68 10 Starrer Rotator 10.6 Drehimpuls L Der Drehimpuls spielt sowohl beim Starren Rotator als auch beim Wasserstoffatom eine zentrale Rolle. Seine Eigenschaften sollen daher gesondert betrachtet werden. In der klassischen Mechanik ist der Drehimpuls eines rotierenden Teilchens als Vektorprodukt von Ortsvektor und linearem Impulsvektor definiert: L = r p Der Drehimpuls ist demzufolge eine vektorielle Größe, die in verschiedenen Schreibweisen dargestellt werden kann: L = L x,l y,l z = L x i+l y j +L z k i, j, k :Einheitsvektoren in x,y,z-richtung Die einzelnen Komponenten lassen sich gemäß folgender Determinante berechnen: i j k L = x y z p x p y p z = yp z zp y i+zp x xp z j +xp y yp x k Gemäß Korrespondenzprinzip I entspricht dem klassischen Drehimpuls L der Operator ˆL: ˆL = ˆr ˆp ˆL x = y i z z y ˆL y = z i x x z ˆL z = x i y y x 10.3 Für den Starren Rotator und das Wasserstoffatom ist es vorteilhaft, den Drehimpulsoperator in Polarkoordinaten anzugeben. Die Umrechnung von kartesischen in Polarkoordinaten erfolgt mit der Kettenregel: z = r z r + ϑ z ϑ + ϕ z ϕ für die partiellen Ableitungen der Koordinaten x,y gelten analoge Ausdrücke. Dazu werden die Polarkoordinaten als Funktionen der kartesischen Koordinaten benötigt. Vorteilhaft sind hierbei folgende Definitionen: r = x 2 +y 2 +z 2 ϑ = arctan x2 +y 2 ϕ = arctan y x ϕ z = 0 z r z = z r = cosϑ ϑ z = x 2 +y 2 x 2 +y 2 +z = sinϑ 2 r Für ϑ z wurde die Beziehung darctanα dα = 1 1+α 2 verwendet. Analog müssen alle partiellen Ableitungen nach x und y berechnet und in die Definitionen 10.3 eingesetzt werden.
10.7 Leiteroperatoren für die Drehimpulskomponenten 69 Es ergeben sich folgende Ausdrücke für die kartesischen Drehimpulskomponenten als Funktionen der Kugelkoordinaten: ˆL z = i ϕ ˆL x = i ˆL y = i sinϕ ϑ +cotϑcosϕ ϕ cosϕ ϑ cotϑsinϕ ϕ mit cotα = cosα sinα 10.7 Leiteroperatoren für die Drehimpulskomponenten Mit den Komponentenoperatoren ˆL x und ˆL y soll im Folgenden nicht explizit gearbeitet werden. Zur Berechnung des Drehimpulses insbesondere für Mehrelektronensysteme ist es vorteilhaft, wiederum Leiteroperatoren einzuführen. Für den Bahndrehimpuls sind die Leiteroperatoren wie folgt definiert: [ ˆL + = ˆL x +iˆl y = e iϕ ϑ +icotϑ ] ϕ [ ˆL = ˆL x iˆl y = e iϕ ϑ +icotϑ ] ϕ Die Leiteroperatoren wirken wie folgt auf die Zustandsfunktionen des Starren Rotators: ˆL + Yl m = N + Y m+1 l ˆL Yl m = N Y m 1 l N ± = l ml±m+1 Das Quadrat des Drehimpuls-Operators lässt sich somit auf zwei Arten formulieren: ˆL 2 = ˆL 2 x + ˆL 2 y + ˆL 2 z = ˆL +ˆL + ˆL 2 z ˆL z 10.4 Der letzte Term in 10.4 ergibt sich abweichend von der dritten binomischen Formel für Zahlen durch den Term iˆl yˆlx ˆL xˆly. Explizit in Polarkoordinaten ergibt sich: [ ˆL 2 = 2 2 ϑ 2 +cotϑ ] ϑ +cot2 ϑ+1 2 ϕ 2 [ 1 = 2 sinϑ + 1 2 ] sinϑ ϑ ϑ sin 2 ϑ ϕ 2 10.5 ˆL 2 und ĤSR sind über das konstante Trägheitsmoment I miteinander verknüpft 10.1. Dies ergibt sich durch Vergleich der Darstellungen in Polarkoordinaten 10.5 und 10.1, sowie durch die klassische Beziehung T = L2 2I. ˆL 2 = 2IĤSR ˆL 2 Yl m = 2 ll+1yl m Damit ergibt sich, dass die komplexen Kugelflächenfunktionen Yl m Ĥ SR sind. gemeinsame Eigenfunktionen von ˆL 2 und
70 10 Starrer Rotator Der Drehimpuls selbst ergibt sich als L = L = ll+1. Wirkung des Operators L z auf Yl m Die z-komponente des Bahndrehimpulses wird als Eigenwert des Komponentenoperators ˆL z auf die komplexen Kugelflächenfunktionen Yl m erhalten: ˆL z Y m l = i ϕ P m l cosϑe imϕ = mp m l cosϑe imϕ = myl m Damit ergibt sich L z zu m. Als wichtiges Resultat ergibt sich, dass Yl m gemeinsame Eigenfunktionen von ˆL z, ˆL 2 und ĤSR sind. Aber: die Yl m sind keine Eigenfunktionen von ˆL x, ˆL y. Bei gegebener Zustandsfunktion Yl m sind somit der Betrag L = ll+1 und die z-komponente L z = m des Drehimpulsvektors exakt bekannt, nicht aber die x- und y-komponenten. Gemäß der Unschärferelation vgl. Abschnitt 6.3 sind die x- und y-komponenten damit unendlich unbestimmt, da die Kommutatoren mit ˆL z oder ˆL 2 nicht Null sind. 10.8 Kommutatorrelationen für die Drehimpulskomponenten Beispiel 15: Kommutatoren der Drehimpulskomponentenoperatoren ˆL z und ˆL x [ˆLz, ˆL ] x = i = i = 2 [ x y y x 2 [ x z z x i ˆL y = i ˆL y ] y z z y y z z x y y y ] x Es verbleiben nur die beiden Terme, die bei Anwendung der Produktregel aus y y = 1 entstehen. Analog ergeben sich die anderen Kommutatoren der Komponentenoperatoren: [ˆLy, ˆL ] z = i ˆL x [ˆLx, ˆL ] y = i ˆL z Nach der Heisenbergschen Unschärferelation Abschnitt 6.2 sind somit keine zwei Komponenten von L gleichzeitig exakt bestimmbar, da im Produkt L z L x bzw. L z L y ein Faktor L z exakt Null ist. Jedoch ist der Kommutator des Gesamtdrehimpulsoperators mit allen drei Komponentenoperatoren Null. Dies gilt, obwohl kein gemeinsamer Satz Eigenfunktionen von ˆL 2 und ˆL x bzw. ˆLy bekannt ist. Siehe Abschnitt 6.3: die Kommutatoreigenschaft zweier Operatoren ist keine notwendige Bedingung für die Existenz gemeinsamer Eigenfunktionen. [ˆL2, ˆL ] [ˆL2 z =, ˆL ] [ˆL2 x =, ˆL ] y = 0 Der Kommutator soll beispielhaft für ˆL x berechnet werden:
11.1 Quantenmechanische Beschreibung 73 In Polarkoordinaten ergibt sich ein Ausdruck, der in seiner Abhängigkeit von ϑ und ϕ teilweise auf den Bahndrehimpulsoperator ˆL 2 zurückgeführt werden kann: Ĥ = 2 2 e2 2m e 4πǫ 0 r = 2 2 r + 1 2m e 2 r = 1 r 2 r r 2 r 2m e r ˆL 2 2 e2 4πǫ 0 r Damit sind die ϑ- und ϕ-teile der Eigenfunktionen aus dem vorigen Abschnitt bekannt. b Für die Bestimmung der Zustandsfunktion wird entsprechend der Produktansatzψr,ϑ,ϕ = RrY m l ϑ, ϕ gewählt. Es verbleibt die Bestimmung der r-abhängigen Funktion, der sogenannten Radialfunktion Rr. ĤRY = ERY [ 2me r 2 ] Trennung der Variablen:Multiplikation mit RY 2 r2 R 2 rr+ 2m er 2 E 2 + e2 = 1 4πǫ 0 r 2 Y ˆL 2 Y = ll+1 siehe Abschnitt 10.6 Nach Umformung ergibt sich die separate Differentialgleichung für Rr: d 2 R dr 2 + 2 [ dr r dr + 2me E 2 + 2 a 0 r ll+1 ] r 2 R = 0 11.1 dabei ist a 0 4πǫ0 2 m ee der Bohrsche Radius. 2 Wie im Fall des Harmonischen Oszillators wird zunächst eine asymptotische Lösung für r ermittelt: d 2 R dr 2 = 2m ee 2 R Rr = Ae i 2meE 2 r Der Typ der Zustandsfunktion hängt davon ab, welches Vorzeichen der Wurzelterm 2meE hat. 2 In diesem Fall interessieren nur Lösungen für E < 0 = V. Dies ist der Fall gebundener Zustände, in denen das Atom stabil gegen Zerfall in freies Elektron und Proton ist. Obwohl die asymptotische Lösung für den Grenzfall unendlich großer Kern-Elektron-Abstände erhalten wurde, muss sie als Teil der Gesamtlösung für alle Werte von r gültig sein. Aus diesem Grund wird der Extremfall E = 0 ausgeschlossen. Damit ist der Wurzelausdruck negativ, die Wurzel imaginär, und insgesamt ergibt sich eine Exponentialfunktion mit reellem Exponenten. Der sogenannte Orbitalexponent ζ = Rr = Ae ζr 11.2 2m e E 2 ist aufgrund der Normierbarkeitsforderung positiv. c Die allgemeinen Lösungen der Schrödingergleichung des Wasserstoffatoms werden analog zum Harmonischen Oszillator durch Variation der Konstanten gemäß A Ar erhalten. Es resultiert die Laguerre-Differentialgleichung für Ar, deren allgemeine Lösung wiederum eine unendliche Potenzreihe ist. Analog zum Harmonischen Oszillator steigt die unendliche Potenzreihe stärker an als die asymptotische Lösung, hier eine Exponentialfunktion 11.2. Die Randbedingung der Normierbarkeit erlaubter Wellenfunktionen führt auch hier dazu, dass endliche Polynome die Laguerre-Polynome als Lösungen erhalten werden.
11.1 Quantenmechanische Beschreibung 75 Üblicherweise werden diese als Isoflächen für einen bestimmten Wert von ψ nlm = konst dargestellt. Die Vorzeichen werden z.b. durch unterschiedliche Färbung beschrieben. Dieψ nlm bilden den vollständigen orthonormierten Satz von Eigenfunktionen des Wasserstoff-Hamiltonoperators, es gilt also: ψ nlm ψ n l m = δ nn δ ll δ mm 11.4 Im Folgenden sollen die Radialfunktionen genauer betrachtet werden: Sie bestehen aus einem Laguerreschen Polynom, einem einzelnen Term, der eine Potenz von r darstellt, und der Exponentialfunktion: R nl = N nl L 2l+1 n+l ρρl e ρ 2 Dabei ist zur Verkürzung der Schreibweise die Variable ρ = 2Z na 0 r eingeführt worden. Durch die Angabe der Ordnungszahl Z lassen sich die Wasserstofforbitale auch für alle anderen Atome besser: Ionen angeben, die aus einem Kern und einem Elektron bestehen wasserstoffähnliche Atome. Die assoziierten Laguerrepolynome enthalten alle Potenzen von ρ und damit von r von Null bis n l 1. L = c 0 +c 1 ρ+ +c n l 1 ρ n l 1 Dabei ist c 0 stets positiv, die nachfolgenden Koeffizienten c j haben alternierende Vorzeichen. Im Folgenden werden die ersten drei assoziierten Laguerrepolynome explizit angegeben: L 1 1 = 1 n = 1,l = 0 11.5 L 1 2 = 4 2ρ n = 2,l = 0 11.6 L 1 3 = 18 18ρ+3ρ 2 n = 3,l = 0 11.7 Im Allgemeinen lassen sich die zugeordneten Polynome durch Ableitungen einer Stammfunktion erzeugen sogenannte Rodriguezformeln: L k nρ = dk dρ kl nρ L n ρ = dn dρ n ρ n e ρ Im Folgenden sollen aber nur die ersten Laguerrepolynome explizit betrachtet werden. Beispielsweise ergeben sich die Radialfunktionen mit n = 1 und n = 2 zu: R 10 = R 20 = R 21 = Z 3 a 3 0 Z 3 8a 3 0 Z 3 24a 3 0 Polynom L r n l 1 r l 2e Zr a 0 r 0 r 0 2 Zr a 0 e Zr 2a 0 r 1 r 0 Zr a 0 e Zr 2a 0 r 0 r 1 Die Anzahl der Knoten der Radialfunktionen ist = n l 1 und entspricht der Ordnung des Laguerrepolynoms L. In den Wasserstofforbitalen entsprechen diese Nulldurchgänge der eindimensionalen Funktion Rr Kugelschalen, auf denen die Orbitale den Wert Null annehmen, also Knotenflächen. Der Verlauf der energetisch tiefsten Radialfunktionen wird im Folgenden dargestellt:
76 11 Wasserstoffatom Abbildung 11.3: Radialfunktionen der tiefsten Zustände des Wasserstoffatoms. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons um den Kern des Wasserstoffatoms ist nicht isotrop. Sie ist für höhere Nebenquantenzahlen winkelabhängig und fällt durch die asymptotische Lösung stets exponentiell mit dem Kernabstand ab. Für höhere Hauptquantenzahlen ergeben sich zum Teil komplizierte Verläufe. Es muss zwischen den Ausdrücken der Aufenthaltswahrscheinlichkeit in kartesischen x,y,z und in Kugelkoordinaten r,ϑ,ϕ unterschieden werden. Im Folgenden soll die Radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte Pr für die tiefsten Zustände diskutiert werden. Da die Laguerrepolynome Haupt- und Nebenquantenzahl enthalten, ist auch Pr von n und l abhängig: P nl r = r 2 R 2 nlr Warum dieser Ausdruck nicht einfach das Betragsquadrat der Radialfunktion ist, wird weiter unten erläutert. Hier zunächst die graphische Darstellung: Abbildung 11.4: Radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichten der tiefsten Zustände des Wasserstoffatoms. Am Kernort ist Pr stets Null. Für die Umrechnung von Wahrscheinlichkeitsdichten in Wahrscheinlichkeiten muss das Volumenelement dv in Polarkoordinaten verwendet werden: dv = r 2 sinϑdrdϑdϕ 11.8 Somit ergibt sich die radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeit I zwischen r 1 und r 2 zu V 2 I = ψ 2 dv V 1 r 2 π 2π = R 2 Y 2 r 2 sinϑdϕdϑdr analog für S r 1 0 0 r 2 = R 2 r 2 dr r 1
11.1 Quantenmechanische Beschreibung 77 Der so erhaltene Ausdruck führt zur oben erwähnten Definition der radialen Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte als P = R 2 r 2. Im Zwischenschritt wurde ausgenutzt, dass wegen der Normierung der Kugelflächenfunktionen das Integral über die Winkel Eins ergibt. bzw. π 0 2π 0 0 π 2π 0 Y 2 sinϑdϕdϑ =< Y Y >! = 1 S 2 sinϑdϕdϑ =< S S >! = 1 Ir = Prdr ist damit die radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons innerhalb einer Kugelschale zwischen r und r + dr. Davon zu unterscheiden ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem kartesischen Volumenelement dv = dxdydz: Ix,y,z = ψx,y,z 2 dv Das Volumenelement dv in kartesischen Koordinaten ist selbst keine Funktionen von x,y,z, daher ergibt sich der einfachere Ausdruck. Die kartesische Aufenthaltswahrscheinlichkeit hat für alle s-orbitale ihr Maximum am Kernort. 11.1.2 Nomenklatur der Wasserstofforbitale Die Symbole der Atomorbitale oder Wasserstofforbitale setzen sich zusammen aus dem Zahlenwert der Hauptquantenzahl n, einem Symbol für die Nebenquantenzahl l, und einem Symbol für die Magnetquantenzahl m gemäß den reellen kartesischen Kugelflächenfunktionen als Index: Wert von l 0 1 2 3 Symbol s p d f Damit ergibt sich explizit der folgende Zusammenhang zwischen den Zustandsfunktionen ψ und den aus der Literatur bekannten einfachsten Atomorbitalen: ψ 100 1s ψ 200 2s ψ 210 2p z Die Übertragung ist jedoch für die komplexen Funktionen nicht einfach möglich: ψ 211 2p 1 2p x ψ 21 1 2p 1 2p y Die in der Chemie betrachteten Atomorbitale sind reelle Funktionen und müssen daher durch Linearkombinationen der komplexen Orbitale erzeugt werden. Die Linearkombinationen führen die entsprechenden Transformationen von komplexen zu reellen Kugelflächenfunktionen durch siehe 10.5. 2p x = ψ 21 1 = 1 2 ψ 211 +ψ 21 1 2p y = ψ 21 1 = 1 i 2 ψ 211 ψ 21 1