Psychische Belastungen in der modernen Arbeitswelt

Transkript

1 Psychische Belastungen in der modernen Arbeitswelt Andrea Lohmann-Haislah Medien machen ohne Stress Gesund arbeiten in der Medienbranche Potsdam, 13. November 2014

2 Was Sie erwartet psychische Belastung 1. Was ist das eigentlich? 2. Warum reden heute alle davon? 3. Wie häufig kommt sie vor? Gefährdungsbeurteilung 1. Was hat psychische Belastung mit Gefährdung zu tun? 2. Welche Empfehlungen zur Umsetzung gibt es? Zusammenfassung und Ausblick Weiterführende Informationen

3 Psychische Belastung: Was ist das eigentlich? psychische Belastung Gesamtheit der Einflüsse, die von außen psychisch auf den Menschen einwirken psychische Beanspruchung unmittelbare Auswirkung psychischer Belastung in Abhängigkeit von überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich individueller Bewältigungsstrategien mechanisches Modell der Belastung und Beanspruchung DIN EN ISO 10075

4 Psychische Belastung: Was ist das eigentlich? psychische Belastung Stress, psychische Krankheit/Störung Gesundheitsgefahr psychische Belastung der Arbeit Bedingungen der Arbeit, die auf das Denken, die Informationsverarbeitung und die Gefühle einwirken gibt es immer nicht beseitigen oder vermeiden, sondern gestalten!

5 Psychische Belastung: Was ist das eigentlich? Psychische Belastung Beanspruchung/-sfolge Anforderungen Ressourcen unmittelbar langfristig Arbeit: - Menge - Vielfalt - Tempo - Handlungsspielraum - soziale Unterstützung - Unterforderung - Anregung - Aktivierung - Lernen - Überforderung - Stress - Zufriedenheit - Wohlbefinden - gesundheitliche Beschwerden

6 Psychische Belastung: Warum reden heute alle davon? Wandel der Arbeit Tertiarisierung Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft, mehr geistige/interaktive Tätigkeiten sowie steigende emotionale und kognitive Anforderungen Informatisierung Durchdringung der Arbeitswelt mit Kommunikationstechnik, ortsunabhängige, zeitlich flexible Aufgabenerledigung, Entgrenzung von Arbeit Subjektivierung neue Steuerungsformen, zunehmende Eigenverantwortung für Ablauf/Erfolg von Arbeitsprozessen Akzeleration Beschleunigung von Produktions-/Dienstleistungs-/Kommunikationsprozessen, zunehmende Aufgabenkomplexität und Lernanforderungen Flexibilisierung Ausbreitung beruflicher Unsicherheit/diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse/ständige Veränderungsprozesse, wachsende Instabilität sozialer Beziehungen in Tätigkeits- und Berufswechseln

7 Psychische Belastung: Wie häufig kommt sie vor? basiert auf BIBB/BAuA-Befragung 2012 seit Ende der 70er Jahre, zuletzt Befragte, davon ausgewertet abhängig Beschäftigte 40minütige telefonische Interviews (CATI) gewichtet nach Mikrozensus Stressreport 2012: Anforderungen Ressourcen - Befinden

8 Psychische Belastung: Wie häufig kommt sie vor? Anforderungen Handlungsspielraum verschiedene Arbeiten gleichzeitig Arbeit selbst planen und einteilen 67 starker Termin-/ Leistungsdruck Einfluss auf Arbeitsmenge 32 häufig Arbeit wiederholt sich Störungen/ Unterbrechungen Soziale Unterstützung sehr schnell arbeiten müssen gute Zusammenarbeit Kollegen 88 % belastet Hilfe/Unterstützung Kollegen 80 % häufig Hilfe/Unterstützung Vorgesetzte 59 häufig Anforderungen seit 2006 stabil auf hohem Niveau, Ressourcen leicht verbessert abhängig Beschäftigte in %, BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012; n=17562

9 Gefährdungsbeurteilung: Was hat psychische Belastung mit Gefährdung zu tun? 2+ psychoveg. Beschwerden häufig 1 psychoveg. Beschwerde 0 psychoveg. Beschwerden verschiedene Arbeiten gleichzeitig psychovegetative Beschwerden und Anforderungen starker Termin- und Leistungsdruck bei der Arbeit gestört, unterbrochen schnelles arbeiten müssen arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit (BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012; n=17562) abhängig Beschäftigte in Prozent

10 Gefährdungsbeurteilung: Was hat psychische Belastung mit Gefährdung zu tun? 2+ psychoveg. Beschwerden häufig 1 psychoveg. Beschwerde 0 psychoveg. Beschwerden eigene Arbeit selbst planen und einteilen psychovegetative Beschwerden und Ressourcen Einfluss auf die Arbeitsmenge Hilfe/Unterstützung Kollegen Hilfe/Unterstützung Vorgesetzter (BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012; n=17562) abhängig Beschäftigte in Prozent

11 Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? Gefährdungsbeurteilung: Prozess der Gefährdungsbeurteilung Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. ( 5 ArbSchG) Vorbereitung: Vorgehen planen, Voraussetzungen schaffen 1. Festlegen von Tätigkeiten/ Bereichen 2. Ermittlung der psychischen Belastung 3. Beurteilung der psychischen Belastung 4. Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen Wirksamkeitskontrolle Aktualisierung/ Fortschreibung Dokumentation Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch psychische Belastungen bei der Arbeit. ( 5 / Abs 3 ArbSchG)

12 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? Merkmalsbereiche Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe Arbeitsorganisation soziale Beziehungen Arbeitsumgebung Belastungsfaktoren Vollständigkeit der Aufgabe Handlungsspielraum Variabilität (Abwechslungsreichtum) Information/Informationsangebot Verantwortung Qualifikation emotionale Inanspruchnahme Arbeitszeit Arbeitsablauf (Zeitdruck/hohe Arbeitsintensität, häufige Störungen/Unterbrechungen, Taktbindung) Kommunikation/Kooperation zu Kollegen zu Vorgesetzten physikalische und chemische Faktoren physische Faktoren Arbeitsplatz- und Informationsgestaltung Arbeitsmittel Quelle: Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie

13 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? tätigkeitsübergreifend relevante Faktoren Arbeitsintensität Handlungsspielraum soziale Unterstützung Arbeitszeit Bild: INQA Praxishandbuch Gute Büroarbeit Grundlagen: GDA-Leitlinie; vorliegende Forschungsergebnisse

14 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 1. Festlegen von Tätigkeiten/Bereichen Überblick verschaffen über Tätigkeiten und Arbeitsbereiche im Unternehmen Bestimmung von Einheiten mit gleichartigen Arbeitsbedingungen mögliche Einheiten: Arbeitsplatz-, Tätigkeits- oder Berufsgruppe (z.b. Sachbearbeitung, Führungskräfte, ambulanter Pflegebereich etc.) Arbeits- oder Organisationsbereich (z.b. Standorte, Lager, Außendienst, Fachgruppen etc.) 14

15 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 2. Ermittlung psychischer Belastung der Arbeit I. Bestandsaufnahme Was wissen wir schon über die psychische Belastung in den gewählten Tätigkeitsgruppen und/oder Arbeitsbereichen? II. Auswahl von Vorgehensweisen je nach spezifischen Gegebenheiten, Erfahrungen und Kompetenzen im Betrieb Mitarbeiterbefragung Beobachtung/Beobachtungsinterview moderierte Analyseworkshops III. Auswahl von Instrumenten Vorgehensweise (Befragung, Beobachtung, Workshop) betrieblichen Gegebenheiten (z.b. Betriebsgröße, Tätigkeitsbereiche, Branche) Art der Arbeitsanforderungen/Belastungsfaktoren

16 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 3. Beurteilung psychischer Belastung der Arbeit Beurteilung, ob angesichts der ermittelten psychischen Belastung Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind Mögliche Verfahrensweisen Nutzung von Instrumenten, die Kriterien oder Schwellenwerte für gesundheitlich relevante Ausprägungen der psychischen Belastung enthalten Nutzung von empirischen Vergleichswerten aus der Berufsgruppe oder aus Betrieben/Bereichen mit vergleichbaren Arbeitsbedingungen Beurteilung im Workshop unter Beteiligung von Beschäftigten, Führungskräften, Interessenvertretung und fachkundigen Experten Anforderung: Beurteilung muss nachvollziehbar und sachlich begründet sein

17 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 4. Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen Maßnahmen müssen aus den Ergebnissen der Beurteilung abgeleitet und nachvollziehbar begründet sein. Bekämpfung von Gefährdungen an ihrer Quelle; individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Umsetzung erforderlicher Maßnahmen sollte zeitnah beginnen. Bei mehreren Problemfeldern: Prioritäten setzen und Problemfelder nacheinander angehen. Auswirkungen von Maßnahmen auf andere Arbeitsbereiche berücksichtigen; Verschiebungen von Belastungsproblemen vermeiden

18 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 5. Wirksamkeitskontrolle Beurteilung, ob sich die psychische Belastungssituation nach Umsetzung der Maßnahmen in der gewünschten Weise verändert hat oder nicht Mögliche Vorgehensweisen Workshops mit den betroffenen Beschäftigten und Führungskräften mündliche Nachfragen im Rahmen einer Begehung des betroffenen Bereiches schriftliche Kurzbefragungen der Beschäftigten und Führungskräfte im betroffenen Arbeitsbereich Fällt die Wirksamkeitskontrolle negativ aus, sind weitergehende oder andere Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen!

19 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? 6. Aktualisierung/Fortschreibung Die Gefährdungsbeurteilung muss auf die aktuellen Gegebenheiten bezogen sein. Die Aktualität sollte in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Anlässe für eine Aktualisierung können u.a. sein: Veränderungen der Arbeitsbedingungen, bspw. durch Restrukturierung, Reorganisationen oder nach Anschaffung neuer Maschinen oder Produktionsausrüstungen auffällige Häufungen von Fluktuation, Beschwerden, Gesundheitsbeeinträchtigungen u.a., die auf Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit hindeuten neue arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse oder Arbeitsschutzvorschriften

20 Gefährdungsbeurteilung: Welche Empfehlungen zu Umsetzung gibt es? Dokumentation Beurteilung der Gefährdungen Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einschließlich Terminen und Verantwortlichen Durchführung der Maßnahmen Überprüfung der Wirksamkeit Datum der Erstellung

21 Zusammenfassung & Ausblick psychische Belastung gibt es immer, hat jedoch im Wandel der Arbeit zugenommen seit 2005/2006 kaum Veränderungen, aber z.t. weiter auf hohem Niveau muss gestaltet werden Gefährdungsbeurteilung viele Betriebe (insbes. KMU) bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung noch am Anfang wachsendes Interesse am Thema, steigende Nachfrage nach Informationen und Beratung Weitere Aktivitäten (Weiter-)Entwicklung von Handlungshilfen im Rahmen des Arbeitsprogramms Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie Forschungsprojekt der BAuA zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der betrieblichen Praxis, mit Fokus auf KMU

22 Weiterführende Informationen Fachbuch Hinweise auf Veranstaltungen und Informationen zum Thema Zum Download: Empfehlungen der GDA-Träger Beschreibung wichtiger psychischer Belastungsfaktoren Kontaktadressen zu Unfallversicherungsträgern, Arbeitsschutzbehörden, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften Kap. 1: Psychische Belastung als Gegenstand der GFB Kap. 2: Durchführung der GFB psychischer Belastung Kap. 3: Planung und Organisation GFB psychischer Belastung Infoteil: Beschreibung psych. Belastungsfaktoren Instrumentenporträts (beispielhaft) Handlungshilfen, Ansprechpartner

23 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Fachgruppe 3.5: Psychische Belastung Nöldnerstraße D Berlin