Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht
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- Sven Weiss
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1 Aktuelle Rechtsprechung zur Mitbestimmung des Betriebsrats Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht Frankfurt am Main - 2. Februar 2017 Stephanie Rachor Richterin am Bundesarbeitsgericht
2 Übersicht I. Soziale Angelegenheiten II. Personelle Einzelmaßnahmen III. Wirtschaftliche Angelegenheiten IV. Beschlussverfahren
3 I. Soziale Angelegenheiten Nachweispflichten bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit Keine Zuständigkeit des GBR BAG ABR 43/14 NZA 2016, Eine Regelung zu Nachweispflichten von Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterliegt der Mitbestimmung nach 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (betriebliches Ordnungsverhalten). - Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats wird nicht durch das vom Arbeitgeber bekundete Interesse an einheitlichen Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter begründet. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen sind bei der Prüfung der gesetzlichen Zuständigkeit eines Gesamtbetriebsrats unbeachtlich. Es muss vielmehr ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung bestehen. Ein solches kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Davon ist etwa auszugehen, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme oder Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist. Hier unterlag jedoch sowohl das Ob als auch das Wie der zwingenden Mitbestimmung.
4 I. Soziale Angelegenheiten Mitbestimmung bei Überwachungseinrichtung (keine) Zuständigkeit des KBR BAG ABR 68/13 NZA 2016, Für die im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen zu einem Fremdarbeitgeber entsandten Arbeitnehmer, die einer in dessen Betrieb eingerichteten Überwachungseinrichtung unterliegen, sind - auch im Konzernverbund deren Vertragsarbeitgeber und dessen Betriebsrat zuständig. - Grund: Der Betrieb isd. 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nicht räumlich auf die Betriebsstätte beschränkt, sondern funktional zu verstehen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitnehmer zur Verrichtung ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit auf Anweisung des Arbeitgebers in den Betrieb eines anderen Arbeitgebers begeben, in dem ihre Leistung oder ihr Verhalten durch eine dort befindliche technische Überwachungseinrichtung aufgezeichnet wird.
5 I. Soziale Angelegenheiten Mitbestimmung bei Facebook-Auftritt des Arbeitgebers BAG ABR 7/15 PM 64/16 - Ermöglicht der Arbeitgeber auf seiner Facebook-Seite für andere Facebook-Nutzer die Veröffentlichung von sogenannten Besucher- Beiträgen (Postings), die sich nach ihrem Inhalt auf das Verhalten oder die Leistung einzelner Beschäftigter beziehen, unterliegt die Ausgestaltung dieser Funktion der Mitbestimmung des Betriebsrats nach 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (technische Überwachungseinrichtung).
6 I. Soziale Angelegenheiten Anders: Mitbestimmung wegen Schutzkleidung bei Arbeitnehmerüberlassung BAG ABR 25/14 NZA 2016, 1420 Leitsatz: - Der Betriebsrat eines Verleiherbetriebs hat regelmäßig kein Mitbestimmungsrecht nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Gesundheitsschutz aufgrund öffentlich-rechtlicher Rahmenvorschrift) für Regelungen über die Anforderungen an eine Schutzkleidung, die der Entleiher bei ihm tätigen Leiharbeitnehmern aufgrund öffentlichrechtlicher Arbeitsschutzbestimmungen bereitzustellen hat. Grund: Die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in Bezug auf Leiharbeitnehmer bestimmt sich nach dem Gegenstand des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht des jeweiligen Arbeitgebers (vgl. dazu hier 11 Abs. 6 Satz 1 AÜG).
7 I. Soziale Angelegenheiten Mitbestimmung bei betrieblichem Eingliederungsmanagement (bem) BAG ABR 14/14 NZA 2016, Dem Betriebsrat steht nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Initiativrecht für die Ausgestaltung des Klärungsprozesses nach 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durch generelle Verfahrensregelungen zu. - Durch einen Spruch der Einigungsstelle kann das Verfahren nach 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX jedoch nicht auf ein Gremium übertragen werden, das aus Mitgliedern besteht, die Arbeitgeber und Betriebsrat jeweils benennen (sog. Integrationsteam). - Vom Mitbestimmungsrecht nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht erfasst ist ferner eine sich anschließende Umsetzung konkreter Maßnahmen des Klärungsprozesses nach 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. - Dem Betriebsrat steht nach 87 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 7 BetrVG auch kein Mitbestimmungsrecht zu, den Arbeitgeber zu verpflichten, sämtliche betriebsangehörigen Arbeitnehmer über das bem zu informieren.
8 II. Personelle Einzelmaßnahmen Eingliederung von Fremdpersonal Aufhebungsantrag nach 101 Satz 1 BetrVG BAG ABR 57/14 - Allein der Einsatz von Beschäftigten, die aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags ihres Vertragsarbeitgebers auf dem Betriebsgelände eines anderen Arbeitgebers tätig sind, führt noch nicht zu deren Eingliederung. Dies ist auch dann nicht der Fall, wenn die von ihnen zu erbringenden Dienst- oder Werkleistungen hinsichtlich Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den betrieblichen Arbeitsprozess eingeplant sind. - Auch die Erteilung von Anweisungen führt nicht zwingend zur Annahme einer Eingliederung. Auch ein Werkbesteller kann, wie sich aus 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. - Handelt es sich bei einem Einsatz von Fremdpersonal nicht um eine Einstellung, weil keine Eingliederung in den Betrieb vorliegt, bedarf es hierzu keiner Zustimmung des Betriebsrats nach 99 Abs. 1 BetrVG.
9 II. Personelle Einzelmaßnahmen Eingliederung von Fremdpersonal Aufhebungsantrag nach 101 Satz 1 BetrVG BAG ABR 57/14 - Hier: Arbeitgeberin war bezüglich der im Bereich Pforte eingesetzten Beschäftigten der (konzernangehörigen) Servicegesellschaft nicht weisungsbefugt betreffend deren Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit einschließlich der Gestaltung des Dienst- und Urlaubsplans. - Die tatsächlichen Weisungen von Arbeitnehmern der Arbeitgeberin an die Beschäftigten der Servicegesellschaft gingen nicht über das hinaus, was der Werkbesteller dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen für die Ausführungen der geschuldeten Leistung an Weisungen erteilen darf.
10 II. Personelle Einzelmaßnahmen Ein- und Umgruppierung Maßgebliche Vergütungsordnung in tarifpluralem Betrieb BAG ABR 15/14 NZA 2017, 74 - Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Zwar handelt es sich bei tariflichen Vergütungsregelungen nicht um Betriebsnormen isv. 3 Abs. 2 TVG, die unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer maßgeblich sind, sondern um Inhaltsnormen, die nach 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend nur zwischen dem Arbeitgeber und den tarifgebundenen Arbeitnehmern gelten. Der tarifgebundene Arbeitgeber ist dennoch betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. Dieses Verständnis geben die Funktion des Tarifvorbehalts in 87 Abs. 1 BetrVG sowie der Normzweck des 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor.
11 II. Personelle Einzelmaßnahmen Ein- und Umgruppierung Maßgebliche Vergütungsordnung im tarifpluralen Betrieb BAG ABR 15/14 NZA 2017, 74 - Ist der Arbeitgeber an zwei tarifliche Vergütungsordnungen gebunden, die zu einer Tarifpluralität führen (hier Volksbank an Tarifverträge mit ver.di und DBV), werden seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten durch das Bestehen zweier, unabhängig voneinander geltenden Entgeltsysteme erweitert. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn 4a TVG gemäß 13 Abs. 3 TVG schon deshalb nicht anzuwenden ist, weil - wie vorliegend - der anderenfalls verdrängte Tarifvertrag am 10. Juli 2015 bereits galt. Der Arbeitgeber ist dann grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitnehmer unter Beteiligung des Betriebsrats den Entgeltgruppen der beiden betriebsverfassungsrechtlich geltenden Vergütungsordnungen zuzuordnen.
12 II. Personelle Einzelmaßnahmen Ein- und Umgruppierung Maßgebliche Vergütungsordnung im tarifpluralen Betrieb BAG ABR 15/14 NZA 2017, 74 - Endet die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags aufgrund seiner Kündigung, bleiben die im Betrieb geltenden Grundsätze der betreffenden tariflichen Vergütungsordnung auch nach Eintritt der Nachwirkung isd. 4 Abs. 5 TVG ein für den Betrieb maßgebliches kollektives Entgeltschema. - Eine betriebliche Vergütungsordnung, die auf einem nachwirkenden Tarifvertrag beruht, wird weder durch den Abschluss von Tarifverträgen mit einer anderen Gewerkschaft abgelöst noch durch das Günstigkeitsprinzip des 4 Abs. 3 TVG verdrängt.
13 II. Personelle Einzelmaßnahmen (Freiwillige) Erweiterung der Mitbestimmung bei Versetzung BAG ABR 22/14 BB 2017, 58 Leitsätze: - Die Betriebsparteien können durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung vereinbaren, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung isd. 99 Abs. 1 BetrVG nicht auf die gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe des 99 Abs. 2 BetrVG beschränkt ist. - Die Betriebsparteien sind nicht befugt, den Betriebsrat von seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Nennung konkreter Zustimmungsverweigerungsgründe freizustellen (Grund: Anderenfalls könnten die Betriebsparteien ihrer Regelungsmacht entzogene Auswirkungen auf den Streitgegenstand eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens mitregeln).
14 III. Wirtschaftliche Angelegenheiten Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle Betriebsänderung durch Einführung eines Systems zur Analyse und kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsabläufe? BAG ABR 12/14 NZA 2016, 894 Leitsatz: - Wird in einem Betrieb ein System eingeführt, das die Strukturierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsprozessen sowie deren Rationalisierung zum Ziel hat, kann das mit einer Betriebsänderung isv. 111 BetrVG einhergehen. Es kommt aber auf die konkreten Maßnahmen und deren betriebliche Umsetzung an. Hier: Die durch das System zu ermittelnden Rationalisierungen oder Effektivierungen waren ergebnisoffen. Konkrete Umsetzungsergebnisse waren noch nicht absehbar.
15 IV. Beschlussverfahren Antragsbefugnis Überprüfung von Betriebsratsbeschlüssen BAG ABR 30/14 NZA 2016, 1350 Leitsatz: - Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht klären lassen, ob der jeweilige Leiter der Betriebsratssitzung das Abstimmungsverhalten anderer Betriebsratsmitglieder zutreffend gewürdigt und in der Folge die nach 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche Mehrheit der Stimmen richtig festgestellt hat. Hierfür fehlt ihnen die erforderliche Antragsbefugnis. Grund: Sie sind insoweit nicht Träger eigener Rechte. Der Betriebsrat handelt als Kollegialorgan. Die Beschlussfassung nach 33 Abs. 1 BetrVG dient seiner förmlichen internen Willensbildung. Ein bestimmtes Abstimmungsprozedere sieht das BetrVG nicht vor.
16 IV. Beschlussverfahren Sachentscheidung nicht ohne Antragstellung BAG ABR 26/14 NZA 2016, Auch in einem Beschlussverfahren ist der Antragsteller - im Gegensatz zu anderen Beteiligten - grundsätzlich gehalten, einen Antrag zu stellen. Der Prüfung und Entscheidung des Beschwerdegerichts unterliegen im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach 87 Abs. 2 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ivm. 528, 308 ZPO nur die Beschwerdeanträge. Der Beschluss des ersten Rechtszugs darf nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung beantragt ist. - Hier hatten die Beteiligten im Termin zur Anhörung vor der Beschwerdekammer nur die Sach- und Rechtslage erörtert und einen Widerrufsvergleich geschlossen. - Der Verstoß gegen 308 Abs. 1 ZPO (Bindung des Gerichts an die Parteianträge) kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nicht dadurch geheilt werden, dass die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt wird. Dies würde eine in der Rechtsbeschwerdeinstanz unzulässige Antragsänderung oder - erweiterung ermöglichen.
17 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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