2. Chemnitzer Gelenksymposium 27.05.-28.05.2011 Interdisziplinäres Gelenkmanagement Allgemeinmedizin- Chirurgie/ Orthopädie- Rehabilitative Medizin
Der besondere Fall, der jeden täglich treffen kann! Fallbeispiel bei einem Patienten mit brisanter Differentialdiagnose Darstellung eines nicht alltäglichen Krankheitsverlaufes Lars Barthel (arthromed Chemnitz)
Patientenvorstellung Geschlecht: Alter: AZ: EZ: männlich 22 Jahre sehr gut adipös
1.Anamnese 1.1. Langzeitanamnese 2002 in chirurgischer Behandlung wegen Belastungsschmerzen li. Kniegelenk (Diagnose Morbus Schlatter), danach rezidivierende gelegentliche Belastungsschmerzen im li. Knie
1.2. aktuelle Anamnese (09-2010): Seit 3 Monaten bei Belastung wieder ziehende Schmerzen Innenseite li. Kniegelenk, kein Unfall, Beginn plötzlich! Initialbehandlung medikamentös durch HA (Diclofenac) mit Linderung, Schmerzzunahme nach absetzen med. Therapie
Weiter 1.2. aktuelle Anamnese (09-2010): Vor 1 Jahr anamnestisch in Behandlung wegen Schleimbeutelentzündung in auswärtigen KH konservativ, damals mit Durchführung MRT (05-2009)
2. Befund 2.1. klinischer Befund 09-2010 li. Kniegelenk: Schwellung (-), Erguss (-), DS dorsomed. Gelenkspalt, STEINMANN I u. II +, VSL und Lachman zur Gegenseite (-), Seitenbänder klinisch stabil Retropatellares Reiben, Zohlen +++, DS med. Patellafacette, Extension/Flexion 0-0-135 (seitengleich) Thrombosezeichen (-), MDS intakt
3. Diagnostik 3.1. Rö. li. Knie in 2 Ebenen 09-2010 und Patella axial: Mediale Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung retropatellar, Patella zentriert, WIBERG II, sonst knöchern altersgemäß unauffällig
3.1. Rö.-Bilder 23.09.2010 a.p. und seitlich
3.1. Rö. 23.09.2010 Patella axial
3.2. MRT-Befund li. Knie vom 25.05.2010 1,5 Tesla Fremdbefund auswärtige Radiologie 1. Partialläsion LCA ohne komplette Kontinuitätstrennung mit korrespondierendem geringgradigen Knochenmarködem im Condylus femoris lateralis, dorsal gelegen. 2. Es finden sich erhebliche chondroide Degenerationen des med. Meniskusvorderhornes, wobei eine umschriebene Rissbildung nicht erkennbar ist. 3. Chondropathia patellae Grad I, kleine Bakerzyste
4. Paraklinik/Labordiagnostik präoperativ Unauffällige Werte!
5. Indikationsstellung ASKP li. Knie 1. Persistierende belastungsabhängige Schmerzen Knieinnenseite 2. Klinisch positive Meniskuszeichen und retropatellare Schmerzsymptomatik 3. Diskrepanz zwischen MRT-Befund und klinischem Befund und subjektiver Symptomatik 4. Rezidiv. konservativ behandelte Symptomatik ohne anhaltende Besserung 5. Rö. mit med. GS-Verschmälerung, subchondrale Sklerosierung retropatellar
5. Indikationsstellung ASKP li. Knie klinische präoperative Diagnosen: 1. deg. med. Meniskusläsion li. 2. Chondropathia patellae sinistra
II. ASKP li. Kniegelenk 07.10.2010 Intraoperative Diagnosen: 1. Pathologisch fibrosierte Plica mediopatellaris li. (Plicasyndrom) 2. Chondropathie med. Femurcondylus Stadium II li. außerhalb HBZ (Shelfsyndrom)
II. ASKP li. Kniegelenk 07.10.2010 Therapie: 1. Resektion Plica mediopatellaris 2. Chondroplastik, HF.- Versiegelung, Spülung
Plica und med. FK praeop. Plica und med. FK postop.
Medialer Meniskus (HH) Vorderes Kreuzband
III. postoperative Kontrolle 08.10.2010 Klinisch postoperativ unauffälliger Befund, keine Schwellung, kein Erguss, MDS intakt, keine Thrombosezeichen Th.: VW, Thromboseprophylaxe, NSAR 3 Tage, MLD, WB durch Hausarzt, Kontrolle in 4 Wochen mit Empfehlung zur Nachbehandlung und Physiotherapie entsprechend OP-Bericht
IV. Postoperativer Verlauf Kontrolle 4 Wochen postoperativ 11/2010 08.11.2010 Anamnese: Besserung, noch mäßige Beschwerden, bisher 1 Behandlung Krankengymnastik erfolgt
Kontrolle 4 Wochen postoperativ 11/2010 08.11.2010 Befund: Schwellung (-), Erguss (-), Narben reizlos, keine Überwärmung, noch DS med. Zugang und Pes anserinus, 0-0-140, verkürzter Quadrizeps, Meniskuszeichen (-), Bandapparat stabil, Zohlen (-), keine Thrombosezeichen, MDS intakt
Kontrolle 4 Wochen postoperativ 11/2010 08.11.2010 Therapie: verordnete KG durchführen, Dehnungsübungen Quadrizeps, Externa, Folgeverordnung KG, Fahrrad/Ergometer, Ko. 01/2011 bis dahin weiter durch Hausarzt
Kontrolle 3,5 Monate postoperativ/ 4 Monate nach Erstvorstellung 25.01.2011 Anamnese: wieder Schmerzen/ Schmerzverstärkung, über HA deswegen erneut Analgetika/ NSAR, noch laufende KG und US, Schmerzen am inneren Schienbeinkopf mit jetzt bestehender Schwellung!
Kontrolle 3,5 Monate postoperativ/ 4 Monate nach Erstvorstellung 25.01.2011 Befund li. Kniegelenk: flache und derbe druckdolente Schwellung am Pes anserinus, kein DS über GS, Rotationsschmerz (-), Meniskuszeichen (-), Bandapparat klin. stabil, keine Überwärmung, 0-0-140 Thrombosezeichen (-), MDS intakt, Erguss (-)
Kontrolle 3,5 Monate postoperativ/ 4 Monate nach Erstvorstellung 25.01.2011 Indikation zur erneuten Rö.-Diagnostik jetzt bestehende/ neu aufgetretene derbe Schwellung am Pes anserinus erneute Schmerzzunahme nach initialer Besserung Diskrepanz zwischen intraop. Befund und aktuellem klinischen Befund und subj. Beschwerdebild
Rö. Li. Knie 25.01.2011 a.p. Inhomogene Auflockerung proximale Tibia/ Tibiakopf Unscharf begrenzte osteolytische Läsion mit periostaler Reaktion (periostale Spiculae)!, Mischbild Osteolyse und Osteosklerose Weiterführende Diagnostik!
Rö. Li. Knie 25.01.2011 seitlich Inhomogene Auflockerung proximale Tibia/ Tibiakopf Unscharf begrenzte osteolytische Läsion mit Verdichtungen/ Sklerose Mischbild Osteolyse und Osteosklerose Weiterführende Diagnostik!
Kontrolle 3,5 Monate postoperativ/ 4 Monate nach Erstvorstellung 25.01.2011 Indikation zu weiterführenden Diagnostik! Unklare ossäre Veränderung der proximalen Tibia mit dringendem Malignitätsverdacht! MRT-Untersuchung veranlasst (Termin 27.01.2011)
MRT 27.01.2011 3,0 Tesla mit u. ohne KM
MRT 27.01.2011 3,0 Tesla mit u. ohne KM
MRT 27.01.2011 3,0 Tesla mit u. ohne KM
MRT 27.01.2011 3,0 Tesla mit u. ohne KM
MRT-Befund 27.01.2011 (3,0 Tesla mit u. ohne KM, Radiologischer Befundbericht) Großer maligner Knochentumor der proximalen Tibia mehr medial mit extraossärem Weichteilanteil. DD ist an ein Osteosarkom aber auch Ewing- Sarkom (lokalisatorisch eher untypisch) zu denken. Chondromalazie medial und retropatellar (I-II) Veränderungen im Vor-MRT nicht nachweisbar (Auswertung Fremd-MRT durch befundenden Radiologen)
V. Weiterer Verlauf 28.01.2011 Aufklärung Patient und Mutter über Diagnose und weiteres erforderliches Vorgehen und Konsequenzen. Zeitgleich Terminvereinbarung in einem ausgewiesenem Sarkomzentrum Stationäre Aufnahme 02.02.2011 (mit staging)
V. Weiterer Verlauf (stationär) stationär zunächst 5 Tage mit Inzisionsbiopsie am 03.02.2011 Dg.: hochmalignes Osteosarkom der proximalen Tibia links (Stadium IIb UICC 2003) (T2 N0 M0 G3) Histologie: hochmalignes Osteosarkom mit überwiegend osteoblastischer Differenzierung
V. Weiterer Verlauf (stationär) Staging: CT-Thorax ohne Metastasennachweis, Szintigraphie ohne Metastasennachweis Audiometrie und Echokardiographie altersgemäß (erforderlich vor neoadjuvanter Chemotherapie)
V. Weiterer Verlauf (stationär) Multimodale Therapie 1. Präoperativ neoadjuvante Chemotherapie bei hoher Inzidenz okkulter Disseminierung; Verbesserung der Lokalkontrolle (Polychemotherapie mit Adriamycin, MTX, Cisplatin, Ifosfamid)- Ausmaß des histologischen Tumoransprechens auf präoperative Chemotherapie ist wesentlicher prognostischer Faktor (weniger 10% Resttumor)
V. Weiterer Verlauf (stationär) Multimodale Therapie 2. Lokaltherapie- operative Tumorentfernung ( weite Resektionsgrenzen ) obligat OP mit Extremitäten erhaltender Gelenkresektion Anfang 05/2011 und Tumorprothese, derzeit Rehabilitation Postoperativ weiter Chemotherapie (adjuvant) über mehrere Monate- derzeit geplant bis 09/2011
Zusammenfassung Beachtung und Wertung abnormer Behandlungsverläufe hinsichtlich Symptomatik und Befunden (sind postoperative Symptomatik und die klinischen Verlaufsbefunde dem intraoperativ festgestelltem Schädigungsmuster adäquat!?) Bei Diskrepanzen differentialdiagnostische Erwägungen und ggf. weiterführende Diagnostik
Zusammenfassung Algorithmus: Anamnese (Intensität, Dauer der Beschwerden, akut, schleichend, Analgetika, Unfall, Voruntersuchungen, Medikamente, sonstige Erkrankungen, etc.) Klinische Untersuchung Rö.- Diagnostik (bei uns z.b. Kniegelenk in 2 Ebenen und Patelladefile in 30 Grad) ggf. weiterführend MRT (keine Routine!), CT, Szintigraphie, Labor, etc.
I. Osteosarkome 1. Definition: seltener meist hochmaligner Tumor mit Inzidenz 2-3/ 1.000.000 pro Jahr!, Prädilektion 2. Lebensdekade (60 %), zweiter Häufigkeitsgipfel jenseits 50. Lebensjahr 2. Charakteristika: hauptsächlich metaphysär gelegen kniegelenksnah 50% (35 % distales Femur, 15 % proximale Tibia, prox. Humerus 15 %
I. Osteosarkome 2. Charakteristika: maligner Knochentumor aus mesenchymalem Gewebe, Bildung von Osteoid und unreifer Knochensubstanz, heterogener Tumor mit großer Variationsbreite hinsichtlich Morphologie und klinischem Verhalten 3. Metastasierung: hämatogen in Lunge, skip lesions in benachbarte Knochenabschnitte
I. Osteosarkome 3. Histopathologische Klassifikation: meist anaplastische Tumoren hoher Malignität (highgrade), aber auch differenziert (low-grade) 4. Stadieneinteilung nach UICC, TNM, klinische Stadieneinteilung nach Enneking (über 80 % der Osteosarkome manifest im Stadium II
I. Osteosarkome 4. Leitsymptome: mediane Dauer der ersten Symptome und Zeichen bis Diagnose 10-15 Wochen meist zunehmende belastungsabhängige Schmerzen der betroffenen Region lokale Schwellung, Bewegungseinschränkung teilweise pathologische Fraktur erstes Symptom Allgemeinsymptome meist fehlend (fortgeschrittene Metastasierung!)
5. Diagnostik: I. Osteosarkome Rö. der Primärtumorregion MRT der Primärtumorregion (gesamtes Kompartment ggf. mit KM-Dynamik)-Methode der Wahl Biopsie obligat (offene Inzisionsbiopsie) Rö.-Thorax, CT-Thorax (möglichst Spiral CT) Skelettszintigraphie (3-Phasen, ggf. SPECT) Labor- und apparative Untersuchungen (OP- und Chemotherapiefähigkeit)
I. Osteosarkome 6. Therapie: (multidisziplinär, Zentrum!) Notwendig: Polychemotherapie (neoadjuvant und adjuvant) (Lokalkontrolle, okkulte Disseminierung) Operation des Primärtumors mit weiten Resektionsgrenzen Operation eventuell vorhandener Metastasen Obsolet: alleinige OP, alleinige Chemotherapie, vermeidbare intraläsionale Operation
I. Osteosarkome 6. Prognose: primäre Metastasierung hat größten Einfluss auf Prognose, ungünstig große Tumoren und Fernmetastasierung, hoher Malignitätsgrad und schlechte Ansprechrate auf Chemotherapie 5- Jahres-Überlebensrate mit neoadjuvanter Chemotherapie bei 65% (früher ohne bei ca. 20%) Extremitätenerhaltende Therapieverfahren bei ca. 80% bei Rezidiv bzw. Metastasierung Überlebensrate ca. 40%
Literatur/ Bilder: Radiologische Differentialdiagnostik in Orthopädie und Rheumatologie, Thieme Verlag 1995, Burgener Francis, A. AWMF Leitlinie Osteosarkome, AWMF-Register Nr. 025/005, Klasse S1 Version 12/2010 (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/025-005.html ) MRT-Bilder mit freundlicher Genehmigung der Gemeinschaftspraxis für Radiologie, Markersdorfer Str. 124, 09122 Chemnitz Zertifizierte Fortbildung Maligne Knochentumoren, Teil 2,Das Osteosarkom, J. Schauwecker1, G. Weirich2, R. Gradinger1, H. Rechl1, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, ORTHOPÄDIE & RHEUMA 3 2006
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