Einsatz von NSAR und Basistherapeutika bei eingeschränkter Nierenfunktion und Dialyse

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Transkript:

Einsatz von NSAR und Basistherapeutika bei eingeschränkter Nierenfunktion und Dialyse 20. Internistisch-Rheumatologisches Kolloquium, Hannover 01.02.2003 Priv.-Doz. Dr. med. Dirk O. Stichtenoth, Klinische Pharmakologie, MHH Rechtliche Vorgaben Anakinra: Vorsicht bei Patienten mit mäßiger Nierenfunktionsstörung, kontraindiziert bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance <30 ml/min) 1 Auranofin: Kontraindiziert bei schweren, fortschreitenden Nierenerkrankungen 1 Azathioprin: Bei Niereninsuffizienz nur unter sorgfältiger Kontrolle 1 Chlorambucil: Keine Zulassung zur Basistherapie 1 Chloroquin, Hydroxychloroquin: Relativ kontraindiziert bei ausgeprägten Nierenerkrankungen 1 Ciclosporin: Als Basistherapeutikum kontraindiziert bei Nierenfunktionsstörungen 1 Cyclophosphamid: Besondere Vorsicht bei chronischen Nierenerkrankungen 1 D-Penicillamin: Kontraindiziert bei Nierenschädigung 1 Etanercept, Infliximab: Keine Anwendungsbeschränkung bzgl. Nierenfunktionsstörungen aufgeführt 1 Leflunomid: Kontraindiziert bei mittlerer bis schwerer Niereninsuffizienz (unzureichende Erfahrungen) 1 Methotrexat: Kontraindiziert bei Kreatinin-Clearance <60 ml/min 1 Mycophenolatmofetil: Keine Zulassung zur Basistherapie 1 Natriumaurothiomalat: Kontraindiziert bei Nierenfunktionsstörungen 1 NSAR: Besondere Vorsicht bei eingeschränkter Nierenfunktion, kontraindiziert bei schwerer Nierenfunktionsstörung 1 Sirolimus: Keine Zulassung zur Basistherapie 1 Sulfasalazin: Kontraindiziert bei höhergradiger Niereninsuffizienz 1 Tacrolimus: Keine Zulassung zur Basistherapie 1 NSAR und Niere Renale Nebenwirkungen von NSAR 1. Hemmung der renalen Prostanoidsynthese: Reduktion von renalem Blutfluss und glomerulärer Filtrationsrate, akutes Nierenversagen, Natriumretention, Wasserretention, Hyperkaliämie 6 2. Analgetika-Nephropathie 6 3. Akute interstitielle Nephritis 6 Risikofaktoren: Vorbestehende Nierenfunktionsstörungen, Dehydratation, Natriumdepletion (diätetisch, Diuretika), Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, Komedikation mit nephrotoxischen Medikamenten, Komedikation mit ACE-Hemmern, AT-Rezeptor-Antagonisten, K + -sparenden Diuretika, Status post OP, SLE 6 Empfehlungen zur Therapie mit NSAR bei eingeschränkter Nierenfunktion und Dialyse 1. Wegen renaler Nebenwirkungen nur unter grösster Vorsicht, einschleichend in niedrigster Dosis. 6 Bei GFR <30 ml/min keine NSAR 6 2. Bei Dialyse NSAR im unteren Dosisbereich 1 3. NSAR der ersten Wahl: Ibuprofen, Diclofenac, Salsalat, Meloxicam, Celecoxib, Rofecoxib 6

D.O. Stichtenoth, Klinische Pharmakologie, MHH 01.02.2003 Empfehlungen zur Therapie mit Basistherapeutika bei eingeschränkter Nierenfunktion und Dialyse Medikament Q 0 Renale UAW Empfehlung Anakinra 1-5 0,2 Keine Vorsicht wenn GFR <70 ml/min. Wenn GFR <30 ml/min oder Dialyse kein Anakinra Auranofin 1-5 0,5 Glomerulonephritis, nephrot. Syndrom Strengste Nutzen-Risiko-Abwägung! Wenn GFR <60 ml/min maximal 2x3 mg/d. Wenn GFR <10 ml/min oder Dialyse 1x3 mg/d Azathioprin 1-5 1,0 Keine Wenn GFR <10 ml/min 50% der Normdosis. Dialyse: 50% der Normdosis bei HD Chlorambucil 1-5 1,0 Keine Keine Dosisreduktion notwendig. Dialyse: Therapie unter Vorsicht Chloroquin, 0,3 Keine Wenn GFR <70 ml/min Dosisanpassung nach Hydroxychloroquin 1-5 Dettli 4. Dialyse: Maximal 15% der Normdosis Ciclosporin 1-5 1,0 Nierenfunktionseinschränkung, Nierenversagen Cyclophosphamid 1-5 0,5 Selten Nephrotoxizität (hohe Dosis) D-Penicillamin 1-5 0,8 Proteinurie, Immunkomplexnephritis Wegen renaler UAW nicht zur Basistherapie bei eingeschränkter Nierenfunktion. Dialyse: Therapie unter Vorsicht Wenn GFR <10 ml/min 50% der Normdosis. Dialyse: Keine Dosisreduktion. Nach jeder HD/HP 50% der Dosis supplementieren Nur in Ausnahmefällen wenn GFR >50 ml/min. Dialyse: Kein D-Penicillamin zur Basistherapie Etanercept, Infliximab 1-5 1,0 Keine Keine Dosisreduktion notwendig. Dialyse: Vorsicht, unterer Dosisbereich Leflunomid 1-5 0,6? Keine Wenn GFR <50 ml/min unterer Dosisbereich. Dialyse: Keine Dosisanpassung, aber Vorsicht Methotrexat 1-5 0,06 Sehr selten Nierenfunktionsstörungen Dosisreduktion parallel zu GFR (z.b. bei GFR 25% der Norm 25% der Normdosis). Dialyse: Kein Methotrexat zur Basistherapie Mycophenolatmofetil 1-5 1,0 Keine Vorsicht. Wenn GFR <25 ml/min maximal 2x1 g/d. Dialyse: Vorsicht, maximal 2x500 mg/d Natriumaurothiomalat 1-5 0,25 Glomerulonephritis, nephrot. Syndrom Nur in Ausnahmefällen! Wenn GFR <70 ml/min 50% der Dosis. Wenn <40 ml/min oder Dialyse kein Natriumaurothiomalat Sulfasalazin 1-5 0,4 (Sulfapyridin) Selten interstitielle Nephritis, nephrotisches Syndrom Vorsicht. Wenn GFR <60 ml/min maximal 2 g/d. Wenn GFR <10 ml/min oder Dialyse kein Sulfasalazin Tacrolimus, Sirolimus 1-5 1,0 Nierenfunktionseinschränkung, Nierenversagen Wegen renaler UAW nicht zur Basistherapie bei eingeschränkter Nierenfunktion. Dialyse: Therapie unter Vorsicht Arzneimitteltherapieinformationssystem (ATIS) der Klinischen Pharmakologie Hannover Telefon 0511/532-2722, Fax -2750, email: Klinische.Pharmakologie@mh-hannover.de Internet: www.multimedica.de Expertenrat Klinische Pharmakologie und Arzneimittelinformation Literatur 1. Aktuelle Fachinformation. FachInfo CD, BPI GmbH, Berlin 2003 2. Aronoff GR et al. Drug prescribing in renal failure. American College of Physicians, Philadelphia 1999 3. Drugdex database. Micromedex Inc., Englewood, CO, USA 2003 4. Frölich JC, Kirch W (Hrsg.). Praktische Arzneitherapie. Springer Verlag, Berlin 2000 5. Koch K-M (Hrsg.). Klinische Nephrologie. Urban & Fischer, München 2000 6. Stichtenoth DO, Frölich JC. COX-2 and the kidneys. Curr Pharm Des 2000; 6: 1737-53

Medizinische Hochschule Hannover Institut für Klinische Pharmakologie Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz Prof. Dr. med. J.C. Frölich Apotheker J.U. Schnurrer Priv.-Doz. Dr. med. D. O. Stichtenoth Bestimmung von Arzneimittelkonzentrationen und Dosisberatung unter = Tel.: 4632, 2722 = Pieper 74-2834

3 Dosierungsanpassung bei Niereninsuffizienz Halbwertszeit Die Halbwertszeit (t ½ ) ist die Zeit, in der die Plasmakonzentration eines Pharmakons auf die Hälfte des Anfangswertes sinkt. Sie eignet sich wegen ihrer Anschaulichkeit besonders zur: = Abschätzung der Zeit bis zum Erreichen von "steady state" Plasmakonzentrationen = Schätzung der Zeit bis zur vollständigen Ausscheidung eines Pharmakons = Wahl eines Dosierungsintervalls zur Erzielung vorgegebener Minimal- und Maximalspiegel (siehe Abbildung Titelseite) Ausscheidung von Arzneimitteln: Die extrarenale Dosisfraktion Pharmaka werden zu unterschiedlichen Anteilen renal und extrarenal eliminiert (siehe Abb. 1). Verschlechtert sich die Nierenfunktion, so fällt die Elimination des renalen Anteils proportional zur Kreatinin- Clearance ab, während die extrarenale Elimination unverändert bleibt. Bei Anurie wird die renale Elimination = 0 und die verbleibende Elimination wird als extrarenale Dosisfraktion Q 0 bezeichnet. Spielt die Niere für die Ausscheidung keine Rolle, so ist Q 0 = 1, spielt die Niere eine große Rolle, so ist Q 0 eine kleine Zahl (z.b. Gentamicin: Q 0 = 0,02). Die extrarenale Dosisfraktion Q 0 ist demnach der Bruchteil der Dosis, der extrarenal ausgeschieden wird. Q 0 wird als Basisparameter für die Dosisanpassung bei Abbildung 1 niereninsuffizienten Patienten verwendet. Die Werte für Q 0 finden Sie im Tabellenteil zusammen mit den Halbwertszeiten für normale Nierenfunktion. Die Ausscheidung eines Medikaments setzt sich zusammen aus renaler und extrarenaler Dosisfraktion. Erstere hängt ab von der Nierenfunktion des Patienten. Die individuelle Eliminationsfraktion Q gibt an, wieweit die Elimination eines Medikaments im Vergleich zum Nierengesunden reduziert ist. Sie kann nach untenstehender Formel aus der extrarenalen Dosisfraktion Q 0 und der Kreatinin-Clearance des Patienten berechnet oder mit Hilfe eines Nomogramms (siehe hintere Umschlagseite) graphisch bestimmt werden. Berechnung der individuellen Eliminationsfraktion (Q) nach Dettli Q = Q 0 + ( 1 - Q 0 ) * Cl Krea 100 ml/min Q 0 : nicht-renal eliminierter Anteil 100 ml/min: normale Kreatinin-Clearance Abschätzung der Creatinin-Clearance (Cl Krea ) nach Cockroft und Gault Cl Krea [ml/min] = Frauen: - 15 % (150 -Alter [Jahre]) * Körpergewicht [kg] S-Kreatinin [µmol/l] Cave! Diese Methode darf nur bei stabiler Nierenfunktion angewandt werden.

4 Anpassung des Dosierungsschemas bei Niereninsuffizienz Prinzipiell ist eine individuelle Anpassung des Dosierungsschemas bei einer Niereninsuffizienz wie folgt möglich: 1. Die Einzeldosis (D N ) wird reduziert, das Dosierungsintervall (τ N ) bleibt unverändert (Regel 1). 2. Das Dosierungsintervall (τ N ) wird verlängert, die Einzeldosis (D N ) bleibt unverändert (Regel 2). Tabelle 1: Regeln zur Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Regel 1 Regel 2 D * = D * N D = D N * Q τ = τ N D * = D * N D = D N τ = τ N / Q Der Index N gibt die Dosis (D N ) und das Dosierungsintervall (τ N ) bei Nierengesunden an. Die individuelle Dosis und das individuelle Dosierungsintervall haben keinen Index. Für alle Grade der Niereninsuffizienz gilt, daß die Ladungsdosis bei Patienten mit Niereninsuffizienz (D * ) identisch mit der von Nierengesunden (D * N ) ist. Beispiel: Dosisanpassung von Digoxin (Regel 1) Die Kreatinin-Clearance betrage 30 ml/min. Bei einem nierengesunden Patienten sei eine Erhaltungsdosis von D N = 0,25 mg mit einem Dosisintervall von 24 h adäquat. Für Digoxin findet man in der Tabelle einen Q 0 Wert von 0,3 und eine t ½N von 36 h. Im Nomogramm wird eine Gerade vom Wert Q 0 = 0,3 auf der y-achse zur rechten oberen Ecke gezogen. Die Senkrechte von der Kreatinin- Clearance 30 ml/min schneidet diese Gerade. Die y-koordinate des Schnittpunktes ergibt die individuelle Eliminationsfraktion Q = 0,51. Damit findet man die individuelle Halbwertszeit mit t ½ = t ½N / Q = 36 h / 0,51 = 70,6 72 h. Die angepaßte Erhaltungsdosis ergibt sich nach Regel 1 aus D = D N * Q = 0,25 mg * 0,51 = 0,1275 mg 0,125 mg. Nach Regel 1 erhält der Patient also statt 0,25 mg Digoxin nur 0,125 mg Digoxin pro Tag! Abbildung 2

5 Beispiel: Dosisanpassung von Atenolol (Regel 2) Die Kreatinin-Clearance betrage 47 ml/min. Bei einem nierengesunden Patienten sei eine Erhaltungsdosis von D N = 50 mg mit einem Dosisintervall von 12 h adäquat. Für Atenolol findet man in der Tabelle einen Q 0 Wert von 0,06 und eine t ½N von 6,0 h. Q = 0,50 Im Nomogramm wird eine Gerade vom Wert Q 0 = 0,06 auf der y-achse zur rechten oberen Ecke gezogen. Die Senkrechte von der Kreatinin- Clearance 47 ml/min schneidet diese Gerade. Die y-koordinate des Schnittpunktes ergibt die individuelle Eliminationsfraktion Q = 0,50. Q 0 = 0,06 Damit findet man die individuelle Halbwertszeit mit t ½ = t ½N / Q = 6,0 h / 0,50 = 12,0 h. Das angepaßte Dosisintervall ergibt sich nach Regel 2 aus τ = τ N / Q = 12 h / 0,50 = 24,0 h Nach Regel 2 erhält der Patient erhält also statt 2x 50 mg Atenolol nur 1x 50 mg Atenolol pro Tag! Abbildung 3 Antibiotika, bei denen Regel 1 oder 2 nicht angewendet werden darf Für die meisten Arzneimittel führt eine Anpassung des Dosierungsschemas mit Regel 1 oder 2 zu einer therapeutisch wirksamen Konzentration. Für folgende Antibiotika darf die Dosisanpassung nach Dettli aber nicht angewendet werden: Tabelle 3: Antibiotika, die bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz nicht nach Regel 1 oder 2 dosiert werden dürfen. Amikacin Ceftazidim Latamoxef Amoxycillin Ceftizoxim Netilmicin Ampicillin Cefuroxim Spectinomycin Bacampicillin Cephalexin Streptomycin Benzylpenicillin Cephazolin Tobramycin Cefadroxil Fosfomycin Cefamandol Gentamicin Hier führt die Anwendung von Regel 1 zu therapeutisch unwirksamen Konzentrationen. Die Anwendung von Regel 2 ergibt zu lange Dosierungsintervalle (siehe Abb. 4, Beispiel Gentamicin). Es ist daher notwendig, die Dosis für diese Medikamente nach Tabellen anzupassen, die z.b. in den Fachinformationen der entsprechenden Handelspräparate hinterlegt sind. Alternativ können die Dosierungen für diese Medikamente aber auch über den Arzneimitteltherapieinformationsdienst des Instituts für Klinische Pharmakologie der MHH erfragt werden (Tel: 2722, 3351; Pieper: 74-2834).

6 Dosisanpassung nach Tabelle 10 Dosisanpassung nach Regel 1: Beachte, daß nur substherapeutische Konzentrationen erreicht werden! Dosisanpassung nach Regel 2: Beachte, daß bakterizide Konzentrationen nur alle 48 Stundenerreicht werden Konz. Therapeutischer Bereich 2 0 0 12 24 36 48 60 72 Zeit [h] Abbildung 4: Die Abbildung zeigt, daß die Dosierung nach Tabelle so angepaßt werden kann, daß der Verlauf der Plasmakonzentration dem Gesunden an nächsten kommt, während Regel 1 zu niedrige und Regel 2 zu selten bakterizide Konzentrationen erzeugt. Beispiel: Dosisanpassung von Gentamicin nach Tabelle 1. Berechnung des idealen Körpergewichts (IKG) des Patienten (CAVE: Diese Methode darf bei stark übergewichtigen Patienten nicht angewendet werden!) IKG = 50 + 0,9 (Körpergröße[cm] -152) (Männer) IKG = 45,5 + 0,9 (Körpergröße [cm] - 152) (Frauen) z.b. Patientin, 170 cm: IKG = 61,7 kg 2. Berechnung der Normtagesdosis hier: 3 mg/ kg IKG: 3 mg x 61,7 kg = 185,1 mg 3. Abschätzung der Creatinin-Clearance des Patienten nach Cockroft/Gault (siehe Seite 3). z.b. Creatinin-Clearance 20 ml/min 4. Ermittlung des zu applizierenden Prozentsatzes der Normtagesdosis anhand der Tabelle und Berechnung der angepaßten zu applizierenden Dosis bei Creatinin-Clerance von 20 ml/min: 75%, d.h. zu applizierende Dosis = 185,1 mg * 0,75 = 138,8 mg alle 24 h Creatinin-Clearance [ml/min] Prozent der Normtagesdosis (3mg/kg IKG) > 70 100 60 98 50 97 40 94 30 88 20 75 >10 50 Tabelle 4: Gentamicin Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz bei 1mal täglicher Gabe

Nomogramm zur Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Anleitung zum Gebrauch 1. Entnahme des Q 0 Wertes für das jeweilige Medikament aus der Tabelle im Anhang. 2. Auftragen dieses Q 0 Wertes auf der Ordinate des Nomogramms. 3. Gerade vom Punkt Q 0 zur rechten oberen Ecke des Nomogramms legen. Einige häufig verwendbare Geraden sind bereits eingetragen. 4. Senkrechte vom Wert der Kreatinin-Clearance des Patienten (Abszisse) errichten. 5. Schnittpunktverlängerung beider Geraden nach links ergibt die individuelle Eliminationsfraktion Q (siehe auch Beispiel S. 4, Abb. 2). Der so gefundene Wert Q gibt an, auf welchen Bruchteil der Norm, die Eliminationsgeschwindigkeit bei dem betroffenen Patienten abgesunken ist. Die individuelle Halbwertszeit ergibt sich aus t ½ = t ½N /Q. Die Kreatinin-Clearance kann mit der Formel auf S. 3 abgeschätzt werden: Merke: 80% aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind durch unterlassene Dosisanpassung bedingt.