Vektorräume und Lineare Abbildungen Die angesprochene Thematik macht den Kern dieser Veranstaltung aus. Lineare Techniken sind zentral für weite Bereiche mathematischen Argumentierens. Durch in der Analysis thematisierte Lineare Approximation reduzieren wir komplizierte Probleme auf lineare Probleme. Die linearen Probleme, hinwiederum, reduzieren sich typischerweise auf das Lösen Linearer Gleichungssysteme, deren Lösungstechnik in dieser Vorlesung einen entsprechend großen Stellenwert hat. Wir starten mit dem Begriff des Vektorraums und untersuchen danach eine Fülle von Beispielen 1
Der Vektorraumbegriff Wir greifen die im Rahmen der anschaulichen Vektorrechnung isolierten Gesetzmäßigkeiten (A1) (A4), (M1) (M4) erneut auf und definieren den Begriff eines (abstrakten) Vektorraums durch axiomatische Forderung dieser Bedingungen: Definition Eine Menge V versehen mit zwei Operationen + : V V V, (v, w) v + w : R V V, (a, v) av heißt Vektorraum, genauer reeller Vektorraum oder R-Vektorraum, wenn gilt: 2
(A 1) v + w = w + v für alle v, w V. (A 2) u + (v + w) = (u + v) + w für alle u, v, w V. (A 3) Es gibt V mit v + = v = + v für alle v V. (A 4) Zu jedem v V gibt es w V mit v + w = = w + v. (M 1) a(v + w) = av + aw für alle a R, v, w V. (M 2) (a + b)v = av + bv für alle a, b R, v V. (M 3) (a b)v = a(bv) für alle a, b R, v V. (M 4) 1v = v für alle v V. Elemente aus V heißen Vektoren, die aus R Skalare. 3
Beispiele: Anschauungsraum und R 3 (i) Die Vektoren des Anschauungsraumes bilden mit den Operationen Vektoraddition und Multiplikation mit Skalaren einen R-Vektorraum. (ii) Die Menge R 3 = x 1 x 2 x 3 x 1, x 2, x 3 R bildet mit den Operationen x 1 x 2 x 3 + y 1 y 2 y 3 = x 1 + y 1 x 2 + y 2 x 3 + y 3, a x 1 x 2 x 3 = ax 1 ax 2 ax 3 einen R-Vektorraum. 4
Lösungsmenge einer linearen Gleichung (iii) Wir fixieren vier reelle Zahlen a 1, a 2, a 3, b. Dann ist die Menge V = x 1 x 2 x 3 x 1, x 2, x 3 R, a 1 x 1 + a 2 x 2 + a 3 x 3 = b bzgl. der Operationen von (ii) genau dann ein R-Vektorraum, wenn b =. 5
Unser Standardbeispiel: R n Satz. Für jedes n bildet die Menge mit den Operationen x 1. x n + R n = y 1. y n einen R-Vektorraum. = x 1. x n x 1,..., x n R x 1 + y 1. x n + y n, a x 1. x n = ax 1. ax n Beweis. Koordinatenweises Rechnen in R zeigt die Gültigkeit von (A1) (A4), (M1) (M4). 6
Ein Beispiel aus einer anderen Ecke Das folgende Beispiel zeigt die vereinheitlichende Kraft und Denkökonomie des abstrakten Vektorraumbegriffs: Beispiel Sei [, 1] := {x R x 1} und V = {f f : [, 1] R} die Menge aller reellwertigen Funktionen, welche auf dem reellen Einheitsintervall [, 1] = {x x R, x 1} definiert sind. Wir erklären f + g und a.f (a R, f, g V ) durch (f + g)(x) = f(x) + g(x), (a.f)(x) = a f(x). Es ist leicht zu sehen, dass V bzgl. dieser Operationen ein reller Vektorraum ist. Offensichtliche Variationen: Polynomfunktionen auf [, 1], differenzierbare Funktionen auf [, 1]. 7
Wichtige Bemerkung In die Vektorraum-Definition und die nachfolgende Behandlung gehen nur diejenigen Eigenschaften der Addition und Multiplikation der reellen Zahlen ein, die wir zu den Körperaxiomen (A1) (A4), (M1) (M4) und (D) zusammenfaßt haben. Wir können daher allgemeiner Vektorräume über einem Körper K betrachten, also von Vektorräumen über Q, R oder C sprechen. Zum Beispiel ist C n ein Vektorraum über C. Wir werden hierauf später zurückkommen; gleichwohl momentan bei Vektorräumen über R bleiben. 8
Beispiele von Körpern (i) Q, R und C sind Körper bzgl. der gewöhnlichen Addition und Multiplikation. Q ist ein Teilkörper von R und R ist ein Teilkörper von C. (ii) Q( 2) := { a + b 2 a, b Q } ist ein Teilkörper von R. (iii) Q(i) := {a + b i a, b Q}, i = 1, ist ein Teilkörper von C. (iv) Es gibt auch endliche Körper. Derjenige mit zwei Elementen ist für Informatiker besonders interessant. (v) N und Z sind bzgl. der gewöhnlichen Addition und Multiplikation keine Körper. Grund? 9
Das Rechnen in Vektorräumen I (1) Das Nullelement V ist eindeutig bestimmt. Beweis. Seien und Nullelmente von V, dann gilt = + =. (2) Das additive Inverse zu x ist eindeutig bestimmt. Beweis. Seien x + y = und x + y =. Dann folgt y = y + = y + (x + y ) = (y + x) + y = (x + y) + y = + y = y Schreibweise: y = x. 1
Das Rechnen in Vektorräumen II Die nächste Eigenschaft werden wir wieder und wieder benötigen: (3) a.x = (a = oder x = ) Beweis. : Es ist a. = a.( + ) = a. + a. und Addition mit (a.) liefert = a.. Entsprechend ist.x = ( + ).x =.x +.x, hier liefert Addition mit (.x) das gewünschte Resultat =.x. a.x = und a impliziert x = 1.x = ( 1 a a).x = 1 a.(a.x) = 1. =. a 11
Subtraktion in Vektorräumen Verabredung: x y := x + ( y) Rechenregeln: ( x) = x (1) (x + y) = ( x) + ( y) (2) (x y) = y x (3) (4) Die Gleichung x + b = c (b, c V gegeben) ist eindeutig lösbar mit Lösung x = c b. (5) ( a).x = (a.x) = a.( x). 12
Linearkombinationen und Erzeugendensysteme V sei ein Vektorraum. Ein Element v V der Form v = a 1.v 1 + + a n.v n, heißt Linearkombination der Elemente v 1, v 2,..., v n V mit den Koeffizienten a 1, a 2,..., a n R. (a) (v 1, v 2,..., v n ) heißt Erzeugendensystem von V, wenn sich jedes v V als Linearkombination v = a 1.v 1 + + a n.v n, mit geeigneten Skalaren a 1,..., a n schreiben lässt. 13
Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit (b) Ein System (v 1, v 2,..., v n ) von Vektoren aus V heißt linear abhängig, wenn es Skalare (a 1, a 2,..., a n ) (,..., ) gibt mit a 1.v 1 + a 2.v 2 + + a n.v n =. Andernfalls heißt (v 1, v 2,..., v n ) linear unabhängig. Dies bedeutet: mindestens ein a i ist ungleich. Wir werden üblichem Sprachgebrauch folgend davon sprechen, dass die Vektoren a 1, a 2,..., a n linear abhängig (bzw. linear unabhängig) sind, obwohl dies missverständlich ist: Sind sämtliche v i, so ist v 1, v 2,..., v n ein System von Vektoren, die einzeln jeweils linear unabhängig sind, aber als Folge v 1, v 2,..., v n durchaus linear abhängig sein können. 14
Der Basisbegriff Ein System (b 1, b 2,..., b n ) von n Vektoren aus V heißt eine Basis von V, falls b 1, b 2,..., b n zugleich in V linear unabhängig und ein Erzeugendensystem von V ist. Wenn wir eine Basis von V besitzen, kennen wir V vollständig: Es ist dann nämlich V die Menge aller Linearkombination der Basiselemente. Im allgemeinen wird ein Vektorraum mehrere, zumeist sogar unendlich viele Basen haben. Es macht daher keinen Sinn, von der Basis von V zu sprechen. (Häufiger Fehler, der offenbart, dass Wesentliches nicht verstanden wurde!) 15
Im R n ist das System Die Standardbasis des R n e 1 = 1., e 2 = 1.,..., e n =. 1 ein Erzeugendensystem, denn a 1 a 2. a n 1 a n = a 1. + a 2. + +. a n = a 1 1. +a 2 1. + +a n Aus der obigen Formel folgt zugleich die lineare Unabhängigkeit von e 1, e 2,..., e n. (Weshalb?) 16. 1.
Nochmals: Standardbasis Folglich ist (e 1, e 2,..., e n ) eine Basis von R n, welche wir die Standardbasis des R n nennen. Neben der Standardbasis (e 1, e 2,..., e n ) gibt es viele weitere Basen, z.b. ist für jede Wahl von a R auch (e 1 + a.e 2, e 2, e 3,..., e n ) ebenfalls eine Basis von R n. Wir erhalten mit dieser Konstruktion somit unendlich viele Basen des R n. Wie diskutiert, gibt es die Basis eines R-Vektorraums V nicht, somit auch nicht die Basis des Vektorraums R n, n 1, da es in jedem dieser Fälle mehrere (sogar unendlich viele) Basen gibt. Der bestimmte Artikel für die Bezeichnung der Standardbasis des R n macht dagegen Sinn! 17
Die Funktion einer Basis Satz Ist (v 1, v 2,..., v n ) eine Basis von V, so besitzt jeder Vektor v V eine eindeutige Darstellung v = a 1 v 1 + a 2 v 2 + + a n v n als Linearkombination von v 1, v 2,..., v n mit skalaren Koeffizienten a 1, a 2,..., a n. Beweis. (1) Die Existenz einer solchen Linearkombination v = a 1 v 1 + a 2 v 2 + + a n v n folgt, weil v 1, v 2,..., v n ein Erzeugendensystem von V ist. Wir müssen uns daher noch von der Eindeutigkeit einer solchen Darstellung überzeugen. 18
(2) Zum Nachweis der Eindeutigkeit einer solchen Darstellung nehmen wir an, dass v = a 1.v 1 + a 2.v 2 + + a n.v n v = b 1.v 1 + b 2.v 2 + + b n.v n zwei Darstellungen von v als Linearkombination von v 1, v 2,..., v n sind. Bilden der Differenz führt zur Gleichung = (a 1 b 1 ).v 1 + (a 2 b 2 ).v 2 + + (a n b n ).v n, woraus die lineare Unabhängigkeit von v 1, v 2,..., v n berücksichtigend das Verschwinden aller Koeffizienten, also a 1 b 1 =, a 2 b 2 =,..., a n b n = folgt. Wir haben damit a 1 = b 1, a 2 = b 2,..., a n = b n und folglich die Eindeutigkeit der Darstellung gezeigt. 19
Wichtige Kommentare Kommentar 1. Ist v 1, v 2,..., v n eine Basis von V, so ist die Abbildung ϕ : R n V, x 1. x n n i=1 x i.v i bijektiv, d.h. zu jedem v V gibt es genau ein x R n mit ϕ(x) = v. Wir haben daher bei fixierter Basis eine ein-eindeutige Entsprechung zwischen den Vektoren v aus V einerseits und Mitgliedern des R n andererseits. Die letzteren können wir relativ zur fixierten Basis als Koordinaten von v auffassen. 2
Kommentar 2. (a) Die Vektoren einer Basis (b 1, b 2,..., b n ) sind immer paarweise verschieden. Ferner kommt es für die Basiseigenschaft nicht auf die Reihenfolge an, in der die Vektoren einer Basis aufgezählt werden. Immer, wenn es daher bequem ist, werden wir anstelle von (b 1, b 2,..., b n ) von der Basis B = {b 1, b 2,..., b n } sprechen. (b) In R ist jedes x eine Basis. (c) Im R 2 bilden ( a1 a 2 ), ( b1 b 2 genau dann eine Basis, wenn a 1 b 2 a 2 b 1 gilt. ) 21