Multimorbidität und Niere Prof. Thomas Fehr
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- Herbert Kurzmann
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1 Multimorbidität und Niere Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
2 Was ist Multimorbidität? Definition Unter Multimorbidität versteht man das gleichzeitige Vorhandensein von zwei oder mehreren chronischen Erkrankungen in einer Person. Wallace, BMJ 2015 ;
3 Wo liegt das Problem? Limitationen der etablierten klinischen Lehre Fokus auf Einzelerkrankungen à keine multimorbiditätsorientierten Diagnose- und Behandlungsgrundsätze Interaktionen zwischen Krankheiten und Therapien ungenügend berücksichtigt Multimorbidität beinhaltet Polypharmazie à ebenfalls wenig erforscht Oft geriatrische Patienten betroffen, die üblicherweise von Studien ausgeschlossen werden. Typen von Interaktionen (Netzwerk Approach) Medication-Medication-Interactions Disease-Medication-Interactions Disease-Disease-Interactions
4 Gassmann / Battegay, Medicine 2017 Ein Beispiel Multimorbidity Interaction Severity Index (MISI)
5 und übertragen auf die Niere Disease-Disease Interactions Disease-Drug Interactions Drug-Drug Interactions Multimorbidität Krankheitsbedingte Nierenschäden Einfluss der NI auf Therapie und Prognose Medikamentös bedingte Nierenschäden Polypharmazie Chronische Niereninsuffizienz Veränderte Pharmakokinetik
6 Siebenhüner, PLOSone 2017 Pain multimorbidity cluster Wichtigste Ursachen chronischer Schmerzen
7 Siebenhüner, PLOSone 2017 Pain multimorbidity cluster Chronische Niereninsuffizienz ist Teil des häufigsten Schmerz- Clusters
8 Tonelli, JAMA open 2018 Patient complexity by speciality Population-based study, Alberta/Canada, 2.1 Mio patients
9 Topics ü Eingrenzung des Themas Was ist eigentlich eine normale Nierenfunktion? Definition der Niereninsuffizienz Niereninsuffizienz und Überleben Schmerzmedikamente und Niere Take home messages
10 Was ist eine normale Nierenfunktion? The Nijmegen Biomedical Study: Referenzwerte für die GFR Je ca 3000 kaukasische Männer und Frauen Altersverteilung Ausschluss Diabetes, Hypertonie, Niereninsuffizienz und CVD Wetzels, KI 2007
11 Definition chronische Niereninsuffizienz Glomeruläre Filtrationsrate < 60 ml/min/1.73m 2 für > 3 Monate ODER Hinweise für einen Nierenschaden für > 3 Monate Albuminurie (Mikro oder Makro) oder Proteinurie Persistierende Mikrohämaturie (nach Ausschluss urologischer Ursachen) Abnorme pathologische Befunde (Nierenbiopsie) Abnorme radiologische Befunde (Ultraschall, CT) à Diagnose: Kreatinin + Urin (Sediment, Albumin) + Sonographie
12 Chronische Niereninsuffizienz: Stadien Stadium (CKD) G1 G2 GFR > Endstadiumnierenversagen Niereninsuffizienz Normale Nierenfunktion Leicht G3 G4 a: b: Mittelschwer Schwer G5 < 15 CKD = chronic kidney disease GFR = glomeruläre Filtrationsrate (ml/min)
13 ACHTUNG: Gefahr der CKD overdiagnosis! Nijmegen Study: Altersabhängige Häufigkeitsverteilung einer GFR < 60 ml/min Wetzels, KI 2007
14 GFR und Mortalität Raymond, NDT 2007
15 CKD Prognosis Consortium, Lancet 2010; Astor, Kidney International 2011 Albuminurie und Mortalität Chronische Niereninsuffizienz und Albuminurie sind unabhängige Risikomarker für Tod und terminale Niereninsuffizienz
16 KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Kid Int 2013 Zweidimensionale Risikoabschätzung CKD G3b A2
17 Topics ü Eingrenzung des Themas ü Was ist eigentlich eine normale Nierenfunktion? Medikamente und Niere am Beispiel der Schmerztherapie Medikamentöse Nierenschäden Veränderte Pharmakokinetik Take home messages
18 WHO Stufenschema der Schmerztherapie Starke Opiate: Akkumulation bei NI, Tilidin, Tapentadol Schwache Opiate: Kaum renale Probleme NSAR, (Phenacetin): Nephrotoxizität
19 Pathophysiologie medikamentöser Nierenschäden 1. Dysregulation der glomerulären Hämodynamik 2. Nephrotoxizität im engeren Sinne (Tubuluszellschaden) 3. Entzündlicher Nierenschaden Tubulointerstitielle Nephritis Glomerulonephritis (seltener) 4. Vaskulopathie 5. Thrombotische Mikroangiopathie 6. Osmotische Nephrose 7. Intratubuläre Kristallbildung Cippà & Fehr, Hausarzt Praxis 2010
20 WHO Klasse 1: NSAR Hämodynamische Auswirkungen auf die Niere Konstriktion des Vas afferens à Reduktion der glomerulären Perfusion à klinisch: akutes prärenales Nierenversagen Salz- und Wasserretention, Hyperkaliämie Akute tubuläre Schädigung Akute Tubulusnekrose (ischämisch oder toxisch) à klinisch: akutes Nierenversagen Entzündliche Erkrankung der Niere Häufiger: tubulointerstitielle Nephritis à klinisch: subakutes Nierenversagen Seltener: Glomerulopathie in Form der Minimal-change Nephropathie à klinisch: nephrotisches Syndrom Brater, Sem Arthritis Rheum 2002
21 Cippà & Fehr, Hausarzt Praxis 2010 Dysregulation der glomerulären Hämodynamik Prostaglandine: Dilatation Vas afferens Angiotensin: Konstriktion Vas efferens Resultat: Stabilisierung der GFR über einen Blutdruckbereich von mm Hg Im Zustand der relativen Hypoperfusion führt die Gabe von Prostaglandinhemmern (NSAR) und RAS-Blockern zu einem akuten GFR-Abfall Resultat: Akutes Nierenversagen (funktionellàstrukturell)
22 Hinweise für die Praxis Welche PatientInnen sind gefährdet für ein akutes Nierenversagen durch Prostaglandinhemmer und ACE- Hemmer/ARB? Patienten mit Hypoperfusion der Nieren Hypovolämie (Dehydratation, Diuretika, Durchfall, Sepsis, Schock,...) Herzinsuffizienz, Leberinsuffizienz, nephrotisches Syndrom Vorbestehende Niereninsuffizienz Ein Wort zu ACE-Hemmern/ARBs in der Niereninsuffizienz Indiziert zur Nephroprotektion (V.a. bei Diabetes / hoher Proteinurie!) Kreatinin und Kalium 1-2 Wochen nach erster Gabe kontrollieren! Kreatininanstieg bis 25% tolerierbar Kombination mit Prostaglandinhemmern (NSAR!) VERMEIDEN!
23 Prototyp: Morphin WHO Klasse 3: starke Opioide Metabolisiert in der Leber zu Morphin-3-Glukuronid, Morphin-6- Glukuronid und Normorphin Alle Metaboliten werden renal ausgeschieden und akkumulieren in der Niereninsuffizienz Deshalb NICHT empfohlen bei Niereninsuffizienz, bzw nur mit substantieller Dosisanpassung (Table 1) Dean, J Pain Sympt Man 2004
24 Überblick über die wichtigsten starken Opioide Opiat Präparat Halbwertszeit Proteinbindung Clearance Empfohlen bei CKD Empfohlen bei Dialyse Morphin Oxycodon Morphin, MST Oxynorm, Oxycontin 2-4h 35% Renal Nein Nein (dialysierbar) 4.5h 45% Renal Nein Nein Tapentadol Palexia 4h 20% Vorwiegend renal Hydromorphon Palladon 2.6h 7.5% Vorwiegend hepatisch Ja, aber nur bis mittelschwere CKD Ja, Dosisanpassung bei GFR <10 Vorsicht (dialysierbar) Fentanyl Durogesic 20-27h 80% Hepatisch Ja Ja (aber nicht dialysierbar) Methadon Methadon 25h 89% Hepatisch Ja Ja (aber nicht dialysierbar) Dean, J Pain Sympt Man 2004; Arzneimittelinformation Swissmedic
25 Camartin, Merkblatt Schmerzbehandlung Innere Medizin KSGR, 2012 Schmerztherapie bei schwerer Niereninsuffizienz Empfehlungen aus dem Schmerzkonzept Innere Medizin KSGR Stufenschema bei fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min). Alternativen: Tapentadol, Methadon
26 Take home messages Die Nierenfunktion wird mit der errechneten GFR abgeschätzt. Physiologischer (Alters-bedingter) Abfall der GFR = 0.5 ml/y; CAVE: Überdiagnose CKD im Alter Die Prognoseabschätzung bei chronischer Niereninsuffizienz erfolgt zweidimensional: egfr und Albuminurie Schmerzen / chronische Niereninsuffizienz / Hypertonie ist einer der häufigsten Multimorbidity Clusters. Niere und Medikamente am Beispiel Schmerztherapie Nephrotoxizität von NSAR gehäuft bei intravasalem Volumenmangel bei aller Art vorbestehender Niereninsuffizienz Akkumulation von Opioiden bei Niereninsuffizienz; Opioide der Wahl sind deshalb: Fentanyl, Methadon, Hydromorphon (Dosishalbierung)
27 Danke! Fragen?
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