JUNI / JULI 2011 AlixPartners Viewpoint 2011: BUCKLE UP -- TURBULENCE AHEAD Einkauf in der zweiten Dekade Volatilität wird zum Normalzustand Von Manuel Backhaus, Managing Director, AlixPartners und Dr. Marcus Kleinfeld, Director, AlixPartners Die Rohstoffpreise steigen wieder. Seit ihrem krisenbedingten scharfen Einbruch Anfang 2009 haben wir massive Preisschwankungen gesehen, mit einen Anstieg von über 100% in vielen Segmenten, von Metallen über chemische Rohstoffe bis hin zu Lebensmitteln. Die in dieser Größenordnung noch vor wenigen Jahren unbekannte Volatilität wird weiter anhalten, sei es durch den nach wie vor steigenden Bedarf in China, Naturkatastrophen, politische Unruhen oder aber durch Spekulation. Viele Stimmen warnen bereits vor einem ähnlichen Verlauf wie 2008. Heißt das etwa, dass wir nur wieder die gleichen Rezepte anwenden müssen wie nach der letzen Krise, die zumindest in Deutschland so schnell und gut überwunden wurde? MAKULATUR: DIE ERFAHRUNGEN DES JAHRES 2008 Die Einkaufsleiter vieler Unternehmen haben im Jahr 2008 leidvolle Erfahrungen gemacht, als es galt, Preissteigerungen abzuwehren, zugleich aber auch die Materialverfügbarkeit sicherzustellen und einigermaßen verlässliche Aussagen zu Budgets, Zielen und Planungen zu treffen, die allesamt kurz danach Makulatur wurden. Diese Themen verschwanden in der Krise 2009 ebenso plötzlich wieder von der Agenda und wurden abgelöst von Krisenmanagement, Kapazitätsabbau und Kostensenkungsmaßnahmen und dem Bestreben, Rohstoffpreisreduzierungen möglichst schnell bei den eigenen Zukäufen zu realisieren.
2 2011: ZURÜCK IN DIE VERGANGENHEIT? 1. ROHSTOFFPREIS- RISIKOMANAGEMENT Nun aber sind viele Unternehmen im Jahr 2011 nicht einfach dort zurück, wo sie vor drei Jahren schon einmal waren. Eine von AlixPartners kürzlich durchgeführte Einkaufs-Benchmarking-Studie mit großen europäischen Konzernen unterschiedlicher Branchen hat gezeigt, dass gerade die erfolgreichen Unternehmen in den letzten drei Jahren trotz oder gerade wegen der Krise erhebliche Verbesserungen in ihren Einkaufsprozessen und -strukturen umgesetzt haben. Vier Themen treten dabei besonders hervor: Starke Rohstoffpreis-Schwankungen werden zum Normalfall. Es gilt, die Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette transparent zu machen und in funktionsübergreifenden Teams schnelle und vor allem abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen: Zu welchen Konditionen soll der Einkauf abschließen? Welche Hedging-Strategie soll angewendet werden? Wie viel kann oder muss an den Kunden weitergegeben werden und wie schnell soll das geschehen? ROHSTOFF-RISIKOMANAGEMENT-ZYKLUS Anpassung der mittelbis langfristigen Beschaffungsstrategie Einkaufsstrategie Monitoring Monitoring der Beschaffungsmärkte und der Lieferanten Funktionsübergreifende Abstimmung und Umsetzung von Maßnahmen Aktives Risikomanagement Risikobewertung Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette bis hin zum Endprodukt
3 Zusammen mit einem großen Lebensmittelhersteller hat AlixPartners Anfang 2011 einen industrieübergreifenden Best Practice Vergleich zur Beschaffung von Rohstoffen durchgeführt. Dabei wurden vier Erfolgsfaktoren identifiziert und in der Folge konsequent umgesetzt: Tiefes und aktuelles Verständnis von Rohstoffpreisentwicklungen und deren Ursachen. Enge Zusammenarbeit mit Agenturen, Brokern und eigenen Teams vor Ort bei den Produzenten. Detailliertes Verständnis der Auswirkungen von Rohstoffpreisänderungen sowie potenziellen Versorgungsengpässen in der eigenen Wertschöpfungskette, bis hin zum Endprodukt. Echtzeitsimulation verschiedener Entwicklungsszenarien. Flexible und schnelle Reaktion durch funktionsübergreifende Zusammenarbeit. Mit dem Vertrieb zur Weitergabe von Preissteigerungen, wo und wann immer möglich und als Argumentationshilfe gegenüber Kunden. Mit Produktentwicklung für größere Flexibilität bei Spezifikationen und Formulierungen. Mit Supply Chain für größere Flexibilität bei der Nutzung des globalen Lieferantennetzwerkes und möglicher Rückwärtsintegration. Optimierung von Hedging / Forward Buying. Enge Abstimmung mit Finanzen, um die Kosten der finanziellen Absicherungsmaßnahmen zu optimieren, ohne das Unternehmen in den Bereich der Rohstoffspekulation driften zu lassen. 2. KAPAZITÄTSSTEIGERUNGS- PROGRAMM Viele Lieferanten haben in der letzten Krise ihre Kapazitäten schmerzvoll reduzieren müssen und ziehen es nun verständlicherweise vor, mit knappen Kapazitäten höhere Margen zu erwirtschaften, anstatt in den (zu schnellen) Ausbau ihrer Kapazitäten zu investieren. Wer seine Lieferanten aktiv dabei unterstützt, Engpässe entlang der gesamten Lieferkette zu identifizieren und ihrerseits gemeinsam mit Vorlieferanten zu beseitigen, verschafft sich einen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern. Für einen führenden Tier 1 Automobilzulieferer konnte AlixPartners kürzlich nachweisen, dass die durchschnittliche Maschinen- und Anlagenauslastung der kritischen Tier 2 Lieferanten statt der angenommenen und kommunizierten 75% tatsächlich nur bei durchschnittlich 62% lag. Durch gemeinsame Maßnahmen mit den Lieferanten konnte die OEE innerhalb weniger Wochen auf fast 80% im Durchschnitt verbessert werden, was eine Steigerung des Liefer-Volumens um 25% bedeutete. Durch transparente und partnerschaftliche Arbeit entlang der Zulieferkette wurden damit drohende Lieferengpässe erfolgreich vermieden, wertvolle Zeit für die Planung längerfristiger Investitionen wurde gewonnen.
4 STANDARDPROZESS ZUR TECHNISCHEN KOSTENREDUZIERUNG GEMEINSAM MIT SCHLÜSSELLIEFERANTEN 1 2 3 4 5 Interner Technical Expert Projektdefinition Expertenworkshop Workshops mit Bewertung und Briefing der Lieferanten aller Ideen Lieferanten Entscheidung und Umsetzung PM1 Kick-off Gesamtteam: Monat 1 PM2 Lieferanten- Briefing: Monat 2 PM3 Ideen- Bewertung: Monat 4 PM4 Entscheidung: Monat 5 PM5 Umsetzung: Monat 6 Teamdefinition Bestimmung der Produkte / Teile Lieferantenauswahl Zieldefinition je Team Datensammlung: Spezifikationen, Volumen, physische Teile Analyse der Komponenten und Identifikation von Unterschieden hinsichtlich: Designprinzipien Materialien Alternativer Lösungen Make vs. Buy Produktionsverfahren Erstellung der Ideen- Long List Identifikation technologischer Innovationen Identifikation von Unterschieden zwischen derzeitigen Lösungen und Industriestandards Abschätzung von Kostensenkungs- Potenzialen Vorschlag für technische Änderungen Finalisierung der Ideengenerierung Bewertung der Lösungsvorschläge Finaler Vorschlag vom Lieferanten Implementierungsplan (Draft) Finale Präsentation der Lieferanten Lieferanten- Verhandlung und -auswahl Kick-off der Umsetzung 3. TECHNISCHE KOSTEN- REDUZIERUNG Die Beschaffungsmärkte haben sich in der letzen Dekade vielfach schon so stark globalisiert, dass durch verstärktes Global Sourcing keine weiteren fundamentalen Verbesserungen bei Preisen und Materialverfügbarkeit mehr zu erzielen sind. Zudem hat sich gezeigt, dass die Suche nach immer exotischeren Lieferquellen aufgrund von Qualitäts- und Verfügbarkeitsproblemen oft nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht hat. Ein Ausweg besteht darin, technische Potenziale konsequent auszuschöpfen, d.h. durch die gezielte Veränderung von Spezifikationen oder Rezepturen mehr Handlungsspielraum am Beschaffungsmarkt zu bekommen, aber auch mehr Innovationsimpulse von den Lieferanten und diese auch zu nutzen. Ein Unternehmen der High-Tech Industrie stand zum Beispiel vor der Herausforderung, auf der Marktseite einen jährlichen Preisverfall im zweistelligen Prozentbereich hinnehmen zu müssen, ohne dass auf der Beschaffungsseite ähnliche Potenziale trotz globalem Einkauf auch nur annähernd erzielt werden konnten. AlixPartners hat dieses Unternehmen dabei unterstützt,
5 WANN FUNKTIONIEREN EINKAUFSALLIANZEN UND WANN NICHT? GLEICH Kunden / Märkte UNTERSCHIEDLICH Gleich+ Skaleneffekt Einkaufs- Kategorien NEIN (Direkter Wettbewerb) JA (Große Synergien, geringer Wettbewerb) Unterschiedlich oder Keine zusätzliche Skaleneffekete NEIN (Keine Synergien) NEIN (Keine Synergien) einen global einheitlichen Prozess mit ausgesuchten Lieferanten einzuführen, durch den technische Kostenhebel systematisch identifiziert, bewertet und vor allem konsequent umgesetzt werden. Damit konnten die jährlichen Kostensenkungen auf der Materialseite mit dem Preisverfall auf der Produktseite schließlich mithalten. 4. EINKAUFSALLIANZEN In vielen Beschaffungsmärkten ist eine immer stärkere Konsolidierung bis hin zur Entstehung von Oligopolen festzustellen. Hier hilft am Ende nur noch die schiere Größe der Nachfrage, um ausreichende Kapazitäten zu akzeptablen Preisen zu sichern. Auch wenn unternehmensübergreifende Einkaufsallianzen in der Vergangenheit sehr oft an zu unterschiedlichen strategischen Zielen der Beteiligten oder auch schlicht an ihrer operativen Komplexität gescheitert sind, gibt es gerade in letzter Zeit wieder einige vielversprechende Ansätze jedoch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. AlixPartners unterstützt derzeit große internationale Konzerne dabei, ihren Einkauf unternehmensübergreifend zusammen zu legen. Hieraus versprechen sich die Unternehmen erhebliche Einsparungen und eine stärkere Position in globalen, teils oligopolistischen Märkten. Das rechtfertigt auch den nicht unerheblichen Umsetzungsaufwand. Dieser reicht - neben der eigentlichen Einkaufsarbeit von der Lösung kartell- und gesellschaftsrechtlicher Fragen über die Veränderung von Prozessen und Strukturen in den beteiligten Unternehmen bis hin zu personellen und kulturellen Herausforderungen.
6 HERAUSFORDERUNG ANNEHMEN VERBESSERUNGEN UMSETZEN! Verglichen mit 2008 stehen heute wieder ähnliche Herausforderungen auf der Agenda des Einkaufs. Bei den Unternehmen, die aus dem letzen Zyklus ihre Lehren gezogen haben, haben sie jedoch viel von ihrem ursprünglichen Schrecken verloren. Auch wenn sich die Berechenbarkeit des Beschaffungsumfelds absehbar nicht verbessern wird, so versteht es der Einkauf erfolgreicher Unternehmen doch, damit zunehmend gut umzugehen. Eine andere Wahl bleibt ihm auch nicht. Manuel Backhaus hat mehr als 20 Jahre Beratungserfahrung im Bereich des Einkaufs. Bei AlixPartners ist er in Europa zusammen mit einem Team von etwa 40 Beratern für diesen Themenbereich verantwortlich. Er selbst betreut vor allem große Industrieunternehmen aus den Bereichen Konsumgüter, Chemie, Automobil und Telekommunikation. Weitere thematische Schwerpunkte sind neben dem Einkauf Supply Chain, Merger Integration und Overhead-Optimierung. Kontakt: mbackhaus@alixpartners.com oder +49 211 97 55 10 47 Dr. Marcus Kleinfeld hat mehr als 12 Jahre Erfahrung in der Unternehmensberatung. Bei AlixPartners betreut er überwiegend Klienten aus den Bereichen Industriegüter und Konsumgüter, sowie Automobil-Zulieferer. Er hat verschiedenste Projekte rund um die Supply Chain und den Einkauf in Europa begleitet, von Prozess- und Organisationsthemen bis hin zur vollen Übernahme von Interimsfunktionen im Einkauf. Kontakt: mkleinfeld@alixpartners.com oder +49 89 20 30 40 57 AlixPartners is a global firm of senior business and consulting professionals that specializes in improving corporate financial and operational performance, executing corporate turnarounds and providing litigation consulting and forensic accounting services when it really matters in urgent, high-impact situations.