Kettenreaktionen. Kapitel 2. In diesem Kapitel sollen die folgenden Fragen beantwortet werden:
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1 Kapitel 2 Kettenreaktionen In diesem Kapitel sollen die folgenden Fragen beantwortet werden: Was versteht man unter einer Kettenreaktion? Welches sind die verschiedenen Typen von Reaktionsschritten, die bei einer Kettenreaktion vorkommen können? Wie bestimmt man die integralen Geschwindigkeitsgesetze für das Produkt einer Kettenreaktion? Wie vergleicht sich die stöchiometrische Reaktionsgleichung einer Kettenreaktion mit den tatsächlich ablaufenden Einzel- bzw. Elemetarreaktionen? Was ist der Unterschied zwischen einer linearen und einer verzweigten Kettenreaktion? Unter welchen Bedingungen kann es bei einer verzweigten Kettenreaktion zu einer Explosion kommen? Wie sehen die Reaktionsschritte in einer Kettenpolymerisationsreaktion aus? Wie kann man den Polymerisationsgrad aus der mittleren Kettenlänge der Reaktion berechnen? Version vom 15. Oktober
2 Thomas Koop Physikalische Chemie: Vertiefung Theorie II 2. Kettenreaktionen 11 Abb. 2-1 Abbildung 2-1: Bildliche Darstellung der wichtigsten bei der Umsetzung von H 2 mit Br 2 beteiligten Elementarreaktionen. Die beiden für das Kettenwachstum verantwortlichen Reaktionen 2 und 3 bilden einen Kreislauf. Dabei werden H 2 und Br 2 verbraucht und es entstehen zwei Moleküle HBr. Die Inhibierungsreaktion 4 wandelt H zu Br um, wobei das Produkt HBr verbraucht und das Edukt H 2 gebildet wird. Allerdings handelt es sich nicht um einen Kettenabbruch, da das gebildete Br weiter am Kreislauf teilnehmen kann. Da der Kreislauf 2+3 viel häufiger als die anderen Reaktionen (1, 4, 5) durchlaufen wird, ist er hauptsächlich für den Umsatz verantwortlich. Somit ergibt sich als stöchiometrische Reaktionsgleichung entsprechend H 2 + Br 2 2 HBr. Abb. 2-2 Abbildung 2-2: Bildliche Darstellung der wichtigsten beim thermischen Zerfall von Acetaldehyd, CH 3 CHO, beteiligten Einzelreaktionen. Die beiden für das Kettenwachstum verantwortlichen Reaktionen 2 und 3 bilden einen Kreislauf. Dabei wird CH 3 CHO verbraucht und CO und CH 4 gebildet. Da dieser Kreislauf viel häufiger als die anderen Reaktionen (1, 4, 5 und 6) durchlaufen wird, ist er hauptsächlich für den Umsatz verantwortlich. Somit ergibt sich als stöchiometrische Reaktionsgleichung entsprechend CH 3 CHO CO + CH 4.
3 Thomas Koop Physikalische Chemie: Vertiefung Theorie II 2. Kettenreaktionen 12 Abb. 2-3 Abbildung 2-3: Bildliche Darstellung der wichtigsten bei der Umsetzung von H 2 mit O 2 beteiligten Reaktionen. Aus einem H-Atom ensteht ein OH-Radikal, welches dann, mit einem H 2 reagierend, das ursprüngliche H-Atom zurückbildet. Außerdem entsteht das Reaktionsprodukt H 2 O. Allerdings ist Reaktion 2 eine Verzweigungsreaktion, da ein weiteres reaktives O-Atom gebildet wird. Dieses reagiert ebenfalls mit H 2. Es entsteht ein neues H-Atom sowie ein zweites OH-Radikal, welches wiederum ein H-Atom und ein H 2 O-Molekül entstehen lässt. Insgesamt entstehen so in der Verzweigung zwei neue H-Atome, insgesamt also in jedem Zyklus drei H-Atome. Dabei steigt die Konzentration der H-Atome und damit auch die Reaktionsgeschwindigkeit exponentiell an (siehe Tab. 2-1) und es kommt zu einer Verzweigungsexplosion. Insgesamt ergibt sich also pro Zyklus (2, 3 und 4) eine stöchiometrische Reaktionsgleichung der Form 3 H 2 + O 2 2 H 2 O + 2 H. Sind die Kettenabbruchreaktionen 5 oder 6 schnell genug können dadurch die überschüssigen H-Radikale abgefangen werden, und es kommt zu einer kontrollierten Verbrennung. Damit ergibt sich dann die stöchiometrische Reaktionsgleichung 2 H 2 + O 2 2 H 2 O. Tab. 2-1 eingespeiste produzierte produzierte Zyklus H-Atome H-Atome H 2 O-Moleküle Tabelle 2-1. Vergleich der eingespeisten und produzierten H-Atome sowie der produzierten Wassermoleküle im in Abb. 5.3 gezeigten Kettenzyklus der H 2 + O 2 -Reaktion unter Vernachlässigung der Abbaureaktionen. Bereits nach 50 Zyklen sind aus einem einzigen ursprünglichen H-Atom fast ein Mol H 2 O-Moleküle entstanden.
4 Thomas Koop Physikalische Chemie: Vertiefung Theorie II 2. Kettenreaktionen 13 Abb. 2-4 Radikalkonzentration n vi ( ka kv) Zeit t Abbildung 2-4: Zeitlicher Verlauf der Radikalkonzentration bei der Kettenreaktion von H 2 und O 2 für zwei verschiedene Fälle: (a) Der Anteil der Verzweigungsreaktionen k V = 2k 2 [O 2 ] ist kleiner ist als der Anteil der Abbruchreaktionen k A = k 5 + k 6 [O 2 ]. Es kommt zu einer stetigen Reaktion und die Radikalkonzentration nähert sich einem Maximalwert von v I /k A k V. (b) Ist der Anteil der Verzweigungsreaktionen größer als der der Abbruchreaktionen (k V > K A ), steigt die Konzentration der Radikale exponentiell und es kommt zu einer Verzweigungsexplosion. Abb. 2-5 Thermische Explosion Stetige Reaktion Zweite Dritte Kettenverzweigungs- Explosion Erste Abbildung 2-5: Die n der H 2 + O 2 Reaktion. Im weißen Bereich läuft eine stetige Reaktion ab, im blauen Bereich erfolgt bei gleichmässiger Erhitzung eine Explosion. Dabei ergeben sich in bestimmten Temperaturbereichen mehrere n. Dies sei hier am Beispiel von T = 800 K und steigendem Druck erläutert. Unterhalb der ersten findet eine (nur sehr langsame) stetige Reaktion statt, die an der ersten in eine Kettenverzweigungs-Explosion übergeht. Bei höherem Druck wird an der zweiten wieder ein stetig brennendes Gebiet erreicht. Bei noch höheren Drucken erhält man oberhalb der dritten wieder ein explosives Gemisch. Unter diesen Bedingungen kann die entstehende Reaktionswärme nicht schnell genug abgeführt werden. Es kommt dadurch zu einer immer größeren Reaktionsbeschleunigung (Arrhenius!), was dann zu einer thermischen Explosion führt.
5 Thomas Koop Physikalische Chemie: Vertiefung Theorie II 2. Kettenreaktionen 14 Abb. 2-6 Abbildung 2-6: Es gibt mehrere große Unfälle, die auf die H 2 + O 2 Reaktion zurückgehen. Das mit Wasserstoff gefüllte Luftschiff Hindenburg wurde 1937 zerstört (linkes Bild). Dabei handelte es sich aber nicht um eine Explosion, sondern um eine Flammenreaktion im Bereich zwischen der zweiten und dritten. Im Fall der Explosion des Space Shuttle Challenger beim Start 1986 (Mitte und rechts) handelte es sich vermutlich um eine thermische Explosion, die durch Undichtigkeiten der mit H 2 und O 2 gefüllten Tanks zustande kam (siehe Pfeil in mittlerem Bild). Abb. 2-7 (a) (b) (c) Abbildung 2-7: Schematische Darstellung einer Kettenpolymerisation. Das aktive Ende (z.b. ein radikalisches Ende) eines Polymers (blau) kann mit weiteren nicht aktiven Monomeren (grau) reagieren, was zu einer Verlängerung der Polymerkette führt. Die einzelnen Monomere können dagegen nicht miteinander reagieren.
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