Wie ist die Evidenzlage über Trainingskurse in Aggressionsmanagement? Heidenheimer Psychiatriepflegekongress Heidenheim, 12.

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Transkript:

Wie ist die Evidenzlage über Trainingskurse in Aggressionsmanagement? Heidenheimer Psychiatriepflegekongress Heidenheim, 12. März 2009

Hintergrund Seit einigen Jahren werden Trainingskurse in Aggressionsmanagement angeboten Als Problemlösung angepriesen Ein hoher Kostenfaktor Ein Geschäft für Anbieter Ein rotes Tuch für manche Schwache Evidenzlage 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 2

Ziele Trainingskurs Schonender Umgang mit Aggression Respekt, angemessene Reaktion Keine Verletzungen durch die Intervention Sicherheit für PatientInnen und Personal Zuversicht bei Personal Reduktion der Aggression und Zwangsmassnahmen 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 3

Evidenzstufen Hierarchie der Evidenz Meta-Analyse Randomisierte kontrollierte Studie (RCT) Nicht-randomisierte kontrollierten Studie Prä-, Posttest-Studie Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten (ohne transparenten Beleg) 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 4

Randomisierte kontrollierte Studie Vorher Nachher Zufallszuteilung Gruppe A Gruppe B Int Gruppe A Gruppe B Vergleich 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 5

Nicht randomisierte kontrollierte Studie Vorher Nachher Gruppe A Gruppe B Int Gruppe A Gruppe B Vergleich 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 6

Studie mit Gruppenvergleich Gruppe mit Merkmal X Gruppe ohne Merkmal X Vergleich 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 7

Evidenz? 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 8

Hauptsächliche Untersuchungsvariablen Wissen über Aggression, Aggressionsmanagement Zuversicht subjektive Sicherheit im Umgang mit Aggression Vorfälle Änderungen der Aggressionsraten nach dem Training 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 9

Berücksichtigte Studientypen (n=39) 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 10

Hauptergebnisse Wissen Aggressionsvorfälle Zuversicht 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 11

Der Trainingskurs Trainer: Nico Oud, Niederlande 1-wöchiges Intensivtraining (z.b. Haltung, Vorgehensweisen, Kommunikation, Grenzen setzen, Nachsorge) für ganze Stationsteams Prinzipien: Primum nil nocere est Anwendung von anatomisch schonenden Techniken Akteure in sozialer Interaktion nicht Opfer-Täter-Dichotomie Team-Ansatz mit koordinierter Aktion Reflektierende Praxis Kosten per Person ~ Fr 500.- 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 12

Multizenter-Studie (Needham/Abderhalden) Randomisierte kontrollierte Studie auf 6 psychiatrischen Akutstationen (Stadt, Land) Messvariablen Aggression (mild, schwer) Attacken Zwang 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 13

Multizenter-Studie (II) 86 wards potentially eligible 10 wards agreed to study conditions 6 wards randomised 4 wards postponed into second study wave Data collection = 3 months Data collection = 3 months Training course Data collection = 3 months Data collection = 3 months 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 14

Relative Risikoreduktion (RRR) All aggression 0.79 Aggression > 9 0.63 Attacks 0.71 Coercion 0.63 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 15

Ergebnisse Kein statistisch signifikanter Rückgang der milden aggressiven Vorfälle Kein statistisch signifikanter Rückgang von Attacken gegen Personen Eine statistisch signifikante Senkung von Zwangsmassnahmen und schweren Aggressionsereignissen 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 16

Interpretationen - Milde aggressiven Vorfälle : Ein Grundmass an solchen Ereignissen ist normal und unvermeidbar - Attacken gegen Personen : Möglicherweise tollkühneres Auftreten - Zwangsmassnahmen und schwere Aggressionsereignisse : Positives Ergebnis für Patienten und Personal gleichermassen 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 17

Studie mit 4 Interventionen (24 Stationen) Physical attacks (rates per 100 treatment days; 95%-CI) 1.6 1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 Training BVC BVC+Training BVC- Pref erence Cont rol Phase 1 Phase 2 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 18

Einstellungsänderungen nach Training Studien aus der Schweiz (Needham/Abderhalden et al, Hahn et al, Zeller et al) belegen, dass ein Training in Aggressionsmanagement die Einstellung nicht verändert Interpretationen Lerntheorie (Wissen, Performanz, Einstellung) Verweildauer der Pflegenden im Beruf vesus kurzer Lehrgang Einfluss der Organisation Ungeklärt: Wie oder wohin verändern, Veränderung nötig? 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 19

Interessante Feststellung Je stringenter die Studienanlage, desto schwächer die Ergebnisse und umgekehrt 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 20

Kernaussagen der Studie 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 21

Kritische Betrachtungen Trainingskurs versus Bröset Violence Checklist Richard Benson UK Britische Studie 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 22

Schlussfolgerungen Trotz schwacher Evidenzlage kann die Alternative nicht KEIN TRAINING sein Training in Aggressionsmanagement ist Teil eines Gesamtkonzeptes zum Umgang mit Aggression andere Bestandteile sind etwa: Berücksichtigung der Umgebungsfaktoren (Stationsatmosphäre, Crowding) Eindeutige Haltung der Institution mit Blick auf Aggressionshandhabung Aufzeichnung und Analyse von Aggressionsereignissen zwecks Verbesserung Andere Interventionen (Pharmakotherapie, Impulskontrolle) 12.03.2009 Dr. Ian Needham, MNSc 23