Demographie und Pflege Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherung und Versorgung
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- Viktoria Meyer
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1 Demographie und Pflege Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherung und Versorgung Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung Demographischer Wandel Fakten, Prognosen, Herausforderungen und Chancen Prof. Dr. Heinz Rothgang Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) und Wissenschaftsschwerpunkt Gesundheit Universität Bremen
2 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen III. Pflegearrangements und Versorgungssituation IV. Finanzierung V. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 2
3 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen III. Pflegearrangements und Versorgungssituation IV. Finanzierung V. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 3
4 I. Lebenszeitprävalenz Nur 3% der Bevölkerung ist pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Prof. Dr. Heinz Rothgang 4
5 I. Lebenszeitprävalenz Nur 3% der Bevölkerung ist pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Bei der Altenbevölkerung liegt das Risiko bei 10-15% Prof. Dr. Heinz Rothgang 5
6 in % aller 2001 Verstorbenen I. Lebenszeitprävalenz Anteil der 2001 Verstorbenen, die jemals in ihrem Leben Pflegeleistungen bezogen haben Nur 3% der Bevölkerung ist pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Bei der Altenbevölkerung (65+) liegt das Risiko bei gut 10% Aber: Die Hälfte aller 2001 Verstorbenen hat im Laufe des Lebens Pflege erhalten Männer Frauen BARMER GEK Pflegereport 2011: 137 Prof. Dr. Heinz Rothgang 6
7 I. Lebenszeitprävalenz Nur 3% der Bevölkerung ist pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Bei der Altenbevölkerung (65+) liegt das Risiko bei gut 10% Aber: Die Hälfte aller Verstorbenen 2001 hat im Laufe des Lebens Pflege erhalten Die Lebenszeitprävalenz nimmt noch weiter zu (im Zeitraum ): von 41% auf 50% (Männer) von 65% auf 72% (Frauen) BARMER GEK Pflegereport 2011: 137 Prof. Dr. Heinz Rothgang 7
8 I. Lebenszeitprävalenzen steigen weiter Prof. Dr. Heinz Rothgang 8
9 I. Lebenszeitprävalenzen steigen weiter Jeder zweite Mann und drei von vier Frauen werden in ihrem Leben pflegebedürftig Prof. Dr. Heinz Rothgang 9
10 I. Lebenszeitprävalenzen steigen weiter Jeder zweite Mann und drei von vier Frauen werden in ihrem Leben pflegebedürftig Pflegebedürftigkeit ist kein Restrisiko, sondern ein allgemeines Lebensrisiko und muss dem entsprechend abgesichert werden Prof. Dr. Heinz Rothgang 10
11 I. Lebenszeitprävalenzen steigen weiter Jeder zweite Mann und drei von vier Frauen werden in ihrem Leben pflegebedürftig Pflegebedürftigkeit ist kein Restrisiko, sondern ein allgemeines Lebensrisiko und muss dem entsprechend abgesichert werden Neben den Pflegebedürftigen gibt es noch jeweils eine gleich große Zahl Hilfebedürftiger unterhalb der SGB XI- Schwelle Prof. Dr. Heinz Rothgang 11
12 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen 1. Methodik und Annahmen 2. Ergebnisse eigener Berechnungen 3. Ergebnisse der Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 4. Ergebnisse unter Berücksichtigung des Zensus 2011 III. Pflegearrangements und Versorgungssituation IV. Finanzierung V. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 12
13 II.1 Grundsätzliche Vorgehensweise bei Projektionen Modellierung der Zusammenhänge (allgemeines Modell) Numerische Berechnungen auf Basis dieses Modells Einfügen der aktuellsten Zahlen um Ausgangswert zu berechnen Kallibrierung, d.h. Korrekturfaktor um Ausgangswert zu treffen Berechnung der Entwicklung (Steigerungsraten) Anwendung der Steigerungsraten auf den Ausgangswert Sensitivitätsanalysen Kritische Parameter Parameter mit großem Einfluss Prof. Dr. Heinz Rothgang 13
14 II.1 Allgemeines Modell Determinanten des Beitragssatzes Leistungsdynamisierung in Abhängigkeit von der Beitragssatzentwicklung Familienund Haushalts strukturen GPV- Leistungen Alters- und geschlechtsspezifische Pflegehäufigkeiten Pflegeform Pflegestufe Durchschnittsausgaben / Fall Ausgaben der Pflegeversicherung Pflegebe dürftigkeits definition Zahl der GPV- Leistungs empfänger Demo graphische Entwicklung Rentenversicherung Beitrags satz Angebot an professioneller Pflege Arbeitsmarkt Regelungen zur Beitragspflicht Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einnahmen Prof. Dr. Heinz Rothgang 14
15 II.1 Ausgaben: Vorgehen (1/2) Zahl der zukünftigen Leistungsempfänger: o o o Ermittlung alters- und geschlechtsspezifischer Prävalenzen (Ist-Werte) Annahmen zur Prävalenzentwicklung Zusammenfügen mit demographischer Projektion N P. kl ijkl i j A ij mit i = 1, 2 Geschlecht j = 1,..., 100 Alter k = 1, 2, 3 Pflegeform (häusliche Pflege, vollstationäre Pflege in Altenpflegeeinrichtungen und in Behinderteneinrichtungen) l = 1, 2, 3 Pflegestufe. o N k l N kl Sensitivitätsanalysen mit unterschiedlichen demograph. Szenarien Prof. Dr. Heinz Rothgang 15
16 II.1 Ausgaben: Vorgehen (1/2) Zahl der zukünftigen Leistungsempfänger: o o o Ermittlung alters- und geschlechtsspezifischer Prävalenzen (Ist-Werte) Annahmen zur Prävalenzentwicklung Zusammenfügen mit demographischer Projektion N P. kl ijkl i j A ij mit i = 1, 2 Geschlecht j = 1,..., 100 Alter k = 1, 2, 3 Pflegeform (häusliche Pflege, vollstationäre Pflege in Altenpflegeeinrichtungen und in Behinderteneinrichtungen) l = 1, 2, 3 Pflegestufe. o N k l N kl Sensitivitätsanalysen mit unterschiedlichen demograph. Szenarien Prof. Dr. Heinz Rothgang 16
17 II.1 Ausgaben: Vorgehen (2/2) Ermittlung der Ausgaben pro Fall: o Differenziert nach Leistungsinanspruchnahme o Szenarien zur Leistungsinanspruchnahme Variation im Sinne von Sensitivitätsanalysen Plausible Annahmen wegen veränderter Determinanten Eigene Projektionen auf Basis von Mikrosimulation Multiplikation der Fallzahl mit den Ausgaben pro Fall In diesem Fall relevante (kritische) Größen: o Dynamisierungsregeln für SPV-Leistungen o Inanspruchnahmeverhalten Prof. Dr. Heinz Rothgang 17
18 III.2 Fallzahlentwicklung: Verschiedene Modellrechnungen Quelle: Bowles 2015 Prof. Dr. Heinz Rothgang 18
19 Pflegebedürftige in Mio. Anteil der PPV-Versicherten an allen Pflegebedürftigen III.2 Fallzahlentwicklung in SPV und PPV 4,5 4 3,5 PPV SPV Anteil PPV 18% 16% 14% 3 12% 2,5 10% 2 8% 1,5 6% 1 4% 0,5 2% 0 0% Jahr Quelle: Rothgang, Arnold et al Prof. Dr. Heinz Rothgang 19
20 II.3 Demographischer Wandel und Pflegebedürftigkeit (1/3) Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010 Prof. Dr. Heinz Rothgang 20
21 II.3 Demographischer Wandel und Pflegebedürftigkeit (2/3) Abbildung 30: Zeitreihe der Prävalenzen; Standardisiert auf die Bevölkerung Deutschlands des Jahres differenziert nach Pflegestufen 3,5% 3,0% 2,5% 2,0% 1,5% 1,0% 0,5% 0,0% von 40,2 Millionen von 41,8 Millionen von 82,0 Millionen Stufe III Stufe II Stufe I Männer Frauen Gesamt... differenziert nach Pflegearrangement 3,5% 3,0% 2,5% 2,0% 1,5% 1,0% 0,5% von 40,2 Millionen von 41,8 Millionen von 82,0 Millionen Pflegeunterbrechung/ Krankenhaus Vollstationäre Pflege Formell-ambulante Pflege Informelle Pflege Altersspezifische Pflegehäufigkeiten bleiben im Wesentlichen unverändert. Differenziert nach Pflegestufen: Anstieg der Prävalenzen in Stufe I Sinkende Prävalenzen in Stufe II und III Differenziert nach Pflegeform: Sinkende Prävalenz für informelle Pflege (insbes. Frauen) 0,0% Männer Frauen Gesamt Quelle: GEK-Routinedaten BARMER GEK Pflegereport 2011: 133 Prof. Dr. Heinz Rothgang 21
22 II.3 Demographischer Wandel und Pflegebedürftigkeit (3/3) Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010 Prof. Dr. Heinz Rothgang 22
23 II.4 Neue Berechnungen zur zukünftigen Zahl Pflegebedürftiger Quelle: Rothgang et al. 2015: BARMER GEK Pflegereport Prof. Dr. Heinz Rothgang 23
24 II.4 Neue Berechnungen zur zukünftigen Zahl Pflegebedürftiger Differenz 2060: 221 Tsd. davon 176 Tsd. Männer Quelle: Rothgang et al. 2015: BARMER GEK Pflegereport Prof. Dr. Heinz Rothgang 24
25 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen III. Pflegearrangements und Versorgungssituation 1. Entwicklung der Pflegearrangements 2. Methodik der Modellrechnung 3. Bedarf an Pflegekräften 4. Angebot an Pflegekräften 5. Versorgungslücke IV. Finanzierung V. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 25
26 III.1 Versorgungsarten Entwicklung bis heute 100% 90% 80% 70% 28,4% 29,6% 30,8% 31,8% 31,6% 30,7% 29,7% Anteil der reinen Pflegegeldbezieher ist rückläufig 60% 20,6% 21,3% 21,7% 22,2% 22,4% 23,7% 23,0% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 51,0% 49,1% 47,5% 46,1% 46,0% 45,6% 47,3% stationär Sach- und Kombileistung Pflegegeld Prof. Dr. Heinz Rothgang 26
27 III.1 Versorgungsarten Entwicklung bis heute 100% 90% 80% 70% 28,4% 29,6% 30,8% 31,8% 31,6% 30,7% 29,7% Anteil der reinen Pflegegeldbezieher ist rückläufig 60% 20,6% 21,3% 21,7% 22,2% 22,4% 23,7% 23,0% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 51,0% 49,1% 47,5% 46,1% 46,0% 45,6% 47,3% stationär Sach- und Kombileistung Pflegegeld Anteil der Heimpflege hat schon 2005 den Zenit erreicht Prof. Dr. Heinz Rothgang 27
28 III.1 Versorgungsarten Entwicklung bis heute 100% 90% 80% 28,4% 29,6% 30,8% 31,8% 31,6% 30,7% 29,7% 70% 60% 20,6% 21,3% 21,7% 22,2% 22,4% 23,7% 23,0% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 51,0% 49,1% 47,5% 46,1% 46,0% 45,6% 47,3% stationär Sach- und Kombileistung Pflegegeld Prof. Dr. Heinz Rothgang 28
29 III.1 Versorgungsarten Entwicklung bis heute 100% 90% 80% 28,4% 29,6% 30,8% 31,8% 31,6% 30,7% 29,7% 30,8 70% 60% 50% 20,6% 21,3% 21,7% 22,2% 22,4% 23,7% 23,0% 23,9 40% 30% 20% 10% 0% 2011: Übererfassung der Pflegegeldempfänger von 90 Tsd. Korrektur ergibt neue Werte Trends setzen sich fort 51,0% 49,1% 47,5% 46,1% 46,0% 45,6% 47,3% stationär Sach- und Kombileistung Pflegegeld ,3 Prof. Dr. Heinz Rothgang 29
30 III.1 Versorgungsarten - morgen Zwei Gründe für die Annahme eines weiterhin rückläufigen Anteils der Angehörigenpflege 1. Sinkendes familiales Pflegepotential Sinkende Zahl an Töchter/Schwiegertöchtern pro Pflegebedürftigem Steigende Kinderlosigkeit, rückläufige Kinderzahl Höhere Frauenerwerbsquote höhere Opportunitätskosten der Pflege Höherer Anteil von Einpersonenhaushalten mit geringem Pflegepotential Größere Mobilität Kinder wohnen an anderen Orten als Eltern Abnehmende Pflegebereitschaft Prof. Dr. Heinz Rothgang 30
31 III.1 Versorgungsarten - morgen 2. Altersstruktureffekt Niedriger Anteil der Angehörigenpflege bei Hochaltrigen Hoher Anteil der Heimpflege bei Hochaltrigen Erhöhung des Durchschnittsalters der Pflegebedürftigen führt zu steigender Heimquote Quote der Angehörigenpflege 2009 Quote der Heimpflege 2009 Insgesamt ist mit einem Trend zur formalen Pflege zu rechnen Prof. Dr. Heinz Rothgang 31
32 III.2 Methoden der Vorausberechnung (1/2) Zahl der Pflegebedürftigen Über Zeit konstante alters- und geschlechtsspezifische Pflegequoten gemäß der Daten des Statistischen Bundesamtes Bevölkerungsvorausberechnung gemäß Wegweiser Kommune der Bertelsmann-Stiftung Beschäftigte in der Pflege Arbeitskräfteangebot: über Zeit konstanter Anteil der Jährigen Arbeitskräftebedarf: über Zeit konstante Quoten von Beschäftigten / Pflegebedürftigen in ambulanter und stationärer Pflege Versorgungslücke: Differenz von Arbeitskräftebedarf und -angebot, gerechnet in Vollzeitäquivalenten Versorgungslücke bezieht sich auf die Lücke, die entsteht, wenn der gleiche Versorgungsgrad wie bisher beibehalten werden soll. Prof. Dr. Heinz Rothgang 32
33 III.2 Methoden der Vorausberechnung (2/2) Versorgungsarten Angehörigenpflege: Bezug von Pflegegeld, Ambulante Pflege: Pflegesachleistungen, Kombinationsleistung, Tages- und Nachtpflege Stationäre Pflege: Vollstationäre Dauerpflege, Kurzzeitpflege Szenarien: Szenario 1: Status quo-szenario Inanspruchnahme nach Alter und Geschlecht bleibt konstant Szenario 2: Formelle Pflege nimmt zu Trendextrapolation: Anteil der Angehörigenpflege reduziert sich jährlich um 1% des Vorjahreswertes, entsprechende Personenzahl wird zu gleichen Teilen auf ambulante und stationäre Pflege verteilt Szenario 3: Häusliche Pflege wird gestärkt Effekte der Umsteuerung sind (noch) nicht quantifizierbar Perspektivwechsel: Setzung von Nullwachstum bei Pflegeheimplätzen Prof. Dr. Heinz Rothgang 33
34 III.3 Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen Relative Zunahme der Zahl der Pflegebedürftigen zwischen 2009 und 2030 in Prozent Bremen 28,2 Hamburg 32,3 Saarland 34,0 Sachsen-Anhalt 40,3 Nordrhein-Westfalen 41,1 Rheinland-Pfalz 41,1 Hessen 43,1 Niedersachsen 45,3 Thüringen 46,2 Sachsen 46,5 Baden-Württemberg 53,6 Schleswig-Holstein 53,8 Bayern 53,8 Berlin 55,8 Mecklenburg-Vorpommern55,9 Brandenburg 72,2 Deutschland 47,4 47,4 Prof. Dr. Heinz Rothgang 34
35 III.3 Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen Kommunen mit besonders niedrigem Zuwachs (< 20%): Goslar, Osterode am Harz, Gelsenkirchen, Vogelsbergkreis, Hagen, Kassel, Bamberg, Coburg, Hof und Wunsiedel im Fichtelgebirge Kommunen mit besonders hohem Zuwachs (>90%): Fürstenfeldbruck, Erlangen-Höchstadt, Freising, Barning, Erding, Bad Doberan, Dachau, Ebersberg Landkreis München, Landkreis Oberhavel (> 100%) 10 der 16 Kommunen mit >80% stammen aus Bayern Gründe für die unterschiedliche Entwicklung: Demographische Struktur Kommunen mit hohem Zuwachs haben in der Regel heute eine junge Bevölkerung mit niedriger Pflegeprävalenz Kommunen mit niedrigem Zuwachs haben in der Regel heute eine ältere Bevölkerung mit hoher Pflegeprävalenz Prof. Dr. Heinz Rothgang 35
36 III.4 Arbeitskräfteangebot, -bedarf und Versorgungslücke Ambulanter Bereich Personalbedarf ambulant Szenario 1 Personalbedarf ambulant Szenario 2 Personalbedarf ambulant Szenario 3 Personalangebot ambulant Prof. Dr. Heinz Rothgang 36
37 III.4 Arbeitskräfteangebot, -bedarf und Versorgungslücke Stationärer Bereich Personalbedarf stationär Szenario 1 Personalbedarf stationär Szenario 2 Personalbedarf stationär Szenario 3 Personalangebot stationär Prof. Dr. Heinz Rothgang 37
38 III.5 Versorgungslücken im Jahr 2030 Szenario 1 Szenario 2 Szenario Tsd. 491 Tsd. 262 Tsd. Prof. Dr. Heinz Rothgang 39
39 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen III. Pflegearrangements und Versorgungssituation IV. Finanzierung 1. Beitragssatzentwicklung im Status quo 2. Pflege-Bahr 3. Pflegevorsorgefonds 4. Bürgerversicherung V. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 40
40 IV.1 Beitragssatzentwicklung im Status quo Quelle: Bowles 2015 Prof. Dr. Heinz Rothgang 41
41 IV.2 Pflege-Bahr (eingeführt im PNG zum ) PNG führt 2013 eine geförderte Pflegezusatzversicherung ( Pflege-Bahr ) ein. Steuerfinanzierter pauschalen Zuschuss (5 / Monat) zu privater nicht obligatorischer Pflegezusatzversicherung fließt, wenn 4 Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Monatsprämie muss mindestens zehn Euro im Monat bzw. 120 Euro im Jahr betragen. 2. Im Pflegefall müssen in Pflegestufe III mindestens 600 Euro als monatlicher Leistungsbetrag ausgezahlt werden. (Musterkalkulation: eingeschränkte Leistungen bei Stufe I (20%) und Stufe II (30%) 3. Niemand darf von den privaten Versicherungsunternehmen aus gesundheitlichen oder Altersgründen abgelehnt werden (Kontrahierungszwang). 4. Auf Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse wird seitens der Versicherer verzichtet. Eine Prämiendifferenzierung nach Alter ist aber möglich. Prof. Dr. Heinz Rothgang 42
42 IV.2 Pflege-Bahr ein untaugliches Instrument (Erwartbare) Inanspruchnahme ist gering Erwartung für 2013: 1,5 Mio. Verträge Tatsächlich: < 400 Tsd. Verträge Pflege-Bahr ist Produkt für Minderheit Verteilungswirkungen: inverse Umverteilung Inanspruchnahme eher durch Einkommensstärkere Einkommensschwache finanzieren steuerliche Förderung für Einkommensstarke Mögliches Marktversagen wegen adverser Selektion Wegen fehlender Risikoprüfung: attraktiv für schlechte Risiken Entsprechende Prämien sind am Markt nicht durchsetzbar Fehlkalkulation wird erst nach Ablauf der Karenzzeit sichtbar Dann sind die Kunden schon gefangen Prof. Dr. Heinz Rothgang 43
43 IV.2 Pflege-Bahr ein untaugliches Instrument Leistungshöhe ist unzureichend Es ist nicht möglich, die Lücke ein halbes Jahrhundert im Voraus zu berechnen private kapitalgedeckte Versicherung ist ungeeignet Prof. Dr. Heinz Rothgang 44
44 IV.3 Pflegevorsorgefonds (eingeführt im PSG I zum ) Regelungen im Gesetzentwurf 5. SGB XI-ÄndG Schaffung eines Sondervermögens Pflegevorsorgefonds Ziel langfristige Stabilisierung der Beitragsentwicklung ( 132 SGB XI idf des 5. SGB XI-ÄndG Kapitalanlage und Fondsverwaltung durch Bundesbank Regelungen zur Kapitalbildung Von 2015 bis 2033 (19 Jahr): Einzahlung von 0,1 Beitragssatzpunkten in Fonds Ab 2035 Auszahlung in Soziale Pflegeversicherung Auszahlungshöhe: Maximal ein Zwanzigstel des Kapitalbestands Ende 2034 Auflösung des Fonds, wenn der Kapitalstock abgeschmolzen ist Prof. Dr. Heinz Rothgang 45
45 IV.3 Pflegevorsorgefonds Kritik: Prognoseinstrument Babyboomer ist ungeeignet Nicht alle Angehörige einer Geburtskohorte sind in SPV 30% der Pflegebedürftigen sind derzeit unter 75 Jahre alt Bessere Vorausberechnungen stehen zur Verfügung (z.b. StBA) Entlastungseffekt ist sehr gering Beitragssatzentlastung Quelle: Rothgang 2014 Prof. Dr. Heinz Rothgang 46
46 IV.3 Pflegevorsorgefonds Quelle: Bowles 2015 Prof. Dr. Heinz Rothgang 47
47 IV.3 Pflegevorsorgefonds Kritik: Temporäre Kapitalbildung ist ungeeignet Fonds ist dann leer, wenn die Zahl der Pflegebedürftigen am größten ist (2050er Jahre) Auch danach sinkt der Beitragssatz nicht Wir haben keinen Belastungsberg sondern den Aufstieg auf ein Hochplateau Untertunnelung ist nicht möglich Prof. Dr. Heinz Rothgang 48
48 IV.3 Pflegevorsorgefonds Quelle: Rothgang & Arnold 2011: Gutachten Pflegebürgerversicherung, S. 68 Die Zahl der Pflegebedürftigen sinkt ab 2055 wieder Die Zahl der Beitragszahler aber auch Der Beitragssatz sinkt nie wieder Es gibt keinen Pflegelastenberg, der untertunnelt wird, sondern den Anstieg auf ein Hochplateau Prof. Dr. Heinz Rothgang 49
49 IV.3 Pflegevorsorgefonds Kritik: Temporäre Kapitalbildung ist ungeeignet Fonds ist dann leer, wenn die Zahl der Pflegebedürftigen am größten ist (2050er Jahre) Auch danach sinkt der Beitragssatz nicht Wir haben keinen Belastungsberg sondern den Aufstieg auf ein Hochplateau Untertunnelung ist nicht möglich Anlage ist nicht sicher vor Zugriff der Politik: Nicht zuletzt die aktuelle Erfahrung zeigt, dass Rücklagen bei den Sozialversicherungen offenbar Begehrlichkeiten entweder in Richtung höherer Leistungsausgaben oder auch zur Finanzierung von Projekten des Bundes wecken. Zweifel an der Nachhaltigkeit einer kollektiven Vermögensbildung unter staatlicher Kontrolle erscheinen umso eher angebracht, je unspezifischer die Verwendung der Rücklagen festgelegt wird (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2014). Prof. Dr. Heinz Rothgang 50
50 IV.4 Sozial- und Privatversicherung 1994 wurde eine Pflegevolksversicherung in der Gestalt zweier Versicherungszweige geschaffen (BVerfG) Die erfordert Solidarität zwischen beiden Zweigen. Aber: Privatversicherung profitiert von mehrfacher Risikoselektion (Beitragspflichtige) Einkommen der Privatversicherten übersteigen die der Sozialversicherten um 60% Privatversicherte haben die günstigere Altersstruktur Privatversicherte weisen einen höheren Männeranteil auf Privatversicherte haben ein niedrigeres altersspezifisches Pflegerisiko Prof. Dr. Heinz Rothgang 51
51 IV.4 Sozial- und Privatversicherung: Prävalenzvergleich Quelle: BARMER GEK Pflegereport 2013: 89 Prof. Dr. Heinz Rothgang 52
52 IV.4 Sozial- und Privatversicherung: Altersstruktur 2008 Quelle: Jacobs & Rothgang 2011: 19 Prof. Dr. Heinz Rothgang 53
53 IV.4 Sozial- und Privatversicherung Hätten die Sozialversicherten die Prävalenzen der Privatversicherten, läge die Fallzahl um ein Viertel niedriger. Hätten die Privatversicherten die Prävalenzen der Sozialversicherten, läge die Fallzahl um die Hälfte höher. Hätte die gesamte deutsche Bevölkerung die Prävalenzen der Privatversicherten, läge die Fallzahl um ein Drittel niedriger. Quelle: BARMER GEK Pflegereport 2013: 55 Prof. Dr. Heinz Rothgang 54
54 IV.4 Sozial- und Privatversicherung 1994 wurde eine Pflegevolksversicherung in der Gestalt zweier Versicherungszweige geschaffen (BVerfG) Dies erfordert Solidarität zwischen beiden Zweigen. Aber: Privatversicherung profitiert von mehrfacher Risikoselektion Im Ergebnis: Ausgaben pro Versichertem sind in der Sozialversicherung viermal so hoch wie bei Privatversicherten (bei Berücksichtigung der Beihilfe: dreimal so hoch) Im Umlageverfahren wäre Beitragssatz bei Privatversicherten nur bei 20% des Beitragssatzes in der Sozialversicherung Integration der Systeme oder zumindest Finanzausgleich zwischen den Systemen erscheint angezeigt Prof. Dr. Heinz Rothgang 55
55 IV.4 Bürgerversicherung Bürgerversicherung meint Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in ein (Sozial)Versicherungssystem Verbeitragung aller Einkommensarten und evtl. Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze Bürgerversicherung beendet strukturelle Einnahmeschwäche der Sozialversicherung erhöht die vertikale Umverteilung führt zu etwas - niedrigeren Beitragssätzen Bürgerversicherung verhindert nicht, dass der Beitragssatz zur Pflegeversicherung mittel- und langfristig ansteigt Prof. Dr. Heinz Rothgang 56
56 Beitragssatzpunkte Beitragssatzpunkte IV.4 Bürgerversicherung: Beitragssatzentwicklung 3,3% 3,1% 2,9% 2,7% 2,5% 2,3% 2,1% 1,9% 1,7% 1,5% ,45 0,40 Var 1.0 Var 1.1 Var 1.2 Var 1.3 Var 2.0 Var 2.1 Var 2.2 Var 2.3 Beitragssatzentwicklung Jahr Beitragssatzreduktion Auch bei einer Bürgerversicherung steigt der Beitragssatz Der Beitragssatzanstieg wird aber gebremst Initial sinkt der Beitragssatz um 0,4, langfristig um 0,3 Beitragssatzpunkte 0,35 0,30 Var 1.0 0,25 Var 1.1 Var 1.2 0,20 Var 1.3 0,15 Var 2.0 Var 2.1 0,10 Var 2.2 0,05 Var 2.3 0, Jahr Der Beitragssatz bleibt aber bei 3,3 Beitragssatzpunkten Weitere Leistungsverbesserungen kämen dazu. Prof. Dr. Heinz Rothgang 57
57 Inhalt I. Die Bedeutung des Pflegerisikos II. Zahl der Pflegebedürftigen III. Pflegearrangements und Versorgungssituation IV. Finanzierung V. Fazit 1. Versorgungslücken 2. Finanzierung Prof. Dr. Heinz Rothgang 58
58 V.1 Versorgungspolitische Schlussfolgerungen (1/2) 1. Zahl der Pflegebedürftigen wird steigen aber regional sehr unterschiedlich Kommunalpolitik ist gefragt 2. Versorgungspotentiale sind rückläufig, in familialer und formaler Pflege Unterstützung aller Pflegearten Angehörigenpflege: Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf Beratung und Begleitung, Case und Care Management Formale Pflege Steigerung der Attraktivität des Berufs nicht nur Imagekampagnen Höhere Rekrutierung, höherer Rückkehrquoten nach Familienphase, längerer Verbleib im Beruf Anwerbung ausländischer Pflegekräfte? Kein Patentrezept Zivilgesellschaftliches Engagement Quartiersmanagement Prof. Dr. Heinz Rothgang 59
59 V.1 Versorgungspolitische Schlussfolgerungen (2/2) 3. Versorgungslücke in der formalen Pflege kann halbiert werden, wenn Zahl der Heimplätze eingefroren wird und ambulante Kapazitäten ausgebaut werden Heimpflege entspricht nicht den Präferenzen der Betroffenen Heimpflege lässt vorhandene Fähigkeiten der Bewohner zur Selbstversorgung ungenutzt Heimpflege mobilisiert zivilgesellschaftliches Engagement nur in geringem Ausmaß Versorgungslücke ist je geringer je niedriger der Anteil der stationären Pflege ist 4. Auch in Zukunft ist die Heimpflege unverzichtbar. Sozialpolitik sollte aber darauf abzielen, vor allem Pflege im Quartier zu fördern und eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Prof. Dr. Heinz Rothgang 60
60 V.2 Finanzpolitische Schlussfolgerungen Ausgaben für Langzeitpflege und damit auch Finanzierungslasten werden steigen und müssen finanziert werden. Die Frage ist nur wie. Privatversicherung ist grundsätzlich ungeeignet, weil die zukünftigen Bedarfe nicht kalkuliert werden können Pflegevorsorgefonds ist unausgereift, weil übersehen wird, dass Beitragssatz auch langfristig nicht wieder sinkt Zum Abbau der vielfachen Risikoselektion ist eine Integration von Sozial- und Privatversicherung oder zumindest ein Finanzausgleich zwischen den Systemen wünschenswert Prof. Dr. Heinz Rothgang 61
61 Schluss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Heinz Rothgang 62
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