Arbeitsbelastung des EGMR. Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
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- Hermann Kaiser
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1 Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Grundrechtsmodul für RiAA St. Gilgen, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Organ des Europarats, Sitz in Straßburg gegründet 1959; seit 1998 ständiger Gerichtshof (11. Protokoll) 47 Richter in fünf Sektionen Ca. 640 Mitarbeiter Zuständig für Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden 2 Arbeitsbelastung des EGMR Statistik 2012: Urteile (1.678 Beschwerden); davon 23 zu Österreich Beschwerden für unzulässig erklärt ( administrativ erledigt) neue Beschwerden an einen Entscheidungskörper zugewiesen - Ende 2012: ca Beschwerden anhängig 3 1
2 formale Zulässigkeitsvoraussetzungen - Partei- und Prozessfähigkeit (jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe) - Opfereigenschaft des Beschwerdeführers (Betroffenheit und Beschwer); nachträglicher Wegfall durch Anerkennung der Verletzung und Wiedergutmachung - Erschöpfung aller (effektiven) innerstaatlichen Rechtsmittel (vertikal und horizontal) - Beschwerdefrist von sechs Monaten 4 inhaltliche Zulässigkeitsprüfung - Anwendbarkeit der Konvention (ratione temporis, ratione loci, ratione materiae, ratione personae) - keine offensichtliche Unbegründetheit der Beschwerde - Erheblichkeit der behaupteten Konventionsverletzung: - kein erheblicher Nachteil - keine Erforderlichkeit der Prüfung in Hinblick auf Achtung der Menschenrechte - Prüfung durch innerstaatliches Gericht erfolgt 5 Sonstige Unzulässigkeitsgründe - Anonymität der Beschwerde - Res iudicata - Anhängigkeit vor einer anderen internationalen Untersuchungsinstanz (Litispendenz) - Missbrauch des Beschwerderechts ( contempt of court ) 6 2
3 Einbringung der Beschwerde - Beschwerdeformular oder Schreiben, mit dem Beschwerdebehauptungen vorgebracht werden - Anwaltszwang: erst ab Zustellung an Regierung - Sprache: jede Amtssprache eines der Mitgliedstaaten; ab Zustellung an Regierung: englisch/französisch - eventuell Anonymität beantragen - Übermittlung: per Post oder Fax 7 Gang des Verfahrens - Registrierung durch Kanzlei (Beschwerde-Nr.) - Zuweisung an Einzelrichter oder Berichterstatter - Einzelrichter: Zurückweisung, wenn ohne weitere Prüfung möglich - Ausschuss von drei Richtern: Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig Annahme der Beschwerde als zulässig und Entscheidung in der Sache, wenn gefestigte Rechtsprechung vorliegt ( Klonfälle ) - Kammer (7 Richter): Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde nach Zustellung an Regierung - eventuell Verweisung an die Große Kammer (17 Richter) - Überwachung der Durchführung des Urteils durch das Ministerkomitee 8 Empfehlung vorläufiger Maßnahmen (Art. 39 VerfO) - zur Verhinderung irreparabler Schäden - Bindende Wirkung der Empfehlungen Missachtung begründet eine Verletzung von Art. 34 EMRK. - Empfehlung kann beantragt werden oder von Amts wegen erfolgen. - In der Praxis v.a. bei drohender Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder Protokoll Nr. 6 und Nr. 13 durch Abschiebung / Auslieferung. - ausnahmsweise auch bei drohenden Verletzungen des Rechts auf Privat- und Familienleben 9 3
4 Wirkungen der Urteile des EGMR - Feststellung einer Verletzung der EMRK ohne Gestaltungswirkung (keine Aufhebung innerstaatlicher Gesetze oder Entscheidungen) - Rechtliche Verpflichtung des Mitgliedstaates, das Urteil zu befolgen (Art. 46 EMRK): - Beendigungspflicht - Wiedergutmachungspflicht - Verhinderung künftiger gleichartiger Verletzungen (generelle Wirkung) - Zuspruch einer gerechten Entschädigung nach Art. 41 EMRK (Leistungsurteil) - Überwachung der Durchführung der Urteile durch das Ministerkomitee des Europarats (Protokoll Nr. 14: Anrufung des EGMR) 10 Wirkung von Urteilen gg. andere Staaten - keine unmittelbare Bindungswirkung für nicht beteiligte Staaten - Auslegungsmonopol des EGMR Konventionsrechte gelten gegenüber allen Staaten mit dem Inhalt, den ihnen der EGMR in seiner Rechtsprechung gibt. - Inkorporation der EMRK in österr. Verfassung: Urteile des EGMR sind von Behörden als Rechtserkenntnisquelle zwingend zu beachten. 11 Umsetzung in Österreich Individuelle Maßnahmen: - Zahlung der zugesprochenen Entschädigung - Wiedergutmachung; Bsp.: Wiederaufnahme von Verfahren; Tilgung aus Strafregister Generelle Maßnahmen: - Aufhebung / Abänderung konventionswidriger Gesetze - Anpassung der Rechtsprechung / Verwaltungspraxis - Information und Anweisung der Gerichte und Behörden; Veröffentlichung der Urteile des EGMR; Schulungen 12 4
5 Beispiele für Umsetzung Frodl gg. Österreich: gerichtliche Entscheidung über Ausschluss vom Wahlrecht ( 22 NRWO) Beer gg. Österreich: Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens ( 521a ZPO) Sporer gg. Österreich: Ungleichbehandlung lediger Väter beim Sorgerecht X. u.a. gg. Österreich: Ausschluss homosexueller von der Stiefkindadoption; Adoptionsrechtsänderungsgesetz Erneuerung des Strafverfahrens ( 363a StPO) Eingeführt durch StRÄG 1996, um individuelle Umsetzung von Urteilen des EGMR im Bereich des Strafrechts zu ermöglichen. Ermöglicht Erneuerung eines Strafverfahrens, wenn in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der EMRK durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wurde und nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung ausüben konnte a StPO Verfahren - Zuständig: OGH - Stattgebung des Antrags Sache wird zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. - Bindung des OGH und des neuerlich entscheidenden Gerichts an die Rechtsansicht des EGMR. - Entscheidung beruht auf verfassungswidrigem Gesetz Gesetzesprüfungsantrag an VfGH 15 5
6 Erweiterte Erneuerung des Verfahrens - OGH , 13 Os 135/06m: Erneuerung des Strafverfahrens auch ohne vorangegangenes Urteil des EGMR möglich - Nachträgliche planwidrige Lücke in 363a StPO - Funktion des OGH als Oberste Instanz in Strafsachen (Art. 92 B-VG) und Wahrer der Grundrechte erfordert Möglichkeit, Verletzungen der EMRK zu verhindern. - Erneuerung des Verfahrens auch bei Feststellung einer Verletzung der EMRK durch den OGH selbst 16 Zulässigkeitsvoraussetzungen OGH übernimmt Voraussetzungen für Zulässigkeit einer Beschwerde an den EGMR (Art. 34 und 35 EMRK): 11 Os 132/06f - Frist von sechs Monaten - Opfereigenschaft (15 Os 168/09h) - Keine res iudicata (Bsp.: EMRK-Verletzungen wurden bereits mit Nichtigkeitsbeschwerde an den OGH herangetragen) - Erschöpfung des Instanzenzugs (Bsp.: Nichtigkeitsbeschwerde, Fristsetzungsantrag, Anregung eines Gesetzesprüfungsantrags) - Keine offensichtliche Unbegründetheit (vgl. 363b Abs. 2 Z. 3 StPO; 13 Os 1/10m) 17 Datenbanken zur EGMR-Judikatur HUDOC ( Newsletter Menschenrechte ( RIS ( 18 6
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