Fertigkeiten der Achtsamkeit (Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS), Baer, Smith & Allen (2004) Beobachten aufmerksame Beobachtung und Wahrn

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Transkript:

Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei Suchterkrankungen Oliver Kreh Leitender Psychologe AHG Klinik Tönisstein Achtsamkeit Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Art aufmerksam zu sein: absichtsvoll, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu bewerten. (nach Jon Kabat-Zinn, 1994) Achtsamkeit Kabat-Zinn, 1990: "present moment, on purpose and nonjudgemental" auf den aktuellen Moment bezogen (vs. "Autopilot") absichtsvoll (vs. "Selbstvergessenheit") nicht-wertend (keine Kategorisierung der Wahrnehmung) formelle Übungen (z. B. Atemmeditation) informelle Übungen (z. B. Achtsamkeit bei alltäglichen Verrichtungen)

Fertigkeiten der Achtsamkeit (Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS), Baer, Smith & Allen (2004) Beobachten aufmerksame Beobachtung und Wahrnehmung einer Vielzahl äußerer und innerer Reize Beschreiben kurzes begriffliches Benennen von wahrgenommenen Phänomenen nicht wertend, ohne gedankliche Analyse! Fertigkeiten der Achtsamkeit (Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS), Baer, Smith & Allen (2004) mit Aufmerksamkeit handeln = teilnehmen, sich ganz auf eine Aktivität einlassen, aufmerksam auf nur eine Sache sein akzeptieren ohne Bewertung nicht wertende Haltung gegenüber aktuellen Erfahrungen, automatische Werturteile nicht anwenden Achtsamkeitsbasierte Ansätze Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR): Kabat- Zinn (1990) unterschiedliche Anwendungsbereiche: z.b. bei Ängsten, Schmerzen, Hauterkrankungen Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT): Segal, Williams & Teasdale (2002) Rückfallprophylaxe bei Depression Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP) bei Abhängigkeit (Bowen, Chawla & Marlatt, 2011) Ansätze mit Achtsamkeits-Elementen: DBT, ACT

Mindfulness-based stress reduction (MBSR) Mindfulness-based stress reduction (MBSR) - Stressbewältigung durch Achtsamkeit - Das MBSR-Programm wurde 1979 von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn et al entwickelt. Im gleichen Jahr Gründung der Stress- Reduction-Clinic der Universität Massachusetts. Die Methode wird heute weltweit an Kliniken und verschiedenen Institutionen sowie ambulant erfolgreich angeboten. Seit Anfang der neunziger Jahre in Deutschland. Mindfulness-based stress reduction (MBSR) Das Programm ist stark strukturiert und hat sich grundsätzlich seit 1979 kaum verändert: 8 Sitzungen à 2-33 Stunden Achtsamkeitstag zur Vertiefung Heterogene Gruppen individuelles Vorgespräch oder Orientierungsveranstaltung und evtl. Nachgespräch 90% der Interessenten nehmen teil, 85% beenden den Kurs (z.b. Kabat-Zinn & Chapman-Waldrop Waldrop,, 1988)

Mindfulness-based stress reduction (MBSR) Metaanalyse von Koch et al. (2007), Universität Jena - 31 Studien mit 1631 Teilnehmern - signifikante, moderate und homogene Effektstärken von - Pathophysiologie: 0,35 - Salutogenese/ Coping: 0,40 - Psychopathologie: 0,51 - Psychosomatik: 0,51 - Lebensqualität: 0,55 Übungen in der Mindfulness-Based Stress Reduction Die formellen Übungen Achtsame Körperwahrnehmung (Body-Scan) Achtsames Sitzen Achtsames Gehen Achtsames Yoga

Achtsamkeit des Alltags Trinke Deinen Tee langsam und ehrfürchtig, als sei er die Achse, auf der die Erde rotiert langsam, gleichmäßig, ohne in die Zukunft zu eilen. Lebe den gegenwärtigen Augenblick. Nur dieser Augenblick ist das Leben. Tich Nhat Hanh Body Scan In der Regel auf dem Rücken liegend; warmer und ruhiger Ort Aufmerksamkeit wird durch den Körper gelenkt (von linkem Fuß bis Schädeldecke) Keine Entspannungsinstruktion! Bei Auftreten unangenehmer Empfindungen: diese achtsam wahrnehmen Sitz/ Atemmeditation Aufmerksamkeit wird auf den Atem gerichtet Bei Erleben anderer Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen, Geräusche: wahrnehmen und Aufmerksamkeit wieder zurück zur Atmung lenken choiceless awareness : wahrnehmen, was ins Bewusstsein dringt

achtsames Yoga Drehung im Liegen Katzenbuckel / Kuhrücken Haltung des Kindes Berg-Haltung Vorwärtsbeuge abschließende Ruheposition Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) Zindel Segal University of Toronto Mark Williams University of Oxford John Teasdale University of Cambridge Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression (Segal, Williams & Teasdale) Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression Ein neuer Ansatz zur Rückfallprävention Ausgangspunkt: hohes Rückfallrisiko bei Depressionen Überlegung, effektive Therapien fortzusetzen Analog der Erhaltungstherapie mit Antidepressiva eine Erhaltungsform der Psychotherapie entwickeln

dysfunktionale Einstellungen scheinen keine Traits zu sein Hinweise, dass negative Stimmungen die negativen Denkstil reaktivieren einen Teufelskreis in Gang setzen spätere depressive Episoden werden leichter ausgelöst, immer unabhängiger von belastenden Lebensereignissen ruminativer Stil : Fokussierung auf sich selbst, nachdenken über Ursachen für Probleme Kognitive Therapie wirkt vermutlich weniger durch eine inhaltliche Veränderung dysfunktionaler Einstellungen, als eher durch das Dezentrieren (Gedanken als Gedanken betrachten, nicht als Abbild der Realität) Auslöser depressiver Episoden (Kraepelin, 1921; Matussek et al., 1965; Monroe & Harkness, 2005; Post, 1992) % 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1 2 3 4 Episoden N=242 N=242 N=135 N=82 N=119 Häufigkeit bedeutsamer Lebensereignisse in Abhängigkeit von der Anzahl vorangegangener depressiver Episoden Mindfulness-Based Cognitive Therapy (Segal et al., 2002) störungsspezifischer Ansatz zur Rückfallprophylaxe bei rezidivierenden depressiven Störungen starke kognitiv-theoretische Fundierung kombiniert MBSR-Prinzipien sensu Kabat-Zinn mit kognitiven Therapieprinzipien 8 wöchentliche Sitzungen à 2 Stunden max. 12 Patienten pro Gruppe

Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Therapie bei Depressionen Teasdale et al. (2000) Journal of Consulting and Clinical Psychology Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Therapie bei Depressionen Replikation des Befundmusters durch Ma und Teasdale (2004): Reduktion der Rückfallraten um mehr als 50% bei Patienten mit drei oder mehr Episoden (MBCT: 36% vs. TAU 78%) Keine Reduzierung bei Patienten mit zwei Episoden Ein positiver Zusammenhang zwischen Anzahl vorangegangener Episoden und Rückfallrisiko zeigte sich für die TAU-Gruppe, nicht jedoch für die MBCT-Gruppe Achtsamkeit in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen: Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP)

Mindfulness-Based Relapse Prevention Sarah Bowen Neha Chawla G. Alan Marlatt (1941-2011) Sozial-kognitives Rückfallmodell (Marlatt & Gordon, 1985) Bewältigungsstrategien erhöhte Selbstwirksamkeit geringe Wahrscheinlichkeit für Rückfall Unausgewogene Lebenssituation Risikosituation keine Bewältigungsstrategie verminderte Selbstwirksamkeit positive Wirkungserwartungen (bezüglich der unmittelbaren Wirkung der Substanz) erster Konsum der Substanz Abstinenzverletzungseffekt Dissonanzkonflikt und Selbstattribution (Schuld und Wahrnehmung des eigenen Kontrollverlustes) erhöhte Wahrscheinlichkeit für Rückfall Theoretische Überlegungen: Marlatt (2002) Zentraler Ansatzpunkt: lifestyle Balance Grundsätzliches Gefühl von Balance und Harmonie in den alltäglichen Verrichtungen Wesentliches Kennzeichen abhängigen Verhaltens: den aktuellen nüchternen Zustand nicht akzeptieren zu können Erneute Substanzeinnahme wirkt dem entgegen kurzfristige Regulation aversiver Emotionen

Theoretische Überlegungen: Marlatt (2002) Abhängiges Verhalten: Fixierung auf antizipiertes zukünftiges Erleben und Ablehnung des Hier-und-Jetzt-Erlebens Theoretische Überlegungen: Marlatt (2002) Urge Surfing innere Abläufe (z.b. Craving) nicht bezwingen, sondern erleben (auch ihre spontane Veränderlichkeit) dem Drang nicht nachgeben führt zu Schwächung der Suchtkonditionierung Stärkung von Akzeptanz und Selbstwirksamkeitserwartung Langfristiger Nutzen von Achtsamkeit automatisierte Abläufe (die zu Lapse / Relapse führen) möglichst frühzeitig bewusst wahrnehmen und aus ihnen auszusteigen zu können Das Modell süchtigen Verhaltens Breslin, Zack & McMain (2002) Annahme: Koppelung von negativem Affekt und Substanzeinnahme während Suchtentwicklung a) Bewältigung negativen Affekts und allen damit verbundenen Stimuli mittels Substanzkonsum b) Zunehmend häufigere Auslösung negativer Zustände im Laufe der Abhängigkeitsentwicklung c) Verminderte Toleranz, d.h. immer unbedeutendere Stimuli lösen Substanzkonsum aus Ziel: Auflösung der Koppelung von negativem Affekt und Substanzeinnahme

Das Modell süchtigen Verhaltens Breslin, Zack & McMain (2002) Informationsverarbeitungsmodell des Rückfallgeschehens bei Abhängigkeit abhängiges Verhalten ist weitgehend automatisiert Verlangen wird erst dann bewusst, wenn ein automatisierter Impuls zum Drogen- oder Alkoholkonsum von einem bewussten Abstinenzwunsch gebremst wird Substanzbezogene Gedächtnisnetzwerke Interozeptive sensorische Daten: Craving, Affekt Gedächtnisschleife Drogen-relevante Stimuli / Hinweisreize (äußere Hinweisreize, Stress) Substanzbezogenes Gedächtnisnetzwerk Automatische Aktivierung drogenbezogener Kognitionen Chronische Reaktivierung Breslin et al., 2002 Bewusstes Denken Spezifische Bedeutungen: Selbstwirksamkeitserwartungen und Outcome-Erwartungen Drogen- Gebrauch Aufmerksamkeits-Sensorik-Schleife Potential von Achtsamkeit im Modell von Breslin et al. (2002) Fähigkeit entwickeln, starke Gefühle vollständig zu erleben, ohne diese unmittelbar verändern zu müssen, aber auch ohne sie auszuagieren (vgl. Dezentrierung) Sensibilisierung i. S. einer bewussten Wahrnehmung der aktuellen Situation Desensibilisierung gegenüber (negativen) emotionalen Zuständen Erhöhte hte Emotionstoleranz

MBRP Das Programm 1. Auto-Pilot und Rückfall 2. Achtsamkeit für Auslöser und Verlangen 3. Achtsamkeit im Alltag 4. Achtsamkeit in Risikosituationen 5. Akzeptanz und geschicktes Handeln 6. Gedanken sind Gedanken 7. Selbstfürsorge und ausgewogene Lebensführung 8. Soziale Unterstützung und weitere Übung Bewusstsein / gegenwärtiger Augenblick Achtsamkeit, Akzeptanz und Rückfall ausgewogener Lebensstil / soziale Unterstützung 1. Sitzung: Auto-Pilot und Rückfall Einführung Erwartungen an die Gruppe / Gruppenregeln Struktur und Rahmenbedingungen Rosinen-Übung / Auto-Pilot und Rückfall Was ist Achtsamkeit? Der Body-Scan Übungen im Alltag / Achtsamkeit bei einer Aktivität des Alltags Exploration von Erfahrungen im MBRP Unmittelbare Wahrnehmung Reaktion (Gedanken, Gefühle, Körper) weitere Reaktionen Was war die Wahrnehmung in diesem Augenblick? Wie haben Körper und Geist darauf reagiert? Ist dieser Prozess bekannt? Bezug zu automatisierten Verhaltensweisen, Rückfall

Exploration von Erfahrungen im MBRP Was war die Erfahrung in diesem Augenblick? Wo im Körper war das zu spüren? Was war dort zu spüren? Welche Gedanken sind dazu aufgetaucht? Zusammenfassung der körperlichen, emotionalen und kognitiven Erfahrungen. Unterscheidung dieser Wahrnehmungsqualitäten. Widerwillen, das Bedürfnis abzubrechen als weitere Erfahrung explorieren Exploration von Erfahrungen im MBRP Schmerzen Unmittelbare Wahrnehmung Reaktion (Gedanken, Gefühle, Körper) Ich halte das nicht mehr aus! weitere Reaktionen achtsam sein bedeutet nicht keine Gedanken zu haben einen Zustand totaler Entspannung Achtsam sein heißt, bewusst wahrzunehmen, was auch immer passiert. Wenn unsere Gedanken wandern oder Widerwillen auftaucht, nehmen wir auch das wahr und kehren in den Augenblick zurück. Das Ziel des Übens ist nicht ein bestimmter Zustand, sondern sich aller Erfahrungen bewusst zu werden.

Der Body Scan erste formale Meditationspraxis im MBRP Stammt aus der Vipassana- / Einsichts- Mediation Aufmerksamkeit durch alle Körperregionen lenken in die verschiedenen Körperregionen hineinatmen Übung auf emotionale / kognitive Erfahrungen ausweiten Alkohol-/ Drogenverlangen manifestiert sich oft zunächst körperlich! bewusste Wahrnehmung körperlicher Empfindungen als erster Schritt aus automatisierten Mustern zu bewussten Entscheidungen 2. Sitzung: Achtsamkeit für Auslöser und Verlangen Body Scan Besprechung der Übungen zu Hause und häufiger Schwierigkeiten Übung die Straße entlang gehen Übung Urge-Surfing / Diskussion von Craving Bergmeditation Übungen im Alltag Häufige Schwierigkeiten bei den Übungen aversive Gefühle / körperliche Zustände Verlangen und Begehren Rastlosigkeit / Unruhe (körperlich wie gedanklich) Trägheit / Schläfrigkeit Zweifel gegen diese Zustände wird nicht angekämpft die Beobachtung dieser Zustände ist Teil der Meditation geübt wird eine neugierige, freundliche Wahrnehmung dieser Zustände

Übung Die Straße entlang gehen ein Bekannter erwidert meinen Gruß nicht Gedanken Gefühle körperliche Empfindungen Impulse zu Verhalten Unterscheidung Gedanken, Gefühle, körperliche Empfindungen üben Erarbeiten, dass Gedanken / Interpretationen nicht die Wahrheit abbilden Übung Urge Surfing Problemsituation vorstellen / Auslöser für Alkohol- oder Drogenverlangen nicht automatisch reagieren, weder vermeiden, noch Substanz konsumieren alle aufkommenden Empfindungen neugierig und freundlich wahrnehmen Bild des Surfens auf der Welle des Verlangens Umgang mit Craving verändern: von Angst / ankämpfen zum wahrnehmen / damit sein

3. Sitzung: Achtsamkeit im Alltag achtsam hören Besprechung der Übungen zu Hause Atem-Meditation und Besprechung Video der Atemraum (SOBER Breathing Space) Übungen im Alltag SOBER-Breathing Space SOBER: S = Stop O = Observe B = Breathe E = Expand R = Respond Adaption des Drei-Minuten-Atem-Raums (MBCT) 4. Sitzung: Achtsamkeit in Risikosituationen achtsam sehen Besprechung der Übungen zu Hause Sitzmeditation Achtsamkeit gegenüber Geräuschen, des Atems, des Körpers und schließlich Gedanken individuelle und häufige Rückfallrisiken Geh-Meditation Übungen im Alltag

5. Sitzung: Akzeptanz und geschicktes Handeln Sitzmeditation Achtsamkeit gegenüber Geräuschen, des Atems, des Körpers, Gedanken und Gefühlen Besprechung der Übungen zu Hause der Atemraum (SOBER Breathing Space) Diskussion von Akzeptanz und geschicktem Handeln Körperübungen aus dem Hatha-Yoga Übungen im Alltag 6. Sitzung: Gedanken sind Gedanken Sitzmeditation Achtsamkeit gegenüber Gedanken Besprechung der Übungen zu Hause Gedanken und Rückfall Teufelskreis des Rückfalls der Atemraum (SOBER Breathing Space) Vorbereitung auf das Ende des Kurses Übungen im Alltag 7. Sitzung: Selbstfürsorge und ausgewogener Lebensstil Sitzmeditation Freundlichkeit (Metta) Besprechung der Übungen zu Hause Arbeitsblatt Tägliche Aktivitäten Wo fängt ein Rückfall an? der Atemraum (SOBER Breathing Space) Gedächtnisstützen Übungen im Alltag

8. Sitzung: Soziale Unterstützung und weitere Übung Body Scan Besprechung der Übungen zu Hause Die Bedeutung sozialer Unterstützung Austausch zum Kurs Vorhaben für die Zukunft Abschlussmeditation Abschlussrunde MBRP und 12-Schritte Programme - Gemeinsamkeiten Eingeständnis: eigenes Verhalten ist das Problem Erkenntnis, dass Substanzkonsum nicht die geeignete Lösung darstellt Betonung von Akzeptanz / Verlust persönlicher Kontrolle Bedeutung von Gebet bzw. Meditation Unterscheidung: was ist beeinflussbar / was nicht Akzeptanz der Dinge, die nicht beeinflussbar sind Risiken für Rückfälle erkennen (Körper, Gefühle) Verfallen in automatisierte Muster als Rückfallrisiko MBRP und 12-Schritte Programme Unterschiede 12- Schritte-Programme Krankheitsakzeptanz als Bedingung Machtlosigkeit eingestehen Berufung auf höhere Macht Selbstverpflichtung Abstinenz als Ziel MBRP keine Labels, Wahrnehmung ohne Bewertung den Klienten stärken (Bewältigung, Selbstwirksamkeit) Gefühl von Wahlfreiheit und Befähigung bewirken Abstinenz als ideales Ziel, aber keine Bedingung

MBRP erste empirische Ergebnisse Davidson et al. (2003) 10 Tage Vipassana- Meditation versus Treatment as usual bei alkohol- und drogenabhängigen Häftlingen 3 Monate nach Haftentlassung signifikante Reduktion des Konsums von Alkohol, Marihuana, Crack / Kokain mehr Optimismus weniger psychopathologische Symptome MBRP erste empirische Ergebnisse Bowen et al. (2009) MBRP versus Treatment as usual (Psychoedukation, 12- Step-Programm), randomized-controll-trial (n = 168) nach vier Wochen berichten 54% wöchentliche Meditationspraxis von mind. viermal / Woche signifikante Reduktion von Craving signifikante Reduktion depressiver Symptome MBRP schwächt den Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und Craving Substanzkonsum signifikant reduziert 2 Monate nach Behandlung, aber gleich TAU 4 Monate nach Behandlung MBRP weitere empirische Ergebnisse Bowen et al. (voraussichtl. 2013) MBRP vs CBT (Rückfallprävention) vs 12-Step- Programm, randomized-controll-trial geringere Rückfallraten bei MBRP und CBT selbst bei Rückfall geringere negative Konsequenzen des Substanzkonums bei MBRP Alter < 30 CBT überlegen gegenüber MBRP Alter 30 40 MBRP überlegen CBT längere Dauer der Abhängigkeit: MBRP überlegen

Meditation und neurophysiologische Befunde Bei regelmäßig meditierenden Probanden finden sich: eine dickere Hirnrinde, eine höhere Dichte der Nervenzellen im orbitofrontalen Cortex (Emotionsregulation?), eine erhöhte Aktivität im linken Stirnlappen bei buddhistischen Mönchen bis zu 30mal stärkere Gamma-Wellen.. Zusammenfassung: Achtsamkeitsbasierte Therapie zielt nicht ab auf Symptomreduktion (Verhaltenstherapie), sondern auf die Veränderung des Verhältnisses des Patienten zu seinen Symptomen Das Leben läuft nicht einfach ab ich kann innehalten und habe eine Wahl. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! über Fragen oder Anregungen freut sich Oliver Kreh Leitender Psychologe AHG Klinik Tönisstein okreh@ahg.de www.wir-machen-unabhaengig.de