nach dem Flüchtlinge nicht mehr als Opfer, sondern als Bedrohung der inneren Sicherheit betrachtet wurden (siehe Heiss/ Rathkolb 1995, Pehm 2005, 40 46, Volf 1995, Langthaler 2007 und 2009). 14 Richtlinie 2004/ 83/ EG (siehe Kap. 4, Fußnote 4, S.451). 15 Auf der Ebene der Betriebsratswahlen wurde dieses Recht erst 2006 u. a. auf Druck der EU-Kommission eingeführt (vgl. Götzelmann im Erscheinen). 16 Nach Staatsbürgerschaftsgesetz (BGBl. 311/ 1985, zuletzt geändert durch BGBl. 37/ 2006) StbG 11a Z4 Abs. 1 können Asylberechtigte nach sechs Jahren rechtmäßigen ununter brochenen Aufenthalts die Staatsbürgerschaft erwerben.
9 454 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Aus Sicht unserer InterviewpartnerInnen aus Flüchtlingsselbstorganisationen und Flüchtlingsbetreuungs-NGOs hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Flüchtlingen und AsylwerberInnen besonders in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Wesentlich für die Frage nach Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Partizipation ist nicht nur der Inhalt dieser Debatten, sondern auch, dass Flüchtlinge bei diesen nicht selbst zu Wort kommen und nur selten Gelegenheit haben, ihre Position zu vertreten. AsylwerberInnen und Flüchtlinge werden medial entweder als Sicherheitsrisiko und Bedrohung oder als Opfer (Fälle), aber kaum als handelnde Subjekte dargestellt (Langthaler/ Trauner 2008, 18 20, Pehm 2005, 64 92). 5.3 Rolle der»gatekeeper«zivilgesellschaftliche Institutionen der Mehrheitsgesellschaft agieren als institutionelle»gatekeeper«, d. h. sie kontrollieren den Zugang zu den Wegen politischer Partizipation für ImmigrantInnen (siehe Ireland 2000). Wir stellten uns die Frage, wie Parteien, Gewerkschaften, religiöse und humanitäre NGOs jene Ressourcenverteilung beeinflussen, die die Möglichkeiten für politisches Handeln formt und limitiert. In Bezug auf die Rolle von Flüchtlingsselbstorganisationen im Asylregime erschien es uns besonders wichtig, deren Verhältnis zu den Flüchtlingsbetreuungs-NGOs eingehend zu analysieren, weil wir davon ausgingen, dass diese NGOs die logischen Gatekeeper für Flüchtlingsselbstorganisationen sein müssten. Flüchtlingsbetreuungs- NGOs als Organisationen der Mehrheitsgesellschaft verfügen über Infrastruktur, Medienkontakte und Zugänge zu Parteien und staatlichen Institutionen, die im Zuge gemeinsamer Aktivitäten auch den Flüchtlingsselbstorganisationen zur Verfügung gestellt werden könnten. Allerdings mussten wir feststellen, dass auf organisatorischer Ebene kaum Kooperationen zwischen Flüchtlingsbetreuungs-NGOs und Flüchtlingen bestehen. Den meisten der interviewten NGO-VertreterInnen war es kaum bewusst, dass es in Österreich überhaupt Selbstorganisationen von Flüchtlingen gibt. Das kann durchaus als Desinteresse der NGOs gedeutet werden. Dieser Eindruck wird auch von manchen unserer InterviewpartnerInnen aus den Flüchtlings-Communitys bestätigt:»weil viele NGOs immer sagen: Ja diese Migranten, die können das nicht machen, die haben nicht die Kompetenz dafür, sie können die Sprache ja nicht, vergiss es, wir machen das für sie. Ich denke, das ist falsch, das stimmt ja nicht«(interview E. K.). Die fehlenden Kooperationen haben auch mit strukturellen Ausschlussmechanismen zu tun. So wird Sprache wie im herrschenden Integrationsdiskurs immer wieder als Hindernis für die Möglichkeit genannt, an den bestehenden NGO-Strukturen zu partizipieren wie z. B. an Vernetzungstreffen von NGO-MitarbeiterInnen:»Weil s einerseits zu juristisch und teilweise durch die unterschiedlichen lokalen Idiome der Teilnehmer oft für die Flüchtlinge auch sehr schwierig war. Dass dann oft bei Besprechungen zu wenig Rücksicht genommen worden ist, dass das sprachlich auch eine Herausforderung ist«(interview A. K.).
10 Das österreichische Asylregime 455 Aus diesen Erfahrungen werden allerdings kaum Konsequenzen gezogen, die einen besseren Rahmen für solche Zusammenarbeit ermöglichen würden. Auch konnten wir feststellen, dass flüchtlingsbezogene Capacity-building- und Empowerment-Strategien (wie z. B. Workshops zu Öffentlichkeitsarbeit oder Projekte zu Lobbying auf EU- Ebene) bisher kaum nachhaltig waren. Oft durch EU-Projekte initiiert, können sich solche mangels nationaler Fördergelder nicht konsolidieren. Auch richten sich die Kooperationsstrategien der Flüchtlingsselbstorganisationen eher auf Mainstream-Institutionen außerhalb des engeren MigrantInnen- und Flüchtlings-NGO-Sektors (Gewerkschaften, Parteien, staatliche Institutionen); NGOs erscheinen auch als wenig potente»gatekeeper«für ökonomische und politische Partizipation, da sie selbst über geringe Ressourcen und Einflussmöglichkeiten verfügen. 5.4 Ressourcen Die Förderung von Flüchtlingsselbstorganisationen erfolgt im Rahmen der generellen staatlichen Subventionspolitik für Vereine (Sozialarbeit, Integration, Kultur, Anti diskriminierung) und grundsätzlich haben MigrantInnen- und Flüchtlingsvereine gleichen Zugang zu Vereinssubventionen. Auf kommunaler Ebene (und teilweise auch Landesebene) bestehen spezifische Fördermöglichkeiten im Integrationsbereich. In der Praxis verhindern oft fehlendes Know-how und Infrastrukturen sowie die Konkurrenz mit professionellen NGOs im Flüchtlingsbereich den Zugang zu solchen Förderungen. Diese strukturellen Hürden werden auf der Ebene der Bundesverwaltung (Ministerien) für MigrantInnen- und Flüchtlingsselbstorganisationen in der Regel unüberwindbar. Die Möglichkeiten zur Förderung von Selbstorganisationen und deren politischer Partizipation sind auf der Ebene der EU besser als auf nationalstaatlicher Ebene (Langthaler/ Sohler 2008). 5.5 Rolle des kulturellen und sozialen Kapitals Ein wichtiges Ergebnis der >node<-studie war die Bedeutung der Rolle, die die individuellen Biographien, das jeweilige kulturelle und soziale Kapital, dabei spielten, dass Flüchtlinge in Community-Organisationen tätig wurden oder diese sogar (mit-) begründeten (siehe auch Grasl 2002, ). Dabei verstehen wir unter»kulturellem Kapital«in erster Linie das, was Bourdieu als»kulturelles Kapital in verinnerlichtem Zustand«beschreibt, also»bildung«,»kultiviertes Auftreten«etc. Unter»sozialem Kapital«verstehen wir mit Bourdieu»Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen«(bourdieu 1997, 63), also etwa Netzwerke und»beziehungen«. Ein wichtiger Aspekt der»partizipationsressourcen«(brady et al. 1995) sind»civic skills«(wissen über organisatorische und bürokratische Abläufe, Erfahrungen beim Organisieren von Veranstaltungen etc.), die im Rahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen (Vereine, Betriebsrat, Selbsthilfegruppen, kirchliche Organisationen, Elternvereine oder BürgerInnen-Initiativen) erworben werden können. Diese Form von kulturellem Kapital bringen viele unserer InterviewpartnerInnen aus dem Herkunftsland und aufgrund ihrer dort gesammelten politisch-organisatorischen
11 456 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Erfahrungen mit. Die meisten hatten höhere Bildung, oft ein abgeschlossenes Studium oder eine gehobene berufliche Position im Herkunftsland oder waren dort politisch aktiv. Kulturelles Kapital, somit einerseits formale Bildung, andererseits das Erlernen von kulturellen Codes, kann zwar im Kontext von Flucht und unfreiwilliger Migration aus der Herkunftsgesellschaft mitgenommen werden in der Aufnahmegesellschaft ist es jedoch nur bedingt in soziales und ökonomisches Kapital transferierbar. Wie dies gelingt, hängt offenbar sehr von den Umständen der jeweiligen Flucht ab. Fast alle der von uns interviewten VertreterInnen von Flüchtlingsselbstorganisationen befanden sich während ihrer Flucht bzw. bei ihrer Ankunft in Österreich in einer Situation, die den Zugang zur Ressource»Asyl«erleichterte. So konnten sie ZeugInnen für ihr politisches Engagement im Herkunftsland namhaft machen oder kamen überhaupt im Zuge ihrer politischen Tätigkeit nach Österreich. Deshalb musste keiner/e längere Zeit auf die positive Erledigung seines/ ihres Asylantrags warten. Alle konnten in der einen oder anderen Weise auf bestehende Netzwerke (Gewerkschaft, politische Parteien, Exilorganisationen, Berufsverbände) zurückgreifen. Das im Herkunftsland erworbene kulturelle Kapital (soziale Herkunft, Bildung) ermöglicht dabei auch den Zugang zur politischen Klasse des Aufnahmelandes und somit eine erfolgreiche Umwandlung in Sozialkapital 17. Denn, wie Bourdieu feststellt, hängt der Umfang des Sozialkapitals, das der Einzelne besitzt,»sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann, als auch vom Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals, das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht«(bourdieu 1997, 64). 6. Organisationslandschaft und Netzwerke und die Rolle der Flüchtlingsselbstorganisationen Die Wurzeln der organisierten Flüchtlingsbetreuung in Österreich reichen zurück in die Zeit der großen Flüchtlingsbewegungen im Zuge des»ungarnaufstands«(1956), des»prager Frühlings«(1968) und der»polenkrise«(1981). Schon damals unterstützten Caritas, Rotes Kreuz und Volkshilfe die überlasteten staatlichen Strukturen bei der Erstaufnahme der Flüchtlinge (Wischenbart 1995, Schlesinger/ Šunjic 2001, Langthaler 2004, Langthaler/ Trauner 2008). Seit Ende der 1980er-Jahre entstanden nach Ende des Ost-West-Konflikts zahlreiche Vereine und Initiativen. Sie wandten sich vor allem gegen die zunehmend restriktiven Asylgesetze und den feindseligen politischen Diskurs gegenüber AsylwerberInnen. Die neu entstandenen Flüchtlingsunterstützungsvereine gingen aus dem Umfeld Neuer Sozialer Bewegungen und der studentischen Linken hervor. Dennoch blieb die Dominanz der kirchlichen humanitären Organisationen (Caritas, Diakonie) in diesem Feld weiter bestehen und festigte sich mit dem Ausbau des Grund- 17»Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind«(bourdieu 1997, 63).
12 Das österreichische Asylregime 457 versorgungssystems ab Die Professionalisierung und Differenzierung der Aktivitäten der Flüchtlingshilfs-NGOs in Österreich begann vor allem mit dem EU-Beitritt (und den damit verbundenen Förderstrukturen) und führte zur zunehmenden Einbindung dieser Hilfsorganisationen in das institutionelle Betreuungssystem. Wie sehr das Feld der Flüchtlingshilfe in den letzten Jahren gewachsen ist, illustriert das Beispiel des Diakonie-Flüchtlingsdiensts: Dieser entwickelte sich zwischen 1990 und 2007 vom Ein-Frau-Betrieb zu einer Organisation mit zwanzig Einrichtungen und 170 MitarbeiterInnen. Die Rolle der NGOs oszilliert, je nach weltanschaulicher Ausrichtung und Struktur, zwischen den Polen»Sozialdienstleister«und»Anwalt der Rechtlosen«. Beherrscht wird das Feld von den Flüchtlingshilfsorganisationen der Caritas der jeweiligen Diözese (Wien, Graz-Seckau, Linz, Salzburg, Innsbruck, Feldkirch, Eisenstadt), dem Diakonie-Flüchtlingsdienst und in manchen Bundesländern von der sozialdemokratischen Volkshilfe. Darüber hinaus sind noch zahlreiche weitere Organisationen tätig: Das Spektrum reicht von großen Einrichtungen wie dem Roten Kreuz oder SOS-Kinderdorf bis zu kleinen unabhängigen Initiativen wie der Flüchtlings- und Deserteursberatung, dem Flughafensozialdienst in Wien oder dem Verein Fluchtpunkt in Innsbruck. Von Flüchtlingen gegründete Vereine, die den Sprung zur professionellen NGO geschafft haben, sind dabei die Ausnahme. 18 Wesentlichen Einfluss auf die Arbeit der NGOs hat die Vergabe öffentlicher Mittel. Diese kommen für die Unterbringung und Betreuung von AsylwerberInnen während des Verfahrens entsprechend der Grundversorgungsvereinbarung vom Bund und den Ländern. Der Großteil der anderen Projekte (psychotherapeutische Angebote, Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen, Integration, Rechtsberatung) wird im Wesentlichen aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) mit Co-Finanzierung des Innenministeriums gefördert. Die Organisationen müssen häufig Eigenmittel (aus Spenden) zuschießen, da viele Projekte nicht zur Gänze ausfinanziert sind. In den letzten Jahren sind im Rahmen dieser Förderstrukturen massiv Mittel von den NGOs an regierungsnahe Organisationen und private Dienstleister umverteilt worden Vernetzung Trotz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und weltanschaulichem Hintergrund kooperieren die verschiedenen Flüchtlingshilfs-NGOs 20 in mehreren Netz werken, um Erfahrungen auszutauschen, politisches Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit abzustimmen. 18 In Wien war die Organisation ADA (Association for Democracy in Africa) in der Grundversorgung tätig. In Graz bietet der Verein Chiala Afriqas eine breite Palette von Beratungsangeboten und Kulturveranstaltungen an. 19 Diese Entwicklung erreichte mit der Projektvergabe im laufenden Budgetjahr 2009 ein Ausmaß, das nicht nur für viele NGOs existenzgefährdend ist, sondern z. B. unabhängige Rechtsberatung in Frage stellt ( ). 20 Auf die einzelnen Organisationen genauer einzugehen, erlaubt der beschränkte Raum dieses Artikels nicht.
13 458 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Das älteste dieser Netzwerke ist die 1991 gegründete asylkoordination österreich. 21 Sie erfüllt in verschiedenen Bereichen Koordinationsaufgaben: Seit 2003 wird das Netzwerk für interkulturelle Psychotherapie nach Extremtraumatisierung (NIPE) 22 von der asylkoordination betreut, weiters zwei Arbeitskreise zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und regelmäßige Treffen von RechtsberaterInnen. Die asylkoordination ist außerdem seit 1997 Mitglied des europäischen Netzwerks ECRE (European Council of Refugees and Exiles). Seit 1997 gibt es ein informelles Netzwerk, in das auch die in der Öffentlichkeit bekannteren Organisationen Caritas, amnesty international und das Österreichische Rote Kreuz einbezogen sind das Forum Asyl wurde vom UNHCR und von der Caritas das Projekt»Netzwerk Asylanwalt«entwickelt. Ziel ist es, Flüchtlingen im Asylverfahren vor den österreichischen Behörden die Vertretung durch RechtsanwältInnen zu ermöglichen. Als ministeriumsnahe geltende Vereine wie Menschenrechte Österreich, kommerzielle Anbieter wie European Homecare oder private Quartierbetreiber sind nicht in diese Netzwerkstrukturen integriert. 6.2 NGOs und Flüchtlingsselbstorganisationen im Asylregime Im Folgenden versuchen wir, die verschiedenen Bereiche des Asylregimes und die darin handelnden NGOs und Flüchtlingsselbstorganisationen zu beschreiben. Für die betroffenen Flüchtlinge stellt sich das Asylverfahren als eine Art Zugangsritual dar, in dem sie nacheinander mehrere Ebenen durchschreiten: Am Ende steht nicht die Alternative entweder Anerkennung als Flüchtling oder Abschiebung, sondern es gibt zahlreiche mögliche rechtliche und soziale Statusformen (Kratzmann 2007). Die verschiedenen Stufen der Aufnahme in die österreichische Gesellschaft die selten eine umfassende und nie eine bedingungslose ist gehen einher mit Orten abnehmender räumlicher Abgeschlossenheit. Von Schubhaft oder»lager«im Zulassungsverfahren über das zugewiesene Grundversorgungsquartier während des Verfahrens bis zum Integrationswohnheim, zur Start- oder Gemeindewohnung. Wir folgen bei der Systematik unserer Beschreibung dem Ablauf des Asyl verfahrens, wie er sich für die Flüchtlinge in der Praxis darstellt. 6.3 Zulassungsverfahren Der Zugang zum Asylverfahren spielt sich in einer Sphäre und an Örtlichkeiten (Schubhaft, Erstaufnahmezentren) ab, an denen zivilgesellschaftliche Organisationen 21 Mitglieder: Asyl in Not, AUGE, Ausländerberatung Beratungsstelle für AusländerInnen in Kärnten, Beratungszentrum für MigrantInnen, Bewegung Mitmensch, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, Diakonie-Flüchtlingsdienst, Europäisches Bürgerforum, Integrationshaus, ISOP, Projektgruppe Integration, SOS-Kinderdorf Salzburg Clearinghouse, Südwind Agentur, Volkshilfe Österreich, Volkshilfe Oberösterreich, Zebra (siehe Mitglieder: amnesty international Österreich, asylkoordination österreich, Caritas Österreich, Diakonie, Integrationshaus, Österreichisches Rotes Kreuz und Volkshilfe Österreich.
14 Das österreichische Asylregime 459 eine geringe (und immer unbedeutender werdende) Rolle spielen. Rechtlich wird der Zugang zum Asylverfahren wesentlich von der EU-Richtlinie Dublin II bestimmt. 24 Diese Regelung legt fest, in welchem EU-Staat ein Asylverfahren durchzuführen ist: Sie spielt aufgrund der geografischen Lage Österreichs als EU-Binnenland eine zentrale Rolle und macht in Verbindung mit den restriktiven Visabestimmungen eine legale Einreise für Flüchtlinge nur in Einzelfällen möglich. Für den häufigen Fall, dass ein Flüchtling aufgrund von Dublin II sofort nach seiner (illegalen) Einreise in Schubhaft genommen wird, sind Kontakte zu rechtsberatenden NGOs essenziell, um eine Schubhaftbeschwerde zu stellen oder einen Asylantrag einzubringen, wie ein Mitglied einer Flüchtlingshilfs-NGO ausführte:»[...] da investieren wir gerne auch Geld, damit wir die Betreuung adäquat machen können, [...] das ist an sich auch eine staatliche Aufgabe, das sicherzustellen, aber aufgrund der besonderen Brisanz und der heiklen Situation in der Schubhaft ist das einfach ganz wichtig, dass kritische NGOs weiterhin in der Schubhaft sind, damit die Leute nicht verschwinden, ohne Möglichkeit, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen, wie wir das halt erleben beim Herrn E., das ist ganz wichtig«(interview C. R.). Die Präsenz von unabhängigen NGOs in den Polizeianhaltezentren im Rahmen der Schubhaftbetreuung ist in den letzten Jahren allerdings stark zurückgegangen, weil dem Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ), der nach Aussagen aller GesprächspartnerInnen den Charakter einer regierungsnahen NGO (GONGO) hat, diese Schubhaftbetreuungsprojekte vom Innenministerium (BMI) zugesprochen wurden. Menschenrechte Österreich ist seit 2007 in der Schubhaft in Oberösterreich, Wien, Niederösterreich und Innsbruck tätig. Die bis dato dort aktiven NGOs (Caritas, Diakonie, Volkshilfe, ARGE-Schubhaft) erhielten keine Verträge und auch keinen regelmäßigen Zugang zur Schubhaft mehr wurde dem VMÖ vom BMI auch die Schubhaftbetreuung in Klagenfurt und Salzburg (vorher Diakonie) sowie in Eisenstadt (vorher Caritas) übertragen. 25 Flüchtlingen in Schubhaft, die keinen Kontakt zu Rechtsberatung knüpfen können, bleibt oft nur die Möglichkeit für prekärere Widerstandsformen wie Hungerstreik oder Selbstbeschädigung. 26 Die Erstaufnahmezentren (EASt) am Flughafen Schwechat, in Thalham und in Traiskirchen sind die zentralen Orte des österreichischen Asylregimes. Vor allem der Weinort Traiskirchen südlich von Wien wurde zum Synonym für die Flüchtlings- und Asylpolitik in Österreich (Wischenbart 1995, Langthaler 2008). 24 Verordnung (EG) Nr. 343/ 2003 Dublin II des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (Amtsblatt Nr. L 050 vom , ). 25 Siehe sowie asyl aktuell (2/ 2009), Von 1. Jänner bis 31. August 2009 traten laut BMI von Schubhäftlingen in Hungerstreik (»Wieder Tod nach Hungerstreik«. In: Der Standard, , 3).
15 460 Herbert Langthaler/ Helene Trauner Die Neuankömmlinge sind im Rahmen des hier stattfindenden Zulassungsverfahrens (Langthaler/ Trauner 2008, Schumacher/ Peyrl 2006) mit einer Vielzahl an AkteurInnen konfrontiert: (uniformierte) Polizei, BeamtInnen des BAA,»unabhängige«Rechtsberater 27, DolmetscherInnen, MitarbeiterInnen von European Homecare oder der NGO Menschen-Leben, sowie den als»flüchtlingsberatern«28 tätigen JuristInnen von Caritas und Diakonie (Plutzar u. a. 2008, 12 19). Wie eine in Traiskirchen durchgeführte Studie zeigt, vertrauen die Flüchtlinge in dieser Situation weniger auf offizielle Informationsangebote (Infomat, Infoblätter) und BeamtInnen auch die Rechtsberater und NGO-MitarbeiterInnen werden nur als bedingt vertrauenswürdig eingeschätzt, sondern in erster Linie auf Informationen von anderen Flüchtlingen oder Mitgliedern der Herkunfts-Communitys (Plutzar u. a. 2008, 58). Die Kontaktaufnahme mit Verwandten oder VertreterInnen von Community- Organisationen kann allerdings nur außerhalb der EASt stattfinden. 29 Die Rolle der NGOs im Rahmen des Zulassungsverfahrens ist durch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Abgeschlossenheit der Lagersituation bestimmt. Eine Kontaktaufnahme mit den AsylwerberInnen wird vor allem für die juristischen BeraterInnen der NGOs (mit Ausnahme der von den NGOs gestellten gesetzlich abgesicherten Flüchtlingsberatern innerhalb der EASt) durch Zugangsbeschränkungen auf der einen und Mobilitätseinschränkungen auf der anderen Seite zum Problem Grundversorgung Mit der Zulassung zum Asylverfahren, der Ausstellung einer vorläufigen Aufenthaltsbewilligung und der Zuweisung in ein Grundversorgungsquartier beginnen sich die Zuständigkeiten und Rollen der einzelnen Akteure für die AsylwerberInnen zu klären. NGOs fungieren als operative Partner der Länder bei der Durchführung der Betreuungsaufgaben. In den Bundesländern Wien, Salzburg, Oberösterreich und Vorarlberg 31 sind die NGOs auf allen Ebenen in die Grundversorgung einbezogen. Dies beinhaltet die Registrierung, Sozialberatung, Auszahlung von Unterstützungs- 27 Die vom BMI bestellten Rechtsberater haben die Funktion, die AsylwerberInnen bei einer zweiten Einvernahme im Fall einer Ablehnung im Zulassungsverfahren davon zu informieren, welche Aussichten sie auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten haben (AsylG Abs. 4). Sie haben (außer im Falle unbegleiteter Minderjähriger) keine Vertretungsgewalt für AsylwerberInnen. Die Auslegung der den Rechtsberatern vom Gesetz zugedachten Rolle hängt stark von der Persönlichkeit der jeweiligen JuristInnen ab (Schumacher/ Peyrl 2006, 205). Da es sich bei»rechtsberater«um einen eingeführten juristischen Begriff handelt, wird hier keine geschlechtssensible Formulierung verwendet. 28 In jeder BAA-Außenstelle steht ein so genannter»flüchtlingsberater«als Rechtsvertretung den AsylwerberInnen im Verfahren zur Verfügung. Da es sich hier um einen eingeführten juristischen Begriff handelt, wird keine geschlechtssensible Formulierung verwendet. 29 Anschaulich wird diese Situation im Dokumentarfilm»Little Alien«(Nina Kusturica 2009) gezeigt. 30 Zum Zulassungsverfahren siehe Schumacher/ Peyrl (2006), Siehe dazu: / das-asylzentrum-in-wien/, fluechtlings-und-migrantenhilfe/ (Zugriff jeweils am ).
16 Das österreichische Asylregime 461 leistungen an privat wohnende AsylwerberInnen und teilweise auch die Unter bringung, die sonst von privaten Gastronomiebetrieben übernommen wird (zur Problematik der Standortwahl siehe Pehm 2005). Mit der sozialen Betreuung der AsylwerberInnen in der Grundversorgung sind außer in Tirol und Kärnten durchwegs NGOs betraut. Die NGOs arbeiten auf der Grundlage von Leistungsverträgen eng mit den Flüchtlingskoordinationsstellen der Länder zusammen und haben nur geringe Gestaltungsspielräume: Die in der Grundversorgungsvereinbarung und in den jeweiligen Durchführungsgesetzen der Länder festgelegten Rahmenbedingungen (Tagsätze, Taschengeld, Kleidergeld etc.) müssen eingehalten werden. Auch wenn die Grundversorgung inzwischen rein quantitativ (finanzielle Mittel, Personaleinsatz) das wichtigste Betätigungsfeld der Flüchtlingshilfs-NGOs darstellt, hat in der Selbstwahrnehmung der NGO-VertreterInnen die rechtliche Vertretung im Verfahren den größten Stellenwert. In diesem Kernbereich der Flüchtlingshilfe stehen die NGOs auch bis zu einem gewissen Grad im Widerspruch zum staatlichen Asylsystem:»Wenn eine Flüchtlingsorganisation aufhört, Flüchtlinge zu beraten, dann ist es keine Flüchtlingsorganisation mehr in meiner Welt, dann wird man auch sehr schlecht irgendwie zu neuen Gesetzen nur irgendwie was sagen können, weil man ja völlig den Überblick verlieren würde oder überhaupt weg wäre vom Geschehen, d. h. das ist Kernaufgabe, da sollen auch die Spendenmittel hingehen«(interview C. R.). Im Zentrum der Rechtsberatung der NGOs stehen die Interessen und das Wohl der KlientInnen. Der Referenzrahmen sind dabei, ebenso wie bei Aktivitäten für Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention sowie der rechtsstaatliche Verfahrenszug (erste Instanz Asylgerichtshof evt. Verfassungsgerichtshof). Jeder Klient/ jede Klientin soll das Recht haben und auch bekommen, gegen negative Entscheide des Bundesasylamts Beschwerde beim Asylgerichtshof einzulegen. Weitere Projekte der NGOs für AsylwerberInnen im laufenden Verfahren sind spezialisierte Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), allein stehende Frauen (mit Kindern) und die psychotherapeutische Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen. Zum Selbstverständnis der NGOs im Flüchtlingsbereich gehört es, im Interesse ihrer KlientInnen auch auf die Asylpolitik Einfluss nehmen zu wollen.»hilfe unter Protest«mit diesem Slogan beschrieb Diakonie-Direktor Michael Chalupka die Arbeit der Flüchtlingshilfe der Diakonie. In diesem Sinne sind juristische Interventionen (Berufungen, Erwirken von Höchstgerichtsurteilen), politisches Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit drei wichtige Strategien, die unsere InterviewpartnerInnen immer wieder erwähnt haben:»man kann es anders drehen und sagen, es gibt Dienstleistungsbereiche und es gibt Bereiche, die wir als Organisation als NGO für absolut notwendig halten, um auch w irksam irgendwie politische Arbeit, Lobbyingaktivitäten machen zu können«(interview C. R.).
17 462 Herbert Langthaler/ Helene Trauner In dieser Phase des Asylverfahrens, die bestimmt ist durch Unsicherheit, lange Wartezeiten bis zum Ausgang des Asylverfahrens und Untätigkeit aufgrund eines de facto- Arbeitsverbots 32, können Kontakte zu Landsleuten eine wichtige psychologische Stütze sein. Da die meisten Flüchtlingsselbstorganisationen keine formalen Betreuungseinrichtungen sind, können AsylwerberInnen aus dem Herkunftsland nur informell unterstützt werden. Die Unterstützung wird von Vereinsmitgliedern auch durchwegs ehrenamtlich geleistet. Sie beinhaltet persönliche Begleitung zu diversen Ämtern, Übersetzungsdienste und die Anwesenheit als Vertrauensperson bei Interviews im Rahmen des Asylverfahrens. Wichtig für die Betreuung von AsylwerberInnen ist der Kontakt zu NGOs: Diese können Rechtshilfe anbieten und das rechtzeitige Verfassen von Berufungen nach Ablehnungen in der ersten Instanz übernehmen. Community-Vereine, die sich in diesem Feld etablieren wollten, hatten in der Vergangenheit sehr häufig Pro - bleme, qualifiziertes Personal anstellen und bezahlen zu können. Chiala Afriqas in Graz bildet hier eine Ausnahme: Der Verein hat für die Rechts- und Sozial - beratung für AfrikanerInnen in Graz eine Juristin mit afrikanischer Herkunft angestellt, die auch Berufungen schreibt und die KlientInnen während des Asylverfahrens begleitet. Mitglieder von Flüchtlingsselbstorganisationen versuchen auch, sich als VermittlerInnen zwischen AsylwerberInnen und den Asylbehörden einzuschalten, indem sie z. B. Informationen zur Situation im Herkunftsland weiterleiten oder mit dem Ziel einer Beschleunigung des Verfahrens intervenieren. So nahm der Obmann des Afghanischen Kulturvereins seit dem Ende des Taliban-Regimes immer wieder Kontakt mit dem Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) auf, um auf die nach wie vor gefährliche Situation in Afghanistan hinzuweisen und dies mit Augenzeugenberichten zu untermauern. Flüchtlingsselbstorganisationen fungieren als»filter«zur Unterscheidung von»echten«und»unechten«flüchtlingen, wenn sich die Asylbehörden an sie wenden, um Klarheit über die Herkunft eines/ einer bestimmten AsylwerberIn zu bekommen:»da haben wir auch eine Beratungsrolle oder wie soll ich sagen eine Botschaftsrolle, wo wir gesagt haben, das ist ein Kurde oder nicht. Es gab zum Beispiel Fälle, wo sehr viele aus Yozgat [Provinz in Mittelanatolien, Anm. d. AutorInnen] sich als Kurden deklariert haben und hier um Asyl angesucht haben, und durch unsere Arbeit ist das ans Tageslicht gekommen«(interview H. A.). Eine weitere wichtige Funktion besteht darin, bei Konflikten in Grundversorgungsquartieren zu intervenieren. So trat der Obmann der Europäisch-Tschetschenischen Gesellschaft mehrfach bei Protesten tschetschenischer AsylwerberInnen wegen Problemen in der Unterkunft (baulicher Zustand, Essen etc.) als Vermittler auf, um die Situation zu entspannen. 32 AsylwerberInnen können nur befristet als Saisonniers arbeiten (verlieren dann aber die Grundversorgung).
18 Das österreichische Asylregime Integration Staatliche Integrationsprogramme stehen nur anerkannten Flüchtlingen zur Verfügung; während des Asylverfahrens gibt es keinerlei Maßnahmen zum Spracherwerb oder zur beruflichen Qualifikation. Flüchtlingsselbstorganisationen können die Probleme, die durch die langen Asylverfahren entstehen, teilweise dadurch bekämpfen, dass sie AsylwerberInnen bei der Bewältigung von sozialer Isolation, Unsicherheit sowie bei Erfahrungen mit sozialer Marginalisierung und alltäglichem Rassismus unterstützen. Eine wichtige Rolle spielen hier kulturelle Aktivitäten, wie Feste, Musik- oder Literaturveranstaltungen. Viele Flüchtlingsvereine (vor allem jene der weniger etablierten Communitys) in Österreich verfügen mangels eigener finanzieller Mittel allerdings über keine Räumlichkeiten, die als Anlaufstellen und Orte des informellen Austausches fungieren könnten. Öffentliche Förderungen werden nur für Projekte, nicht aber für die Vereinsinfrastruktur vergeben. Mit positivem Abschluss des Asylverfahrens stellt sich die Frage der dauerhaften Niederlassung und Integration im Aufnahmeland. Wichtigster Akteur in diesem Bereich ist der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF). 33 Der ÖIF hat sich aus dem 1960 vom Innenministerium und UNHCR gegründeten»flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen«entwickelt wurde der Fonds aus dem BMI ausgegliedert und 2002 nach der Umbenennung in»österreichischer Integrationsfonds«unter der Regierung Schüssel (ÖVP/ FPÖ) systematisch mit neuen Aufgaben bedacht. Neben den Integrations agenden für anerkannte Flüchtlinge (Integrationswohnhäuser, Jobcenter) ist der Österreichische Integrationsfonds auch für die Umsetzung der»integrationsverein barung Neu«, insbesondere die Zertifizierung der verpflichtenden Deutschkurse, mitverantwortlich. Weitere Integrationsprojekte für anerkannte Flüchtlinge werden durch Förderungen des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) möglich. Integrationsarbeit beginnt bei den meisten NGOs bereits in der Grundversorgung, indem in den Quartieren Deutschkurse angeboten werden. Nach der Anerkennung bieten die Projekte ein personenzentriertes, auf den jeweiligen Flüchtling persönlich abgestimmtes Maßnahmenpaket. Möglichst alle Bereiche des Lebens sollen durch Angebote wie Deutsch- und EDV- Kurse, Hilfe bei Wohnungs- und Jobsuche etc. abgedeckt werden. Ziel ist die»gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Gleichberechtigung in Österreich«. 34 Eine Form, auch die nicht organisierten BürgerInnen in die Integration von Flüchtlingen einzubeziehen, sind die Patenschaftsprojekte»connecting people«(asylkoordination, Zebra) und ELONGÓ (Diakonie). Bei»connecting people«sollen Erwachsene für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine»patenschaft«übernehmen. 35 Das Projekt ELONGÓ des Diakonie-Flüchtlingsdiensts greift diese Idee für Flüchtlingsfamilien auf. Patenschaften können hier auch Pfarren oder Vereine übernehmen
19 464 Herbert Langthaler/ Helene Trauner In den Interviews mit VertreterInnen der Flüchtlingsselbstorganisationen wurde der Aspekt der»integration«besonders betont. Es gibt eine umfassende Unterstützung im Sinn einer»ethnischen«community-sozialarbeit diese reicht von der Betreuung von Jugendlichen (Sport, Schulnachhilfe etc.) über die Schlichtung von Konflikten, kulturelle Mediation, Hilfe bei familiären Konflikten (Gewalt gegen Frauen) bis zu Gesundheitsprävention. In diesem Bereich sind Community- und vor allem auch Frauen-Organisationen Ansprechpartner für kommunale Institutionen (z. B. bei Integrationsprogrammen und bei Informationskampagnen innerhalb der Communitys). Arbeitsmarkt integration kann von Flüchtlingsselbstorganisationen nur dann geleistet werden, wenn sie in der Lage sind, professionelle Strukturen (u. a. bezahlte MitarbeiterInnen, Subventionen) aufzubauen, wie bei Chiala Afriqas oder bereits früher beim Verein LEFÖ (Verein der Lateinamerikanischen Exilierten Frauen in Österreich) der Fall.»Integration«bedeutet aber nicht nur Arbeitsmarktzugang und Deutsch lernen, sondern beschreibt auch ein weites Feld zwischen identitärer Selbstvergewisserung und politischer Partizipation. Ein wichtiger Bereich der Vereinstätigkeit sind in diesem Sinne auch kulturelle Veranstaltungen und muttersprachliche Kurse. Obwohl diese für den Spracherwerb in der Migration von erheblichem Nutzen wären, fehlen dafür finanzielle Unterstützungen (vgl. auch de Cillia/ Wodak 2006). Kulturelle Aktivitäten und Veranstaltungen fungieren auch als Brücke zur Mehrheitsgesellschaft, indem sie bestehenden stigmatisierenden Stereotypen über Flüchtlinge entgegenarbeiten. Innerhalb einzelner Flüchtlingsgruppen dienen kulturelle, religiöse Aktivitäten (Feste wie Neujahrsfest, kulturelle Ereignisse) der Konstruktion einer kollektiven Identität; dies hilft zugleich oft bei der Überwindung (herkunftsland-) politischer Spaltungen, die innerhalb der Flüchtlingsgruppen häufig zu Spannungen, Misstrauen, Entsolidarisierung führen. Vereinsarbeit selbst stellt für viele interviewte Flüchtlinge ein Vehikel der Partizipation und Integration dar. 7. Zusammenfassung und Ausblick Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben also zivilgesellschaftliche Akteure im österreichischen Asylregime? Flüchtlingshilfsorganisationen sind zwar offensichtlich durch die Übernahme vielfältiger Aufgaben wichtig, um das System und hier vor allem die Grundversorgung aufrechtzuhalten. NGOs erlitten aber in den vergangenen Jahren einen Bedeutungsverlust zu Gunsten privater Sozialdienstleister (wie European Homecare) und regierungsnaher Organisationen (wie Verein Menschenrechte Österreich). Dieser Trend dürfte sich nach Meldungen über die Vergabe von Mitteln aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds 2009 dramatisch beschleunigen. 36 Das Selbstverständnis der Organisationen als Anwalt der Flüchtlinge führt aber dazu, dass bestimmte Leistungen vor allem die Rechtshilfe auch ohne oder mit reduzierten staatlichen Mitteln erfolgen. 36»NGOs kritisieren Neuvergabe«(derstandard.at, ).
20 Das österreichische Asylregime 465 Die wichtige Rolle, die Flüchtlingsselbstorganisationen für ihre Landsleute im Asylverfahren spielen (könnten), wird offensichtlich weder von staatlichen Fördergebern noch von den Flüchtlingshilfsorganisationen wahrgenommen. Während die rechtlichen Rahmenbedingungen Vereinsgründungen und andere Formen politischen Engagements nicht einschränken und einzelne Flüchtlinge auch in Vertretungsgremien für Drittstaatsangehörige zu finden sind, werden Selbstorganisationen weder unterstützt noch als politische Ansprechpartner ernst genommen. Ein weiteres Hindernis ist das negative Image, das Flüchtlingen inzwischen in Österreich anhaftet. Diese Probleme können nur von einzelnen Flüchtlingen überwunden werden, die über hohes kulturelles Kapital (Bildung und Sozialisation in gesellschaftlichen Eliten) aus dem Herkunftsland verfügen und gleichzeitig gute Rahmenbedingungen für den Transfer dieses kulturellen Kapitals und für dessen Transformation in soziales Kapital (Netzwerke und»beziehungen«) in Österreich vorfinden. Bei den aktuellen politischen Mobilisierungen im Bereich der Asylpolitik (Bleiberecht,»Flucht ist kein Verbrechen«,»Ehe ohne Grenzen«) spielen Flüchtlingsselbstorganisationen daher auch kaum eine Rolle, Flüchtlinge treten in der Regel lediglich als»fälle«zur Illustration von Missständen in Erscheinung. Um die in den Selbstorganisationen vorhandenen Potenziale für eine ethnische Beratungs- und Sozialarbeit zu nutzen, müssen NGOs und auch die staatlichen Akteure einen bewussten und dauerhaften Dialog mit Flüchtlingsselbstorganisationen führen. Ein bloßer Knowhow-Transfer (Wissen über Gesetze und Institutionen) oder einzelne Projekte ohne Förderungen von Vereinsinfrastrukturen werden wohl nichts am Status quo ändern. Forschungsbedarf besteht in den meisten Bereichen des Asylregimes, insbesondere in Bezug auf das Zusammenwirken der einzelnen Akteure: Hier wäre ein genauer analytischer Blick auf einzelne Bereiche wie zuletzt auf die Kommunikationswege in den Erstaufnahmestellen (siehe Plutzar u. a. 2008) notwendig. Literatur asyl aktuell (2/ 2009) Schubhaft: Ende der unabhängigen Betreuung, Nr. 2. Bauböck, Rainer (2003) Wessen Stimme zählt? Thesen über demokratische Beteiligung in der Einwanderungsgesellschaft. In: Wiener Hefte zu Migration und Integration in Theorie und Praxis, Nr. 1, Bourdieu, Pierre (1997) Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1. Hamburg. Brady, Henry E. et al. (1995) Beyond SES: A Resource Model of Political Participation. In: American Political Science Review, Nr. 2, de Cillia, Rudolf/ Wodak, Ruth (2006) Ist Öster reich ein deutsches Land? Sprachenpolitik und Identität in der Zweiten Republik. Innsbruck u. a. Götzelmann, Andrea (im Erscheinen) Die Rolle staatlicher AkteurInnen in der österreichischen Integrationspolitik. In: Langthaler, Herbert (Hg.) Integration in Österreich. Innsbruck u. a. Grasl, Alexandra (2002) MigrantInnen als Akteure der österreichischen Politik. Politische Partizi pation der neuen Minderheiten: Teilhabe möglichkeiten und -barrieren. Erste Erfahrungen ethnischer MandatsträgerInnen. Diplomarbeit an der Universität Wien. Heiss, Gernot/ Rathkolb, Oliver (Hg.) (1995) Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit Wien. Hess, Sabine/ Karakayali, Serhat (2007) New Governance oder Die imperiale Kunst des Regierens. Asyldiskurs und Menschenrechts-
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