Gruppenspezifische Kommunikation Jugendsprache als Symptom für Verständigungsprobleme zwischen den Generationen?
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- Albert Maus
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1 Ruhr-Universität Bochum Germanistisches Institut WS 2013/2014 Hauptseminar: Formen des Substandards Dozentin: Prof. Dr. Karin Pittner Gruppenspezifische Kommunikation Jugendsprache als Symptom für Verständigungsprobleme zwischen den Generationen? Janna Bachorz B. A. Germanistik, Päd. 4. Fachsemester Matrikelnr Lindemannstr Dortmund
2 Inhaltsverzeichnis 1 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Einführung Mündliche Kommunikation innerhalb homogener Gruppen... 3 Jugendsprache Sprache im Alter Arbeitshypothese Empirische Untersuchung Methodik Durchführung Ergebnisse Fazit Literaturverzeichnis... 17
3 Einführung 2 1. Einführung Hauptbestandteil sozialer Interaktionen ist die menschliche Sprache. Über Sie können dem Interaktionspartner unter anderem Gefühle, Forderungen und Probleme vermittelt werden. Was würde eintreten, wenn die zwischenmenschliche Kommunikation in einer Gesellschaft selbst zu Problemen führen würde und welche möglichen Ursachen könnte dieses Phänomen haben? Die folgende Ausführung soll diese Problemstellung unter dem Aspekt der Soziolinguistik untersuchen und erläutern, inwiefern bestimmte Sprachvarietäten, die altersspezifisch auftreten können, zu Verständigungsproblemen zwischen den verschiedenen Generationen führen können. Daß unterschiedliche Lebensalter, jedenfalls heute, weithin große Unterschiede in ihrer Sprache aufweisen ist offensichtlich. (vgl. Berroth 2001: 20) Wirken sich diese Differenzen jedoch negativ auf eine Verständnissicherung in sozialen Interaktionen aus oder sind unterschiedliche sprachliche Ausdrucksweisen zwischen den Generationen nicht signifikant? Mittels einer Fragebogenerhebung, die mit Jugendlichen und sowohl auch mit Erwachsenen gehobenen Alters durchgeführt wurde, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur semantischen Deutung von wertenden Adjektiven befragt. Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf den wertenden Adjektiven, da diese durch ihre wertende Funktion eine besondere semantische Intensität ausstrahlen und sich so im speziellen für die Herausarbeitung von Deutungsunterschieden eignen. Die soziolektischen Gruppen Jugendliche und Erwachsene wurden für die stichprobenartige Erhebung ausgewählt, da sie im Gegensatz zu anderen Gruppen, die sich der Varietät des Soziolektes zuordnen lassen, auf Grund ihrer Gruppengröße eine hohe Repräsentativität darbieten. Die Arbeit wird sich somit ausschließlich auf das Phänomen der gruppenspezifischen Kommunikation und eine soziolinguistische Erklärungsweise dieser beziehen. Zunächst soll jedoch eine Wissensgrundlage geschaffen werden und in den folgenden Kapiteln dargestellt werden, wie sich mündliche Kommunikation als Gruppenphänomen auswirkt, welche sprachlichen Normen die jeweiligen Gruppeprofile prägen und welche möglichen Gründe es dafür gibt.
4 Mündliche Kommunikation innerhalb homogener Gruppen 3 2. Mündliche Kommunikation innerhalb homogener Gruppen Innerhalb einer Gesellschaft existieren unzählige in sich homogene Gruppen, die gemeinsame Ziele und Werte verfolgen und so ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Individuen fühlen sich dann in eine Gruppe integriert, wenn sie in die Aktivitäten als auch die Werte einer Gruppe miteinbezogen werden, sich selber als ein Mitglied definieren, aber auch von anderen als ein Mitglied angenommen werden. (vgl. Labov 1976: 256ff.) Da Interaktionen im menschlichen Zusammenleben einen bedeutenden Standpunkt einnehmen, muss innerhalb einer Gruppe ebenfalls der Aspekt der Kommunikation eine gewisse Homogenität aufweisen. Intragruppen-Kommunikation kann beispielsweise durch gemeinsame Sprechstile, Themenpräferenzen oder häufig einheitliche verwendete Lexik gekennzeichnet sein. (vgl. Neuland 2008: 72) Die folgenden Unterkapitel sollen diese spezifischen Aspekte in Bezug auf die jeweilige betreffende Gruppe erläutern und im Anschluss eine komparatistische Darstellungsweise ermöglichen. Jugendsprache Der Begriff der Jugendsprache wird im Folgenden unter Berücksichtigung von Individuen der Altersstufen von der Pubertät bis hin zur Adoleszenz reichend verwendet. Jugendsprache manifestiert sich überwiegend in der gesprochenen Sprache. (vgl. Ehmann 1992a: 52) Aus diesem Grund wird, wenn in dieser Ausführung von Jugendsprache oder Sprache von Individuen gehobenen Alters gesprochen wird, allein die mündliche Kommunikation dieser Gruppen in Betracht genommen. Die Sprache Jugendlicher hat wie andere Soziolekte auch die Funktion, sich von anderen Sprachen und somit von anderen in sich homogenen Gruppen abzugrenzen. Sie bedienen sich somit einem Mittel zur sozialen Positionierung. Der Drang der Erreichung einer sozialen Distinktion sei laut Kallmeyer bei Jugendlichen im besonderen Maße ausgeprägt und der Jugendliche strebe somit eine Identifikation mit seiner eigenen innerräumlichen Lebenswelt an. (vgl. Kallmeyer 2000: 266.ff.) Um eine soziale Distinktion, eine Abgrenzung von der Erwachsenenwelt auch auf sprachlicher Ebene,
5 Mündliche Kommunikation innerhalb homogener Gruppen 4 gewährleisten zu können, muss ein schneller sprachlicher Wandel innerhalb der Gruppe durchlebt werden. Somit können jugendsprachliche Ausdrücke räumlich und zeitlich gebunden sein. Jugendsprachliche Varianten entstehen auf Grund ihrer Funktion standardsprachliche oder traditionelle und anderen Gruppen bekannte Ausdrücke ersetzen oder verfremden zu können und somit eine eigene interne Norm zu schaffen. (vgl. Pörksen/ Weber 1982: 92f.) Es wird eine Distanz zu anderen Sprechern aufgebaut, die möglicherweise die gebrauchte Ausdrucksweise nicht verstehen können. Jugendsprache sei also ein immer fortwährendes Ausweich- und Überholmanöver. (Henne 1986: 208) 2.2 Sprache im Alter Der Begriff der Erwachsenensprache spiegelt nicht das passende Pendant zur Jugendsprache wieder. Denn Erwachsenensprache ist in wissenschaftlicher Literatur kaum wiederzufinden. Wahrscheinlich ist, dass dieser Terminus nur spärlich existiert, da davon ausgegangen werden kann, dass er oftmals synonym zur Standardsprache verwendet wird. (vgl. Kohrt/ Kucharczik 2003: 18) Aus diesem Grund wird in der folgenden Ausführung nicht von einer Erwachsenensprache die Rede sein, sondern vielmehr die Phrase Sprache im Alter als entsprechende Beschreibung verwendet. Während die Jugendsprache durch Innovationsfreude und Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet sei, schreibe man der Sprache der älteren Generationen Attribute wie beispielsweise Inflexibilität und Traditionsverbundenheit zu. (vgl. Berroth 2001: 20) Diese zugeschriebenen Attribute lassen sich treffend durch vorherrschende Stereotypen beschreiben. Stereotypisierung gegenüber der anderen Generation prägen nicht nur unsere sozialen Verhaltensweisen, sondern auch unsere Kommunikation. Vorurteile, die insbesondere bei Jugendlichen gegenüber der älteren Generation vorherrschen, wie beispielsweise Traditionsverbundenheit oder Eigennützigkeit bei der Gesprächsführung werden oftmals durch den Interaktionspartner implizit ausgedrückt und dem Gegenüber vermittelt. Somit wird ein Spannungsfeld aufgebaut. (vgl. Thimm 1996: 5) Ryan et al. entwickelten 1986 das
6 Mündliche Kommunikation innerhalb homogener Gruppen 5 communication predicament of aging model (Abb. 1), das davon ausgeht, dass ältere Menschen sich in ihrer Kommunikationsfähigkeit gegenüber der jüngeren Generation eingeschränkt fühlen und ihnen keine Möglichkeit zu Entfaltung gegeben wird. Die bereits vorhandenen Stereotypisierungen gegenüber der älteren Generation werden zur selbsterfüllenden Prophezeiung und wirken sich negativ auf das individuelle Selbstbild aus. (vgl. ebd.) Anhand des Modells wird deutlich, dass die Sprache der Jugend einen wesentlichen Einfluss auf die Kommunikationsweise älterer Menschen hat und ihr im Hinblick auf die zu untersuchende Arbeitshypothese die größere Bedeutung beigemessen werden kann. Abb. 1: communication predicament of aging model (nach eigener Darstellung)
7 Empirische Untersuchung Arbeitshypothese Es wäre zu einfach dargestellt, festzuhalten, dass Jugendsprache als ein Vehikel verwendet wird, eine soziale Distinktion zu erreichen und Sprache im Alter sich spezifisch auf Grund von ausgeprägter Stereotypisierung entwickelt und somit sprachliche Altersmerkmale zunehmen. Vorurteile sind nicht ausschließlich einseitig vorhanden. Nicht nur Jugendliche können Vorurteile gegenüber Kommunikationsweisen von Erwachsenen haben, sondern sie sind auch entgegengesetzt möglich. Jedoch gilt es zu berücksichtigen, dass die Schwierigkeit nicht dabei liegt, sich als Individuum der Gruppe Jugendlicher zuzuordnen, sondern sich der Gruppe der älteren Bevölkerungsschicht angehörig zu fühlen. Man ist gerne jung und innovativ. Ist man aber auch gerne alt und inflexibel? Jacob Grimm brachte die Beantwortung dieser Frage auf den Punkt, indem er sagte: während alle menschen alt zu werden wünschen, sie doch nicht alt sein wollen. (Grimm 1864: 194) Die beiden Varietäten erlangen also ein divergentes gesellschaftliches Prestige. Die Jugendsprache ist auf Grund ihrer schnellen sprachlichen Wandlung diejenige, die es in Zusammenhang mit der zu untersuchenden Fragestellung zu betrachten gilt. Der Einfluss der Jugendsprache auf mögliche Differenzen in Verständigung und Deutung scheint hier der Bedeutendere zu sein. Während die Jugendsprache immer innovativer und eigener wird, scheint sich dieser Aspekt negativ auf die Sprache der Älteren auszuwirken und somit eine gruppenübergreifende soziale Interaktion erschweren. 3. Empirische Untersuchung Das folgende Kapitel soll nun durch eine stichprobenartige Erhebung, die mittels eines Fragebogens durchgeführt wurde, darstellen ob und inwiefern Unterschiede in der Deutung von ausgewählten Adjektiven bei Jugendlichen und Erwachsenen auftreten. Die Literaturgrundlage und die Erhebung sollen retrospektiv dazu dienen, ein Urteil zu der Fragestellung treffen zu können, ob Jugendsprache als ein Symptom für generationenübergreifende Verständigungsprobleme angesehen werden kann.
8 Empirische Untersuchung Methodik Für die Erstellung des Fragebogens war eine vorherige Selektion von besonders prägnanten und wiederholt in jugendsprachlichen Umfeldern wahrgenommene Adjektive notwendig. Der Fokus liegt dabei auf insgesamt vier wertenden Begriffen. Es wurden die Adjektive geil und sexy ausgewählt, um vor allem eine Einschätzung über eine aufwertende oder abwertende Wirkung des jeweiligen Wortes geben zu können. Zu vermuten ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlich befragten Generationen diesbezüglich divergierende Bewertungen abgeben. Um eine Einordnung dieser beiden wertenden Adjektive vornehmen zu können, werden die Befragten darüberhinaus gebeten anzugeben, wie häufig sie jeweils im Alltag die Ausdrücke geil und sexy verwenden. Des Weiteren soll der Fragebogen Aufschluss darüber geben, wie das jeweilige Adjektiv gedeutet wird. Um im Vorfeld Hypothesen über mögliche Deutungsunterschiede aufstellen zu können, wurden beispielsweise bei dem Adjektiv geil die Bedeutungen seit Übernahme des Wortes in den deutschen Sprachgebrauch herausgearbeitet. (Abb. 2)
9 Empirische Untersuchung 8 Als geil bezeichnete man im Althochdeutschen noch extrem wuchernde oder zu stark gedüngte Pflanzen. Aus einem ursprünglich landwirtschaftlichen Begriff wurde im Mittelhochdeutschen ein Adjektiv, das sich auf menschliche Charaktereigenschaften bezieht und bedeutete etwa übermütig oder fröhlich. (vgl. Keller/ Kirschbaum 2003: 2) Darauffolgend durchlief das Wort einen Wandel und wurde zu einem Tabuwort, das sich ausschließlich auf einen sexuellen Bereich beschränkte. (vgl. ebd.) Angenommen werden kann, dass durch eine häufige Verwendung von geil das Adjektiv seinen Tabugehalt verliert und Jugendlichen mittlerweile als ein besonders expressiver Ausdruck der Begeisterung und Wertschätzung zu dienen scheint. (vgl. ebd.) Interessant ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Aspekt des Tabuwortes. Nehmen Jugendliche und Sprecher gehobenen Alters das Adjektiv geil gleichermaßen als ein Wort wahr, das keinen Tabugehalt besitzt, oder sind doch Unterschiede zu erkennen? Das wertende Adjektiv sexy wurde ebenfalls aus den o.g. Motiven für die Befragung ausgewählt. Es soll herausgestellt werden, ob angenommen werden kann, dass erwachsene Sprecher den Begriff als lasziv oder obszön einstufen
10 Empirische Untersuchung 9 würden und Jugendliche es eher als eine Art Bestätigung eines hübschen Äußeren empfinden. (Abb. 3) Auch bei diesem Adjektiv, sowie bei den darauffolgenden Adjektiven scheiße und korrekt wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten eine Angabe über die Häufigkeit der Verwendung zu machen. Zu dem Adjektiv scheiße sollten die Befragten darüberhinaus eine Aussage treffen, ob ihre Deutung einem unangemessenen und abwertenden Schimpfwort entspricht, oder sie es synonym zu eher banalen Begriffen wie beispielsweise sehr schlecht oder ärgerlich verwenden würden. Desgleichen ist anzunehmen, dass auch hier altersbedingt unterschiedliche Angaben gemacht werden. (Abb. 4)
11 Empirische Untersuchung 10 Entgegen der anderen wertenden Adjektive stammt das zum Schluss verwendete Adjektiv korrekt nicht aus dem sexuellen oder fäkalen Bereich. (Abb. 5) Laut Duden bedeutet es einwandfrei oder bestimmten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Es gilt mittels der Befragung herauszufinden, ob sich die Hypothese bestätigt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jüngeren Alters korrekt synonym zu Begriffen wie super oder cool verwenden würden und dem Adjektiv somit eine andere Bedeutung zumessen, als die Befragten gehobenen Alters.
12 Empirische Untersuchung Durchführung Durchgeführt wurde die Erhebung mit jeweils fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern jugendlichen und erwachsenen Alters. Die Stichprobengröße betrug somit n=10. Die Probanden stammen insgesamt aus einem ähnlichen Umfeld, sodass keine anderen möglichen Einflüsse, wie beispielsweise Migrationshintergründe gegeben waren. Der Fragebogen wurde an Schülerinnen und Schüler der achten bis zehnten Klasse eines Dortmunder Gymnasiums, sowie an Erwachsene in der Altersspanne von 65 bis 70 Jahren verteilt. Vor dem Verteilen des auszufüllenden Fragebogens wurden die Probanden gebeten die Beantwortung der Fragen nicht auf ihren jeweiligen bildungssprachlichen Gebrauch zu beziehen, sondern auf ihr Kommunikationsverhalten im Alltag mit Freunden. Die Fragebögen wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unabhängig voneinander ausgefüllt und es bestand somit keine Beeinflussung seitens der anderen Teilnehmer. 3.3 Ergebnisse Die Auswertung der Fragebögen erfolgte, indem die Ergebnisse beider Gruppen in Jugendliche und Erwachsene aufgeteilt wurden. Zu der jeweiligen Fragestellung der Adjektive wurde im Anschluss zwecks einer überschaubareren Datenübersicht absolute Häufigkeit der einzelnen Kategorien notiert. Erwähnenswert sind zunächst die deutlichen Differenzen in der Verwendung der wertenden Adjektive. Die drei aus dem fäkalen bzw. sexuell stammenden Bereich werden überwiegend von Jugendlichen verwendet. Während alle fünf Probanden jugendlichen Alters angaben, die Begriffe sexy und geil regelmäßig zu benutzen, gaben die Erwachsenen an, diese nie zu gebrauchen. Gründe dafür waren oftmals eine empfundene despektierliche Wirkung. Bei dem Adjektiv scheiße gab immerhin einer von fünf erwachsenen Sprechern an, es regelmäßig zu verwenden. Argumente der anderen Probanden
13 Empirische Untersuchung 12 dieser Gruppe für einen Nichtgebrauch waren Äußerungen wie beispielsweise: Ich finde man sollte sich auch beim Fluchen beherrschen können und ich gebrauche lieber Sätze wie: solch ein Mist, das ist aber ärgerlich. oder auch scheiße sagt man nicht. Ich spreche es nur aus, wenn ich alleine bin und mir niemand zuhört. Konträr zu dieser Wertung, scheint die Einschätzung der Jugendlichen zu diesem Adjektiv zu sein. Alle fünf Probanden gaben an es oft zu gebrauchen. Hingegen ließen sich bei der Auswertung des Adjektivs korrekt keine signifikanten Unterschiede in den Angaben der Häufigkeit feststellen. Alle zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an es oft oder manchmal zu verwenden. Die für die Ausarbeitung am bedeutsamsten Aspekte sind die der semantischen Deutung der Probanden. Auch in dieser Kategorie sind für die jeweiligen Adjektive deutliche Abweichung im Vergleich zur entgegengesetzten Gruppe erkennbar. Während die Tendenz der Sprecher gehobenen Alters dazu ging wertende Adjektive aus dem Bereich des Sexuellen auch als solche einzustufen und sie als attraktiv oder sexuell aufreizend gesehen wurden, empfanden die Jugendlichen überwiegend eine gemilderte semantische Deutung. Sie verwenden beispielsweise geil synonym zu etwas ausgesprochen Gutem oder sexy wenn sie finden, dass eine Person ein hübsches Äußeres hat. Die Einschätzung über eine Auf- oder Abwertung war innerhalb der jeweiligen Gruppe sehr heterogen. Jugendliche gaben an beide Adjektive der sexuellen Kategorie als Aufwertung einer Person oder eines Gegenstandes zu sehen, also pointiert gesagt seihen beide Begriffe positiv konnotiert. Alle fünf befragten Erwachsenen sprachen sexy und geil eine abwertende und obszöne Wirkung zu. Wie im vorherigen Kapitel dieser Ausführung die Hypothese angeführt wurde, bestätigte sich ebenfalls das Ergebnis, dass die jüngeren Probanden das Adjektiv scheiße nicht als ein Schimpfwort kategorisieren, sondern es vielmehr im alltäglichen Gebrauch synonym zu Begriffen verwenden wie beispielsweise sehr schlecht oder ärgerlich. Diese Deutung ist kontradiktorisch zu den Resultaten, der Auswertung der Fragebögen der erwachsenen Probanden. Das von beiden Gruppen im Verhältnis gesehen
14 Fazit 13 gleichermaßen konstant verbal geäußerte Adjektiv korrekt wies ebenfalls evidente Deutungsunterschiede auf. Retrospektiv kann festgehalten werden, dass die Vorannahmen bezüglich der Ergebnisse der Fragebogenerhebung bestätigt werden konnten und signifikante Unterschiede in der Deutung der o.g. wertenden Adjektive zwischen den Gruppen Jugendlicher und Erwachsener auftreten. Diese Aussage kann trotz der geringen Verwendung der Adjektive seitens der Erwachsenen getätigt werden, da sich dieses Phänomen erst durch die Resultate der Erhebung ursächlich erklären lassen. Genauer formuliert, ist die wahrgenommene Abwertung Auslöser für den Nichtgebrauch im Alltag der erwachsenen Sprecher. 4. Fazit Dass die Jugendsprache die bedeutungsvollere und einflussreichere Varietät unter Berücksichtigung der zu bearbeitenden Fragestellung ist, dürfte durch die Aufarbeitung von Literatur und die Durchführung der Erhebung deutlich geworden sein. Pointiert lässt sich festhalten, dass die Sprache der Erwachsenen die konservativere ist, die nicht gerade durch Innovationsfreude gekennzeichnet ist. Jugendsprachliche Varianten sind erheblich schnelllebiger und das nicht zu Letzt auf Grund ihrer Funktion eine soziale Distinktion zu erreichen. Eine völlige soziale Distinktion kann nur gegeben sein, wenn immer nach einer Aufrechterhaltung dieser gestrebt wird und sprachliche Veränderungen durchlaufen werden. Jugendsprachliche Varianten sind nur so lange jugendsprachlich, wie sie nicht Soziolekt übergreifend verwendet werden. Dem gegenüber steht die Kommunikationsweise der älteren Bevölkerungsgruppe. Ältere Sprecher neigen dazu auf stereotype Erfahrungen, die Jugendliche in Interaktion mit älteren Menschen erfahren können, so zu reagieren, dass sie sich in ihrer Möglichkeit zur Kommunikation eingeschränkt fühlen. Dies schlägt sich nicht nur negativ auf das persönliche Selbstbild nieder, sondern kann auch dazu führen, dass die ursprünglich nur stereotype Erfahrung zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird und alterstypische Merkmale im
15 Fazit 14 Kommunikationsverhalten tatsächlich angenommen werden. (Abb. 1) Das communication predicament of aging model verdeutlicht ebenfalls, dass nicht die Sprache der älteren Bevölkerungsschicht die einflussreichere Varietät zu sein scheint. Die aus der Literatur erarbeiteten Argumente, lassen sich auf eine ähnliche Weise auf die Resultate der Fragebogenerhebung übertragen. Das die befragten Erwachsenen in einem Alter von 65 bis 70 Jahren angaben, Adjektive wie sexy, geil und scheiße als unangemessen oder gar degradierend zu empfinden, scheint nicht verwunderlich, wenn bekannt ist, dass ihrer Sprache Attribute wie Konservativität und Inflexibilität zugeschrieben werden. Auf der anderen Seite zeigten die Ergebnisse, dass die Jugendlichen diese Adjektive in ihren alltäglichen Sprachgebrauch etabliert haben und somit, in den Augen der älteren Probanden, ein sogenanntes Tabuwort verwenden. Je weniger ein Ausdruck von einem Sprecher verwendet wird, eine desto expressivere Wirkung hat dieser. (vgl. Keller/ Kirchbaum 2003: 2f.) Die befragten Erwachsenen, die angaben die o.g. wertenden Adjektive nie zu verwenden, empfinden also den Gebrauch dieser Adjektive von Jugendlichen als Tabubruch und expressiven Ausdruck. (vgl. ebd.) Demgegenüber steht die Gruppe der Jugendlichen, die den Begriff geil sehr häufig verwendet und ihm eine ähnliche Bedeutung wie cool oder gut zuschreibt. Er verliert also durch eine häufige Verwendung an Tabugehalt. Denn Frequenz ist der natürliche Feind von Expressivität. (ebd.) Eine expressive Wirkung in ihrer Ausdrucksweise wird in der Jugendsprache also erlangt, in dem immer wieder neue Begriffe in die alltägliche Kommunikation von Jugendlichen eingefügt werden. Durch die Schnelllebigkeit der jugendsprachlichen Ausdrucksweise und die sich immer wieder anpassenden internen Normen werden Jugendliche in ihrer Kommunikationsweise innerhalb ihrer homogenen Gruppe bestärkt. Denn wer besonders expressive Ausdrücke verwendet, kommt gut an. (ebd.: 3) Lässt sich nun zusammenfassend sagen, dass Jugendsprache immer als eine Abgrenzung der Erwachsenenwelt verstanden werden kann und hier die Ursache für mögliche Verständigungsprobleme in unserer Gesellschaft liegt? Für die Beantwortung dieser Fragestellung ist es unzureichend ausschließlich eine soziolinguistische Perspektive einzunehmen. Nicht allein die Sprache der
16 Fazit 15 Jugend kann für vorherrschende Deutungsunterschiede zur Verantwortung gezogen werden. Deutungsunterschiede meint immer, dass Interaktionspartner einem Wort eine unterschiedliche Bedeutung beimessen und es so zu einem Verständigungsproblem kommen kann. Um diesen Aspekt nachvollziehen zu können, bedarf es einer näheren Erläuterung der Bedeutung von Bedeutung. Keller hat dies in seiner Ausführung Bedeutungswandel zutreffend beschrieben. Er sieht zwei Möglichkeiten den Begriff Bedeutung zu beschreiben. Eine Option sei die repräsentationistische und die andere die instrumentalistische. (vgl. Keller/ Kirchbaum 2003:4) Man könne einerseits einen Ausdruck so verstehen, wofür er technisch gesprochen stehe, also was er repräsentiere oder man könne auf der anderen Seite den Aspekt eines Ausdrucks als dessen Bedeutung betrachten, der ihn interpretierbar macht. (ebd.) Letzte wäre dann laut Keller die instrumentalisitische Option. Eine Bedeutung hat also etwas mit Vorstellungen zu tun, die während des Kommunizierens ausgelöst werden. Vorstellungen bilden sich bei Gesprächspartnern ganz unterschiedlich aus. Deutlich geworden scheint zu sein, dass die Variable Alter einen gewissen Einfluss auf die individuelle Vorstellung hat. Jedoch können Vorstellungen auch durch Variablen wie beispielsweise soziale Herkunft, Bildungsschicht, Lebenserfahrung etc. beeinflusst werden. Gruppenspezifische Kommunikationsweisen können also nicht allein als ein Symptom für Differenzen in sprachlicher Deutung verantwortlich gemacht werden. Da eine Berücksichtigung aller einflussnehmende Variablen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich erscheint, kann die folgende Einschätzung nur unter Bezugnahme auf die in der Arbeit untersuchte Variable Alter getroffen werden. Intragruppen-Kommunikation ist geprägt durch gemeinsame Ziele und Werte und eine Gruppe modifiziert somit die verbale Ausdrucksweise. Indem ein Individuum eine bestimmte Rolle einnimmt, werden bestimmte Rollenerwartungen an ihn gestellt, die sich auch in Form von einer speziellen Sprechweise oder in Form von Verwendung bestimmter Lexeme niederschlagen kann. Individuen sind jedoch nicht immer ausschließlich einer für sie bestimmten Rolle angehörig. Vielmehr ist es die Aufgabe eines jeden Menschen verschiedene Rollen annehmen zu können und zwischen ihnen zu wechseln.
17 Fazit 16 Beispielsweise kann ein Jugendlicher in seiner Peergroup, die Rolle als Jugendlicher einnehmen und kommuniziert in diesem Umfeld mittels jugendsprachlicher Ausdrücke. Würde dieser Jugendliche exakt die selbe Kommunikationsweise in seiner Rolle als Enkelsohn wählen, würde dies vermutlich beiderseits zu großen Irritationen führen. Individuen fügen sich ihren Rollenerwartungen und können somit ganz verschiedene soziale Positionen einnehmen. (vgl. Dahrendorf 2006: 34f.) Für die gruppenübergreifende zwischenmenschliche Kommunikation würde dies bedeuten, dass sich Jugendliche als auch Erwachsene gelernt haben zwischen verschiedenen verbalen Ausdrucksweisen je nach Rolle wählen zu können. Dies soll nun anhand eines Beispiels aus der durchgeführten Erhebung näher erläutert werden, um den Aspekt der wertenden Adjektive nicht außer Acht zu lassen. Zu vermuten ist, dass ein Jugendlicher der achten bis zehnten Klasse sich darüber bewusst ist, dass dem Adjektiv korrekt, bei dem er angegeben hatte es im Alltag synonym zu super oder cool zu verwenden, ursprünglich die Bedeutungen adäquat oder angemessen beigemessen werden. Je nach sozialer Rolle hätte der Jugendliche also die Möglichkeit zu wählen, wann er korrekt im Sinne von cool verwendet und wann im Sinne von angemessen. Um eine abschließende Einschätzung zu der Fragestellung Jugendsprache als Symptom für Verständigungsprobleme zwischen den Generationen? zu geben, lässt sich sagen, dass trotz sprachlicher Differenzen, die sich sowohl aus der Aufarbeitung von Literatur, als auch aus der Fragebogenerhebung erkennen lassen, nicht behauptet werden kann, dass dieses Phänomen zu signifikanten Verständigungsproblemen führen kann. Dank der Kommunikation, die auch über die eigene Peergroup hinaus führt, haben Individuen gelernt sich situationsgemäß zu verhalten, sich anzupassen und somit hat jeder verschiedene Rollen inne.
18 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Berroth, Daniela (2001). Altersbedingter Mundartgebrauch. Stuttgart: Steiner. Dahrendorf, Ralf (2006). Homo sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle. Wiesbaden: VS Verlag. Ehmann, Herrman (1992a). Jugendsprache und Dialekt. Opladen: Westdeutscher Verlag. Grimm, Jacob (1864). Rede über das Alter. In: Grimm, Jacob. Kleinere Schriften. Bd. 1. Berlin: Dümmler, Henne, Helmut (1986). Jugend und ihre Sprache: Darstellung, Materialien, Kiritk. Berlin/New York: de Gruyter. Kallmeyer, Werner (2000). Sprachvariation und Soziostilistik. In: Häcki Buhofer, Annelies (Hrsg.) 2000, Keller, Rudi & Kirschbaum, Ilja (2003). Bedeutungswandel. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter. Kohrt, Manfred & Kucharczik, Kerstin (2003). `Sprache` - unter Besonderer Berücksichtigung von Jugend und Alter. In: Fiehler, Reinhard/ Thimm, Caja (Hrsg.). Sprache und Kommunikation im Alter. 2003, Labov, William (1976). Sprache im sozialen Kontext. Beschreibung und Erklärung struktureller und sozialer Bedeutung von Sprachvariation. Band 1. Königsstein: Scriptor-Verlag. Neuland, Eva (2008). Jugendsprache. Tübingen/Basel: A. Francke. Pörksen, Uwe & Weber, Heinz (1984). Spricht die Jugend eine andere Sprache? Antworten auf die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom Jahr Heidelberg: Schneider. Thimm, Caja (1996). Alter, Sprache, Kommunikation: Plädoyer für eine Gerontologische Linguistik. In: Institut für Deutsche Sprache, Sprachreport 1/1996, S. 4-6.
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