Die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG



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Transkript:

Die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG A) Schutzbereich I. Personeller Schutzbereich des Art. 4 GG 1. Natürliche Personen individuelle Religionsfreiheit kollektive Religionsfreiheit religiöse Vereinigungsfreiheit (in Art. 4 Abs. 1, 2 GG enthalten, aber lex specialis: Art. 140 GG i.v.m. Art. 137 Abs. 2 WRV) 2. Juristische Personen a) Religionsgemeinschaften korporative Religionsfreiheit (Religionsfreiheit als Recht der Religionsgemeinschaft als solcher) (vgl. BVerfGE 19, 129 (132)) Streit: Gewährleistung direkt in Art. 4 GG oder nur in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG? b) Vereinigung zur partiellen Pflege der Religion bzw. Weltanschauung religiöse Krankenhäuser, Kinder- und Jugendhilfe etc. c) Sonstige juristische Personen i.s.d. Art. 19 Abs. 3 GG beachte: Auch Religionsgemeinschaften, die gem. Art. 137 Abs. 5 WRV als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KöR) organisiert sind! Begrd.: keine staatl. oder vom Staat geschaffene Einrichtungen, sondern gesellschaftliche Vereinigungen Folge: unbegrenzte Grundrechtsfähigkeit der KöR (vgl. BVerfGE 102, 370 (387)) 1. Weites Schutzbereichsverständnis II. Sachlicher Schutzbereich a) Schutzgegenstände nach dem Wortlaut des Art 4 GG Differenzierung nach Wirkung des Verhaltens in der Öffentlichkeit Gegenstände forum internum: Freiheit des Glaubens forum externum: Freiheit des Bekenntnisses (Freiheit, religiöse oder weltanschauliche Überzeugung kundzutun; Spezialfall der Meinungsfreiheit) forum externum: Freiheit der Religionsausübung 1

b) Position des BVerfG: Weites Schutzbereichsverständnis c) Teile der Literatur Differenzierung zwischen den einzelnen Gewährleistungsgehalten Glauben, Bekenntnis und Religionsausübung (Vertreter: Kästner, Czermak, Huster, Muckel) d) Argumente für/gegen ein weites Schutzbereichsverständnis aa) Zum BVerfG Pro: heute Begriffe weitgehend Synonyme historische Gründe für Differenzierung Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen den einzelnen Begriffen Bewahrung der Offenheit des Art. 4 GG für den Schutz neuer, heute noch unbekannter Religionen und religiösen Ausdrucksformen Hoher Wert von Art. 4 GG: Verständnis der Religionsfreiheit als spezifische Ausdrucksform der Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 GG) Contra: Aufblähung (Hypertrophie) des Grundrechts und Widerspruch zum staatlichen Bedürfnis nach Schrankenziehung bb) Zum Teil der Lehre Pro: Wortlaut Schärfere Konturen des Schutzbereiches (Gedanke der Rechtssicherheit) Contra: Vergleichsfall Art. 12 GG: einheitlicher Berufsbegriff Ziel dieser Auffassung: Einschränkung der Religionsfreiheit, denn so könnte Schranke aus Art. 136 Abs. 1 WRV übertragen werden. Dem steht aber der Wortlaut des Art. 4 GG entgegen. Bestimmung der Grenzen der Religionsfreiheit würde in die Definition der Begriffe Glauben, Bekenntnis, Religionsausübung und damit auf Gerichte verlagert (Gefährdung der religiösen Neutralität des Staates). 2. Begriff der Religion und der Weltanschauung a) Allgemeine Definition Anhaltspunkt: BVerwG (BVerwGE 90, 112): = eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens Oder: Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten => auch Gedankensysteme, die keinen Gottesbegriff kennen Unterschied Religion-Weltanschauung: transzendentaler Bezug der Religion 2

b) Weitere Kriterien aa) Berücksichtigung des Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers (Rspr. und h.l.) Begründung: Religiöse u. weltanschauliche Neutralität des Staates Der Staat darf einen Glauben und seine theologische Qualität nicht bewerten und auch nicht selbst die Wertigkeit eines religiösen Gebotes bestimmen. (Relevanz: u.a. in der Beschneidungsdebatte: Der Staat darf den Religionsgemeinschaften keine Ersatzriten oktroyieren.) Grenze: Keine ausschließliche Maßgeblichkeit des Selbstverständnisses, da sonst die Reichweite der Religionsfreiheit im Belieben des Grundrechtsträgers läge bb) Allgemein geistiger Gehalt äußeres Erscheinungsbild cc) Im Einzelnen Plausibilität der Behauptung Hinreichend geschlossenes Gedankengebäude Personeller Zusammenhang durch Organisation Mindestkonsens über Glaubensinhalte b) Erscheinungsformen der Religionsfreiheit aa) Freiheit des Glaubens = Freiheit der Bildung und Beibehaltung einer inneren religiösen Vorstellung (Ausbilden und Haben des Glaubens) bb) Freiheit des Bekenntnisses = Recht, den eigenen Glauben nach außen kundzutun in Wort, Schrift, Bild o.ä. cc) Freiheit der Religionsausübung = sämtliche Erscheinungsformen der religiösen Betätigung und Zwecke, unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses Unstreitig: Kultusfreiheit Abhalten von Gottesdiensten, sakrales Glockengeläut, Ruf des Muezzins, Gebete etc. Sonstiges h.m.: weites Verständnis = alle Handlungen, die von religiöser Überzeugung motiviert, getragen oder verlangt werden TdL.: engeres Verständnis 1.M. (Schoch, Kästner, Waldhoff): Begrenzung auf Kultusfreiheit 2.M. (Walter, Borowski, Classen): Konnexitätsgebot: das staatlich befohlene oder verbotene Handeln muss gerade mit echten, konkreten oder zwingenden Glaubenssätzen der Religion kollidieren 3

3. Schutzumfang a) Positive Religionsfreiheit = Verwirklichung der Religion durch Reden und Handeln Beispiele: Werbung für den eigenen Glauben Abwerbung eines fremden Glaubens Kultische Handlungen (Gottesdienst i.w.s., inkl. freireligiöse und atheistische Feiern) Religiöse Gebräuche (z.b. Kollekten, Gebete, Sakramente, Prozessionen, Kirchenfahnen, Glockengeläut) Religiöse Erziehung (i.v.m. Art. 6 Abs. 2 GG) Religiöse Kleidungsvorschriften (Kopftuch, sonstige Kopfbedeckungen etc.) Religiöse Speisevorschriften Religiös begründetes Schächten von Tieren Religiös begründete Beschneidung von männlichen Kindern Wichtig: Diese Handlungen sind von der Religionsfreiheit erfasst und grundsätzlich geschützt, unabhängig davon, ob ihre Ausführung ggf. Grundrechte anderer tangiert. Kollidierende Rechte anderer und daraus ggf. folgende Schutzpflichten des Staates sind Fragen der Rechtfertigung (sie bilden ggf. verfassungsimmanente Schranken des Grundrechts), nicht des Schutzbereichs! (vgl. Schutz der Beschneidung durch Art. 4 GG; eventuell kollidierende Rechte des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 GG als Grundlage für eine evtl. staatliche Schutzpflicht und damit ggf. als verfassungsimmanente Schranke) Handlungen werden wegen ihrer religiösen Begründung besonders geschützt. Es ist deshalb kein religiöses Sonderrecht, sondern Wahrung der Religionsfreiheit, wenn der Staat und bestimmten Voraussetzungen religiös begründetes Verhalten besonders schützt oder erlaubt (Bspl.: Schächten: ohne religiöse Begründung verboten; mit religiöser Motivation erlaubt, 4a TierschutzG). b) Negative Religionsfreiheit Abwehr kirchlicher/religionsgemeinschaftlicher und staatlicher Machtansprüche Recht, religiöse Auffassung zu verschweigen (inkl. Vermeiden von Situationen, wo Schweigen zur Aussage wird), Recht, an kultischen Handlungen nicht teilzunehmen (z.b. Schulgebet) Beachte: nicht Recht, die positive Ausübung der Religionsfreiheit anderer zu verbieten! c) Verhältnis zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit negative Religionsfreiheit hat keinen Vorrang vor positiver Religionsfreiheit! 4

B) Eingriffe I. Zurechnung als staatliches Handeln 1. Grundsatz: Grundrechtsbindung nur des Staates (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) 2. Ausnahme: Grundrechtsbindung Privater/Religionsgemeinschaften Vor.: Ausübung von Hoheitsgewalt Beispiele: Privatschulwesen Beamte von Körperschaften des öffentlichen Rechts Tätigwerden von Privaten für den Staat II. Eingriffsbegriff weiter Eingriffsbegriff: auch mittelbare Einwirkungen 1. Relevanz im Bereich der Religionsfreiheit Aufhängen von Kruzifixen im Klassenzimmer Staatliche Warnung vor Jugendsekten 2. Grenze der Ausweitung Unwesentliche Beeinträchtigung Keine Vorhersehbarkeit der Folgen (vgl. Art. 12 GG: Erfordernis einer berufsregelnden Tendenz des Eingriffs) 1. Grundsätzlich: (-) 2. Ausnahmen III. Problem: Leistungsanspruch aus Art. 4 GG? a) Leistungsansprüche aus Bestimmungen des Grundgesetzes Religionsunterricht, Art. 7 Abs. 3 GG Sonn- und Feiertagsschutz, Art. 139 WRV ivm. Art. 140 GG Kirchengutsgarantie und Staatsleistungsablösungsgebot, Art. 138 Abs. 1 WRV ivm. Art. 140 GG b) Leistungsansprüche aus Gedanken der objektiven Wertordnung der Grundrechte Ableitung einer Schutzpflicht des Staates gegen Beeinträchtigungen durch Dritte (Bspl.: 166-168 StGB) Pflicht zur Auslegung von Rechtsvorschriften isd. Wahrung der Religionsfreiheit 5

c) Leistungsansprüche aus Leistung an andere Private Voraussetzung: Förderung der anderen Privaten wirkt wie staatlicher Eingriff und Staat unterläuft so Voraussetzungen für sein Tätigwerden d) Leistungsanspruch aus Wesentlichkeit der Leistung für Grundrechtsverwirklichung Anspruch aus Art. 4 GG ivm. Art. 3 Abs. 1, 3 GG C) Schranken I. Vorliegen einer Schranke (Str.) 1. Übertragung der Schranke aus Art. 140 GG i.v.m. Art. 136 Abs. 1 WRV (T.d.L.) Vertreter: Schoch, Kästner, Jarass Pro: Systematik: Art. 137 Abs. 3 WRV als Schranke der korporierten Religionsfreiheit, folglich könne auch Art. 136 Abs. 1 WRV eine Schranke für Art. 4 GG sein Teleologisch: Ohne Schrankenübertragung Leerlaufen von Art. 136 Abs. 1 WRV Teleologisch: Gesetzesvorbehalt als Gegengewicht zum weiten Schutzbereichsverständnis bei Art. 4 GG 2. Religionsfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht (BVerfG u. h.l.) Folge: Verfassungsimmanente Schranken des Art. 4 GG Pro: Wortlaut des Art. 4 GG: enthält keine Schranke Systematische Stellung des Art. 136 Abs. 1 WRV nicht im Grundrechtsteil bei Art. 4 GG Systematik/Dogmatik: Auch bei anderen schrankenlos gewährleisteten Grundrechten wie z.b. der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) keine Schrankenübertragung II. Anforderungen an eine verfassungsmäßige Realisierung der verfassungsimmanenten Schranken 1. Allgemeine Anforderungen a) Vorliegen einer verfassungsimmanenten Schranke: Grundrechte Dritter oder ein sonstiges Gut mit Verfassungsrang 6

b) Ein förmliches Gesetz (Parlamentsgesetz) als Ausformung der verfassungsimmanenten Schranke b) Verfassungsmäßigkeit des förmlichen Gesetzes (insbes. Verhältnismäßigkeit) c) Ggf. Verfassungskonforme Anwendung des Parlamentsgesetzes insbes. Verhältnismäßigkeit 2. Beispiele für mögliche verfassungsimmanente Schranken der Religionsfreiheit a) Grundrechte Dritter Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG (vgl. Beschneidung) Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG etc. b) Sonstige Verfassungsgüter Art. 20a GG: Tierschutz Art. 7 Abs. 1 GG: staatlicher Bildungsauftrag (ggf. Schulfrieden, vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30.11.2011, Az. 6 C 20/10: Schulfrieden als Schranke des Rechts der Schüler, in der Schule außerhalb der Unterrichtszeiten zu beten) Art. 20 Abs. 3; Art. 28 Abs. 1 GG: Rechtsstaatsprinzip: Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung Art. 136 Abs. 3 S. 2 i.v.m. Art. 137 Abs. 6 WRV: Pflicht zur Mitteilung der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft für Vermerk auf der Lohnsteuerkarte, um den Einzug der Kirchensteuer zu ermöglichen Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV: Mitteilung der Religionszugehörigkeit für statistische Erhebung 7

D) Verhältnis zu anderen Grundrechtsgewährleistungen I. Das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht, Art. 137 Abs. 3 WRV 1. Wesensmäßiger, innerer Zusammenhang mit der Religionsfreiheit des Art. 4 GG (BVerfGE 53, 366) Folgen: Verletzung des Art. 137 Abs. 3 WRV z.b. bedeutet gleichzeitig Verletzung von Art. 4 GG (korporative Religionsfreiheit), so dass Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bei Verletzung des Art. 137 Abs. 3 WRV über Art. 4 GG 2. Aber: Rechte der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG ivm. WRV alleine keine Grundrechte isd. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (abschließende Aufzählung) 1. Grundsatz II. Andere Artikel der Weimarer Reichsverfassung a) BVerfG Gleichrangigkeit mit Religionsfreiheit innerer Zusammenhang mit Art. 4 GG z.b.: KöR-Status aus Art. 137 Abs. 5 WRV oder Kirchengutsgarantie aus Art. 138 Abs. 2 WRV als Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit (BVerfGE 102, 370 (387, 395) und BVerfGE 99, 100 (119 ff.)) b) Kritik (Vertreter: Korioth, Grzeszick, Uhle, Tillmanns) Überdehnung der Religionsfreiheit Missachtung des institutionellen (objektiven nicht subjektiven) Charakters des Staatskirchenrechts c) Allgemeine Ansicht KöR-Status und Anspruch auf Verleihung folgt nicht aus Religionsfreiheit! 2. Sonderfall: Sonn- und Feiertagsschutz, Art. 139 WRV a) h.m. in der Literatur (u.a. v. Campenhausen, Walter): Rein institutionelle Garantie Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) also kein Recht der Kirchen 8

b) a.a. (Unruh, BVerfG, U. v. 01.12.2009, BVerfGE 125, 39): Teil der Religionsfreiheit Argumente des BVerfG in BVerfGE 125, 39: Art. 139 WRV als Konkretisierung der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bzgl. Sonn- und Feiertagen. Weimarer Artikel funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit angelegt (Rn. 122, 138) Regelungszweck des Art. 139 WRV: Schutz einer wesentlichen Grundlage für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen und des sozialen Zusammenlebens und damit Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten (Grundrechtsschutz ise. Grundrechtsvoraussetzungsschutzes) (Rn. 139) Selbstbetroffenheit der Kirchen, da die Ganzheit als Tage der Ruhe und seelischen Erbauung, wie sie die Kirchen für den Sonntag den 5. Büchern Mose entnimmt (Ex 23, 12; Dtn. 5, 12-14 und Zehn Gebote, Ex. 20, 8-11), betroffen (Rn. 124). Systematik der Kirchenartikel in der WRV: Stellung des Art. 139 WRV im Grundrechtsteil der WRV und dort unter Religion und Religionsgesellschaften (Rn. 140). Contra: Basis von Art. 139 WRV primär das Sozialstaatsprinzip. Schwerpunkt: Wahrung kultureller, religiös geprägter Identität Systematik: Art. 139 WRV heute außerhalb des Grundrechtsteils des GG (Art. 1 Art. 19 GG) Zentrales Argument des BVerfG ist die Gesamtprägung des Tages; dies ist aber ein objektives Kriterium: Es gibt kein Grundrecht auf eine Verhaltenspflicht anderer Bürger (hier: auf die Ruhe der anderen). Paritätsgedanke/Dogmatik: Würde eine partielle, die christlichen Religionsgemeinschaften bevorzugende Schutzpflicht des Staates für die Religionsfreiheit, also im grundrechtlichen Bereich, bedeuten. Der Sonntag ist ein Feiertag, der spezifisch christlich ist und vom BVerfG auch so definiert wird, so dass zumindest dieser Schutz von den anderen Religionsgemeinschaften nie erworben werden kann und eine Berufung auf diesen ihrer Theologie fremden Aspekt, noch dazu im Rahmen ihrer Religionsfreiheit, nicht möglich scheint (anderer Ansicht: Mosbacher, NVwZ 2010, 537 (540)). Vergleich mit ähnlichen Sonderstellungen: KöR-Status der Kirchen i.s.d. Art. 137 Abs. 5 WRV, den diese nach dem Ende des Kaiserreichs bzw. der Weimarer Zeit behalten haben, ist eben gerade kein Grundrecht. Allgemeine Literaturhinweise: Von Campenhausen, Axel Freiherr/de Wall, Heinrich, Staatskirchenrecht, 4. Aufl., München 2006, 12 Unruh, Peter, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 2012, 4 9