Gesellschaftliche Stakeholder: Anforderungen im Nachhaltigkeitskontext und aktuelle Beobachtungen Gastvortrag im Rahmen der Vorlesung Business & Society Dr. Irene Perrin, Bereichsleiterin Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation BSD Consulting Schweiz Zürich, 5. Oktober 2015
BSD Consulting Business. Sustainability. Development. Gründung 1998 in Zürich (Hauptsitz) über 75 Mitarbeitende weltweit 12 Mitarbeitende in der Schweiz è Über 16 Jahre Erfahrung in der Beratung und im Projektmanagement zum Thema Nachhaltigkeit 2
Schwerpunkte BSD unterstützt ihre Kunden bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in ihre Geschäftsprozesse und bietet massgeschneiderte Beratungsdienstleistungen in den folgenden Schwerpunktbereichen an: Nachhaltigkeitsstrategie & Managementsysteme Sustainable Supply Chain Management Nachhaltigkeitskommunikation & Stakeholderdialog Standards & Informationssysteme für Nachhaltigkeit Analyse und Diagnose Strategie und Leitlinien Umsetzung Monitoring und Berichterstattung 3
Inhalt Nachhaltigkeitsmanagement als Stakeholdermanagement Begründung und Anforderungen Herangehensweisen Aktuelle Beobachtungen und Herausforderungen 4
Nachhaltigkeitsmanagement als Stakeholdermanagement
Nachhaltige Entwicklung Die Brundtland-Definition «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.» Brundtland-Bericht 1987 6
Nachhaltige Entwicklung als Ziel von Nachhaltigkeitsmanagement ökonomisch sozial ökologisch Unternehmen tragen zu einer nachhaltigen Entwicklung bei, wenn sie ihre ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen auf die verschiedenen Anspruchsgruppen und die Umwelt kennen und managen (negative Auswirkungen ê positive Auswirkungen é ). 7
Nachhaltigkeitsthemen & Stakeholder Betroffene, z.b. - Anwohner & lokale Gemeinschaften - Weltbevölkerung - Umwelt Beeinflusser, z.b. - Zukünftige Generationen - NGOs - Mitarbeiter - Bürgergruppierungen - Mitarbeiter in Lieferkette - Konsumentenschutzorganisationen - Kunden - - Investoren Multi-Stakeholder-Organisationen (z.b. FSC, FWF, GRI) -... - Politik, Regulator - Medien -... 8
Fokus Wertschöpfungskette Die grossen Nachhaltigkeitsherausforderungen liegen heute meist in den vor- und nachgelagerten Stufen: mehr als 60% der Umweltbelastung der in der Schweiz konsumierten Produkte fällt bei der Produktion im Ausland an. Beispiel: Anteil der Lieferkette an den gesamten Umweltauswirkungen von Puma (Quelle: e/pl Puma) 9
Fokus Wertschöpfungskette 10
Von Kontrolle zu Impact (1/2) Anforderungen an Verantwortung weiten sich aus: z.b. Global Reporting Initiative GRI - Richtlinie G3 (lanciert 2006): Unternehmen sollen über das berichten, was sie kontrollieren können, bzw. wo sie einen grossen Einfluss haben - Richtlinie G4 (lanciert 2013): Unternehmen sollen darüber berichten, wo sie grosse Auswirkungen (auf Stakeholder & Themen) haben egal, ob sie Kontrolle darüber haben oder nicht Berichterstattung nicht unbedingt anhand von Indikatoren, sondern indem Managementansatz beschrieben wird: Problembewusstsein? Policies? Ziele? Massnahmen? 11
Von Kontrolle zu Impact (2/2) Anforderungen an Verantwortung weiten sich aus: z.b. Kakaobranche: - Früher: Rückverfolgbarkeit von Kakao & Kakaobutter (Traceability) gilt als unmöglich - Heute: Rückverfolgbarkeit wird Standard (Beispiel: Chocolats Halba) Quelle: Nachhaltigkeitsbericht 2014, Chocolats Halba 12
Neue Stakeholder & erweiterter Fokus Wer sind die Stakeholder? Von traditionellen Geschäftsbeziehungen... Welche Themen werden angesprochen? Von legalen und vertraglichen Themen... Mitarbeiter (MA), Kunden, Lieferanten, Investoren, Behörden Wie läuft die Kommunikation ab? Von einseitiger Kommunikation.. Arbeitgeberbenefits, Auswahl Produktionsstandorte, Einkauf Marktforschung, Werbung, Medienpräsenz...zu breiteren Interessengruppen...zu neuen Verantwortlichkeiten...zu Dialog und Partnerschaft MA in Lieferbetrieben, NGOs, Familien von MA, Gemeinschaften Korruption, Umwelt Gesundheitsrisiken, Menschenrechte Konsultation, Online- Feedback, Multi- Stakeholder-Foren Quelle: In Anlehnung an AA1000, Stakeholder Engagement Handbook. 13
Legalität vs. Legitimität Wortstamm: lex, legis: Gesetz, Vertrag, Regel, Norm, Vorschrift Legalität - Gesetzmässigkeit, Bindung an geltendes Recht, Einhaltung gesetzlicher Vorschriften Legitimität: - Legalität lediglich eine Dimension von Legitimität: eine Handlung kann legal sein, aber dennoch illegitim - Legitimacy is a generalized perception or assumption that the actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs, and definitions. (Suchman 1995, Hervorheb. IP) - Geltende Wertvorstellungen einer Gesellschaft, einer Stakeholdergruppe: Wahrgenommene Verstösse können zwar nicht rechtlich, aber gesellschaftliche sanktioniert werden ( licence to operate ) Legitimität als diffuse Grösse Unternehmen beziehen sich lieber auf den (vermeintlich) sicheren Wert Legalität: Compliance als Basis von Nachhaltigkeitsmanagement, aber aus Sicht nicht-marktlicher Stakeholder oft zu wenig weitgehend, bzw. Verständnis von Compliance zu prüfen 14
Bosch: breites Compliance-Verständnis 15
Takeaways Teil 1 ü Issues und Stakeholder unteilbar verknüpft ü Verantwortungsbereich weitet sich aus ü Nicht-marktliche / gesellschaftliche Stakeholder gerade auch im Kontext Wertschöpfungskette wichtiger ü Von Legalität zu Legitimität ü Legitimität: Wahrnehmung durch Stakeholder entscheidend 16
Begründung und Anforderungen
Warum Stakeholder einbeziehen? Was sieht das Unternehmen? Was sehen die Stakeholder? 18
Stakeholderinteraktion als Kernanforderung von Nachhaltigkeitsrichtlinen Quelle: Winistörfer, Perrin, Teuscher, Forel: Management der sozialen Verantwortung in Unternehmen. Ein Leitfaden. 19
Begründung è Stakeholderorientierung als Best Practice von nachhaltiger Unternehmensführung bzw. Nachhaltigkeitsmanagement Quelle: Winistörfer, Perrin, Teuscher, Forel: Management der sozialen Verantwortung in Unternehmen. Ein Leitfaden. 20
Takeaways Teil 2 ü Nachhaltigkeitsstandards erfordern Stakeholderorientierung ü Vielfältige Begründunge, die sich Stakeholder View zuordnen lassen: ü Ressourcen ü Markt & Innovation ü Reputation & licence to operate 21
Herangehensweisen Beispiel: Global Reporting Initiative (GRI)
Beispiel & Anwendung: Global Reporting Initiative (GRI) Global Reporting Initiative (GRI) ist Eine Non-Profit-Organisation in Amsterdam Ein (erfolgreiches!) Multistakeholder- Netzwerk Der global am weitesten verbreitete Standard zur Nachhaltigkeitsberichterstattung GRI Vision «Eine Zukunft schaffen, in der Nachhaltigkeit integraler Bestandteil der Entscheidungsprozesse in Organisationen ist» GRI Mission «Entscheidungsträger durch Nachhaltigkeitsstandards und das Multistakeholder-Netzwerk dazu befähigen, an einer nachhaltigeren Wirtschaft und einer nachhaltigeren Welt zu arbeiten.» 23
GRI hilft... 1 to UNDERSTAND 2 3 to MEASURE & MANAGE to REPORT Relevant issues? Stakeholder expectations? Most important impacts? Strengths and weaknesses? Indicators? Performance in context of sustainability? Potential for improvement? Quality criteria? Content requirements? 24
Anleitung auf zwei Ebenen GRI gibt Anleitung auf zwei Ebenen: 1. Wie soll der Bericht entwickelt werden? è Berichtsprozess & Prinzipien 2. Was soll berichtet werden? è Inhaltsangaben (sog. Allgemeine & spezifische Standardangaben) 25
GRI-Berichterstattungsgrundsätze (Prinzipien) Inhaltsgrundsätze: - Einbeziehung von Stakeholdern - Nachhaltigkeitskontext - Wesentlichkeit - Vollständigkeit Qualitätsgrundsätze: - Ausgewogenheit - Vergleichbarkeit - Genauigkeit - Aktualität - Klarheit - Verlässlichkeit 26
Berichterstattung: Fokus auf wichtigste Themen? è Welche Themen sind die wichtigsten für ein Unternehmen? Worauf fokussieren? 27
GRI- Themenlandkarte (1/2) Quelle: GRI G4 Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung 28
GRI- Themenlandkarte (2/2) 29
GRI-Prozess zur Auswahl relevanter Themen für die Berichterstattung è Stakeholder einbeziehen, um Themen zu ermitteln und priorisieren und so Schwerpunkte für Bericht (und Nachhaltigkeitsstrategie) festzulegen Quelle: GRI G4 Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung è Sogenannte Wesentlichkeitsanalyse unter Einbezug von Stakeholdern 30
Berichterstattung: Fokus auf wichtigste Themen? è Welche Themen sind aus Sicht der Stakeholder besonders wichtig? 31
Herangehensweisen Beispiel: Chocolats Halba
Wie vorgehen? Beispiel Chocolats Halba Chocolats Halba - Gegründet 1933 - Schweizer Produzent von Schokoladespezialitäten für Detailhandel und Industrie - 12 700 Tonnen Schokolade pro Jahr - 2 500 Tonnen Kakaobohnen aus Ghana, Honduras, Ecuador und Peru jährlich verarbeitet - 240 Mitarbeitende - Umsatz 112,8 Mio. - Division der Coop Genossenschaft - Projekt zur Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2011/2012 (vgl. auch Nachhaltigkeitsbericht 2012) 33
Beispiel: Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie Um zu wissen, welche Nachhaltigkeits-Anliegen aus externer Sicht wichtig sind fu r Chocolats Halba, wurden verschiedene Analysen durchgefuḧrt. Befragt wurden auch Vertreter der wichtigsten Anspruchsgruppen. Zu ihnen zaḧlen Kunden, Lieferanten, Mitarbeitende, Regierungs- und Nichtregierungsorganisat ionen. è Prozess in Anlehnung & Weiterentwicklung GRI Quelle: GRI G4 Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung Quelle: Nachhaltigkeitsbericht 2012, Chocolats Halba. 34
Beispiel: Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie Wesentlichkeitsmatrix Quelle: Nachhaltigkeitsbericht 2012, Chocolats Halba. 35
Beispiel: Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie Ausschnitt Wesentlichkeitsmatrix Quelle: Nachhaltigkeitsbericht 2012, Chocolats Halba. 36
Fazit: Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie Wesentlichkeitsmatrix als Basis für Nachhaltigkeitsstrategie und Nachhaltigkeitsbericht Stakeholdereinbezug zur Priorisierung der Themen und Definition der Schwerpunktbereiche Systematisierung des Nachhaltigkeitsmanagements 37
GRI: Allgemeine Standardangaben zum Thema Stakeholder Folgende Dinge müssen im Nachhaltigkeitsbericht berichtet werden: G4-24: Stellen Sie eine Liste der von der Organisation eingebundenen Stakeholdergruppen zur Verfügung. G4-25: Nennen Sie die Grundlage für die Ermittlung und Auswahl der Stakeholder, die eingebunden werden sollen. G4-26: Nennen Sie den Ansatz der Organisation zur Einbindung von Stakeholdern einschließlich der Häufigkeit der Einbindung nach Art und Stakeholdergruppe und geben Sie an, ob eine Einbindung vor allem in der Phase der Berichtsvorbereitung erfolgt ist. G4-27: Nennen Sie die wichtigsten Themen und Anliegen, die durch die Einbindung der Stakeholder aufgekommen sind, und wie die Organisation auf jene wichtigen Themen und Anliegen reagiert hat, einschließlich durch ihre Berichterstattung. Nennen Sie die Stakeholdergruppen, die die wichtigen Themen und Anliegen jeweils angesprochen haben. 38
Takeaways Teil 3 ü Normativ: Standards verlangen Stakeholdermanagement wie das Beispiel GRI zeigt ü Schwerpunktsetzung im Nachhaltigkeitsbericht unter Berücksichtigung von Stakeholdern und deren Erwartungen ü Deskriptiv: Unternehmen betreiben Stakeholdermanagement ü Stakeholderengagement in vielfältigen Formen betrieben: z.b. im Rahmen von Wesentlichkeitsanalyse bei Chocolats Halba 39
Aktuelle Beobachtungen und Herausforderungen
GRI-Anforderungen mit Folgen G4-Richtlinien und Standardangaben G4-24 bis G4-27 führen zu sprunghaftem Anstieg an Stakeholdereinbezug Markt für Stakeholderdialoge wächst mit entsprechenden Risiken bei der Umsetzung 41
Beobachtung: Stakeholder werden einbezogen - häufig in einer light -Version Vorhang auf für die Online-Stakeholderbefragung! Führt Stakeholdereinbezug light zu Stakeholder-Fatigue? Was bewirken diese Surveys überhaupt? 42
Wir evaluieren regelmässig die Erwartungen unserer Stakeholder : Dieser Satz beschreibt exakt die Erfahrungen, die Organisationen wie die EvB mit der umsatzstärksten Schweizer Bank [gemeint ist die UBS] seit Jahren machen. Wir werden wohl evaluiert, aber nicht angehört, geschweige denn mit unseren Anliegen ernst genommen. Erklärung von Bern EvB (2007)
Beobachtung: Matrix & Stakeholdereinbezug als Pflichtübung Fokussierung auf die wesentlichen Themen Wird der Inhalt der Matrix im Bericht reflektiert? Und in der Nachhaltigkeitsstrategie? Quelle: GRI G4: Sustainability Reporting Guidelines. Implementation Manual 44
Beobachtung: Heterogene Stakeholder vs. Wunsch nach Klarheit GRI und Nachhaltigkeitsstandards streben vermehrt nach Fokussierung die Stakeholdererwartungen werden hingegen immer breiter Wie mit widersprüchlichen Erwartungen und Anforderungen umgehen? 45
Fazit: Gesellschaftliche Stakeholder werden wichtiger im Rahmen von erweiterten Anforderungen der relevanten Standards zunehmend einbezogen im Rahmen der CSR-/Nachhaltigkeitsaktivitäten zunehmend einbezogen folgen anderer Logik als Unternehmen: primär inhaltlich motiviert kann zu Missverständnissen führen und Unsicherheit auf Seite Unternehmen ( andere Sprache ) auch nicht-marktliche Stakeholder haben marktliche Interessen: Markt um Spender, Unterstützer, Aufmerksamkeit etc. 46
GRI als Multistakeholder-Netzwerk und Organisation Multistakeholder-Governance: Stakeholder Council, Board of Directors, Technical Advisory Committees è Glaubwürdigkeit Finanzierung: immer mehr kostenpflichtige Programme Wandel zu Verkaufsorganisation Quelle: GRI Combined Report 2013-2014. 47
GRI als Multistakeholder-Netzwerk und Organisation GRI setzt Standard (kostenlos) Mit kostenpflichtigen Instrumenten wird Druck auf Unternehmen erhöht (z.b. Disclosure Services) Quelle: GRI Combined Report 2013-2014. 48
Beispiel eines Angebots: Sogenannte GRI Disclosure Services Kostenpflichtiger Service führt dazu, dass das GRI-Logo in den Bericht eingefügt werden darf > Legitimitätsstifter, Qualitätssignal Aber: Geprüft wird von GRI lediglich, ob die Angaben im Bericht richtig lokalisiert sind (GRI- Index und Disclosure Labels) è lediglich formale Prüfung, keine Aussagen zu Qualität! Irreführend? 49
Gesellschaftliche Stakeholder......bewegen Unternehmen Aber zunehmend auch fragwürdige Doppelrolle: - Standardsetzer und Legitimationsstifter einerseits - Geschäftspartner andererseits è Transparenz und Stakeholderorientierung nicht nur auf Seiten Unternehmen, sondern auch auf Seiten NGOs entscheidend für langfristige Glaubwürdigkeit 50
Takeaways Teil 4 ü Anforderungen der Standards bergen auch Risiken Umsetzung in Unternehmen sehr unterschiedlich ü Stakeholdererwartungen sind heterogen es gibt keine allgemeingültige Anleitung zu den Schlussfolgerungen aus Stakeholderdialogen ü Gesellschaftliche Stakeholder haben oft verschiedene Interessen immer häufiger auch marktliche ü Transparenz und Stakeholderorientierung nicht nur für Unternehmen, auch für Stakeholder(-organisationen) selbst 51
Dr. Irene Perrin Bereichsleitung Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation T: +41 44 260 60 27 i.perrin@bsdconsulting.com BSD Consulting Switzerland Pfingstweidstrasse 16 8005 Zürich www.bsdconsulting.com