Rechte von Kindern in medizinischen Heilbehandlungen. Dr. iur. Margot Michel
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- Agnes Möller
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1 Rechte von Kindern in medizinischen Heilbehandlungen
2 Sechsjähriges Mädchen mit schwersten geistigen und körperlichen Behinderungen A. ist seit ihrer Geburt geistig und körperlich schwerstbehindert aufgrund einer Hirnschädigung Praktisch vollständig bewegungsunfähig Geistige Entwicklung auf dem Stand eines drei Monate alten Babys Keine oder nur minimale Fortschritte möglich Eltern pflegen A. zuhause seit ihrer Geburt Eltern wünschen, dass bei A. das Wachstum hormonell gestoppt wird Grund: A. würde sonst zu gross und schwer für die Heimpflege und könnte nicht mehr gut bewegt werden
3 Frühgeborenes Baby L. wird in der 26. Schwangerschaftswoche geboren Intensivmedizinische Therapie Verschiedene Komplikationen Überlebenschance intakt, aber mit grosser Sicherheit nur mit bleibenden Schäden Eltern wünschen Abbruch der lebenserhaltenden Therapie
4 Kind mit fortschreitender Muskellähmung R. leidet an fortschreitender Muskellähmung in einer sehr schweren Form Keine ursächliche Therapie möglich, keine Aussicht auf Heilung Geringe Lebenserwartung (Kleinkind, Frühschulalter) Medizinischer Konsens in der CH, der künstliche Beatmung ablehnt nun würde eine künstliche Atemunterstützung notwendig Sauerstoffanreicherung während Ruhezeiten Behandelndes Ärzteteam lehnt dies ab; Eltern wünschen Atemunterstützung
5 Jugendlicher verweigert Chemotherapie bei Hirntumor P. ist 17 Jahre alt und leidet an einem Hirntumor Zwei Chemotherapie-Zyklen wurden durchgeführt P. verweigert einen 3. Zyklus und weitere Untersuchungen (z.b. MRI), da er alternative Heilmethoden ausprobieren möchte Das behandelnde Ärzteteam gelangt mit der Bitte um Kindesschutzmassnahmen an die Vormundschaftsbehörde
6 Beteiligte Personen
7 Entscheidungsfähigkeit? Fürsorge Autonomie Kind Fremdbestimmung Selbstbestimmung evolving capacities
8 Begriff der Heilbehandlung Verfolgt therapeutischen Zweck i.w.s. Heilabsicht Umfasst auch diagnostische und prophylaktische Massnahmen Folgt einem erprobten und standardisierten Verfahren Heilversuch Eingriffe ohne Heiltendenz Für Spezialbereiche bestehen Spezialgesetze z.b. Transplantation, Sterilisation, Forschung
9 Selbstbestimmungsrecht Entscheidungs- und Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper und das eigene Leben Schutz des Selbstbestimmungsrechts und Schutz der körperlichen Integrität bilden Einheit Schützt Würde und Wert des Menschen BGer anerkennt klar den Willensvorrang der Patientin Selbstbestimmungsrecht schützt Wertewelt des Patienten Gründet in den Persönlichkeitsrechten Grenze: Rechts- oder Sittenwidrigkeit des Eingriffs Setzt Urteilsfähigkeit voraus
10 Medizinische Tätigkeiten / Eingriffe Eingriffe in körperliche und psychische Integrität Persönlichkeitsverletzung, Körperverletzung Grundsätzlich widerrechtlich Rechtfertigungsgründe: - Einwilligung (informed consent) Verknüpfung mit persönlichkeitsrelevanten Patientenrechten, v.a. Recht auf Aufklärung - Einwilligung der gesetzlichen Vertretung - Einwilligungssurrogate (z.b. mutmasslicher Wille)
11 Gang der Untersuchung Wer ist überhaupt einwilligungsberechtigt? Selbstbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen? Einwilligungsfähigkeit? Entscheidungskompetenzen von Eltern - Kriterien der Entscheidung - Schranken der Entscheidung
12 Urteilsfähige Kinder und Jugendliche Autonomieprinzip Urteilsfähige Minderjährige sind einwilligungsfähig Art. 19 Abs. 2 ZGB Brauchen die Einwilligung der Eltern nicht Vertretungsrecht der Eltern ist im Umfang der eigenen Handlungsfähigkeit des Kindes eingeschränkt Art. 301 Abs. 1 i.v.m. Art. 304 Abs. 1 ZGB Ausnahmen z.t. in Spezialgesetzen Schranke der Einwilligung: Rechts- oder Sittenwidrigkeit Ablehnung von lebensnotwendigen Therapien? Persönlichkeitsrechtliche Rechte von Kindern Einwilligungsberechtigung Heilbehandlungen Kompetenz zum Abschluss des
13 Urteilsunfähige Kinder und Jugendliche Fürsorgeprinzip Gesetzliche Vertretung (Eltern) entscheidet Art. 301 Abs. 1 i.v.m. Art. 304 Abs. 1 ZGB Eltern sind aufklärungsberechtigt Schranken der Vertretungskompetenz - Medizinische Indikation - Kindeswohl - absolut höchstpersönliche Rechte - Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte des Kindes
14 Urteilsfähigkeit JA Selbstbestimmung Einwilligung, Aufklärung NEIN Fremdbestimmung kein Recht auf Aufklärung Autonomieprinzip Spannung? Ergänzung? Partizipation als dritter Weg? Fürsorgeprinzip (Paternalismus)
15 Einwilligungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen Einwilligungsfähigkeit wird von Ärztin / Arzt beurteilt praktisch schwierig gravierende rechtliche Konsequenzen Forschung zur Einwilligungsfähigkeit von Kindern - traditionelle kognitive Entwicklungstheorie - inhaltlich-wissensorientierte Ansätze Stellenwert von Erfahrungswissen? Erfahrungswissen kann kognitive Defizite ausgleichen Realistische Selbsteinschätzung von Minderjährigen Keine einheitlichen Altersangaben Sinnvolle Partizipation bereits früh möglich
16 Mitsprache statt Alleinentscheidung Verschiebt den Fokus weg von der Diskussion um die Entscheidungszuständigkeit und Entscheidungsmacht Welche Rechte stehen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Einwilligungsfähigkeit zu? Partizipation: Teilhabe an Entscheidungsprozessen Ermöglicht stufengerechten Übergang zur Selbstbestimmung Betont die Aufgabe der Erwachsenen, Kindern Selbstbestimmung zu ermöglichen durch altersgerechte Information Unterstützung in der Entscheidung
17 Möglichkeiten der Partizipation (nach Alderson) Aufgeklärt werden Informed Consent Doktrin Seine Meinung äussern Eine Entscheidung beeinflussen diese Formen stehen allen Kindern und Jugendlichen offen Der wichtigste Entscheider über eine vorgeschlagene pflegerische oder medizinische Massnahme sein nur urteilsfähige Patientinnen und Patienten
18 Bedürfnis nach Partizipation (Rothärmel et al., ) Patientenbeteiligung und Informationspraxis bei einwilligungsunfähigen Patienten in einer Kinderund Jugendpsychiatrie Grosse Diskrepanz zwischen Informationsbedürfnis und Informationspraxis 90% möchten über ihre Krankheit und Behandlung informiert werden, werden aber z.t. (50%) aus Gesprächen zwischen Eltern und Ärzten ausgeschlossen Keine Information über Rechte Kinder wissen nicht, dass sie Informationen verlangen dürfen!
19 Bedürfnis nach Alleinentscheidung? Wunsch nach Alleinentscheidung nicht so stark ausgeprägt wie vermutet Grosses Bedürfnis in allen Altersgruppen nach Beteiligung an der Entscheidung Informationen über Ergebnisse der Diagnostik, über den Sinn von Therapien, über die Ziele Kommunikationsverhalten der Erwachsenen setzt den Rahmen für Partizipation Kinder werden meist aus dem Informationsteil des Gesprächs ausgeschlossen (v.a. von den Eltern) Wichtig sind auch Gespräche alleine mit der Ärztin
20 Grundlagen für Partizipationsrechte Informationsrechte für Urteilsunfähige dürfen sich nicht aus dem Selbstbestimmungsrecht ableiten müssen sich direkt auf den Persönlichkeitsschutz stützen Art. 28 ZGB, Art. 10 BV sind Ausdruck der Subjektqualität des Menschen schützen Würde unabhängig von Autonomie würderelevante Persönlichkeitsrechte - Recht auf Information - Recht auf Teilhabe am Entscheidungsprozess - Anspruch auf Mitsprache innerhalb der Grenzen des Kindeswohls stufengerechte Ausgestaltung des jeweiligen Rechts
21 Uno-Kinderrechtskonvention Art. 12 UNKRK Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife. bezieht sich auch auf medizinische Behandlungen beinhaltet kein Selbstbestimmungsrecht! setzt keine Urteilsfähigkeit voraus setzt keine sprachliche Äusserungsfähigkeit voraus
22 Zusammenfassung Partizipationsrechte lassen sich aus dem geltenden Recht ableiten Information urteilsunfähiger Patientinnen und Patienten ist Rechtspflicht Grundlage: Persönlichkeitsschutz, Art. 12 UNRKR Partizipationskonzept ergänzt Fürsorge- und Autonomieprinzip ermöglicht stufengerechten Übergang zur Selbstbestimmung Partizipationsrechte dürfen Autonomiereche nicht ersetzen! Erwachsene schaffen Bedingungen für Partizipation
23 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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