Pharmakotherapie bei Schmerzen Arosa 2015 / 28. März 2015 Etzel Gysling 1
Schmerztherapie: drei Grundregeln 1) Schmerzen sind ein immens subjektives Geschehen, dessen Intensität kaum zu fassen ist 2) Medikamente sind fast immer nur ein Teil der Behandlung 3) Die Placebowirkung jeglicher schmerzlindernder Intervention ist von grösster Bedeutung 2
und noch etwas Die Pharmakotherapie der Schmerzen ist nur zum kleinsten Teil wirklich Evidenz-basiert und nicht selten eigentlich irrational Wir überschätzen fast immer den Nutzen unserer Schmerzmittel 3
88-jährige Frau Gesundheitszustand gesamthaft recht gut, Status nach NSTEMI, kardial asymptomatisch, ausgeprägte, schmerzhafte Gonarthrose re Kann sich noch nicht recht für den Gelenkersatz entscheiden Bisherige Schmerztherapie mit gelegentlichem Diclofenac nur teilweise erfolgreich Was kann ich anbieten? 4
Pharmakotherapie der Gonarthrose Was nützt? 5
Was nützt wirklich? Paracetamol? Celecoxib? Andere nicht-steroidale Antirheumatika? Chondroitinsulfat? Andere Mittel per os? Salben lokal? Kortikosteroide intraartikulär? Hyaluronsäure intraartikulär? 6
Gemäss der aktuellen Meta-Analyse wäre eine intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure die (mehr oder weniger kurzfristig) wirksamste Massnahme Copyright Hilda Bastian 7
Überzeugendere Optionen Kortikosteroide intraartikulär Lokale Salbenanwendung Mindestens temporär ein nicht-steroidales Antirheumatikum, in diesem Alter obligat mit einem Protonenpumpenhemmer zusammen Paracetamol bringt kaum etwas! Allenfalls Kombinationen mit einem schwachen Opioid (Codein, Tramadol) 8
9-jähriger Knabe Ein gesunder 9-jähriger Knabe, der beim Velofahren gestürzt ist und sich eine Radiusfraktur zugezogen hat 9
Bei Kindern Ist die Evidenz zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Schmerzmitteln besonders bescheiden Nicht-medikamentös: Süssigkeiten Es ist jedoch nicht sinnvoll, Kindern eine adäquate analgetische Therapie vorzuenthalten! Was sind sinnvolle Optionen? 10
Optionen bei Kindern Paracetamol? Ibuprofen? Diclofenac? Mefenaminsäure? Acetylsalicylsäure? Codein? Tramadol? 11
Fast alle Optionen sinnvoll? Relativ überzeugend ist einzig dokumentiert, dass Ibuprofen bei Schmerzen in der Regel wirksamer ist als Paracetamol Bei Kindern, die wiederholt Paracetamol erhielten, mehr Allergien? Acetylsalicylsäure gilt bei Kindern bis 12 als riskant (Evidenz fragwürdig) Dokumentation der anderen Optionen vorhanden, jedoch «mager» 12
76-jährige Frau Eine 76-Jährige mit Brustkrebs-Anamnese und rheumatoider Arthritis, letztere mit Celecoxib und Methotrexat behandelt. Schmerzhafter Unguis incarnatus > Keilexzision, gefolgt von weiterhin sehr starken Schmerzen Wie werden diese Schmerzen am besten behandelt? 13
Schmerzbehandlung nach Eingriffen 14
Was kann, was darf gegeben werden? Ein «starkes» Antirheumatikum (Ketorolac, Piroxicam, Mefenaminsäure o.ä.)? Eine Paracetamol-Kombination mit Codein oder Tramadol? Oxycodon? Ein Buprenorphin- oder Fentanyl-Pflaster? Tapentadol? 15
Acute Pain Management Ein australisch-neuseeländisches Büchlein (von 540 Seiten) über die beste Schmerztherapie, gratis online verfügbar 16
Was sagt uns die «Scientific Evidence»? «Pain relief after ambulatory surgery remains poor and is a common cause of unplanned readmissions» Paracetamol-Kombinationen besser als Paracetamol-Monotherapie Im vorliegenden Fall besser keine zusätzlichen Antirheumatika (Risiko Methotrexat) Opioide kurzfristig durchaus eine Option 17
69-jährige Frau Multiple chronische Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates, Vorhofflimmern (mit Marcoumar antikoaguliert) Chronische Schmerztherapie mit MST- Continus in niedrigen Dosen Akut seit einigen Tagen massive stärkere Rückenschmerzen Was tun? 18
Schmerztherapie bei Antikoagulierten Literatur: Davidson BL et al. JAMA Intern Med 2014; 174: 947-53 Layton KF et al. Am J Neuroradiol 2006; 27: 468-70 Schjerning Olsen AM et al. JAMA 2015;313: 808-14 19
Akute Rückenschmerzen + Antikoagulation Zusätzliches Antirheumatikum? Paracetamol-Kombination? Tramadol? MST-Dosis erhöhen? Diclofenac-Schmerzpflaster? Epidurale Steroid-Injektion? 20
Weitere Fragen Wenn die Frau nun mit einem neuen oralen Antikoagulans (z.b. Rivaroxaban) behandelt wäre? Wenn die Frau nur Acetylsalicylsäure als Plättchenhemmer (keine OA) nähme? Wenn sie stattdessen Clopidogrel erhielte? 21
Schwierige Antworten Die Verabreichung eines nicht-steroidalen Antirheumatikums erhöht das Blutungsrisiko bei Antikoagulierten um das 3- bis 6-fache Eine epidurale Injektion ist bei Antikoagulierten mit einem hohen Risiko verbunden 22
also soll man jegliche nicht-medikamentöse Option ausnützen! allenfalls vorübergehend die MST-Dosis etwas erhöhen? statt MST ein anderes Opiat verschreiben? 23
73-jährige Frau mit einer jahrelangen Anamnese eines Asthma bronchiale und seit 2-3 Jahren wiederholten Bauchschmerz-Episoden wegen Divertikulitis Nach etwa 1 Jahr ohne nennenswerte Bauchbeschwerden plötzlich fast jede Nacht heftige Schmerzen im Ober/Mittelbauch Endoskopie: keine Divertikulitis Ultraschall: Verdacht auf Pankreasläsion 24
Akute Bauchschmerzen Auf die Ursache kommt es an! - entzündlich/infektiös - «funktionell» - Tumorschmerz 25
Therapie von Bauchschmerzen Bei Krämpfen Butylscopolamin (Buscopan) oder Mebeverin (Duspatalin)? Kombination Paracetamol/Tramadol? Tramadol-Monotherapie? Opioid-Pflaster (Buprenorphin, Fentanyl)? Opioide per os: Oxycodon? Hydromorphon? Morphin? Tapentadol? 26
Keine «beste» Wahl, aber Bei starken Schmerzen sind starke Mittel indiziert (auch wenn allenfalls Op geplant) Paracetamol/Tramadol besser als jeweilige Monotherapien Tumorschmerzen: Stufenschema der onkologisch orientierten Fachleute Bryan ED et al. emedicine/article/776663 Manterola C et al. Cochrane Database Syst Rev 2011; 19: CD005660 27
70-jähriger Mann Ein 70-jähriger Mann wird wegen seines Typ- 2-Diabetes mit Diät und Metformin behandelt In der Anamnese wiederholte Wirbelsäulen- Probleme; vor Jahren ein HWS-Eingriff Neu häufig schmerzhafte Parästhesien in beiden Füssen DD: Diabetes - B12-Mangel - Alkoholanamnese 28
Schmerzhafte Neuropathien 29
Schmerzen bei Neuropathie Amitriptylin (Saroten)? Duloxetin (Cymbalta)? Venlafaxin (Efexor)? Gabapentin (Neurontin)? Pregabalin (Lyrica)? Carbamazepin (Tegretol)? Lidocain-Pflaster (Neurodol)? 30
Gemäss Übersicht im BMJ «there are no silver bullets may be called painkillers, but they almost never do that» Bei diabetischer Neuropathie Duloxetin und Gabapentin noch am besten (NNT=6), Pregabalin viel weniger wirksam Andere Optionen: lokale Anwendungen (Lidocain, Capsaicin) bes. nach Zoster Oft kein Nutzen, aber Nebenwirkungen! 31
32-jährige schwangere Frau 32-jährige Frau im sechsten Schwangerschaftsmonat, mit bisher unauffälligem Verlauf In den letzten Wochen wiederholt Migräne, die nur ungenügend auf nicht-medikamentöse Massnahmen (Ausruhen in ruhiger Umgebung, Bettruhe) anspricht Was ist dieser Frau als Anfallstherapie zu empfehlen? 32
Migräne in der Schwangerschaft Onlinetext zur Migräne in der Schwangerschaft: pharma-kritik 2014; 36: pk957 33
In der Schwangerschaft geeignet? Paracetamol? Acetylsalicylsäure? Codein? Ibuprofen? Sumatriptan? 34
In der Schwangerschaft geeignet? Paracetamol wird nicht mehr als restlos unproblematisch angesehen, aber nicht kontraindiziert (ev. mit Codein) Acetylsalicylsäure in der Schwangerschaft nicht in analgetischer Dosierung! Nicht-steroidale Entzündungshemmer: nein Triptane vermeiden, insbesondere in der zweiten Schwangerschaftshälfte 35
Schmerztherapie: drei Grundregeln 1) Schmerzen sind ein immens subjektives Geschehen, dessen Intensität kaum zu fassen ist 2) Medikamente sind fast immer nur ein Teil der Behandlung 3) Die Placebowirkung jeglicher schmerzlindernder Intervention ist von grösster Bedeutung 36
Das Wichtigste Behandlung individualisieren! Alle nicht-medikamentösen Mittel einsetzen Placebo-Wirkung ist wertvoll Bei starken Schmerzen starke Mittel! Opioide langfristig mindestens so problematisch wie die NSAR 37