Innovationserfolg durch Kundenintegration Christian Lüthje TU Hamburg-Harburg (München, 25.03.2004) M T I TUHH Christian Lüthje Folie 1 TUHH-TIM Innovationserfolg durch Kundenintegration Agenda 1. Herausforderungen der Kundenorientierung - Warum ist Kundenorientierung im Innovationsprozess schwierig? 2. User Innovations - Wie häufig und wie erfolgreich entwickeln User Innovationen? 3. Lead User Methode - Wie funktioniert sie und welche Ergebnisse werden erzielt? 4. Toolkits - Was ist die Grundidee und was sind ihre Vorteile? Christian Lüthje Folie 2 TUHH-TIM
Herausforderungen der Kundenorientierung Empirische Forschung unterstreicht das hohe Floprisiko für Innovationen: Einige Schlaglichter Die Rate nicht erfolgreicher Neuprodukte (Flops) schwankt zwischen 30% und 70%. Fast 50% der in die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte investierten Mittel führen zu Ergebnissen, die nie auf den Markt gelangen. A.C. Nielsen (1990), Booz, Allen&Hamilton (1992), Cooper (1992) Von 1919 in Unternehmen entwickelten und fixierten Neuproduktideen werden letztlich nur 52 zu auf dem Markt akzeptierten Produkten (2,7%). Manager Magazin 1993, S. 217 Christian Lüthje Folie 3 TUHH-TIM Herausforderungen der Kundenorientierung Allerdings führt Marktforschung häufig zu Fehleinschätzungen des zukünftigen Marktpotentials von Innovationen:Einige dramatische Beispiele Thomas J. Watson (IBM) schätzte nach Gesprächen mit Kunden den weltweiten Computerbedarf auf weniger als 50 Maschinen. Führende Röntgenärzte sahen im CT (General Electric) eine unzureichende Technologie mit Potential für eine kleine Nische. Ergebnisse konventioneller Marktforschung Marktforschung bei MOTOROLA führte zu dramatischer Fehleinschätzung der wichtigsten Nutzergruppen von Mobiltelefonen. Wichtigste Kunden (z.b. AT&T) von CORNING sahen Glasfasertechnologie lange Zeit als irrelevant an. Quelle: Lynn et al. (1996); Lettl (2004) Christian Lüthje Folie 4 TUHH-TIM
Herausforderungen der Kundenorientierung Es gibt Gründe für diese Probleme der traditionellen Marktforschung in frühen Phasen des Innovationsprozesses. Kunden/Anwender sind oftmals zu stark an existierende Produkte und aktuelle Nutzungserfahrungen gebunden ( functional fixedness ). Dies verhindert ein Denken in unkonventionellen, neuartigen Richtungen - die Vorstellung über zukünftige Anwendungssituationen und die in diesen Situation benötigten Produktlösungen fehlt häufig. Methoden/Verfahren der traditionellen Marktforschung orientieren sich meist an durchschnittlichen Kunden und zielen auf großzahlige, repräsentative Stichproben. Neue Bedürfnisse und Anforderungen entstehen aber häufig nicht in der Gruppe der aktuellen, typischen Kunden. Christian Lüthje Folie 5 TUHH-TIM Herausforderungen der Kundenorientierung Die Methoden der Marktforschung und unterstützende Technologien wurden stark weiterentwickelt. Information Acceleration Schaffung einer realistischen Kaufsituation durch Einsatz elektronischer Medien und virtueller Produktmodelle Virtuelle Produktkliniken Realistische Vermittlung der Produktanmutung durch immersive Virtuelle Realität Neue Verfahren der Conjoint-Analyse ValidereMessungen, realistischere Produktpräsentationen, testen vieler Merkmale möglich Neue Entwicklungen in der Marktforschung Online Marktforschung Schnelle und kostengünstige Marktforschung über das Internet. Nutzung der Online- Foren und Communities. Empathic Design Ermittlung latenter Bedürfnisse und impliziten Kundenwissens durch Kundenbeobachtungen Rapid Prototyping Früher Test der Funktionsfähigkeit, des Designs und der habtischen Eigenschaften durch schnelle Prototypen Christian Lüthje Folie 6 TUHH-TIM
Herausforderungen der Kundenorientierung Marktforschung für Innovationen sollte Kunden einbeziehen, die für den zukünftigen Markt repräsentativ sind. C A B Aktuelle Kundschaft Zukünftige Kundschaft Zeit Christian Lüthje Folie 7 TUHH-TIM Innovationserfolg durch Kundenintegration Agenda 1. Herausforderungen der Kundenorientierung - Warum ist Kundenorientierung im Innovationsprozess schwierig? 2. User Innovations - Wie häufig und wie erfolgreich entwickeln User Innovationen? 3. Lead User Methode - Wie funktioniert sie und welche Ergebnisse werden erzielt? 4. Toolkits - Was ist die Grundidee und wann können sie eingesetzt werden? Christian Lüthje Folie 8 TUHH-TIM
User Innovations Nutzer haben erfolgreiche Innovationen entwickelt! Christian Lüthje Folie 9 TUHH-TIM User Innovations In manchen Produktbereichen entwickeln die User sogar den größten Teil der wesentlichen Innovationen. Traktorenschaufeln 6% Plastikadditive Anteil der von Nutzern entwickelten Innovationen in einem Produktbereich 8% Kabelverarbeitungsgeräte 11% Industriegasverarbeitung 42% Sportgeräte (z.b. Surfbretter, Snowboards)) 58% Wissensch. Messgeräte 77% 90% Pultrusionsprozess 0% 20% 40% 60% 80% 100% Quelle: von Hippel (1988); Shah (2000) Christian Lüthje Folie 10 TUHH-TIM 5
User Innovations Innovierende User sind keine seltene Ausnahme. CAD Software für Simulation von Halbleiterplatten (Urban/von Hippel 1988) Nutzer von OPAC Systemen (Morrison et al. 2000) % der Kunden, die innoviert haben (Entwicklung eines funktionsfähigen Prototypen) 24% der Stichprobe 26% der Stichprobe Chirurgen (Lüthje 2003a) Apache Software User (Franke/von Hippel 2003a) Mountainbiker (Lüthje/von Hippel 2003) Extremsportler (Franke/Shah 2003) 22% der Stichprobe 19% der Stichprobe 19% der Stichprobe 20% der Stichprobe Christian Lüthje Folie 11 TUHH-TIM User Innovations User innovieren, wenn ihr Bedarf nicht erfüllt wird und / oder wenn Informationen nur schwer vom User auf den Hersteller transferierbar sind. 1. Häufig haben die User und nicht die Hersteller den größeren Nutzen aus Innovationen ( von Hippel 1988; Riggs / von Hippel 1994, Franke / von Hippel 2003) Gründe: Das Bedürfnis entsteht neu und wird daher vom Hersteller (noch) nicht beachtet. Das Bedürfnis ist sehr spezifisch. Innovationen erfordern vom User verhältnismäßig geringe Investitionen. 2. Es ist häufig schwierig oder sehr kostspielig, die entsprechenden Bedarfsinformationen vom User auf den Hersteller zu übertragen ( sticky information ). (Nelson 1982, Rüdiger/Vanini 1998, von Hippel 1994). Beispiele: Was ist eine benutzerfreundliche Oberfläche bei einem Computerprogramm? Was ist ein schöner Duft? Welche belastenden Bewegungen macht ein Zahnarzt beim Behandeln von Patienten? Christian Lüthje Folie 12 TUHH-TIM
User Innovations Die erfolgreichste Web Server-Software stammt von Usern Marktanteil 60% 50% 40% 30% 20% Restliche Angebote 10% 12/95 01/97 02/98 03/99 04/00 04/01 Quelle: www.netcraft.com Christian Lüthje Folie 13 TUHH-TIM User Innovations Ergebnisse der Chirurgen-Studie: Fast der Hälfte der Produktideen wird von Herstellern ein Vermarktungspotential zugetraut. Wird Ihre Produktidee (aktuell oder in absehbarer Zukunft) von einem Hersteller vermarktet? 100% 75% 50% 47,9% 52,1% 25% 0% ja n = 261 nein Quelle: Lüthje (2001) Christian Lüthje Folie 14 TUHH-TIM
User Innovations Was kann festgehalten werden? User sind innovativ und entwickeln häufig eigenständig Lösungen für ihre Probleme (z.b. CAD Systeme, Medizinische Geräte, Prozesstechnologien für Leiterplatten, Sportausrüstung, Computerspiele). Gründe: - Häufig profitieren die User stärker von Innovationen als die Hersteller. - Das spezifische Wissen der User lässt sich nur unter hohen Kosten zum Hersteller transferieren. Die entwickelten Lösungen der User haben eine ökonomische Bedeutung und können zu erfolgreichen Produkten und Dienstleistungen führen. Die Einbindung von besonderen Usern in den Innovationsprozess erscheint sinnvoll. Christian Lüthje Folie 15 TUHH-TIM Innovationserfolg durch Kundenintegration Agenda 1. Herausforderungen der Kundenorientierung - Warum ist Kundenorientierung im Innovationsprozess schwierig? 2. User Innovations - Wie häufig und wie erfolgreich entwickeln User Innovationen? 3. Lead User Methode - Wie funktioniert sie und welche Ergebnisse werden erzielt? 4. Toolkits - Was ist die Grundidee und wann können sie eingesetzt werden? Christian Lüthje Folie 16 TUHH-TIM
Lead User Methode Lead User entwickeln häufig Innovationen, bevor eine kommerzielle Lösung auf dem Markt erhältlich ist. people who need a new product lead users create solutions commercial products available Market trend routine users early adopters lead users time Quelle: von Hippel/Thomke/Sonnack (1999) Christian Lüthje Folie 17 TUHH-TIM Lead User Methode Lead User sind durch hohe Qualifikation und Motivation zur Innovation gekennzeichnet. Merkmal 1: Qualifikation zur Innovation Der Lead User hat heute bereits Bedürfnisse, welche die Masse der Kunden erst in Zukunft haben wird. Merkmal 2: Motivation zur Innovation Der Lead User profitiert stark von der Entwicklung neuer Produkte bzw. Dienstleistungen. Viele Lead User haben daher bereits Prototypen (in der Regel für den eigenen Gebrauch) entwickelt. Christian Lüthje Folie 18 TUHH-TIM
Lead User Methode Beispiel für User Innovation im Mountainbiking: Die Bike Pogies Quelle: www.allweathersports.com Christian Lüthje Folie 19 TUHH-TIM Lead User Methode Die Lead User Methode wurde in unterschiedlichsten Branchen und Produktbereichen eingesetzt. Anwendungen der Lead User Methode Bell-Antlantic Christian Lüthje Folie 20 TUHH-TIM
Lead User Methode Ziele und Schrittfolge der Lead User Methode Ziele: 1. Filterung der Lead User aus der Masse der Kunden 2. Einbindung der Lead User in Innovationsprojekte der Hersteller Schritt 1: Start des Lead User Projektes Schritt 2: Schritt 3: Identifikation von Lead Usern und deren Ideen Entwicklung von Lösungskonzepten (Workshop) Networking-Suche nach Usern im Zielmarkt Planung eines Workshops mit Lead Usern+ Mitarbeitern Networking-Suche in analogen Märkten Weiterentwicklung der Ideen Findung und erste Evaluation der Ideen Dokumentation und Bewertung der Konzepte Identifikation von Bedürfnissen und Trends Bildung interdisziplinärer Teams Interviews mit Markt-/ Technologieexperten Festlegung der Zielmärkte Scanning von Literatur, Internet, Datenbanken Definition der Projektziele Selektion der wichtigsten Trends Christian Lüthje Schritt 4: Folie 21 TUHH-TIM Lead User Methode Anwendung der Lead User Methode bei Schritt 1: Start des LU Projektes Schritt 2: Identifikation vontrends Schritt 3: Identifikation von LU und Ideen Schritt 4: Entwicklung von Lösungs konzepten Find applications for dynamic information transfer through the internet. Strong need for robust, high-speed Internet communications for mobile applications. Aviation specialists, animal trackers, storm chasers, mobile medicine researchers. Disruptive concepts for information access and transfer systems for emergency medicine, aviation and fleet management. Quelle: Nortel Networks (2000) Christian Lüthje Folie 22 TUHH-TIM 11
Lead User Methode Bei der Networking-Suche steigt der Grad der Fachkenntnisse der einbezogenen Experten. Manchmal wird man auch auf analoge Märkte verwiesen. Grad der Fachkenntnisse Level 1 Level 2 Level 3 Zielmarkt Analoge Märkte Quelle: verändert nach von Hippel/Thomke/Sonnack (1999) Christian Lüthje Folie 23 TUHH-TIM Lead User Methode Durch die Suche nach analogen Problemlösungen können sehr neuartige Ansätze für Innovationen gewonnen werden. Christian Lüthje Folie 24 TUHH-TIM
Lead User Methode In den Lead User Anwendung bei 3M resultieren Ideen mit vergleichs - weise höherem Umsatzpotential. Durchschn. Umsatz im Jahr 5 nach Markteinführung $ 146 Mio. $ 18 Mio. Nicht-Lead User Ideen n = 47 Lead User Ideen Quelle: Lilien et al. (2001) Christian Lüthje Folie 25 TUHH-TIM Lead User Methode In den Lead User Anwendung bei 3M resultieren ausschließlich neue Produktlinien. Definition: Eine neue Produktlinie ist für mindestens 20% der Umsätze einer Division verantwortlich. Art der entwickeltenidee inkremental neue Produktlinie Projekttyp Nicht-Lead User Projekte Lead User Projekte 41 1 0 5 χ 2 = 7,88; p<0,01 Quelle: Lilien et al.(2001) Christian Lüthje Folie 26 TUHH-TIM
Innovationserfolg durch Kundenintegration Agenda 1. Herausforderungen der Kundenorientierung - Warum ist Kundenorientierung im Innovationsprozess schwierig? 2. User Innovations - Wie häufig und wie erfolgreich entwickeln User Innovationen? 3. Lead User Methode - Wie funktioniert sie und welche Ergebnisse werden erzielt? 4. Toolkits - Was ist die Grundidee und wann können Toolkits eingesetzt werden? Christian Lüthje Folie 27 TUHH-TIM Toolkits für User Innovationen Traditionelle Entwicklungsprozesse erfordern viele zeitraubende Schleifen. Kunden Hersteller Kunden formulieren Bedürfnisse 1. Marktforschung 2. Bedürfnisse Neues Produkt? 3. Prototypentest 1 F&E Aktivitäten Kunden testen 4. Geringe Akzeptanz Kunden testen 5. Prototypentest 2 6. Immer noch geringe Akzeptanz Etc. F&E Aktivitäten Etc. Quelle:Franke (2003) Christian Lüthje Folie 28 TUHH-TIM
Toolkits für User Innovationen Mit der Entwicklung neuer Informations- und Produktionstechnologien wird der Einsatz von Toolkits interessant. Ziele: 1. Übertragung der Design-Aktivitäten auf die User zur Erhöhung der Entwicklungseffizienz 2. Herstellung individualisierter, innovativer Produkte für heterogene Bedürfnisse Hersteller Auftrag Toolkit Produktdesign User Individualisiertes, u.u. innovatives Produkt Quelle:Franke (2003) Christian Lüthje Folie 29 TUHH-TIM Toolkits für User Innovationen Die zentralen Elemente eines Toolkits ermöglichen den Usern die Entwicklung eigener Lösungsansätze. 1. Trial-and-error ermöglicht rumprobieren und langsame Annäherung an die Lösung 2. Möglichkeit des sofortigen Testens Hilft den Kunden herauszufinden, was sie wollen (latente Bedürfnisse) 3. Modulbibliothek Startlösung und Standardmodule vereinfachen das Entwickeln einer Lösung 4. Begrenzter Lösungsraum Stellt sicher, dass alles, was der Kunde entwickelt, auch produziert werden kann. Quelle:Thomke / von Hippel (2002) Christian Lüthje Folie 30 TUHH-TIM
Toolkits für User Innovationen Beispiel für ein existierendes Toolkit für Geschmacks- und Duftstoffe Kunde (z.b. Müsli- Hersteller) Benötigen neues Aroma für Müsli rumprobieren mit dem Toolkit Test / Änderungen Lieferung in einem Tag BBA (Hersteller) Online Übersetzung Beschreibung des Aromas: in chemische Formel S 2 C 3 O 1... haselnussig mit einer Nuance Orange etc. Herstellung einer Probe über Nacht Datenübermittlung Produktion Quelle:Thomke / von Hippel (2002) Christian Lüthje Folie 31 TUHH-TIM Toolkits für User Innovationen Toolkit ist nicht gleich Toolkit: Die Bandbreite ist groß! User Innovationen Ermöglicht die Entwicklung neuer Lösungen Hohe Lernkosten Häufiger in B-to-B Märkten Mass Customization Ermöglicht die Kombination von Produktattributen. Intuitive, leichte Bedienung Häufiger in B-to-C Märkten Quelle:Franke (2003) Christian Lüthje Folie 32 TUHH-TIM
Fazit Wer viel von den Usern erwartet, muss ihnen etwas zutrauen! Christian Lüthje Folie 33 TUHH-TIM