Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar. und des Azetabulums. Die letztgenannten
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1 Trauma Berufskrankh [Suppl 3]: DOI /s Online publiziert: 15. Mai 2014 Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 S.C. Becker J.H. Holstein M.F.R. Rollmann A. Pizanis T. Pohlemann Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar Beckenring- und Azetabulumverletzungen im Kindes- und Jugendalter Beckenring- und Azetabulumfrakturen bei Kindern und Jugendlichen stellen den behandelnden Arzt vor noch größere und vielfältigere Herausforderungen als es bei diesen Verletzungen schon beim Erwachsenen der Fall ist. Bei der Diagnostik und Therapie gilt es, zahlreiche anatomische und pathophysiologische Besonderheiten des noch nicht ausgewachsenen Skeletts zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind Beckenfrakturen bei Kindern primär stets als potenziell lebensbedrohliche Verletzungen einzustufen und erfordern somit ein strukturiertes Protokoll zur Entscheidungsfindung im Notfall. Epidemiologie Frakturen des Beckenskeletts im Kindesalter stellen seltene Verletzungen dar. Die Angaben zu ihrer Inzidenz schwanken für Beckenringfrakturen etwa zwischen 1,6 und 6,1% [5, 9, 19]. Im Beckenregister der AG (Arbeitsgemeinschaft) Becken der DGU (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) betreffen 2,1% aller erfassten Beckenverletzungen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, davon handelte es sich nur bei 6,3% um Frakturen des Azetabulums [10]. Insgesamt gesehen variieren die Angaben zum Anteil der Azetabulumfrakturen an den Beckenfrakturen im Kindesalter. Die prozentualen Anteile reichen je nach Publikation von <1% bis etwa 20% [1, 7]. Im eigenen Patientengut im Alter bis 16 Jahre fanden sich von Fälle von kindlichen Beckenfrakturen, darunter 3 Azetabulumfrakturen und 2 kombinierte Frakturen des Beckenrings und des Azetabulums. Die letztgenannten Kombinationsverletzungen sind literaturübergreifend nur in Einzelfällen beschrieben [9, 13, 19]. Die Letalität nach Beckenfrakturen liegt bei Kindern zwischen etwa 5 und 6% [19]. Hinsichtlich der Mortalität stellt das Kindes- oder Jugendalter nach derzeitiger Studienlage keinen unabhängigen Risikofaktor dar [9]. Es finden sich im Gegenteil Hinweise darauf, dass die Prognose nach Beckenfrakturen im Kindesalter wegen seltener vorliegenden Begleitverletzungen etwas besser ist als bei erwachsenen Patienten [5]. Anatomische und pathophysiologische Grundlagen Im Vergleich zum ausgewachsenen Skelett weist der kindliche Beckenring eine sehr hohe Elastizität auf. Diese Eigenschaft ist auf den hohen Knorpelanteil der Ringstruktur und die noch nicht vollständig gehärteten Knochenmatrix zurückzuführen [18]. Durch diese besondere Struktur des kindlichen Beckenrings sind wesentlich höhere Kräfte notwendig, um eine Fraktur zu erzeugen, als es beim Erwachsenen der Fall ist. Während am adulten Beckenring Kräfte ab etwa 3300 N in translatorischer Richtung zum Bruch des Knochens führen, reicht hierfür bis zum Alter von 12 Jahren auch eine Krafteinwirkung von 8000 N nicht aus [23]. Da der kindliche Beckenring selbst nach Eintritt einer Fraktur aufgrund seiner elastischen Struktur noch weiter Energie aufnehmen kann, bietet er wesentlich weniger Schutz für die inneren Organe als das Becken des Erwachsenen. Die klinische, aber auch radiologische Einschätzung eingetretener Verletzungen wird somit schwieriger, da erhebliche Organverletzungen auch ohne offensichtliche Instabilität und ohne erkennbare Frakturen vorhanden sein können [16]. Im Umkehrschluss bedeutet jede sichtbare Verletzung am kindlichen Beckenskelett, dass eine sehr große Kraft eingewirkt haben muss. So kann die isolierte Fraktur eines Schambeinasts, welche beim Erwachsenen als unkompliziert anzusehen ist, beim Kind durchaus mit schweren Organverletzungen vergesellschaftet sein! Liegen sogar mehrere Frakturen am kindlichen Beckenring vor, muss fast regelhaft mit intraabdominellen und pelvinen Begleitverletzungen gerechnet werden [2]. Durch diese besonderen Gegebenheiten ist es erklärlich, dass bei Kindern die Rate an Komplexverletzungen mit etwa 18% der Beckenfrakturen höher liegt als bei Erwachsenen mit etwa 10% [14]. Bei den nicht komplexen Beckenringfrakturen liegt hinsichtlich der Unterscheidung in stabile und instabile Frakturen eine etwa gleiche Verteilung wie bei Erwachsenen vor. Die Typ-A-Frakturen nach AO/OTA (AO: Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen, OTA: Orthopaedic Trauma Association ), welche als stabil zu klassifizieren sind, machen etwa 60% der Frakturen aus. Bei den restlichen 40% handelt es sich um instabile Typ-B- oder -C-Frakturen. Trauma und Berufskrankheit Supplement
2 Abb. 1 8 Verlauf nach Beckenringfraktur und übersehener Azetabulumfraktur bei einem 5-jährigen Patienten, a transiliakale Luxationsfraktur rechts und transpubische Instabilität links, b postoperative Aufnahme nach Schraubenosteosynthese des Os ilium und Kirschner-Draht-Osteosynthese des Os pubis, c Verlaufskontrolle 1 Jahr nach Implantatentfernung: physiologische Konfiguration des Beckenrings, Synostose am linken Azetabulum nach übersehener Fraktur Abb. 2 8 Apophysenausrisse am kindlichen Becken, a Spina iliaca anterior superior, b Spina iliaca anterior inferior, c Tuber ischiadicum, d Crista iliaca Im Hinblick auf das kindliche Azetabulum ist die besondere Situation zu beachten, dass es aus den 3 Knochen Os ischii, Os ilium und Os pubis besteht, welche über eine Y-förmige Wachstumsfuge verbunden sind. Diese kann im ersten Lebensjahr bis zu 1,5 cm breit sein und erschwert die radiologische Diagnose von Verletzungen deutlich [18]. Die Y-Fuge neigt nach Verletzung insbesondere in ihrem intrapelvinen Anteil zu einer starken Kallusbildung, die dann wiederum zu einer Wachstumsstörung im Sinne einer sekundären Dysplasie führen kann [22]. Diagnostische Methoden Bei der Untersuchung des potenziell verletzten kindlichen Beckens ist neben einer klinischen Stabilitätsprüfung ebenso wie beim Erwachsenen auf Wunden, Deformierung und Hämatome zu achten. Insbesondere sollten auch das Perineum und der Meatus urethrae inspiziert werden. Zum Ausschluss freier Flüssigkeit im Abdomen oder Retroperitoneum dient die Sonografie. Die Anfertigung einer a.-p. Röntgenaufnahme ist beim Verdacht auf eine Beckenverletzung auch beim Kind obligatorisch. Eine solche Aufnahme ist stets ohne Gonadenschutz durchzuführen, da selbst bei dessen korrekter Platzierung Verletzungen des vorderen Beckenrings verdeckt werden können! Zur weiteren Darstellung und Klassifizierung der Verletzung sowie zur Wahl der adäquaten Therapie können zusätzliche Röntgenaufnahmen notwendig werden. Zur Beurteilung von Beckenringfrakturen dienen Inlet- und Outlet-Einstellungen, das Azetabulum kann mit Hilfe von Ala- und Obturatoraufnahmen weiter charakterisiert werden. Reichen die genannten Spezialaufnahmen nicht aus, muss auch im Kindesoder Jugendalter eine Computertomografie (CT) zur Planung der Therapie herangezogen werden. Bei Azetabulumfrakturen im Kindesalter dient sie hauptsächlich dem Nachweis von osteochondralen Fragmenten, die auf konventionellen Aufnahmen nicht zwingend zu erkennen sind [8]. Die Magnetresonanztomografie (MRT) spielt insbesondere zur Diagnostik von Verletzungen der Wachstumsfugen und periartikulären Strukturen sowie der Bänder des hinteren Beckenrings eine Rolle [24]. Die Indikation zur Durchfüh- 306 Trauma und Berufskrankheit Supplement
3 Zusammenfassung Abstract rung einer MRT sollte großzügig gestellt werden [3]. Trauma Berufskrankh [Suppl 3]: Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 DOI /s Therapie Beckenringverletzungen Therapiewahl Die unmittelbare Notfallversorgung von kindlichen Beckenringfrakturen unterscheidet sich nicht wesentlich von den etablierten Protokollen zur Versorgung erwachsener Patienten [20]. Die Auswahl der Methode zur Stabilisierung des Beckenrings hängt wesentlich von der Lokalisation des Stabilitätsverlusts und der Kreislaufstabilität ab [15, 17]. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass Letztere beim Kind sehr plötzlich auftreten kann, weil Kompensationsmechanismen, anders als beim Erwachsenen, kaum vorhanden sind [12]. Das Erkennen einer komplexen Beckenverletzung mit entsprechenden peripelvinen Weichteilverletzungen und die Entscheidung zu einer adäquaten Notfalltherapie beeinflussen das Outcome entscheidend. Indikatoren für das Vorliegen einer Komplexverletzung sind mechanische Instabilität des Beckens und ein initialer Hb- Wert (Hämoglobinwert) von weniger als 8 g/dl [24]. Die Notfalltherapie muss hier sowohl die mechanische Stabilisierung durch einen Fixateur externe als auch die chirurgische Blutstillung durch eine extraperitoneale Tamponade umfassen. Grundsätzlich ergibt sich eine Operationsindikation auch bei nichtkomplexen Verletzungen, wenn eine klinische Instabilität bei nachgewiesener vorderer und hinterer Kontinuitätsunterbrechung des Beckenrings oder eine ausgeprägte Rotationsinstabilität vorliegen [17]. Auch stabile Beckenringfrakturen können einer operativen Therapie bedürfen, wenn durch stark dislozierte Fragmente, wie etwa einen sog. Schambeinstachel, die Gefahr einer Organ-, Gefäß- oder Hautperforation besteht [17]. Ebenso können bei sonstiger starker Fragmentdislokation (>2 cm) eine operative Reposition und Refixation notwendig werden [11]. Operative Behandlung Bei der operativen Therapie von Beckenverletzungen S.C. Becker J.H. Holstein M.F.R. Rollmann A. Pizanis T. Pohlemann Beckenring- und Azetabulumverletzungen muss der Schonung der Wachstumsfugen am Beckenskelett größte Bedeutung zugemessen werden. Ebenso ist darauf zu achten, dass Art und Größe der Implantate an das Alter und die Größe des Patienten anzupassen sind (. Abb. 1). Während bei Kindern ab 9 Jahren Symphysensprengungen analog zum Erwachsenen durch eine Plattenosteosynthese versorgt werden, reichen bei jüngeren Patienten in der Regel Nähte oder Cerclagen aus, um eine Zusammenfassung Ätiopathogenese. Beckenring- und Azetabulumfrakturen im Kindesalter sind selten. Aufgrund der hohen Elastizität des noch nicht vollständig verknöcherten Beckenskeletts sind große Kräfte notwendig, um sie hervorzurufen. Daher können bei Kindern auch bei fehlender knöcherner Verletzung lebensbedrohliche Organläsionen vorliegen. Diagnostik. Sie ist am kindlichen Becken wegen der knorpeligen Anteile deutlich erschwert. Eine relevante Anzahl von Frakturen wird deswegen verspätet oder gar nicht erkannt. Behandlung. Die Therapie kindlicher Beckenverletzungen muss sowohl bei konservativem als auch bei operativem Prozedere an die Gegebenheiten des noch nicht ausgewachsenen Skeletts angepasst werden. Besondere Bedeutung kommt der konsequenten Schonung der Wachstumsfugen zu. Bei der Therapie kindlicher Azetabulumfrakturen gilt ebenso wie beim Erwachsenen, dass eine anatomische Reposition angestrebt werden muss. Es darf nicht von einem erhöhten Korrekturpotenzial des wachsenden Skeletts ausgegangen werden. Outcome. Die Prognose nach Beckenringund Azetabulumfrakturen im Kindesalter ist insgesamt als gut zu bezeichnen, sofern die Verletzung frühzeitig erkannt und adäquat therapiert wird. Schlüsselwörter Becken Azetabulum Kindesalter Therapieerfolg Wachstumsfugen Pelvic ring and acetabulum injuries in children and adolescents Abstract Etiopathogenesis. Fractures of the pelvic ring and acetabulum in children and adolescents are rare injuries. Because of the high flexibility of the not yet completely ossified pelvic skeletal structure, high forces are necessary to cause a fracture. Thus, in children, life-threatening injuries to organs can occur without an obvious osseous lesion. Diagnostics. Because of the large and numerous cartilaginous areas, diagnostic procedures for the paediatric pelvic ring are much more demanding than in adults. Therefore, a relevant number of pelvic fractures in children are diagnosed with delay or not recognized at all. Therapy. The therapeutic procedures for both conservative and operative treatment have to be adapted to the special conditions in the not yet fully developed bone structure. In operative treatment, the consequent protection of the epiphyseal plates is of superior importance. Like in adults, anatomic reduction of acetabular fractures must be aspired when treating paediatric patients. A higher potential of correction of the still developing bone must not be expected in this anatomical region. Outcome. The outcome after pelvic ring and acetabular fractures in children and adolescents in general is good, provided that the injury is diagnosed early and is treated adequately. Keywords Pelvis Acetabulum Children Treatment outcome Growth plate suffiziente Stabilität zu erzielen. Transpubische Beckenringfrakturen werden bis zum Patientenalter von 8 Jahren durch Kirschner-Drähte stabilisiert. Gleiches gilt für rein transiliakale Instabilitäten. Ältere Kinder werden mit Fixateur externe oder Kriechschrauben bei transpubischen bzw. mit Platten- oder Schraubenosteosynthese bei transiliakalen Frakturen versorgt. Verletzungen des SI-Gelenks (SI: sakroiliakal) können bei Patienten, die älter als Trauma und Berufskrankheit Supplement
4 Tab. 1 Wahl des Osteosyntheseverfahrens je nach Lokalisation der Verletzung und Alter des Patienten Patientenalter/Verletzung <9 Jahre 9 bis 14 Jahre Symphysensprengung Naht/Cerclage Plattenosteosynthese Transpubische Fraktur Kirschner-Drähte Fixateur externe/kriechschraube Transiliakale Instabilität Kirschner-Drähte Schrauben/Platten Instabilität des SI-Gelenks H-Platten Anteriore SI-Platte SI sakroiliakal Tab. 2 Muskelansätze und -ursprünge am Beckenskelett Anatomische Struktur Crista iliaca Spina iliaca anterior superior Spina iliaca anterior inferior Tuber ischiadicum Muskelansatz/ -ursprung Bauchwandmuskulatur M. sartorius M. rectus femoris M. biceps femoris/ Adduktoren 9 Jahre sind, über konventionelle, von anterior eingebrachte SI-Platten stabilisiert werden. Bei jüngeren Kindern kommen entsprechend kleiner dimensionierte Implantate, wie etwa gitter- oder H-förmige Platten zum Einsatz (. Tab. 1). Bei Jugendlichen ab etwa 14 Jahren entspricht die operative Therapie von Beckenringfrakturen weitgehend den Prinzipien der Erwachsenenversorgung (. Abb. 3). Konservative Therapie Abrissfrakturen der Apophysen als Muskelansätze und -ursprünge am Becken (. Abb. 2,. Tab. 2) werden nur in Ausnahmefällen operativ behandelt [25]. Sie treten überwiegend bei sportlich aktiven Jugendlichen auf und werden in aller Regel durch kurzfristige Ruhigstellung, Muskelrelaxation und frühfunktionelle Weiterbehandlung therapiert. Auch die konservative Therapie von stabilen Beckenringfrakturen orientiert sich am Alter des Patienten, da eine Teilbelastung der verletzten Seite erst ab einem gewissen Alter umgesetzt werden kann. Kinder unter 6 Jahren können nach Eintreten der Schmerzfreiheit, in der Regel ab der 2. oder 3. Woche nach der Verletzung, schmerzadaptiert mobilisiert werden. Zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr wird eine Teilbelastung der verletzten Seite für etwa 4 Wochen empfohlen, ab einem Alter von 13 Jahren sollte sie wie beim Erwachsenen für 6 Wochen eingehalten werden [11, 15]. Azetabulumfrakturen Therapiewahl Die Vorgehensweise bei der Behandlung von kindlichen Azetabulumfrakturen orientiert sich am Dislokationsgrad der Fragmente sowie der Stabilität des Gelenks. Wie auch beim Erwachsenen sollte im Kindesalter stets eine anatomische Reposition einer Gelenkfraktur angestrebt werden. Eine Gelenkstufe von mehr als 2 mm ist nicht tolerierbar, da sie relevante Spätfolgen nach sich ziehen kann und potenziell eine Prädisposition zur Ausbildung einer Arthrose darstellt [4, 22]. Ein vermehrtes Korrekturpotenzial des wachsenden Skeletts darf am Azetabulum nicht vorausgesetzt werden! Die konservative Therapie ist somit ausschließlich Fissuren, vollkommen undislozierten Frakturen, kleinen knorpeligen Pfannenrandbrüchen sowie den Kompressionsverletzungen der Y-Fuge (sog. Crush-Verletzung) vorbehalten [22, 24]. Letztgenannte wird nicht selten erst im späteren Verlauf erkannt, wenn sie zur Entstehung einer posttraumatischen Dysplasie des wachsenden Beckenskeletts führt. Konservative Behandlung Im eigenen Vorgehen besteht sie bis etwa zum 6. Lebensjahr aus der Einhaltung von Bettruhe bis zur Schmerzfreiheit und anschließender beschwerdeadaptierter Mobilisation. Patienten im Alter zwischen 7 und 12 Jahren werden nach Abklingen der akuten Schmerzen unter Teilbelastung der betroffenen Extremität für 4 Wochen mobilisiert. Ab dem 13. Lebensjahr wird die Teilbelastung für 6 Wochen eingehalten. Radiologische Verlaufskontrollen erfolgen nach 2 und 6 Wochen sowie nach 1 Jahr. Die erste Kontrolle dient dabei dem Ausschluss von Dislokationen sowie dem Nachweis einer Periostreaktion zur Sicherung der Diagnose (. Abb. 4). Die Röntgenkontrolle nach 6 Wochen ist zur Bestätigung der zeitgerechten Heilung notwendig. In der Jahreskontrolle wird insbesondere auf Anzeichen für das Auftreten von Spätfolgen geachtet. Bei konservativer Behandlung ist eine engmaschige ärztliche Kontrolle über den gesamten Verlauf unerlässlich, um auftretende Komplikationen rechtzeitig zu erkennen. Auch undislozierte Frakturen im Kindesalter können zu funktionellen Einschränkungen führen [21]. Operative Behandlung Bei der operativen Therapie von Azetabulumfrakturen im Kindesalter sind erst ab einem Patientenalter von etwa 13 Jahren Verfahren anzuwenden, die weitgehend den Prinzipien bei der Versorgung von Erwachsenen entsprechen. Bei jüngeren Kindern müssen Operationstechnik und Implantatwahl angepasst werden, um eine größtmögliche Schonung der Wachstumsfugen bei der Refixation von Fragmenten gewährleisten zu können. Die Wahl des Zugangswegs orientiert sich wie beim Erwachsenen am Frakturtyp. Für Frakturen der vorderen Anteile des Azetabulums kommt hauptsächlich der ilioinguinale Zugang zur Anwendung [24]. Eine gute Repositionskontrolle ist durch einen Zugang über eine chirurgische Hüftluxation zu erreichen, welche eine komplette Einsicht in das Gelenk erlaubt [22]. Sie kann bei jüngeren Kindern zur Vermeidung von Wachstumsstörungen der Trochanterregion transglutäal oder ab einem Alter von etwa 9 Jahren durch den sog. Trochanterflipzugang erfolgen [6]. Zur Osteosynthese kommen im Kindesalter häufig Kirschner-Drähte oder Schrauben zum Einsatz (. Abb. 5). Auch größenadaptierte Rekonstruktionsplatten finden Verwendung. Knorpelige Verletzungen des Pfannenrands können ggf. durch transossäre Nähte refixiert werden. Größte Sorgfalt ist analog zur Osteosynthese beim Erwachsenen selbstverständ- 308 Trauma und Berufskrankheit Supplement
5 Abb. 3 8 Versorgung einer Beckenringfraktur Typ C beim 14-jährigen Patienten, a transpubische und transalare Instabilität rechts, b Versorgung gemäß den Prinzipien beim Erwachsenen mit Fixateur externe und Sakroiliakalschrauben lich darauf zu richten, dass die Implantate keinesfalls intraartikulär liegen dürfen. Die Nachbehandlung nach operativer Versorgung von Azetabulumfrakturen besteht im Wesentlichen aus der Einhaltung der gleichen Schonungszeiten wie bei der konservativen Therapie (s. oben). Nur bei sehr instabilen Frakturmodifikationen oder eingeschränkt möglicher Refixation wird eine Bettruhe von 2 bis 4 Wochen erforderlich. Bei sehr kleinen Kindern kann eine Mobilisation im Becken-Bein- Gips bis zum Abschluss der 4. postoperativen Woche in Betracht gezogen werden. Nicht selten sind die jungen Patienten wegen schwerwiegender Begleitverletzungen ohnehin länger immobilisiert [24]. Behandlungsergebnisse Abb. 4 9 Periostreaktion nach undislozierter Azetabulumfraktur bei einem 7-Jährigen Abb. 5 8 Operative Therapie einer Azetabulumfraktur im Alter von 7 Jahren, a Hinterwandfraktur mit Hüftluxation, b postoperative Röntgenkontrolle nach Schraubenosteosynthese Die Prognose von Beckenringfrakturen ist insgesamt als gut zu bezeichnen. Pseudarthrosen oder verbleibende sonstige Instabilitäten treten nur selten auf, die Mehrzahl der Verletzungen heilt folgenlos aus [11]. Beim komplexen Beckentrauma liegt die Komplikationsrate mit 31% jedoch deutlich höher. Hier stehen chronische Schmerzen, verbleibende Beinlängendifferenzen sowie Miktions- und Defäkationsstörungen im Vordergrund [14]. Die Prognose von kindlichen Azetabulumfrakturen wird hauptsächlich durch das mögliche Eintreten von posttraumatischen Dysplasien, Hüftkopfnekrosen, Arthrosen oder Beinlängendifferenzen bestimmt [24]. Es liegen nur wenige Angaben zur Langzeitprognose nach kindlichen Azetabulumfrakturen vor. Insgesamt ist sie analog zur Beckenringfraktur als gut zu bezeichnen, sofern die Verletzung erkannt und adäquat therapiert wurde (s. oben, [10, 22, 24]). Da insbesondere die sekundäre Dysplasie häufig nach initial nicht erkannten Frakturen auftritt, muss ihrer frühen Erkennung größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hierzu empfehlen die Autoren radiologische Verlaufskontrollen 14 Tage und 12 Monate nach einem stattgehabten Beckentrauma. Zeichen einer posttraumatischen Dysplasie sind: F Asymmetrie des Beckenrings bzw. Hypoplasie einer Beckenhälfte F Coxa parva oder magna Trauma und Berufskrankheit Supplement
6 F Subluxation des Femurkopfs nach lateral F Verbreiterung der Köhler-Tränenfigur F Gelenkinkongruenz F Verkleinerter Zentrum-Ecken-Winkel nach Wiberg F Wachstumsstörungen des proximalen Femurs Bei begründetem Verdacht sind weitere jährliche Verlaufskontrollen bis zum Wachstumsabschluss angezeigt [24]. Die Therapiemöglichkeiten und -indikationen orientieren sich an denen bei kongenitaler Hüftdysplasie. Fazit für die Praxis F Beckenring- und insbesondere Azetabulumfrakturen sind selten. F Das Becken des wachsenden Skeletts weist im Vergleich zum erwachsenen Knochen eine deutlich höhere Elastizität auf. Dadurch kann es zu schweren Organverletzungen ohne Fraktur kommen. F Häufig werden Verletzungen des Beckens übersehen oder hinsichtlich ihres Schweregrads falsch eingeschätzt. F Sowohl die konservative als auch die operative Therapie muss bei Kindern und jüngeren Jugendlichen an die geänderten Voraussetzungen am wachsenden Skelett angepasst werden. F Auch bei kindlichen Azetabulumfrakturen gilt das Prinzip der anatomischen Rekonstruktion. Es darf nicht von einer erhöhten Kompensationsfähigkeit des wachsenden Knochens ausgegangen werden. F Zum Erhalt und zur Verbesserung der Expertise bei der Behandlung kindlicher Beckenfrakturen sind multizentrische Untersuchungen ebenso wie die Etablierung und Pflege von Netzwerkstrukturen unbedingt erforderlich. Korrespondenzadresse Prof. Dr. T. Pohlemann Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Kirrberger Straße 100, Homburg/Saar Tim.Pohlemann@uks.eu Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. S.C. Becker, J.H. Holstein, M.F.R. Rollmann, A. Pizanis und T. Pohlemann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. The supplement containing this article is not sponsored by industry. Literatur 1. 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