7 Fakultät für Rechtswissenschaft VL Bau- und Kommunalrecht Prof. Dr. Andreas Fisahn PD Dr. Albert Ingold Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht 6.2.2015 17:00 h Lösungsskizze A. Fallfrage 1... 2 I. Rechtmäßigkeit der Ersetzung... 2 1. Rechtsgrundlage... 2 2. Formelle Rechtmäßigkeit... 2 a) Zuständigkeit... 2 b) Verfahren... 2 c) Form... 3 3. Materielle Rechtmäßigkeit... 3 a) Besteht ein Einvernehmenserfordernis?... 3 b) Fristgemäße Versagung durch die Gemeinde?... 3 c) Kein rechtmäßiger Versagungsgrund für Gemeinde... 3 aa) 29 BauGB... 3 bb) 35 I BauGB... 3 cc) 35 II BauGB... 3 dd) Zwischenergebnis... 6 d) Rechtsfolge: Pflicht zum Ersetzen oder Ermessen?... 6 II. Zwischenergebnis... 6 B. Fallfrage 2... 7
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 2 von 7 A. Fallfrage 1 Die Ersetzung des Einvernehmens ist rechtmäßig, wenn sie sich auf eine (verfassungskonforme) Rechtsgrundlage stützt und deren formelle wie materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wahrt. I. Rechtmäßigkeit der Ersetzung 1. Rechtsgrundlage allgemein denkbar: Ersatzvornahme gem. 123 II GO im Bereich der Rechtsaufsicht ( 119 I GO) o hier jedoch keine vorherige Anordnung mit Fristsetzung ( 123 I GO), so dass dieser Weg ersichtlich nicht gewählt wurde o vor allem aber: Anwendbarkeit (-), wenn spezialgesetzliche RGL hier: 36 II S. 3 BauGB o str. in Bundesländern, die auch im landesrechtlichen Bauordnungsrecht ein Ersetzen des Einvernehmens vorsehen (aber auch dort h.m.: 36 II S. 3 BauGB als RGL) dies ist in NRW aber nicht (mehr) der Fall o hier also: spezielle bundesrechtliche RGL für Ersetzen des bauplanungsrechtlichen Einvernehmens 2. Formelle Rechtmäßigkeit a) Zuständigkeit sachlich-instanziell: 2 III S. 1 Verordnung zur Durchführung des Baugesetzbuches: zuständige Bauaufsichtsbehörde Landrat als untere Bauordnungsbehörde nach 60 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) BauO, 42 KrO örtlich: 3 I Nr. 1 LVwVfG = Landrat Kreis Gütersloh b) Verfahren in NRW keine spezialgesetzliche Regelung der Anhörung vor Ersetzung des Einvernehmend 28 I LVwVfG einschlägig, dem aber genügt wurde
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 3 von 7 c) Form kein Hinweis auf Verstoß ersichtlich 3. Materielle Rechtmäßigkeit Prüfung der Voraussetzungen für 36 II S. 3 BauGB a) Besteht ein Einvernehmenserfordernis? nach h.m. (-) bei Identität von Bauaufsichtsbehörde und Gemeinde kann hier dahinstehen, da unterschiedliche Rechtsträger Einvernehmen gem. 36 I BauGB nur erforderlich, wenn planungsrechtliches Vorhaben nach 31, 33, 34 oder 35 BauGB zugelassen werden soll o 29 BauGB (+) o 35 BauGB (+), da Gemeinschaftsunterkunft nicht im Plangebiet liegt, welches vom Außenbereich umgeben Einvernehmen der Stadt war gem. 36 I BauGB erforderlich b) Fristgemäße Versagung durch die Gemeinde? (+), Stadt hat nach einer Woche und damit innerhalb der (Fiktions-)Frist von zwei Monaten aus 36 II S. 2 BauGB das Einvernehmen verweigert c) Kein rechtmäßiger Versagungsgrund für Gemeinde Versagung nur rechtmäßig, wenn ein Versagungsgrund i.s.v. 36 II S. 1 BauGB, also hier Verstoß des Vorhabens gegen planungsrechtliches Zulassungsregime des 35 BauGB aa) 29 BauGB (+), s.o. bb) 35 I BauGB (-), keines der aufgeführten, privilegierten Vorhaben cc) 35 II BauGB zulässig, wenn gesicherte Erschließung (+) keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 4 von 7 o 35 III BauGB hier nur problematisch: Nr. 7, also wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt Splittersiedlung = in einem engeren räumlichen Bereich liegende Bauten, die in keiner organischen Beziehung zu den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen stehen, und die selbst keinen im Zusammenhang gebauten Ortsteil darstellen, auch in keiner organischen Beziehung zu einem solchen stehen oder sich nicht in die geordnete städtebauliche Entwicklung einfügen. 1 Entstehung = ein Vorgang, der in Richtung auf eine Zersiedlung des Außenbereichs durch die Schaffung einer Splittersiedlung begründet ist Verfestigung = die Auffüllung des schon bisher in Anspruch genommenen räumlichen Bereichs zu verstehen Erweiterung = räumliche Ausdehnung des schon in Anspruch genommenen Bereichs hier: sehr zw., ob der beplante Bereich materiell als Splittersiedlung qualifiziert werden kann, da Plangebiete definitorisch eine organische Siedlungsstruktur begründen nur in diesem Fall könnte nämlich die Inanspruchnahme des angrenzenden und erschlossenen Grundstücks als Erweiterung einer Splittersiedlung verstanden werden [a.a.: bei entsprechender Argumentation vertretbar] o jedenfalls: 35 IV S. 1 BauGB (sog. teilprivilegierte Vorhaben) nach dieser Norm kann bestimmten Vorhaben der öffentliche Belang aus 35 III S. 1 Nr. 7 BauGB nicht entgegengehalten werden 1 Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 97. Lfg. 2010, 35 BauGB, Rn. 104.
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 5 von 7 hier: zwar kein teilprivilegiertes Vorhaben nach 35 IV BauGB aber: gem. 246 IX BauGB gilt bis zum 31. Dezember 2019 die Rechtsfolge für Vorhaben entsprechend, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, wenn das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit nach 30 Absatz 1 oder 34 zu beurteilenden bebauten Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs erfolgen soll hier: Unterbringung + unmittelbarer räumlicher Zusammenhang zum Mischgebiet (und sogar einer anderen Flüchtlingsunterkunft) o 35 III S. 1 (-) Exkurs: Es ist darüber hinaus streitig, ob sich die Gemeinde bei der Versagung des Einvernehmens auf jeden Rechtsverstoß stützen kann (so die h.m.) oder ob die verletzten Vorschriften zugleich ihre Planungshoheit schützen müssen. Vorliegend ist allerdings die Prävention einer Splittersiedlung unstreitig ein die Planungshoheit sichernder Belang, so dass eine Darstellung und Entscheidung dahinstehen kann. Eine Kenntnis dieser Kontroverse kann zudem von den Bearbeitern keinesfalls erwartet werden. o Rechtsfolge von 35 II BauGB wörtlich: kann = Ermessen aber h.m.: wegen Art. 14 GG für den Fall, dass ausnahmsweise keine Belange durch Vorhaben im Außenbereich berührt werden gebundene Entscheidung (verallgemeinerte Ermessensreduzierung auf Null) selbst nach a.a. bzw. bei wörtlichem Verständnis jdf. ermessensfehlerhafte Versagungserwägungen der Stadt Harsewinkel: 36 BauGB gibt im Normprogramm keinen Raum für politische Erwägungen (ggf. hätte die Stadt eine Veränderungs-
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 6 von 7 sperre oder eine Zurückstellung veranlassen können und auf diesem Wege zumindest planerische Erwägungen anstellen können) die genannten Erwägungen sind jedenfalls nicht bodenrechtlicher Natur und dementsprechend sachfremd = ermessensfehlerhaft kein Verstoß des Vorhabens gegen 35 II BauGB dd) Zwischenergebnis keine rechtmäßige Versagung des Einvernehmens d) Rechtsfolge: Pflicht zum Ersetzen oder Ermessen? (P): Rechtsfolge von 36 II S. 3 BauGB ( kann ) leicht str. e.a.: Ermessensnorm o Arg.: Parallele zur allgemeinen Kommunalaufsicht, bei der auch Ermessen ( 123 GO) w.h.m.: Wortlaut kann begründe reine Befugnisnorm, deren Ausübung nicht im Ermessen steht o Arg.: wegen dahinter stehender spezieller Rechtsaufsicht ggü. bundesrechtlichen Rechtsverstößen gebundene Entscheidung Streit kann dahinstehen, da Landrat das Einvernehmen tatsächlich ersetzt hat (und dabei keine Ermessensfehler ersichtlich wären) II. Zwischenergebnis Ersetzung des Einvernehmens gem. 36 II S. 3 BauGB rechtmäßig
Abschlussklausur Kommunal- und Baurecht Seite 7 von 7 B. Fallfrage 2 Fraglich ist, ob die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gegenüber der Gemeinde Harsewinkel ein Verwaltungsakt ist. maßgeblich: 35 LVwVfG hier: Begriffsmerkmale aus 35 S. 1 LVwVfG im Hinblick auf Außenwirkung problematisch Insoweit str., ob Einvernehmen ( 36 I BauGB) und dessen Ersetzung ( 36 II S. 3 BauGB) gegenüber den Bauherren oder Nachbarn VA darstellen o h.m.: (-), da keine Außenwirkung für Bürgerinnen und Bürger infolge des kongruenten Prüfungsumfangs zur Baugenehmigung mehrstufige Verwaltungsentscheidung, an deren Ende die Bau- Gen als ein einziger VA steht aber: hier ist nach Gemeinde H gefragt, so dass zu klären, ob ihr gegenüber die Ersetzung des Einvernehmens ein VA o h.m.: (+), weil regelnde Außenwirkung gegenüber einem eigenständigen Rechtsträger; Arg.: Parallelität zur kommunalrechtlichen Ersatzvornahme in Angelegenheiten der Rechtsaufsicht, welche die Gemeinde ebenfalls als eigenen Rechtsträger betreffen; hier: kommunale Planungshoheit aus Art. 28 II S. 1 GG als eigenständige Rechtsposition Anerkennung des sog. relativen VA, bei dem je nach Adressat die VA-Qualität gesondert zu bestimmen ist, weil es maßgeblich auf die Intention der Regelung und Außenwirkung ankomme o a.a.: (+/-), weil ein und dieselbe Maßnahme nicht gegenüber dem Bürger keinen VA und gegenüber der Gemeinde einen VA darstellen könne = Ablehnung des relativen VA überwiegend wird allerdings von den Gegnern des relativen VA deshalb unterschiedslos gegenüber allen Beteiligten die VA-Qualität angenommen ebenso denkbar ist aber, dass auf dieser argumentativen Grundlage die VA-Qualität gänzlich verneint wird