Vorkurs Mathematik Herbst Skript Teil VI

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Transkript:

Vorkurs Matematik Herbst 2009 M. Carl E. Bönecke Skript Teil VI. Stetigkeit Definition. Eine Funktion f : R R eißt stetig im Punkt p, wenn für alle konvergente Folgen x : N R, n x n mit gleicen Grenzwert p auc die Folgen n f(x n ) gleicen Grenzwert f(p) aben. Gilt das für alle p R, eißt f selbst stetig. Bevor wie Stetigkeit veranscaulicen, betracten wir Beispiele: () Die Stufen- bzw. Heavysidefunktion { 0 x 0 θ : R R, x x > 0 ist unstetig in 0, denn die beiden Folgen n θ(± n ) aben versciedene Grenzwerte 0 bzw.. (2) Die Integralfunktion von θ ist stetig: θ : R R, x { 0 x 0 x x > 0 (3) Die Fortsetzung f der Funktion R\{0} R, x sin( x ) durc 0 in 0 ist nict stetig in 0: 0.5 0.5.5 2-0.5 - Zum einen gibt es Nullfolgen n x n, deren Bild unter f gegen beliebige Werte in [, ] konvergiert, nämlic z.b. x n := 2πn+a f( x n ) = sin(a) (blaue Punkte), zum anderen gibt es sogar Nullfolgen, deren Bild gar nict konvergiert, z.b. (rote Punkte). x n := π(n+/2) f( x n ) = ( ) n

2 Stetigkeit bedeutet also, dass die Änderungen der Funktionswerte beliebig klein ist bei entsprecend kleiner Variation der Argumente. Genauer at eine stetige Funktion f : R R folgende Eigenscaften: () Der Grap {(x, f(x)) x R} (d.. f aufgefasst als Relation in R R) ist zusammenängend sowol anscaulic als auc im später definierten matematiscen Sinne. Die Umkerung gilt nict; wie Beispiel 3 zeigt. Jedenfalls kann damit θ nict stetig sein, denn der Grap zerfällt in zwei getrennte Stralen. (2) Aus () folgt: Liegt sowol a als auc b im Bild von f, so auc das ganze Intervall [a, b]: a, b f(r) [a, b] f(r). Diese Eigenscaft eißt aus offensictlicem Grunde Zwiscenwertsatz. Wieder ist θ ein Gegenbeispiel. (3) f ist stetig in p genau dann, wenn es zu jedem offenen Intervall U um f(p) U ein offenes Intervall um p gibt, dessen Bild in U liegt. Für θ wäle z.b. U := (, ) f(0) als Gegenbeispiel. 2 2 (4) Sind f, g : R R beide stetig, so nac Übung IV.2 auc f + g : R R, x f(x) + g(x), f g : R R, x f(x) g(x), (man sprict desalb von der Algebra stetiger Funktionen), ebenso ist die Verkettung f g stetig. (5) Ist f : R R stetig und streng monoton wacsend, d.. x > y f(x) > f(y), so ist f injektiv und das Bild von f ist ein offenes (möglicerweise unbescränktes) Intervall f(r) R nac dem Zwiscenwertsatz; also besitzt f : R f(r), x f(x) eine Umkerfunktion f. Dann ist auc f stetig. Z.B. ist damit R R : x x 3 stetig, denn id 3 ist stetig gemäß (4) und streng monoton.

2. Differentiation Wir wollen nun genauer fragen, wie sic die Änderung des Funktionswertes gegenüber Änderungen des Arguments messen lässt. Dazu bemerke, dass das Änderungsverältnis (die sog. Steigung der Sekanten sec p f : R R von f durc p) sec p f() := f(p + ) f(p) einer Funktion f : R R konstanten Wert m R at genau dann, wenn f eine Gerade g : R R, g(x) = mx + g(0) ist. Ist f keine Gerade, also sec p f nict konstant, aber sec p f stetig in 0, so ist sec p f(0) die Steigung der Grenz-Geraden, die f in p tangential berürt. f g 3 f(p) f(p+) f(p) p Definition 2. Eine Funktion f : R R eißt differenzierbar im Punkt p mit Steigung f (p) R, wenn eine der folgenden äquivalenten Bedingungen vorliegt: () Die Steigung der Sekanten sec p f durc p ist stetig in 0 mit sec p f(0) = f (p). (2) f gleict bei p einer Geraden bis auf einen Feler, der von zweiter Ordnung in der Variation verscwindet, d.. in Formeln: f(p + ) = f(p) + f (p) + (sec p f f (p))() }{{} stetig in 0 mit Funktionswert 0 Gilt das für alle p R, so eißt f differenzierbar mit Ableitung f : R R, p f (p). Bemerkung : Die zweite Formulierung ist der Beginn der sog. Taylorentwicklung von f um p, d.. der Approximation von f durc Polynome steigenden Grades. Unsere Potenzreien aus Teil IV stimmen dann mit irer Taylorentwicklung überein. Bemerkung 2: Anand der zweiten Formulierung siet man direkt, dass eine differenzierbare Funktion f : R R auc stetig ist.

4 Beispiele: () θ ist stetig, aber nict differenzierbar in 0, denn die Sekanten- Steigungsfunktion ist sec 0 θ = θ, also unstetig in 0 nac Beispiel. (2) id 2 : R R, x x 2 ist differenzierbar, denn die Sekantensteigung (p + ) 2 p 2 = 2p + ist stetig in = 0 mit Wert 2p. Also (id 2 ) (p) = 2p. (3) Die Exponentialfunktion erfüllt exp(p + ) = exp(p) exp(). Folglic sind alle Sekanten-Steigungsfunktionen sec p exp, p R durc sec 0 exp bestimmt: sec p exp() = exp(p+) exp(p) = exp(p) exp() = exp(p) sec 0 exp(). Man kann nun zeigen, dass sec 0 exp stetig in 0 mit Wert ist, also exp = exp. 3. Ableitungsregeln () Kettenregel: Die Verkettung von zwei Geraden g i : x m i x, i {, 2} mit Steigungen m, m 2 ist die Gerade g g 2 : x m m 2 x mit Steigung m m 2, also gilt für zwei differenzierbare Funktionen f, f 2 : (f f 2 ) = (f f 2 ) f 2. (2) Umkerfunktion: Sei f : R f(r) R differenzierbar (also stetig nac Bemerkung 2) mit f (p) 0 für alle p (also streng monoton). Dann existiert eine stetige Umkerfunktion f gemäß (5). f ist sogar differenzierbar mit Ableitung (f ) = f f Diese Regel ist ein Spezialfall der Kettenregel: id = f f = (f f ) = (f f )(f ). Alternativ folgt sie aus der Spiegelung des Grapens an der Diagonalen, welce die Steigung von f in p in das Inverse der Steigung von f in f (p) überfürt:

5 f f p f (p) f (p) p Bild zur Ableitung der Umkerfunktion. (3) Produktregel: (Auc ein Spezialfall der Kettenregel, aber für Abbildungen R 2 R, siee Analysis II ). Das Produkt zweier differenzierbarer Funktionen f, g : R R ist differenzierbar mit (fg) = f g + g f. Beweis: Die Steigung der Sekanten ist (fg)(p+) fg(p) = f(p+)(g(p+) g(p))+(f(p+) f(p))g(p), also stetig in = 0 mit obigem Grenzwert. 4. Geometrisce Interpretation von Sinus und Kosinus In Teil IV aben wir die Konvergenz der Sinus- und Kosinusreie sin(x) := n N ( ) n x 2n+ (2n + )! und cos(x) := ( ) n x 2n, (2n)! n N bewiesen. Diese Reien aben folgende geometrisce Interpretation: Satz. (cos(x), sin(x)) sind die Koordinaten jenes Punktes auf dem Eineitskreis S := {x R 2 x = }, dessen Verbindungskurve (Bogen) nac (0, ) in S in Ur-Umlaufrictung Länge x (vgl. untensteendes Bild) at. Natürlic sind wir noc Einiges von der rigorosen Definition dieser Länge entfernt, dennoc können wir das Resultat plausibel macen. Am einfacsten und natürlicsten folgert man Satz aus der Eigenscaften der Exponentialfunktion fortgesetzt auf den sog. komplexen Zalenkörper C. Für unsere Zwecke kann man jedoc auc one C auskommen: Zum einen bemerken wir, dass () sin = cos und cos = sin

6 in beiden Definitionen gilt. Für die Reiendefinition folgt dass aus der Tatsace, dass man konvergente Potenzreien gliedweise differenzieren darf. Für die geometrisce Definition folgt das aus der Änlickeit des blauen und scwarzen Dreiecks in folgendem Bild: sin(x+) sin(x) x cos(x) Bild zu sin (x) = cos(x) Zum anderen bemerken wir, dass Differenzieren mit folgenden Operationen vertausct: () Translation des Grapens längs der x-acse: (x f(x a)) = x f (x a) für alle a (R, +). (2) Streckung des Grapens längs der y-acse: (b f) = b f für alle b (R \ {0}, ). (3) Addition von Funktionen: (f + g) = f + g. Die Gleicungen () sind also nict eindeutig lösbar. Man kann aber zeigen, dass man alle Lösungen durc obige Operationen erfassen kann. Folglic siet man anand cos(0) = und sin(0) = 0 in beiden Fällen, dass beide Definitionen übereinstimmen müssen.

7 Vorkurs Matematik Herbst 2009 M. Carl E. Bönecke Übungen Teil VI Part A (Differentialrecnung) Aufgabe. Die Funktion f n : R R, x x n mit n N ist differenzierbar (als Produkt von Identitäten id : x x). a) Berecne f n(x) anand der Definition der Ableitung. b) Zeige f n(x) := nx n mit Hilfe der Produktregel induktiv. Aufgabe 2. Berecne alle existierenden öeren Ableitungen von { x f : R R, x n, x > 0 0, x 0. Aufgabe 3. Berecne die existierenden ersten Ableitungen der folgenden Abbildungen f : {x R x > 0} R: a) f(x) := x log(x). b) f(x) := x 2x. Part B (Kurvendiskussion) Aufgabe 4. Sei f : R R differenzierbar. Untersuce, ob Ableiten folgende Eigenscaften erält: a) Spiegelsymmetrie: f(x) = f( x) x R (Spezialfälle beacten) b) Periodizität: f(x) = f(x + ) x R. c) Monotonie: f(x) f(y) x, y R mit x y. d) Gruppenmorpismus: f(x + y) = f(x)f(y) x, y R. Aufgabe 5. Untersuce die Funktion f : R R, x x 3 + ax 2 + bx auf lokale Extrema in Abängigkeit von a, b R. Aufgabe 6. Zeige: Die Funktion tan := sin cos ist invertierbar auf ( π 2, π 2 ) mit Bild R. Berecne die Ableitung der Umkerfunktion arctan : R ( π 2, π 2 ) und erkläre das Ergebnis geometrisc.