14. Multidisziplinäre Fortbildung
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- Vincent Brodbeck
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1 14. Multidisziplinäre Fortbildung vom Facharzt für den Hausarzt, Gwatt b. Thun Der depressive Patient Was kann der Hausarzt tun? Dr. med. Joe Hättenschwiler Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich, ZADZ AG
2 Übersicht Einführung Update Behandlungsempfehlungen Schweiz Fallbeispiel Personalisierte Therapie Vorgehen bei fehlender Response Was bringt die nahe Zukunft Das Handout finden Sie auf:
3 Depression in der Hausarztpraxis 10-25% der Patienten mit depressiven Erkrankungen 70-90% der Depressionen durch Hausarzt behandelt Hausarzt und depressiver Patient Keine Schwellenangst Bestehendes Vertrauensverhältnis Keine Stigmatisierung Ganzheitliche Abklärung und Betreuung Möglichkeit zur Erkennung von Frühsymptomen Erreichbarkeit Depressive Symptome oft hinter unspezifischen Symptomen oder Schmerzsyndromen versteckt
4 Depression: steigende Relevanz (WHO 2004) Durch Krankheiten weltweit verlorene Lebensjahre in Millionen Hochrechnung der World Health Organisation (WHO): Burden of Disease 2030 der Industrieländer für 12-Monatsprävalenzen
5 Unipolare Depression - Facts Sehr häufige Erkrankung 12-Monats-Prävalenz von 7.5 bis 13% 1,2 Lebenszeitprävalenz bis 21% 3 Oft therapieresistent, rezidivierend, chronisch Langdauernde Episoden 33% haben eine Episodenlänge von über 2 Jahren = chronischer Verlauf (DSM-5: persistierende dep. Störung) Hohe Komorbidität mit psychischen u somatischen Erkrankungen Hohe Mortalität Suizidrate bei hospitalisierten Depressiven bis 15% Mortalität bei somatischen Erkrankungen 1 Narrow et al. Arch Gen Psychiatry 2002, 2 Henderson et al. 1993, Beekman et al, Kessler et al. Arch Gen Psychiatry, 2005
6 Depression = systemische Erkrankung Heutiges Verständnis: Depressionen sind chronische und systemische Erkrankungen!
7 Herausforderungen: Diagnose und Therapie? Depression erkennen Behandlung adäquat und konsequent Behandlungsempfehlungen beachten, weil: Eine Leitlinienbasierte Behandlung ist erfolgreicher als eine unstrukturierte Behandlung 1 1 Adli et al, J Clin Psychiatry 2002
8 Behandlungsempfehlungen der Schweiz. Gesellschaft für Angst und Depression SGAD, der SGBP und SGPP Schweiz Med Forum Teil: Die Akutbehandlung der depressiven Episoden 2. Teil: Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe Download:
9 Ziele einer antidepressiven Behandlung 1. Kurzfristiges Ziel: Akutbehandlung Remission Psychopathologisch Psychosoziale/berufliche Funktion 2. Mittelfristiges Ziel: Erhaltungstherapie Elimination von Residualsymptomen Rehabilitation auf das frühere Niveau Rückfallverhinderung 3. Langfristiges Ziel: Rezidivprophylaxe Verhinderung von neuen depressiven Episoden
10 Somatische Basisdiagnostik bei Depressionen Neuro- und internistischer Status Gewicht, BMI Blutdruck, Puls BSR, Blutbild, Elektrolyte Nüchtern-Blutzucker Leber- / Nierenwerte Schilddrüsenparameter Vitamin B12, D, Folsäure, Ferritin, (ev. TPHA) EKG, ggf. EEG, Bildgebung
11 Basis- und Verlaufstest BDI Beck Depressionsinventar Selbsttest Dauer ca. 5 Minuten Geeignet als Screeningund Verlaufskontrolle 0 8: Keine Depression 9 13: Minimale Depression 14 19: Leichte Depression 20 28: Mittelschw. Depression 29 63: Schwere Depression
12 Akut-Therapie der unipolaren Depression: Algorithmus CH-Behandlungsempfehlungen. Holsboer-Trachsler E. et al. Schweiz Med Forum 2016;16(35): Leichte Depression? Ja Aufklärung / Psychoedukation Mittelgradige / schwere Depression? Ja Aufklärung / Psychoedukation Ja Partizipative Entscheidung Ja Aktiv abwartende Begleitung (14 Tage) Anhaltende / verschlechterte Symptomatik? Partizipative Entscheidung Ja Ja Psychotherapie ODER Pharmakotherapie Monitoring (1x/W.) klinische Wirkungsprüfung n. 3-4 W. therapeutisches Drug-Monitoring und ABCB1-Gentest* n. 3-4 Wo. Psychotherapie ODER / UND Pharmakotherapie Besserung > 50% Besserung < 50% Ja Ja Fortsetzen der Therapie Therapieanpassung / Ergänzung (Augmentation) Monitoring alle 2-4 W. Ab dem 3. Mt. > 4 W. Monitoring alle 1-2 W. Wirkungsprüfung n. 3-4 W. * Die ABCB1-Diagnostik l Dr. med. Joe ist Hättenschwiler nur einmal im Leben erforderlich. Sie hilft die Behandlung mit AD auf den indiviuellen ABCB1-Genotyp abzustimmen.
13 Antidepressiva - Allgemeines Verschiedene Substanzklassen mit unterschiedlicher Pharmakologie und Wirkmechanismen Alle AD wirken mit Einschränkungen etwa gleich rasch und möglicherweise gleich stark Besserung erfolgt progressiv Spürbarer Effekt meistens nach 7-14 Tagen > 80% Responder: erste Besserung innerhalb 2-3 Wo. Spätere Ansprechrate gering (Stassen & Angst 2002) Responserate 60-70% Remissionsrate nur 30-40%
14 Antidepressiva Wirkmechanismen u Standarddosierungen Johanniskraut 5-20 Vortioxetin E. Holsboer-Trachsler et al. Schweiz Med Forum 2010 Update 2016;16(35): ;16(36)
15 Wirksamkeit von Antidepressiva Cipriani et al, The Lancet (522 RCT w/ pts) Alle Antidepressiva wirksamer als Placebo bei Erwachsenen mit Major Depression Efficacy Acceptability Cipriani et al, The Lancet 21. February 2018
16 Welches Antidepressivum? Wenig Evidenz über Auswahl und Effizienz Art der Depression (reduzierter vs gesteigerter Antrieb) Verträglichkeit NW-Profile: TZA vs neuere AD Interaktionen / Polypharmazie Sicherheit (Intoxikationsrisiko: Suizidalität, cave TZA) Frühere Wirksamkeit, Verträglichkeit, ev. bei Verwandten Wunsch des Patienten Individuelle Erfahrung der Ärztin Handhabbarkeit: TZA vs neuere AD Aufdosierung, Plasmaspiegel, EKG, Blutkontrollen Komorbiditäten (z.b. Zwangsstörung) Evidenz bei speziellen Depressionen
17 Erstbehandlung mit Antidepressiva Erste Wahl SSRIs Venlafaxin, Duloxetin Mirtazapin Bupropion Trazodon Moclobemid Agomelatin Johanniskraut (Hypericum perforatum) Wirkstoffe der Reserve Trizyklika Reboxetin irreversible MAO-Hemmer
18 Antidepressiva und kardiovaskuläre Toxizität SSRI und neuere AD haben insgesamt eine geringe kardiovaskuläre Toxizität aber: Dosisabhängiges Risiko für Verlängerung der QTc- Zeit bei: Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin Venlafaxin Mianserin, Mirtazapin Trazodon, Bupropion bei Dosierungen oberhalb der Standarddosierung EKG-Kontrollen
19 Beginn der antidepressiven Medikation Beginn mit niedriger Dosierung Unruhe, Angst und Insomnie konsequent behandeln Benzodiazepine, Hypnotika, atypische Antipsychotika Zügig gemäss Verträglichkeit aufdosieren Achtung: eine Pharmakotherapie erfordert eine regelmässige Überwachung verschiedener somatischer Parameter (Hämatologie, Leberwerte, Gewicht, Blutdruck, usw.)
20 Lichttherapie State of the Art Weisses Licht Lux effektiv Saisonale Depression Terman M, Terman JS. Light therapy for seasonal and nonseasonal depression: efficacy, protocol, safety, and side effects. CNS Spectr 10: ; quiz 672 Depressive Episoden bei Bipolar I Störungen Vai B, Benedetti F. Successful antidepressant chronotherapeutics enhance fronto-limbic neural responses and connectivity in bipolar depression. Psychiaty Res. 2015; 233(2): Unipolare, nicht saisonale Depression Even C, et al. Efficacy of light therapy in nonseasonal depression: a systematic review. J Affect Disord. 2008; 108(1-2): Bright white light therapy in depression: A Critical Review of the Evidence. J Affect Disord. 2015; 182: 1-7
21 Prävention depressiver Erkrankungen durch Sport Ausdauersport zeigt antidepressive Wirkungen Adjuvans im Gesamtkonzept einer antidepressiven Behandlung 1,2,3 Assoziation zwischen regelmässigem Ausdauersport und verminderten Raten von Depressivität und Ängstlichkeit 4,5 1. Cooney GM, et al., Exercise for depression. Cochrane Database Syst Rev 2013, (9):CD Rosenbaum S, et al., Physical activity interventions for people with mental illness: a systematic review and meta-analysis. J Clin Psychiatry 2014, 75: Zschucke E, Gaudlitz K, Ströhle A: Exercise and Physical Activity in Mental Disorders: Clinical and Experimental Evidence. J Prev Med Public Health. 2013; 46(Suppl 1): S12 S Goodwin RD: Association between physical activity and mental disorders among adults in the United States. Prev Med 2003, 36: Harvey SB, Hotopf M, Overland S et al.: Physical activity and common mental disorders. Br J Psychiatry 2010, 197:
22 Und wie weiter, wenn die eingeschlagene Therapie nicht wirkt? Fallbeispiel
23 Fallbeispiel Herr A. (I) 57-jähriger Projektmanager Vor 2 Jahren Burnout Seit 4 Mten depressive Verstimmung, progredient bis zur schwergradigen depressiven Episode ohne psychotische Symptome, teils stuporös Psychiatrische Hospitalisation über 12 Wochen Medikation: Citalopram 40mg ohne Response, dann Duloxetin bis 60mg und Mirtazapin 15mg mit Teilresponse. Austritt mit ausgeprägter Restsymptomatik und Nebenwirkungen (Müdigkeit, Unruhe, Obstipation, Heisshunger, Einschlafstörung)
24 Gründe für Non-Response / Therapieresistenz Psychiatrische Diagnose / Differenzialdiagnose Falsch oder unzureichend Z.B. unerkannte Bipolarität, unerkannte Komorbidität Somatische Komorbidität Gründe für Therapieresistenz Inadäquate Behandlung Dosierung zu niedrig Behandlungsdauer zu kurz oder zu lang Mangelnde Compliance Interaktionen, Pharmakogenetik (P450, ABCB1) Ungeeignetes Psychotherapieverfahren Anhaltende Psychosoziale Stressoren
25 Fallbeispiel Herr A. (II) Diagnose bei Eintritt ZADZ: Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, BDI = 30 Augmentation mit Quetiapin zur Nacht, Mirtazapin- Reduktion. Aufdosieren auf 90mg Duloxetin Geringe Response über 12 d bei gutem Plasmaspiegel Augmentation mit Lithium: Deutliche Response in 4 Tagen! Aufdosieren auf 0.8mmol/l Lithium Progressive Besserung über 5 Wochen, Remission BDI = 8 Erhaltungstherapie & Rückfallprävention Wiedereinstieg in Arbeit
26 Therapeutische Möglichkeiten bei teilweisem oder keinem Ansprechen auf die anfängliche Behandlung mit einem Antidepressivum bei depressiver Episode Teilweises oder kein Ansprechen auf eine 2- bis 4-wöchige Behandlung mit einer antidepressiven Medikation in adäquater Dosierung 1 ABCB1-Gentest* Optimierung der Behandlung (Dosiserhöhung) Kombination zweier Antidepressiva verschiedener Klassen 2,3 Augmentationsstrategien 1. Wahl: Lithium Andere: atypische Antipsychotika, Schilddrüsenhormon (T 3 ) Wechsel zu einem neuen Antidepressivum einer anderen oder derselben pharmakologischen Klasse 2,3 Angemessene zusätzliche Psychotherapie zu jedem Zeitpunkt während der Behandlung Erwägen einer EKT 4 zu jedem Zeitpunkt während der Behandlung 1 Teilweises Ansprechen (Partial Response): 26%-49% Abnahme der Schwere der depressiven Grundsymptomatik: kein Ansprechen; 25% Abnahme der Schwere der depressiven Grundsymptomatik 2 S. Tabelle 2 3 Vorsicht bei der Kombination mit irreversiblen MAO-Hemmern (s. Kapitel 3) 4 Für Indikationen s. Kapitel 5 * Die ABCB1-Diagnostik l Dr. med. ist Joe nur Hättenschwiler einmal im Leben erforderlich u. erlaubt es, die Behandlung mit mit Antidepressiva auf den individ. ABCB1-Genotyp abzustimmen. CH-Behandlungsempfehlungen 2010/2016
27 Personalisierte Therapie: Das ABCB1-Gen beeinflusst das Eindringen vieler Substanzen in das Gehirn Blut-Hirn-Schranke Antidepressivum Blutgefäss Zellinneres Wächtermolekül vom ABCB1-Gen kodiert Je effizienter das Wächtermolekül, desto ineffizienter die Therapie. Durch den ABCB1-Gentests lässt sich die Effizienz des Wächtermoleküls abschätzen. Genvariante 1: erleichterte Passage Genvariante 2: verminderte Passage Wächtermoleküle" = P-Glykoproteine verhindern den Eintritt vieler chemischer Substanzen in das Gehirn! Eine Vielzahl von Antidepressiva sind ABCB1-Substrate!
28 ABCB1-Genvarianten beeinflussen Eindringen von Antidepressiva in das Gehirn Einteilung von Antidepressiva in Substrate & Non-Substrate des P-GP Substrate am P-Glykoprotein Paroxetin Citalopram Escitalopram Venlafaxin Amitriptylin /Amitripylinoxid Nortriptylin Trimipramin Sertralin Vortioxetin Levomilnacipran Vilazodon Hypericum (Johanniskraut) Duloxetin (sehr schwaches Substrat) Non-Substrate am P-Glykoprotein Mirtazapin Fluoxetin Agomelatin Bupropion Lamotrigin F. Holsboer, B. Breitenstein, E. Holsboer-Trachsler: InFo Neurologie & Psychiatrie 2016
29 Vorteile des ABCB1-Tests / Verfügbarkeit Vorteile Personalisierte Therapie Schneller zum richtigen Medikament Effektivere Behandlung und höhere Remissionsrate Weniger Nebenwirkungen Einfache, einmalige Testung Gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis Verfügbarkeit in der Schweiz Labor Medica: Labor Viollier:
30 Wann ist ein Psychiater beizuzuziehen? Therapieresistenz, Chronifizierung Schwere Depression +/- psychotische Symptome Unklare Suizidalität Bipolare Depression Psychiatrische Komorbidität Depression bei Kindern und Jugendlichen Komplexe Pharmako- und Psychotherapie Starke Nebenwirkungen
31 Augmentationsbehandlung Definition: Augmentation Kombination eines Antidepressivums mit Substanzen, die selbst nicht primär antidepressiv wirken. Ziel: Wirkungsverstärkung des Antidepressivums Der «klassische» Augmentationspartner ist Lithium (ferner T3, atypische Antipsychotika)
32 Zusätzliche Möglichkeiten des Psychiaters Augmentation mit: Lithium (A) Thyroidhormone (T3) (B) Atypische Antipsychotika (A) Spezifische Psychotherapie (u.a. KVT) (A) Transkranielle Magnetstimulation (A) EKT (A) Ketamin?
33 Ketamin Ketamin wirkt direkt auf das Glutamat-System Ketamin ist Antagonist am ionotropen NMDA-Glutamatrezeptor Hat andere Eigenschaften als herkömmliche Antidepressiva Basiert nicht auf den Monoamin-Neurotransmitter-Systemen Schnellerer Wirkungseintritt (Stunden bis Tage) als herkömmliche AD Gute Studienresultate i.v. wie intranasal (R-Ketamin > S-Ketamin) Vorläufige Indikationen Therapieresistenz / chronische Depression Hohes Suizidrisiko Rascher Effekt wird mit hoher Wahrscheinlichkeit u.a. über neurotrophe Faktoren wie BDNF vermittelt NMDA = N-Methyl-D-Aspartat BDNF = Brain Derived Neurotrophic Factor
34 Take Home Message Depressionen haben eine hohe Prävalenz und sind oft rezidivierend Langzeitperspektive der Behandlung! Ziel der Depressionsbehandlung: stabile Remission AD in adäquater Dosierung und Dauer von 4-8 Wo Bei Teilresponse / Therapieresistenz Therapeutisches Drug-Monitoring Pharmakogenetik: ABCB1-Test Dosiserhöhung des AD Wechsel des AD (Non-Substrat) Augmentation mit Lithium, T3, atyp. Antipsychotika EKT, Transkranielle Magnetstimulation Neue Therapieoption Hoffnungsvolle Resultate für Ketamin CH-Behandlungsempfehlungen 2010/2016
35 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Fragen?
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