Der Nephrologe Zeitschrift für Nephrologie und Hypertensiologie Organ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin Organ des Berufsverbandes Deutscher Internisten Elektronischer Sonderdruck für P.M. Jehle Ein Service von Springer Medizin Nephrologe 2013 8:21 27 DOI 10.1007/s11560-012-0647-6 Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors P.M. Jehle High-turnover-Osteodystrophie www.dernephrologe.de
Leitthema Nephrologe 2013 8:21 27 DOI 10.1007/s11560-012-0647-6 Online publiziert: 28. November 2012 Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Redaktion J. Floege, Aachen M. Ketteler, Coburg P.M. Jehle Klinik für Innere Medizin I und KfH-Nierenzentrum, Evangelisches Krankenhaus Paul Gerhardt Stift, Paul Gerhardt Diakonie und Pflege GmbH Berlin und Wittenberg e.v., Lutherstadt Wittenberg High-turnover- Osteodystrophie Bei chronischer Niereninsuffizienz ( chronic kidney disease, CKD) treten komplexe Störungen des Mineral- und Knochenstoffwechsels auf. Diese stellen trotz der Verfügbarkeit von innovativen Medikamenten auch heute noch eine therapeutische Herausforderung dar. Im klinischen Alltag werden die nachfolgend ausgeführten Veränderungen des Knochenstoffwechsels bei Niereninsuffizienz unverändert als renale Osteopathie bzw. renale Osteodystrophie bezeichnet. Eine international besetzte Leitliniengruppe favorisiert die Bezeichnung CKD-MBD ( chronic kidney disease mineral and bone disorder ), um die Verflechtungen zwischen Nierenerkrankung, Knochenstoffwechsel und Gefäßverkalkungen zu beschreiben und einer rein knochenzentrierten Sicht vorzubeugen [16, 17, 18, 20]. Pathogenese In fortgeschrittenen Stadien der chronischen Niereninsuffizienz (ab CKD 3B) ist die Kapazität der Niere zur Phosphatelimination eingeschränkt. Durch vermehrte Synthese des phosphaturisch wirkenden FGF ( fibroblast growth factor )-23 im Knochen gelingt es, die renale Phosphatelemination auch bei fortschreitendem Nierenverlust noch aufrechtzuerhalten. FGF-23 stimuliert Parathormon (PTH) und vermindert die Synthese von Calcitriol. Beide Mechanismen unterstützen die renale Phosphatelimination. In. Abb. 1 sind der mit zunehmender Niereninsuffizienz eintretende Anstieg des PTH sowie der Abfall der Calcitriolspiegel unter Einfluss von FGF-23 dargestellt. Nach neueren Erkenntnissen ist der Abfall von Calcitriol in den frühen Phasen der Niereninsuffizienz weniger auf die verminderte renale Synthese, sondern vielmehr auf die suppressive Wirkung der ansteigenden FGF-23-Spiegel zurückzuführen [25, 26]. Knochenstoffwechseldiagnostik Zur Beurteilung des Knochenstoffwechsels bei High-turnover-Osteodystrophie (HTO) stellt die Knochenhistologie unverändert den Goldstandard dar (. Tab. 1). Hier hat die CKD-MBD-Arbeitsgruppe der KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes)-Initiative Vorschläge zur globalen Standardisierung in der Beurteilung von Knochenbiopsien erarbeitet. Zukünftig soll die sog. TMV (T = turnover /Knochenumsatz, M = mineralization /Mineralisationsgrad, V = volume /Knochenvolumen)-Klassifikation angewendet werden (s.. Abb. 2; [20]). Dieser Klassifikation entsprechend ist die HTO gekennzeichnet durch den hohen Knochenumsatz, aber auch durch ein erhöhtes Knochenvolumen bei zumeist normalem Mineralisationsgrad. Um die Invasivität dieser Untersuchung für den Patienten zu vermeiden, wurde eine Reihe von Knochenmarkern entwickelt, deren diagnostische Sensitivität und Spezifität anhand knochenhistologischer Untersuchungen evaluiert wurden. Für die primäre Einschätzung und das anschließende Monitoring des Knochenstoffwechsels wird die simultane Bestimmung von PTH und der knochenspezifischen alkalischen Phosphatase ( Ostase) empfohlen. Die tartratresistente saure Phosphatase (TRAP-5b) ist ein weiterer vielversprechender Parameter zur Ein- Dieser Beitrag ist ein Update zum Beitrag Highturnover-Osteodystrophie von P.M. Jehle (Nephrologe 2009;4:395 400). Tab. 1 Klinisch relevante Information zum Knochenstoffwechsel. (Aus [27]) Vorliegen und Ausmaß des HPT (Knochenumsatz bei HTO): Osteoblasten- und Osteoklastenaktivität (in etwa 70 90% durch Knochenmarker abschätzbar a ) Osteoblasten-/Osteoklastenoberfläche Mineralisation Intertrabekuläre Vernetzung, Osteopenie/Osteoporose Ansprechen des Knochens auf PTH (Ausmaß der PTH-Resistenz) Differenzialdiagnostische Abgrenzung einer Low-turnover-Osteodystrophie (in etwa 90% spezifisch durch Knochenmarker diagnostizierbar a ) Vitamin-D-Versorgung des Knochens (auch durch Messung der Vitamin-D-Spiegel und der alkalischen Phosphatase abschätzbar a ) Aluminiumüberladung (bedingt durch Aluminiumspiegel diagnostizierbar a ) Differenzialdiagnose anderer metabolischer und maligner Osteopathien a Zu erheben durch Knochenhistologie bzw. Knochenmarker. HPT Hyperparathyreoidismus, HTO High-turnover-Osteodystrophie, LTO Low-turnover-Osteodystrophie, PTH Parathormon. Der Nephrologe 1 2013 21
Leitthema Calcitriol 1,25(OH) 2 D 3 (pg/ml) 50 40 30 20 10 0 1,25D Untere Grenze 105 95 85 75 65 55 45 35 25 15 GFR (ml/min/1,73 m 2 ) FGF-23 Stadium 2 Stadium 3 Stadien 4 5 Abb. 1 8 Verlauf der Spiegel von FGF-23, PTH und Calcitriol in Abhängigkeit von der Nierenfunktion (GFR glomeruläre Filtrationsrate, PTH Parathormon). (Aus [27]) Kumulatives kardiovaskuläres Überleben OM 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,0 AD niedrig Knochenumsatz 0 1 MILD HPT MUO hoch n = 143 P = 0,02 (> 476 vs. 114 476 pg/ml) [> 50 vs. 12 50 pmol/l] Zeit (Jahre) Mineralisation abnormal normal hoch Knochen volumen niedrig 2 3 4 5 6 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 Patienten mit erhöhtem PTH (%) ipth 114 476 pg/ml [ipth 12 50 pmol/l] ipth < 114 pg/ml [ipth < 12 pmol/l] ipth > 476 pg/ml [ipth > 50 pmol/l] Abb. 3 8 Beziehung zwischen den Spiegeln des intakten PTH und der kardiovaskulären Mortalität von Dialysepatienten. (Adaptiert nach [28]) OF Abb. 2 9 TMV-Klassifikation der renalen Osteopathie (OM Osteomalazie, AD adyname Knochenkrankheit, OF Osteitis fibrosa, MUO gemischte urämische Osteopathie, HPT Hyperparathyreoidismus). (Aus [27]) schätzung der Osteoklastenaktivität. Die Messung von FGF-23 ist noch nicht für die klinische Routine zu empfehlen [25]. Die zusätzliche Bestimmung von Knochenmarkern wie der Ostase ermöglicht eine bessere Abschätzung der Wirkung von PTH auf den Knochen als die isolierte Messung des PTH. PTH und Ostase zeigen eine High- oder Low-turnover-Osteopathie mit einer Sensitivität und Spezifität zwischen 80 und 90%, allerdings sind die in Studien vorliegenden Patientenzahlen noch recht limitiert [5, 24]. In einer eigenen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Dialysepatienten mit 2-fach erhöhtem PTH bereits einen deutlich gesteigerten Knochenumsatz (HTO) haben können, aber auch bei 20-fach erhöhtem PTH (bei diesem Patienten konnten überwiegend inaktive PTH Fragmente gemessen werden [22]) im Extremfall ein normaler oder sogar erniedrigter Knochenumsatz vorliegen kann [13]. In der nephrologischen Sprechstunde kann bereits die Bestimmung der alkalischen Phosphatase zusammen mit PTH, Phosphat und der Nierenfunktion gute Hinweise auf das Vorliegen eines HPT in der Knochenhistologie liefern. Unter Beachtung der Grenzwerte kann in den meisten Fällen durch die gleichzeitige Beurteilung dieser Parameter die Diagnose einer HTO mit klinisch vertretbarer Sicherheit gestellt werden (. Tab. 2). Therapie Retrospektive Untersuchungen an verschiedenen Kollektiven von Dialysepatienten zeigten, dass die Mortalität von Dialysepatienten bei sehr niedrigem PTH und bei sehr hohen Werten deutlich gesteigert ist. Die Daten von. Abb. 3 wurden durch größere Kollektive bestätigt [14]. In der Behandlung von CKD-MBD- Patienten sollen die in den KDIGO-Leitlinien vorgeschlagenen Zielwerte helfen, extreme Situationen wie eine HTO (= Osteitis fibrosa) oder eine Low-turnover- Osteodystrophie (LTO = adyname Osteopathie) zu vermeiden (. Abb. 4). Um das Verkalkungsrisiko bei CKD- BMD-Patienten möglichst niedrig zu halten, sollte die Behandlung des HPT so gestaltet werden, dass die Aufnahmekapazität des Knochens für Kalzium und Phos- 22 Der Nephrologe 1 2013
phat erhalten bleibt und wenn möglich sogar maximiert wird. Durch Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels kann auch bei Dialysepatienten die Mineralisation des Knochens verbessert werden [3]. Die bisherige Datenlage erlaubt es nicht, eine eindeutige Obergrenze der PTH-Werte festzulegen, ab welcher dann bei allen Patienten eine HTO vorliegt. Aus diesem Grund kann die zusätzliche Bestimmung der Ostase oder auch eine Knochenbiopsie hilfreich sein. Da das Ansprechen des Knochens auf PTH individuell sehr unterschiedlich ist und von vielen Faktoren wie u. a. Kortikoidvorbehandlung, Diabetes mellitus, rheumatische Erkrankungen, Medikamente (z. B. Bisphosphonate) abhängt, wird dies durch prospektive Studien nur schwer zu beantworten sein. Die KDIGO-Leitlinien stellen einen Korridor für die Therapie dar und unterstützen den Arzt darin, für jeden Patienten einen optimalen PTH-Bereich zu definieren und bei der Therapientscheidung die wichtigsten Einflussfaktoren auf die PTH-Sekre tion zu bedenken (. Tab. 3).» Durch Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels lässt sich auch bei Dialysepatienten die Mineralisation des Knochens verbessern Bei der Behandlung von CKD-MBD Patienten sollte immer auf eine ausgeglichene Kalziumbilanz geachtet werden. In den letzten Jahren wurde erkannt, dass eine zu hohe Kalziumzufuhr das Verkalkungsrisiko erhöht. Hier ist besonders auf das Dialysatkalzium zu achten. Durch eine Erniedrigung des Dialysatkalziums kann auch ein adynamer Knochenstoffwechsel wieder aktiviert werden [6]. Knochenbioptische Untersuchungen zeigten, dass die Wahl des Phosphatbinders nicht unbedeutend für den Knochenstoffwechsel ist. So konnte unter Lanthan eine günstige Entwicklung des Knochenstoffwechsels beobachtet werden, während die Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern die Entwicklung einer adynamen Osteopathie begünstigt [5]. Die metabolische Azidose sollte bei Dialysepatienten optimal ausgeglichen werden. Dadurch kann der Bikar-
Zusammenfassung Abstract bonatpuffer des Knochens erhalten und das Ansprechen des Knochens auf anabole Wachstumsfaktoren und knochenstoffwechselregulierende Hormone (inklusive PTH) verbessert werden [7, 12]. D Für die Senkung des PTH stehen Vitamin-D-Metabolite und Cinacalcet zur Verfügung. Nephrologe 2013 8:21 27 DOI 10.1007/s11560-012-0647-6 Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 P.M. Jehle High-turnover-Osteodystrophie Zusammenfassung Bei chronischer Niereninsuffzienz kommt es durch Hyperphosphatämie, Vitamin-D- Mangel und ansteigende FGF-23-Spiegel zu einem Anstieg von Parathormon (PTH). Ein über längere Zeit bestehender und progressiver Hyperparathyreoidismus verursacht eine Erhöhung des Knochenumsatzes (High-turnover-Osteodystrophie, HTO), der in den überwiegenden Fällen zu einer relevanten Entkalkung des Skeletts, zu Frakturen sowie zu Gefäß- und Weichteilverkalkungen führen kann. Eine Senkung des PTH durch aktive Vitamin-D- Metabolite und/oder Cinacalcet sowie eine gute Kontrolle der Hyperphosphatämie unter High turnover osteodystrophy Abstract In chronic kidney disease hyperphosphatemia, vitamin D deficiency and rising fibroblast growth factor (FGF) 23 levels lead to increased parathyroid hormone (PTH) levels. Progressive hyperparathyroidism which has been present for long periods of time leads to an increase in bone turnover (high turnover osteodystrophy, HTO) which in turn leads to demineralization of the skeleton, bone fractures and calcification of soft tissue and blood vessels. A decrease in PTH and treatment of HTO can be achieved by administration of vitamin D and/or cinacalcet as Beachtung der Kalziumbilanz sind wirksame Therapieoptionen zur Behandlung der HTO. Unter Beachtung der Zielwerte für Kalzium, Phosphat und PTH gilt es, die HTO so zu behandeln, dass der Knochenstoffwechsel in einem leicht gesteigerten Bereich gehalten wird und eine Low-turnover-Osteodystrophie (LTO) vermieden wird. Schlüsselwörter Chronische Niereninsuffizienz Sekundärer Hyperparathyreoidismus Hyperphosphatämie Knochenstoffwechsel Knochenhistologie Verkalkung well as optimized phosphate control and balanced calcium metabolism. In HTO therapy, target levels of phosphate, calcium and PTH should be considered and bone metabolism should be maintained at a slightly elevated level in order to prevent low turnover osteodystrophy. Keywords Chronic kidney disease Secondary hyperparathyreoidism Hyperphosphatemia Bone metabolism Bone histology Calcification Bei der Behandlung der HTO sollten die PTH-Spiegel so weit gesenkt werden, dass die HTO sich zurückbildet, aber noch keine LTO entsteht. Da es bis heute keinen guten Marker zur Diagnose der LTO gibt, gilt es, den Knochenstoffwechsel klinisch zu beurteilen. In unklaren Fällen kann eine Knochenbiopsie weiterhelfen. Die Therapie mit nativem Vitamin D (z. B. Cholecalciferol) sollte bereits in den frühen Stadien der Niereninsuffizienz erfolgen [21], da der Vitamin-D-Mangel ein früher Risikofaktor für die Entstehung eines shpt ist [8, 21]. Natives Vitamin D ist auch für die Mineralisierung des Knochens bei Dialysepatienten essenziell notwendig [3]. Daraus leitet sich auch die Empfehlung ab, allen Dialysepatienten natives Vitamin D (z. B. Cholecalciferol) zu geben (physiologische Vitamin-D-Spiegel können je nach Körpergewicht und Besonnung durch Gabe von 800 2.000 IE täglich erreicht werden [11]). Mit abnehmender Nierenfunktion kommt es auch zu einem Mangel an Calcitriol, der mit aktiven Vitamin-D 3 - Metaboliten (z. B. Alfacalcidol, Startdosis 0,25 µg/tag) ausgeglichen werden sollte [9]. Mit dieser Therapie können das Entstehen eines shpt und/oder seine Progression vermieden werden. Seit einigen Jahren steht in Deutschland auch das in den USA seit mehreren Jahren etablierte Paricalcitol zur Verfügung. Paricalcitol führt aufgrund seiner geringeren Bindung an den VDR-Rezeptor des Darms (Vitamin-D2-Metabolit!) im Vergleich zu Calcitriol zu einer signifikanten Verminderung von Anzahl und Dauer hyperkalziämischer Episoden. Wichtig ist es, die Wirkung von aktiven Vitamin-D-Metaboliten auf den Knochenstoffwechsel sehr engmaschig zu überwachen (2-wöchentliche Kontrolle von Kalzium und Phosphat, PTH und ggf. Knochenmarkern alle 3 6 Monate). In jedem Fall gilt es, eine LTO zu vermeiden, da hier das Verkalkungsrisiko besonders hoch ist [1, 16, 17, 18]. Mit Cinacalcet steht ein Medikament zur Verfügung, das selektiv am Calciumsensing -Rezeptor der Nebenschilddrüse (NSD) wirkt und zu einer potenten, dosisabhängigen und zeitlich limitierten Absenkung der PTH-Spiegel, verursacht durch eine Hemmung der PTH-Synthese und einer Hemmung der PTH-Sekretion, führt [1, 4]. Cinacalcet induziert auch eine Hemmung der NSD-Proliferation und -Hyperplasie. Über die Senkung des PTH bewirkt Cinacalcet auch eine erwünschte Verminderung des Kalzium- Phosphat-Produkts um etwa 20%. Unter der Therapie mit Cinacalcet war eine signifikante Reduktion der Parathyreoidektomierate, der Frakturrate und der Hospitalisationen wegen kardiovaskulärer Ereignisse nachzuweisen [4]. Bei zu starker und zu lange anhaltender Suppression des PTH kann auch die Therapie mit Cinacalcet zu einer LTO führen, sodass der Knochenstoffwechsel ebenso wie bei Gabe von Vitamin D sorgfältig überwacht werden sollte. Bei Dialysepatienten sind die Spiegel von FGF-23 durch die Gabe von Cinacalet und niedrig dosiertem aktiven Vitamin D niedriger als bei alleiniger Gabe von aktivem Vitamin D [25]. Die Frage, welches Therapieregime im Hinblick auf die kardiovaskulären Endpunkte überlegen ist, wird sich erst nach Abschluss von Endpunktstudien wie z. B. EVOLVE beantworten lassen [2]. Bei autonomem HPT mit ausgeprägter HTO ist die Wirkung der medikamentösen Therapie mit Cinacalcet und/oder aktiven Vitamin-D-Metaboliten an der Der Nephrologe 1 2013 25
Leitthema Tab. 2 Sensitivität, Spezifität, prädiktiver Wert und Grenzwert verschiedener Parameter zur Diagnostik eines shpt bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (knochenbiopsie-kontrollierte Daten von N.A. Hamdy). (Aus [27]) Tab. 3 Haupteinflussfaktoren auf den PTH-Spiegel bei Patienten mit CKD-MBD. (Aus [27]) Kalzium Phosphat Vitamin-D-Versorgung Metabolische Azidose Sensitivität (%) Spezifität (%) Prädiktiver Wert (%) Grenzwert (%) Kreatinin 50 76 85 256 µmol/l Kreatinin-Clearance 6 93 73 49 ml/min/kof Phosphat 27 95 94 1,54 mmol/l AP 55 76 86 89 IU ipth 22 93 90 5,4 pmol/l AP alkalische Phosphatase, ipth intaktes Parathormon, shtp sekundäre Hyperparathyreoidismus, KOF Körperoberfläche. Enterale Kalziumzufuhr Dialysatkalzium Kalziumfreisetzung aus dem Knochen Qualität der Phosphatkontrolle Wahl des Phosphatbinders Vitamin-D-Mangel als Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines HPT Osteomalazie PTH-Sekretion Ansprechen des Knochens auf PTH CKD-MBD chronic kidney disease mineral and bone disorder, HPT Hyperparathyreoidismus, PTH Parathormon. Tab. 4 Algorithmus zur Therapie und Diagnostik der High-turnover-Osteopathie bei Dialysepatienten Basistherapie Achtung: Ohne eine optimierte Basistherapie sind die unten aufgeführten spezifischen Maßnahmen vermindert wirksam Ausreichende Dialysedosis, guter Ausgleich der metabolischen Azidose Vermeidung eines Vitamin-D-Mangels (bereits ab CKD-Stadium 3 empfohlen) Effektive Phosphatkontrolle Ernährung (Phosphatzusätze meiden, Schulung des Patienten zum Phosphatgehalt von Lebensmitteln) Phosphatbindertherapie (Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel beachten, günstige Effekte mit Lanthanumkarbonat und Sevelamerkarbonat) Kalziumbalance (Dialysatkalzium <1,5 mval/l; kalziumhaltige Phosphatbinder in Kalziumbilanz einrechnen) PTH-Senkung in den KDIGO-Zielbereich Ziel: Erhalt eines biologisch aktiven Knochengewebes Cinacalcet (Dosistitration) als Monotherapie oder in Kombination mit aktivem Vitamin D Vitamin-D-Rezeptor-Aktivatoren (Alfacalcidol, Calcitriol, Paricalcitol) Monitoring des Knochenumsatzes im Labor Ziel: Vermeidung der High-turnover- und Low-turnover-Osteopathie, Messung des ipth (alle 3 Monate) Zusätzliche Messung des Knochenumsatzmarkers BAP zur Abschätzung der PTH-Wirkung auf den Knochen Weitere Diagnostik Knochenhistologie in unklaren Fällen NSD-Sonographie (Erfassung der NSD-Masse zur Entscheidungsfindung bzgl. PTx; Verlaufskontrolle von vergrößerten NSD) Knochendichte (DXA), Erfassung einer sekundären Osteoporose (z. B. vor Transplantation) CKD Chronic kidney disease, PTH Parathormon, ipth intaktes PTH, KDIGO Kidney Disease: Improving Global Outcomes, BAP bone alkaline phosphatase, NSD Nebenschilddrüse, PTx Parathyreoidektomie, DXA dual energy X-ray absorptiometry. NSD nicht mehr ausreichend. Da bei diesen Patienten eine erhebliche Steigerung des Verkalkungsrisikos besteht, ist die Indikation zur Parathyreoidektomie (PTx) rechtzeitig zu stellen. Mit der totalen PTx ohne Autotransplantation haben wir [10, 23] und andere Autoren [19] bei Dialysepatienten mit autonomem HPT gute Erfahrungen gemacht. Aufgrund eines erhöhten Risikos der postoperativen LTO sollte bei diesen Patienten der Knochenstoffwechsel engmaschig kontrolliert werden. Als Ultima Ratio zur Aktivierung des Knochenstoffwechsels bei LTO (z. B. nach erfolgter totaler PTx und nachfolgender Posttransplantationsosteoporose mit Frakturen) sei die Gabe von Teriparitid (PTH-1-34) erwähnt. Mit diesem osteoanabolen Therapieprinzip liegen bei Osteoporosepatienten valide Daten vor, bei Dialysepatienten bzw. nierentransplantierten Patienten nur Einzelfallbeobachtungen. Die Klärung der Kostenübernahme durch den MDK ist vor Therapieeinleitung anzuraten. Die derzeit aktuellen Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der HTO sind in. Tab. 4 zusammenfassend dargestellt. Fazit für die Praxis F Bei chronischer Niereninsuffzienz führen Hyperphosphatämie, Vitamin-D Mangel und ansteigende FGF-23- Spiegel zur Entwicklung eines Hyperparathyreoidismus (HPT). F Ein über längere Zeit bestehender und progressiver HPT verursacht in den meisten Fällen eine High-turnover-Osteodystrophie (HTO). F Die HTO ist klinisch durch Erhöhung des Knochenumsatzes, Entkalkungen des Skeletts, Frakturen sowie Gefäßund Weichteilverkalkungen charakterisiert. F Unter Beachtung der Zielwerte für Kalzium, Phosphat und PTH gilt es, die HTO so zu behandeln, dass der Knochenstoffwechsel in einem leicht gesteigerten Bereich gehalten wird und somit eine Low-turnover-Osteodystophie (LTO) vermieden wird. F Die gegenwärtigen Therapiestrategien beinhalten die Gabe von Cinacalcet, Cholecalciferol, Vitamin-D- 26 Der Nephrologe 1 2013
Osteitis fibrosa Hyperphosphatämie (Hypo)-Kalzämie Ca 2+ PO 4 - Mg 2 - Rezeptor-Aktivatoren (Alfacalcitol, Calcitriol, Paricalitol) und eine optimale Kontrolle der Hyperphosphatämie unter Beachtung der Kalziumbilanz (Einsatz von kalziumfreien Phosphatbindern). Korrespondenzadresse Prof. Dr. P.M. Jehle Klinik für Innere Medizin I und KfH-Nierenzentrum, Evangelisches Krankenhaus Paul Gerhardt Stift, Paul Gerhardt Diakonie und Pflege GmbH Berlin und Wittenberg e.v. 06872 Lutherstadt Wittenberg p.jehle@pgdiakonie.de Interessenkonflikt. Der Autor hat an mehreren Symposien zur Therapie des renalen HPT teilgenommen und Vortragshonorare der Firmen Abbott, AMGEN, Fresenius, Genzyme, LEO und Shire erhalten. Literatur ossäre Freisetzung PTH + Ablagerung im Weichteilgewebe Verkalkung 1. Brandenburg VM, Floege J (2008) Adynamic bone disease bone and beyond. Nephrol Dial Transplant Plus 3:135 147 2. 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