Weiterentwicklung des Schmerzmanagements in der Intensivmedizin Irmela Gnass 7. Grazer Schmerztag, 29.9.2015 Paracelsus Medizinische Privatuniversität Institut für Pflegewissenschaft und praxis Strubergasse 21, A-5020 Salzburg www.pmu.ac.at
Überblick Hintergrund Schmerz Schmerzerfassung/-diagnostik Methodik Feldzugang Beobachtungsstudie Beobachtungsprotokoll Ergebnisse Stichprobenbeschreibung Schmerzerfassung Schmerzdiagnostik Fazit
Hintergrund I Behandlungsfälle im Krankenhaus (Destatis 2013)» 26 Tsd. Intensivbetten vorgehalten» Ca. 400.000 Beatmungsfälle (ca.10% Steigerung letzten 10 Jahren) Schmerz» in Ruhe - unterschätzt (Chanques et al. 2007)» bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen kaum wahrgenommen (Puntillo et al. 2004, Puntillo et al. 2001)» Schmerzmonitoring - einfach (Jetzinger 2008, Pudas-Tähkä et 2009 etc.)» Schmerztherapie - kaum verändert (u.a. O Connor 2012)» 25% keine präventive med. Schmerztherapie (Puntillo et al. 2001)» 84% berichten Schmerz während des intensivstationären Aufenthaltes (Delgado-Guay 2009, Sitges 2013)
Hintergrund II Sedierte Patienten... weniger häufige Schmerzerfassung... (Payen et al. 2007 Kastrup et al. 2009)... geringere Schmerzmittelgabe bei tiefer Sedierung... (Payen et al 2007)... 65% Schmerzen (BPS >5, NRS >3 Pkt.) (Chanques et al. 2006)... 28-35% starke Schmerzen (BPS >7, NRS>5)... (Chanques et al. 2004) PTBS und Schmerz... 20-80% chronischen Schmerz bei PTBS (Oits et al. 2003)... 10-50% PTBS-Raten in Schmerz-Stichproben (Beck und Clapp 2011)
Theoretischer Bezugsrahmen 5
Zielorientierung Patient/Patientin... wach, ansprechbar, orientiert,schmerz gelindert, Angst reduziert, entspannt, kooperativ,... pflegerische, ärztliche und physiotherapeutische Maßnahmen tolerieren und diese möglichst frühzeitig aktiv mit gestalten patientenorientierter Behandlungsplan
Empfehlungen Schmerzmonitoring (AWMF Leitlinie S3, 2010) Patientenorientierte Behandlungskonzepte (GoR A) 8 stdl. Dokumentation (GoR A) Validierte Scoringsysteme (GoR A) In Abhängigkeit vom Sedierungsgrad (GoR A)» Bei wachen PatientInnen» Bei dementen PatientInnen» Bei beatmeten PatientInnen
Empfehlungen Schmerzeinschätzung (Barr et al. 2013) Schmerzeinschätzung 4 pro Schicht und Nacht Bevorzugte Einschätzungsinstrumente:... Selbstauskunft: NRS (0-10)... Keine Selbstauskunft: BPS (3-12) oder CPOT (0-8) Patient hat signifikant Schmerzen... NRS 4... BPS > 5, oder CPOT 3
NRS-V* * Vergrößert auf 10 x 30 cm
BPS * Item Beschreibung Punkte Gesichtsausdruck Entspannt 1 Teilweise entspannt 2 Stark angespannt 3 Grimassieren 4 Obere Extremität Keine Bewegung 1 Adaption an das Beatmungsgerät Teilweise Bewegung 2 Anziehen mit Bewegung 3 Ständiges Anziehen 4 Tolerierung 1 Seltenes Husten 2 Kämpfen mit dem Beatmungsgerät 3 Kontrollierte Beatmung nicht möglich 4 *Behavioral Pain Scale, Payen et al., 2001) 10
BPS-NI * (Chanques et al.2009)
Auszug aus der AWMF Leitlinie Bei Patienten, die nicht oder nicht adäquat kommunizieren können, müssen subjektive Parameter zur Ermittlung des Schmerzniveaus wie Bewegung und Mimik und physiologische Parameter wie Herzfrequenz, Atemfrequenz und Blutdruck sowie deren Änderung nach analgetischer Therapie herangezogen werden. Der Einschätzung von Ärzten und Pflegepersonal kommt im Bezug auf die analgetische Therapie eine entscheidende Bedeutung zu. Insbesondere den Pflegenden obliegt durch ihre Nähe zum Patienten die Erstellung einer Schmerzdiagnose. Dies umfasst die regelmäßige und systematische Beobachtung des Patienten auf Schmerzindikatoren, die Bewertung mittels adäquater Schmerzmessinstrumente und die Dokumentation der Ergebnisse. (DGAI&DIVl 2010)
Erstellung einer Schmerzdiagnose Schmerzscores & Subjektive Parameter & Physiologische Parameter & interpretiert von Pflegenden/Ärzten Schmerz( -diagnose)
Fragestellung Wie erfassen Pflegende Schmerzen bei beatmeten Patienten in tiefer und zunehmend verringerter Sedierungstiefe zur Erstellung einer Schmerzdiagnose?
Methodik Feldzugang - Gelegenheitsstichprobe Kliniken, mit umgesetzten Empfehlungen zum Schmerzmanagement Erwachsenenintensivstation - mit Beatmungstherapie Qualitativ-deskriptives Design - Beobachtungsstudie Beobachtungsprotokoll - halbstandardisiert Auswertung nach Mayring (2010) - strukturiert-inhaltsanalystisch Kategorien und Subkategorien für den Kodierleitfaden erstellt entlang der evidenz-basierten Empfehlungen
Methodik - Beobachtungsprotokoll Alter (in Jahren) Geschlecht Aufnahmegrund (laut Patientenakte) Beatmungsregime (z. B. BIPAP) Schmerztherapie/-schema (existierende Zielsetzung) Sedierungstherapie/-schema (existierende Zielsetzung) Delirtherapie/-management (existierende Zielsetzung) Einsatz von Muskelrelaxanzien Erstellung der Schmerzdiagnose (z.b. ETA; Lagerung, Punktion, Drainage) Einsatz von Skalen (Selbst- bzw. Fremdeinschätzung) subjektive Parameter (z. B. Mimik) physiologische Parameter (z. B. Atemfrequenz) Handlungen, nach vermuteter Schmerzdiagnose Änderung der Schmerztherapie Änderung der Sedierungstherapie Änderung der Delirtherapie Handlungen, als Schmerz reduzierend oder fördernd kommuniziert Kommunikation bzgl. Schmerz mit anderen Teammitgliedern Dokumentation zu Schmerz
Ergebnisse - Stichprobenbeschreibung
Ergebnisse Schmerzerfassung/-diagnostik I Patientenorientierte Behandlungspläne: keine Klinik Mindestens 8stdl. Dokumentation: in einer Klinik» Algorithmus zur Schmerz- und Sedierungstherapie, mit Grenzwert Scoringsysteme: in zwei Kliniken» Selbsteinschätzung: NRS, VAS, NAS (Klinikintern entwickelt: Numerische Analog Skala)» Fremdeinschätzung: BPS, ZOPA (Zurich Observation Pain Assessment) in Abhängigkeit des Bewusstseinszustandes» Kein spezifischer Einsatz von Skalen für Menschen mit dementiellen Einschränkungen
Ergebnisse Schmerzerfassung/-diagnostik II Annahme zur Schmerzdiagnose Es wurde davon ausgegangen, dass Pflegende, Ärzte oder Ärztinnen eine Schmerzdiagnose gestellt haben... wenn eine Veränderung der Schmerztherapie vorgenommen wurde... wenn eine geplante Handlung als Schmerz reduzierend oder fördernd kommuniziert wurden Schmerzdiagnose ausgeschlossen haben... wenn eine Veränderung der Sedierungs- oder Delirtherapie vorgenommen wurde
Ergebnisse - Bolusgaben
Zusammenfassung Schmerzeinschätzungsinstrumente in nur zwei Kliniken» Kein konsequenter Einsatz» Grenzwerte, sofern vorhanden, finden für die Anpassung der Schmerztherapie keine Anwendung» Bei wachen Patienten folgt immer die Nachfrage nach Schmerz Kein Einsatz von Skalen zur Selbsteinschätzung» Bei prozeduralen Schmerzen (ETA, Lagerung) Gleichzeitige Gabe von Sedativa und Analgetika Maßnahme wird zu Ende geführt Gezielte Gabe eines Analgetikums vor ETA Individuelle Nutzung von Bedarfsmedikation (Bolusgaben)
Fazit Zur Sicherstellung einer adäquaten Schmerzversorgung für sedierte und beatmete Patienten und Patientinnen im Intensivbereich bedarf es... der weiteren konsequenten Implementierung evidenz-basierter Erkenntnisse zur Schmerzerfassung/- diagnostik... weiterer Erkenntnisse zur Schmerzerfassung/diagnostik, damit eine handlungsleitende Diagnose in der direkten Versorgungssituation gestellt werden kann
Danke für Ihre Aufmerksamkeit irmela.gnass@pmu.ac.at