Finanzierung der ambulanten öffentlichen Psychiatrie: Der Fall Kanton Waadt

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Transkript:

Dr. med. Nathalie Koch, Mitarbeiterin Ärztliche Direktion, CHUV, Lausanne Dr. med. Charles Bonsack, assoziierter Professor, Departement für Psychiatrie, CHUV, Lausanne Fachveranstaltung der GDK zur Psychiatrieplanung Planung, Finanzierung, Qualität 15. Mai 2014, Bern Finanzierung der ambulanten öffentlichen Psychiatrie: Der Fall Kanton Waadt

Plan 1. Einleitung: gezielte Versorgung 2. Beschreibung Ambulatorium DP-CHUV 3. Aktuelle Finanzierung ambulante und mobile Psychiatrie 4. Fazit

1) Einleitung: gezielte Versorgung

Kanton Waadt: -73 Betten / 100 000 Einwohner -Notwendigkeit, Finanzierungsmodelle der Gemeindepsychiatrie zu entwickeln

Modell der WHO

Jährliche Prävalenz Ungezielte Psychiatrische Versorgung 50% Unbehandelte Patienten Grundversorger Spezialisten 25% Patients non traités Leicht Erholt Genesung Mittelschwere Störungen Rehabilitation Schwer krank Akute Phase Anfangsphasen Thornicroft & Tansella 2001

Jährliche Prävalenz Idealzustand: gezielte Versorgung 50% 25% Unbehandelte Patienten Grundversorger Leicht Erholt Genesung Mittelschwere Störungen Rehabilitation Spezialisten Schwer krank Akute Phase Anfangsphasen Thornicroft & Tansella 2001

Aufteilung der spezialisierten Versorgung

2) Beschreibung Ambulatorium Departement psychiatrie CHUV (DP-CHUV)

Departement psychiatrie CHUV (DP-CHUV) Kanton Waadt: vier Sektoren DP-CHUV: Zentrum, West, Nord Ca. 650 000 Einwohner Starke Reduktion der Bettenanzahl 1995-2005 mit Fokus der Entwicklung auf der ambulanten und mobilen Psychiatrie Hohe Inanspruchnahme der ambulanten Institutionen (höchste der Schweiz mit NE; Obsan, 2013)

Ambulatorium DP-CHUV 1998: Reorganisation der öffentlichen Psychiatrie der Region Lausanne mit dem Ziel der Verbesserung der Schnittstellen ambulant-stationnär Ab 1999: Pilotprojekte mobile Teams Aktuell: 60 Ambulante Abteilungen (Kinder-, Erwachsenen- und Gerontopsychiatrie, allgemeine und spezialisierte Abteilungen: aufsuchende Teams, Konsiliarpsychiatrie, Case Management Transition, Forensik, Rehabilitation, Sucht, ) 370 Stellen ambulant (Vollzeit)/ 930 Total klinische Stellen 40% Ärzte 25% Pflege 20% Psychologen 8% Sozialassistenten 7% Andere (Ergo- und Physiotherapie, Erzieher etc.) 75 Millionen Aufwand/190 Betriebsaufwand Total (mit 25% Overhead)

3) Aktuelle Finanzierung ambulante und mobile Psychiatrie

Startfinanzierung mobile Teams Projektbeiträge im Rahmen des Aktionsplanes psychische Gesundheit Waadt haben die Entwicklung und Verbreitung der mobilen Equipen im ganzen Kanton ermöglicht, besonders ab 2011. Ziel: personenzentriert, wohnortnah, vernetzt, inerdisziplinär Budget de charges (sans overhead) 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 PUV1 - Equipe mobile de la personne âgée SPC 135'229 165'430 364'044 349'617 570'295 376'241 372'185 393'515 PGEJ - Unité de psychiatrie communautaire SPC 1'378'097 1'380'620 1'439'890 1'387'117 1'739'536 1'836'565 1'863'164 2'187'229 PEA1 - Equipe mobile adolescent du SPC (AIME) 0 0 0 0 0 0 0 683'418 APA1 - Equipe mobile âge avancé du SPN 0 0 0 0 698'204 469'614 506'912 492'921 APM1 - Equipe mobile adolescent et jeune adulte du SPN 0 0 0 0 458'009 687'049 772'135 978'430 EMG1 - Equipe mobile de la personne âgée du SPO 0 0 0 0 430'674 389'968 398'116 402'520 EMA1 - Equipe mobile adolescent et jeune adulte du SPO 0 0 0 0 447'238 632'640 691'882 934'363 Total Equipes mobiles du DP 1'513'326 1'546'050 1'803'934 1'736'734 4'343'956 4'392'077 4'604'394 6'072'396

Ambulante allgemeine Psychiatrie Population CGRA Taux de couverture (exploitation) Part de médecins Part de psychol. Part autres prof (IN; AS) Part activité non facturable Adulte HPM1 113% 100% 0% 0% 1% Adulte HPN1 102% 100% 0% 0% 1% Pédopsy PEM1 88% 60% 40% 0% 1% Pédopsy PEO1 70% 66% 34% 0% 7% Adulte PGE1 70% 43% 57% 0% 11% Pédopsy PEP1 68% 38% 62% 0% 3% Pédopsy PEV1 67% 51% 38% 11% 9% Pédopsy PEB1 64% 51% 36% 13% 3% Adulte PGM1 62% 29% 17% 54% 15% Adulte APO1 62% 64% 8% 28% 7% Adulte APY1 60% 63% 8% 29% 3% Adulte PGH1 57% 30% 29% 41% 14% Adulte APJ1 54% 43% 0% 57% 2% Adulte APP1 54% 68% 9% 24% 3% Pédopsy PER1 51% 60% 40% 0% 2% - Nur Abteilungen, die exklusiv aus Ärzten bestehen, können sich selbst finanzieren. - Abteilungen mit einem bio-psycho-sozialen, personenzentrierten Modell mit mehr Pflegepersonal und Sozialarbeitern haben einen kleineren Deckungsgrad der Kosten und einen höheren Anteil an nicht-verrechenbaren Leistungen.

Mobile Teams Taux de couverture Taux de couverture Taux de Part Taux de de Part de Part autres Part de prof Part autres Part prof non Part non (exploitation) (exploitation) productivité productivité médecins médecins psychol. psychol. (IN; AS) facturable (IN; AS) facturable Age avancé APA1 Age avancé APA1 46% 36% 46% 38% 36% 38% 0% 0% 62% 62% 23% 23% Adulte PGEJ Adulte PGEJ 40% 30% 40% 23% 30% 23% 2% 2% 75% 75% 17% 17% Adulte EMA1 Adulte EMA1 27% 27% 20% 27% 20% 0% 80% 80% 13% 13% Adulte APM1 Adulte APM1 24% 28% 24% 24% 28% 24% 0% 0% 76% 76% 26% 26% Age avancé EMG1 Age avancé EMG1 23% 25% 23% 35% 25% 35% 0% 0% 65% 65% 25% 25% - Die mobilen Teams weisen einen sehr kleinen Deckungsgrad auf (zwischen 23 und 46%). Sie bestehen vor allem aus Pflegepersonal und Sozialarbeitern. - Die individuelle Produktivität (Stunden erhobene klinische Arbeit/Stunden Präsenz) ist ähnlich wie in den traditionellen Ambulatorien, der Anteil an nicht-verrechenbaren KVG-Leistungen ist jedoch viel höher: aufsuchende Angebote, Koordination, Schnittstellen- und Netzwerkarbeit, Mobilität der Pflege, etc ).

Finanzierung Ambulatorium DP 100% 90% Charges indirectes 80% Autres charges Non financé 70% 60% 50% 40% Salaires Recherche et enseignement Autres revenus Massnahmen, um die Leistungserfassung zu verbessern haben eine begrenzte Wirkung (individuelle Balanced Score Cards). 40 % der Kosten sind nicht gedeckt. 30% 20% Revenus cliniques 10% 0% Charges Revenus

4) Fazit

Deckungsgrad spezialisierte Versorgung

Fazit (1/2) Die ambulante psychiatrische Versorgung braucht eine globale Vision, die über die ambulante Psychiatrie hinausgeht und die Rolle der Grundversorger einbezieht Notwendigkeit einer nationalen und kantonalen Planung (balanced care model; gezielte Versorgung) Die Wende zur ambulanten Versorgung in der Schweiz wie in allen entwickelten Ländern erfordert Eine Verlagerung der Kosten vom Spital in die ambulante Versorgung (von 60/40 zu 40/60 im Australischen Modell) Die Entwicklung von interdisziplinären, wohnortnahen Leistungen als Alternativen zum Spitalaufenthalt

Fazit (2/2) Die aktuelle Tarifstruktur LaMal erbringt einen Deckungsgrad von 100% der psychiatrischen und psychothérapeutischen Konsultation ungefähr 60% der interdisziplinären ambulanten, personenorientierten Leistungen 25-50% der mobilen Teams Typ ACT (assertive community treatment) Notwendigkeit, die interdisziplinären Leistungen und die mobilen Teams aufzuwerten (KVG) Eine nationale Gesundheitspolitik psychische Gesundheit («public mental health») sollte die prioritären gemeinwirtschaftlichen Leistungen definieren und ihre Finanzierung durch die Kantone unterstützen um sie auf die Bedürfnisse einer Bevölkerung mit hohem Lebensstandard anzupassen Entwicklung der 3 Stufen des balanced care models: (1) Unterstützung der Grundversorgung (2) Allgemeine psychiatrische Leistungen & (3) Hochspezialisierte Leistungen (mobile Teams ACT, Rehabilitation, beginnende psychose, individual placement and support, )