Tradition oder Tierquälerei?
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- Ewald Gerhardt
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1 Tradition oder Tierquälerei? Fall 11 vom 15. Mai 2008 Frühlingssemester 2008 Prof. Christine Kaufmann (Vertretung: Florian Utz) Einleitung 2 (Quelle: Welt.de) Frage 1: Kompetenz (1/8) Kompetenzverteilung EG/Mitgliedstaaten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (EGV 5 I) Die EG hat nur die Kompetenzen, die ihr der EGV zuweist Hinweis: Kompetenz-Kompetenz Liegt (noch) bei den Mitgliedstaaten Fazit Die EG darf Stierkämpfe nur verbieten, wenn dieses Verbot sich auf den EGV stützen kann 3 Frühlingssemester 2008 Seite 1 von 12
2 Frage 1: Kompetenz (2/8) Mögliche Rechtsgrundlagen im EGV EGV 32-38: Landwirtschaft EGV 94: Gemeinsamer Markt EGV 152: Gesundheit EGV : Umweltschutz Protokoll Nr. 33 zum EGV über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere 4 Frage 1: Kompetenz (3/8) Mögliche Rechtsgrundlagen in casu (1/3) EGV 32-38: Landwirtschaft Keine Bestimmung zum Tierschutz Mögliche Gegenargumentation: Wer zahlt, befiehlt EGV 94: Gemeinsamer Markt Generelle Kompetenz für Vorschriften für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes Stierkämpfe behindern den Gemeinsamen Markt nicht 5 Frage 1: Kompetenz (4/8) Mögliche Rechtsgrundlagen in casu (2/3) EGV 152: Gesundheit Abs. 4 lit. c: Kompetenz zu Massnahmen im Bereich Veterinärwesen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben Hier geht es um den Schutz der Tiere, nicht der Menschen EGV : Umweltschutz Nur von Umweltschutz, nicht von Tierschutz die Rede 6 Frühlingssemester 2008 Seite 2 von 12
3 Frage 1: Kompetenz (5/8) Mögliche Rechtsgrundlagen in casu (3/3) Protokoll Nr. 33 zum EGV über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere Wortlaut Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Binnenmarkt und Forschung tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung; Sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe. Nur in Zusammenhang mit bestimmten EGV-Normen relevant Regionales Erbe zu berücksichtigen 7 Frage 1: Kompetenz (6/8) Abrundungskompetenz? EGV 308 Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamens Marktes eines ihrer Zeile zu verwirklichen [ ] Dann ist eine Kompetenz der EG gegeben Implied powers? Lehre: Kompetenz kraft Sachzusammenhang Kompetenz, bei deren Fehlen vorhandene Kompetenzen nicht in vernünftiger Weise wahrgenommen werden könnten Nicht im EGV verankert 8 Frage 1: Kompetenz (7/8) Abrundungskompetenz in casu Zusammenhang von Stierkampf bzw. Tierschutz und Gemeinsamem Markt wohl nicht gegeben Implied powers in casu Landwirtschaft und Tierschutz stehen in engem sachlichem Zusammenhang Kann die Landwirtschaftskompetenz ohne Normen zum Tierschutz sinnvoll wahrgenommen werden? Verschiedene Meinungen möglich Antwort hängt von der Weltanschauung ab EG hat Tierschutzrichtlinie erlassen Richtline 98/58/EG über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere 9 Frühlingssemester 2008 Seite 3 von 12
4 Frage 1: Kompetenz (8/8) Fazit Rechtsgrundlage fraglich Argumentation zur Bejahung der Rechtsgrundlage Wohl am ehesten mit implied powers zu EGV i.v.m. Protokoll Nr. 33 Das Protokoll für sich allein ist eine sehr knappe Grundlage, und die implied powers ebenfalls, aber zusammen reicht es Dies ist eine extensive Auslegung Zumal es bei den Stierkämpfen nur indirekt bei der Zucht der Tiere um die Landwirtschaft geht Aber durchaus vertretbar 10 Frage 2: Europaparlament (1/9) Sich stellende Fragen Welche Arten von Rechtsakten gibt es? In welcher Art würde das Verbot erlassen? Welche Verfahren gibt es für diesen Rechtsakt? Welches davon ist in casu anwendbar? Wer kann dieses Verfahren initiieren? 11 Frage 2: Europaparlament (2/9) Übersicht: Sekundäres Gemeinschaftsrecht Rechtlich verbindlich Generell-abstrakt Verordnung Richtlinie Individuell-konkret Entscheidung Unverbindlich Empfehlung Stellungnahme 12 Frühlingssemester 2008 Seite 4 von 12
5 Frage 2: Europaparlament (3/9) Rechtsakt des Verbotes in casu Verordnung oder Richtlinie Beides erscheint als geeignet 13 Frage 2: Europaparlament (4/9) Gesetzgebungsverfahren bei VO und RL Verfahren der Anhörung Wenn nichts anderes im EGV statuiert Verfahren der Zusammenarbeit Nur wenn im EGV vorgesehen; Art. 252 Verfahren der Mitentscheidung Nur wenn im EGV vorgesehen; Art Frage 2: Europaparlament (5/9) Gesetzgebungsverfahren in casu Anhörungsverfahren Denn EGV sehen weder ein Zusammenarbeitsnoch ein Mitentscheidungsverfahren vor 15 Frühlingssemester 2008 Seite 5 von 12
6 Frage 2: Europaparlament (6/9) Initiativrecht für RL und VO (1/2) Vorbemerkung Für Richtlinien und Verordnung gleich geregelt Für alle Verfahren gleich geregelt Deshalb ist es irrelevant, ob Anhörungsverfahren oder anderes Verfahren zur Anwendung kommt Initiativmonopol der Kommission Kommission hat vorgelagertes Veto gegen den Erlass von Sekundärrecht Vgl. EGV 250 I, 251 II und 252 lit. a 16 Frage 2: Europaparlament (7/9) Initiativrecht für RL und VO (2/2) Kann das Europaparlament dennoch etwas tun? EGV 192 II: Parlament kann Kommission auffordern, von seinem Initiativrecht Gebrauch zu machen Rechtliche Verbindlichkeit dieser Aufforderung? Eigentlich keine rechtliche Verbindlichkeit Aber: Interinstitutionelle Vereinbarung Kommission hat zugesagt, einer Aufforderung des Parlamentes so weit wie möglich nachzukommen 17 Frage 2: Europaparlament (8/9) Fazit Die EG würde eine VO oder eine RL erlassen Anwendbar wäre wohl das Anhörungsverfahren Das Europaparlament kann für sich allein keinen Erlass von Sekundärrecht bewirken Es kann nur die Kommission zum Handeln auffordern Rechtlich unverbindlich Aber dank politischem Druck gleichwohl wirkungsvoll 18 Frühlingssemester 2008 Seite 6 von 12
7 Frage 2: Europaparlament (9/9) Hinweis Initiativmonopol erscheint als fragwürdig Kein anderes Parlament dieser Welt hat kein Initiativrecht Wichtigere Frage ist aber: Soll die Kommission ein Vetorecht haben? Wenn ja, so ist es wenig relevant, ob sie es vor oder nach dem Gesetzgebungsverfahren hat 19 Frage 3: Spanisches Veto? (1/7) Sich stellende Fragen Welches Rechtssetzungsverfahren kommt zum Zug? Antwort: Anhörungsverfahren (siehe vorne) Wie läuft dieses Verfahren ab? Hat Spanien im Verlauf dieses Verfahrens ein Vetorecht? 20 Frage 3: Spanisches Veto? (2/7) Übersicht: Anhörungsverfahren (EGV 250) Vorschlag der Kommission Beschluss mit einfacher Mehrheit Anhörung des Europaparlaments Sowie, sofern vom EGV verlangt, des AdR und des WSA Beschlussfassung durch den Rat Nach Beratung durch den COREPER Für Zustimmung zum Kommissionsvorschlag Einfaches Mehr, ausser EGV sagt etwas anderes (EGV 205 I) Hinweis: Meist verlangt der EGV ein qualifiziertes Mehr Für Abweichungen vom Kommissionsvorschlag Einstimmigkeit erforderlich, sofern EGV nichts anderes sagt (EGV 250 I) 21 Frühlingssemester 2008 Seite 7 von 12
8 Frage 3: Spanisches Veto? (3/7) Anhörungsverfahren in casu Vorschlag der Kommission Anhörung des Europaparlaments Sowie des des WSA (EGV 37 II) Beschlussfassung durch den Rat Für Zustimmung zum Kommissionsvorschlag Qualifiziertes Mehr (EGV 37 II UAbs. 3) Für Abweichungen vom Kommissionsvorschlag Einstimmigkeit erforderlich (EGV 250 I) 22 Frage 3: Spanisches Veto? (4/7) Möglichkeiten Spaniens (1/2) Kommission: Keine Möglichkeiten Spanien hat nur einen von 27 Kommissaren Es gilt das Mehrheitsprinzip Kommissare haben kein gebundenes Mandat Europaparlament: Keine Möglichkeiten Spanien hat nur 54 von 785 Parlamentariern Es gilt das Mehrheitsprinzip Parlamentarier haben freies Mandat Zustimmung des EP ist ohnehin nicht erforderlich 23 Frage 3: Spanisches Veto? (5/7) Möglichkeiten Spaniens (2/2) Rat Spanien will Zustimmung verhindern Zustimmung ist mit qualifiziertem Mehr möglich 255 von 345 Stimmen (EGV 205 II) Mehrheit der Staaten (EGV 205 II) Repräsentation von 62 Prozent der Bevölkerung (EGV 205 IV) Spanien hat 27 Stimmen Für sich allein genügt das nicht Eine Sperrminorität ist aber relativ einfach zu erreichen 24 Frühlingssemester 2008 Seite 8 von 12
9 Frage 3: Spanisches Veto? (6/7) Fazit Für sich allein kann Spanien ein Verbot nicht verhindern Die besten Chancen hat es bei der Verhandlung im Rat Hier genügen einige wenige Verbündete für ein Nein 25 Frage 3: Spanisches Veto? (7/7) Hinweis: Andere Verfahren Zusammenarbeits- und Mitentscheidungsverfahren Mehrheitserfordernisse im Rat sind gleich geregelt Anders ist das Erfordernis der Zustimmung des Parlamentes Mitentscheidungsverfahren: Zustimmung immer erforderlich Zusammenarbeitsverfahren: Einstimmiger Beschluss des Rates kann ein Nein des Parlaments überstimmen 26 Frage 4: Subsidiarität (1/4) Subsidiaritätsprinzip Rechtsgrundlage EGV 5 II und III Inhalt EG wird bei nicht ausschliesslicher Zuständigkeit nur tätig, wenn die Ziele durch die Mitgliedstaaten nicht erreicht werden können und sie durch die EG besser erreicht werden Konkretisierung Im Subsidiaritätsprotokoll 27 Frühlingssemester 2008 Seite 9 von 12
10 Frage 4: Subsidiarität (2/4) Prüfschema Zuständigkeit Keine ausschliessliche Zuständigkeit der EG? Effizienztest Negative Abgrenzung Kann das Ziel durch die Mitgliedstaaten nicht erreicht werden? Mehrwerttest Positive Abgrenzung Kann das Ziel durch die EG besser erreicht werden? 28 Frage 4: Subsidiarität (3/4) Prüfung in casu Zuständigkeit Tierschutz: Keine Ausschliessliche Zuständigkeit der EG Wohl konkurrierende Zuständigkeit Effizienztest Ziel: Keine Tierquälerei durch Stierkampf Die Mitgliedstaaten erreichen dieses Ziel nicht Mehrwerttest Das Ziel kann durch die EG voll und ganz erreicht werden 29 Frage 4: Subsidiarität (4/4) Fazit Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht verletzt 30 Frühlingssemester 2008 Seite 10 von 12
11 Frage 5: Rechtsmittel (1/5) Übersicht: Klagen bei Verletzung von EG-Recht Klage Legitimierte Beklagte Ziel Vertragsverletzungsklage EGV , 237, EUV 46 Nichtigkeitsklage EGV , 237, EUV 46 Untätigkeitsklage EGV , EUV 46 Schadenersatzklage EGV 235 i.v.m. 288 II Beamtenklage EGV 236 Kommission, Mitgliedstaaten Private, Mitgliedstaaten, EG-Organe Private, Mitgliedstaaten, EG-Organe Private, Mitgliedstaaten EG-Beamte Mitgliedstaaten EG-Organe EG-Organe EG EG-Organe Feststellung; Zwangsgeld Aufhebung eines Aktes Feststellung der Untätigkeit Schadenersatz Aufhebung eines Aktes 31 Frage 5: Rechtsmittel (2/5) Ziel des Rechtsmittels Aufhebung eines EG-Aktes, nämlich der VO bzw. RL Nahe liegendes Rechtsmittel Nichtigkeitsklage 32 Frage 5: Rechtsmittel (3/5) Nichtigkeitsklage Objekt Rechts- oder Realakt eines EG-Organs (mit Ausnahmen; EGV 230 I) Bei Klage von Privaten: Entscheidung oder Verordnung (EGV 230 IV) Klagegrund Verstoss gegen EG-Recht (EGV 230 I) Subsidiarität Keine besonderen Voraussetzungen Legitimation EG-Organe und Mitgliedstaaten nach EGV 230 II und III Private, wenn unmittelbare und individuelle Betroffenheit (EGV 230 IV) Frist und Form 2 Monate (EGV 230 V); keine besonderen Formvorschriften im EGV 33 Frühlingssemester 2008 Seite 11 von 12
12 Frage 5: Rechtsmittel (4/5) Nichtigkeitsklage in casu Objekt Gegeben: VO bzw. RL ist Rechtsakt der EG Klagegrund Spanien macht Verletzung von EG-Recht geltend Legalitäts- und Subsidiaritätsprinzip gehören beide zum EG-Recht Verankerung in EGV 5 I bzw. EGV 5 II und III Subsidiarität Unproblematisch Legitimation Keine besonderen Voraussetzungen für Mitgliedstaaten (EGV 230 II) Frist und Form Unproblematisch 34 Frage 5: Rechtsmittel (5/5) Fazit Spanien kann Nichtigkeitsklage erheben Materieller Entscheid des EuGH sowohl bezüglich Legalitäts- als auch bezüglich Subsidiaritätsprinzip Hinweis: Bei der Prüfung der Subsidiarität ist der EuGH zurückhaltend 35 Frühlingssemester 2008 Seite 12 von 12
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