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Transkript:

Der Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung für Menschen mit Behinderung 1. Situation Menschen mit Behinderung erhalten bei entsprechendem Anspruch und Pflegebedürftigkeit auch dann Leistungen der Pflegeversicherung, wenn sie schon Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen 53 SGB XII bekommen. Wenn die Eingliederungshilfe als ambulante Leistung gewährt wird, wird in der Regel dieser Grundsatz auch umgesetzt. Der Anspruch von Menschen mit Behinderung ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, wenn sie in einem Wohnheim der Behindertenhilfe wohnen und somit stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Dem Druck der Sozialhilfeträger bei Einführung der sozialen Pflegeversicherung, pflegebedürftige Menschen mit Behinderung statt im Wohnheim in einem Pflegeheim unterzubringen, wurde mit einem systemwidrigen Kompromiss begegnet: Nach 43 a SGB XI übernimmt die Pflegeversicherung maximal 256 Euro unabhängig von der Pflegestufe, wenn ein pflegebedürftiger Mensch auf Kosten der Eingliederungshilfe in einem Wohnheim lebt. Wäre die gleiche Person in einem Pflegeheim nach 43 SGB XI, würde der Sozialhilfeträger viel stärker entlastet. Mit diesem Kompromiss wurde der Druck zwar verringert, aber die Versuche der Sozialhilfeträger blieben, Menschen mit Behinderung auf die Pflegeversicherung zu verweisen und Eingliederungshilfe einzusparen. Einige Träger der stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe haben daraufhin Pflegeabteilungen eingerichtet oder das ganze Wohnheim in ein Pflegeheim umgewandelt Dort sind Herausgegeben von Deutscher e.v. Vorstandsbereich Sozial- und Fachpolitik in Zusammenarbeit mit dem Fachverbänden CBP und VKAD Kontakt: Dr. Franz Fink E-Mail:franz.fink@caritas.de Postfach 4 20, 79004 Freiburg Karlstraße 40, 79104 Freiburg Lorenz-Werthmann-Haus Telefon-Zentrale 0761 200-0 Telefon-Durchwahl: 0761 200-366 Telefax 0761 200-192

die Menschen mit Behinderung und hohem Pflegebedarf entweder unter den völlig neuen Bedingungen der Pflegeversicherung geblieben oder umgezogen. Mittlerweile nützen Sozialhilfeträger die Diskussion über einen so genannten teilhabeorientierten Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Leistungen der Pflegeversicherung mit den Leistungen der Eingliederungshilfe gleichzusetzen. Nach dieser Vorstellung brauchen Menschen mit Behinderung, die Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben, keine Leistungen der Eingliederungshilfe mehr. 2. Bewertung 2.1 Der Unterschied Der Bedarf, der sich aus Funktionsstörungen, Einschränkungen und Behinderung im Sinne des SGB IX und SGB XII ergibt, ist etwas anderes als der Pflegebedarf im Sinne des SGB XI. Die behinderungsbedingte Einschränkung des Zugangs zu allen gesellschaftlichem sozialen und materiellen Ressourcen einer Gesellschaft, also die Einschränkung der Teilhabe ist eine andere Lebenslage als die Pflegebedürftigkeit. Darum sind Eingliederungsbedarf/ -bedürftigkeit und Pflegebedarf/ -bedürftigkeit zwei unterschiedliche Phänomene, die sich in ihrer realen Auswirkung überschneiden können. Auf der Grundlage des Übereinkommens über die Rechte der Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen (Behindertenrechtskonvention) kann diese Argumentation folgendermaßen unterstützt werden: Nach Artikel 26 (Habilitation und Rehabilitation) sind die Vertragsstaaten verpflichtet geeignete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um ein Höchstmaß an Unabhängigkeit zu ermöglichen. Der Begriff Höchstmaß an Unabhängigkeit entspricht dem Ziel der Eingliederungshilfe nach 53 Abs. 4 SGB XII i.v.m. 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX: Eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung ist zu ermöglichen. Auch das geltende Recht in Deutschland geht nicht davon aus, dass Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe miteinander verrechnet werden können. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass beide Leistungen nebeneinander gewährt werden können: Wenn Menschen mit Behinderung z.b. in der eigenen Wohnung leben und die Voraussetzung nach 15 SGB XI erfüllen, erhalten sie zu den Leistungen der Eingliederungshilfe (z.b. zur Teilhabe am Arbeitsleben) auch Leistungen der Pflegeversicherung. 2.2 Der teilhabeorientierte Pflegebedürftigkeitsbegriff Unter der Voraussetzung, dass die Pflegebedürftigkeit nicht mehr allein an den körperlichen Einschränkungen festgemacht wird, werden auch mehr Menschen mit Behinderung als pflegebedürftige Menschen und damit als mögliche Leistungsbezieher der Pfle- 2

geversicherung anerkannt. Eine Untersuchung von Prof. Rothgang der Uni Bremen hat gezeigt 1, dass die Anzahl der möglichen Leistungsbezieher überproportional ansteigen wird, wenn man Menschen mit Behinderung in die Begutachtung einbezieht, die bisher in der so genannten Pflegestufe 0 waren oder gar nicht begutachtet wurden. Je nach Szenarien sind Mehrkosten von 0,45 bis 3,6 Mrd. Euro für die soziale Pflegeversicherung zu erwarten. Diese Veränderung würden zwar auch die Kosten der Hilfe zur Pflege ausweiten, aber dennoch erwarten die Sozialhilfeträger insgesamt betrachtet ein hohes Einsparpotential. Diese Argumentation und Erwartung gehen jedoch von der falschen Voraussetzung einer Deckungsgleichheit des Pflege- und des Teilhabebedarfs und der Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe aus. 2.3 Die Nachrangigkeit der Sozialhilfe Sozialhilfeträger argumentieren häufig mit der Nachrangigkeit der Sozialhilfe und verweisen Menschen mit Behinderung auf die aus ihrer Sicht vorrangigen Leistungen der Pflegeversicherung. Dagegen spricht eindeutig die Regelung in 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI, dass Leistungen der Eingliederungshilfe im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig sind. Auch dann, wenn der Pflegebedarf nicht mehr allein durch die körperlichen Einschränkungen definiert wird, ändert sich daran nichts. 2.4 Scheinbare Privilegierung behinderter Menschen Die scheinbare Privilegierung ergibt sich nur daraus, dass der Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe von pflegebedürftigen Menschen selten erhoben wird. Sobald auch pflegebedürftige Menschen als behindert oder von Behinderung bedroht gelten, stehen ihnen Leistungen mit der Zielsetzung zu, die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erreichen ( 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX). Besonders bei demenziell erkrankten Menschen wird deutlich, dass die Auswirkungen ihrer Funktionsstörungen und Einschränkungen vergleichbar sind mit anderen Formen der geistigen Funktionsstörungen und Einschränkungen, die eindeutig als Behinderung deklariert und leistungsrechtlich anerkannt werden. 2.5 Binnendifferenzierung oder Pflegeheim mit Eingliederungshilfe-Zuschlag Dem Druck der Sozialhilfeträger bei Einführung der sozialen Pflegeversicherung, pflegebedürftige Menschen mit Behinderung statt im Wohnheim in einem Pflegeheim unterzubringen, wurde mit dem oben geschilderten systemwidrigen Kompromiss begegnet, der im 43 a SGB XI seinen Niederschlag fand. Damit wurde der Druck zwar verringert, aber die Versuche der Sozialhilfeträger blieben. 1 Rothgang, H. u.a.: Finanzielle Auswirkungen der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des dazugehörigen Assessments für die Sozialhilfeträger und die Pflegekassen Abschlussbericht Bremen 2008 3

Darum wurde die so genannte Binnendifferenzierung oder das Pflegeheim mit Eingliederungshilfe-Zuschlag entwickelt: Der Träger der Behindertenhilfe wandelt eine Teil des Wohnheims in eine Pflegeabteilung oder das ganze Wohnheim in ein Pflegeheim mit Versorgungsvertrag nach SGB XI um und vereinbart mit dem zuständigen Sozialhilfeträger eine zusätzliche Vergütung aus. Er kann damit einen besseren Personalschlüssel als in einem normalen Pflegeheim finanzieren und den Menschen mit Behinderung durch mehr Personal auch Eingliederungshilfe zusätzlich zu der Pflege bieten. Allerdings ist diese Situation unbefriedigend, weil eine solche stationäre Einrichtung unter dem Regime der Pflegeversicherung steht. Die Flexibilität, die man bei den Leistungen der Eingliederungshilfe kennt, ist dadurch verloren. Viel kritischer ist zu sehen, dass hier häufig über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern eine Vereinbarung getroffen wird. Selbstverständlich werden formal der Mensch mit Behinderung und/ oder sein rechtlicher Betreuer gefragt, ob er Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen und darum in das (neue) Pflegeheim umziehen will. Es bleibt aber in der Regel überhaupt keine Wahl. 3. Lösungsvorschlag Eine ganzheitliche Leistung zur Teilhabe auch beim Vorliegen eines hohen Pflegebedarfs verlangt ein Gesamtkonzept, das auf die Trennung zwischen Pflegebedarf und Eingliederungshilfebedarf verzichtet. Wenn man Alltagstätigkeiten betrachtet, leuchtet diese Aussage unmittelbar ein. Dazu müssten jedoch die strikten Vorgaben der Pflegeversicherung, unter denen überhaupt Pflege als Leistung erbracht werden kann, verändert werden. Allein eine neue Definition der Pflegebedürftigkeit und ein neues Assessment reichen nicht aus. Ein grundlegender Systemwechsel ist dafür erforderlich. Da ein solches Gesamtkonzept in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen: 4 Menschen mit Behinderung und ihre rechtlich Betreuer sind darüber aufzuklären, dass sie auch bei Pflegebedürftigkeit und Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung zuerst Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben. Einer nachrangigen Behandlung des Anspruchs auf Eingliederungshilfe muss widersprochen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Musterklagen anzustreben. Die Kompromisslösung entsprechend dem 43 a SGB XI, nach dem die Pflegeversicherung maximal 256 leistet, ist unzureichend. Den Versicherten stehen volle Pflegeleistungen zu. Darum muss das Heim der Behindertenhilfe als so genannte Häuslichkeit anerkannt werden. Behinderte Menschen leben dort nicht nur während eines begrenzten Zeitraums oder während einer bestimmten Phase ihres Lebens. Sie sind dort zu Hause. Diese Aussage kann man als subjektives Gefühl bei den Bewohnern feststellen. Man kann sie auch objektiv mit dem Zeitraum belegen, den sie im Heim verbringen. Dieses Wohnheim ist nicht vergleichbar mit dem Pflegeheim, in dem nach strikten vorgegebenen Regeln Pflegeleistungen erbracht werden. Wird die Häuslichkeit anerkannt, sind ambulante Pflegesachleistungen oder Pflegegeld nach den Regeln des SGB XI ohne weitere gesetzliche Veränderungen möglich. Eine sinnvolle Lösung für eine teilhabeorientierte Leistung der Pflegeversicherung für Menschen, die gleichzeitig Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen haben, ist das trägerübergreifende Persönliche Budget: Für viele Menschen mit Behinderung, die auch einen Pflegebedarf haben, sind die Pflegeversicherungsleistungen wie weiter

oben ausgeführt - eine Ergänzung zu den Teilhabeleistungen. Damit die Teilhabeorientierung der Pflegeversicherungsleistung verwirklicht werden kann, sind beide Leistungen möglichst als Komplexleistung zu gewähren. Aus der negativen Erfahrung mit der Frühförderung als Komplexleistung gibt es eine sinnvolle und für Menschen mit Behinderung annehmbare Lösung, nämlich das trägerübergreifende Persönliche Budget. Dazu müssen die positiven Erfahrungen aus den Modellversuchen zum Pflegebudget und Integrierten Budget 2 in die Praxis umgesetzt werden und die Pflegeversicherung muss als Rehabilitationsträger in das SGB IX aufgenommen werden. Unter dieser Voraussetzung kann der 43 a SGB XI ersatzlos gestrichen werden. Freiburg, den 14. April 2011 Deutscher e.v. Vorstandsbereich Sozial- und Fachpolitik Prof. Dr. Georg Cremer Generalsekretär Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.v. Dr. Elisabeth Kludas Vorsitzende Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e.v. Hanno Heil Vorsitzender Kontakt: Dr. Franz Fink, Leiter Referat Altenhilfe, Behindertenhilfe und Gesundheitsförderung Tel. 0761 200 366, E-Mail: franz.fink@caritas.de 2 Vgl www.gkv-spitzenverband.de/upload/ Abschlussbericht_Pflegebudget_AGP_3272.pdf und www.gkvspitzenverband.de/upload/abschlussbericht_integriertes Budget_3256.pdf 5