Folgen von Industrie 4.0 für die Betriebsverfassung Betriebsbegriff und Vereinbarungen nach 3 BetrVG Vortrag auf der Ortstagung Hamburg des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands am 1. 7. 2016 Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München Lehrstuhl für deutsches, europäisches, internationales Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht
I. Was ist Industrie 4.0? Digitale Vernetzung von Wertschöpfungsketten Entgrenzung von drei wesentlichen Parameter der Arbeitsleistung: Ort Zeit Gegenstand 2
Thema der arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung des 71. Deutschen Juristentag vom 13. 16. September 2016 in Essen: Digitalisierung der Arbeitswelt Herausforderungen und Regelungsbedarf 3
Betrieb II. Problembereiche hinsichtlich der Arbeitnehmervertretung im Betrieb 1. Betrieb a) Definition Zentralbegriff des Betriebsverfassungsrechts 4
Begriff des Betriebs Herkömmliche Definition: Betrieb im Sinne des BetrVG ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. 5
Begriff des Betriebs Etwas Aussagekräftiger: Ein Betrieb liegt danach vor, wenn die in einer Arbeitsstätte vorhandenen materiellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden, und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. 6
Begriff des Betriebs b) Merkmale Einheitlicher Rechtsträger, einheitliche Leitung, räumliche Einheit, eine gewisse Dauer, organisierte Zweckverfolgung Kein subsumtionsfähiger Begriff, sondern Typus 7
Begriff des Betriebs Prozessual: Beschränkte Überprüfbarkeit in der Revisionsinstanz Institutionell: Verkennung des Betriebsbegriffs führt grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl. Wichtig: räumliche Einheit 8
Begriff des Betriebs c) Maßgebliche Bezugspunkte der Repräsentation der Arbeitnehmerinteressen: Arbeitnehmernähe Entscheidungsnähe 9
Arbeitnehmer 2. Arbeitnehmer a) Arbeitnehmerbegriff Maßgeblich: allgemeiner Arbeitnehmerbegriff Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist, wer auf der Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags persönlich zur Leistung von Diensten für einen anderen in dessen Betrieb und unter dessen Weisung verpflichtet ist. 10
Arbeitnehmerbegriff Arbeitnehmerbegriff nach 611a BGB-Entwurf (Fassung des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 1. Juni 2016) Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. 11
Arbeitnehmer Problem: Crowdworker Frage des Einzelfalls, aber doch eher selbstständig Denkbar: arbeitnehmerähnliche Person 12
Arbeitnehmer b) Zuordnung der Arbeitnehmer zum Betrieb (Betriebszugehörigkeit) Bislang h. M.: Sogenannte Zwei-Komponenten-Lehre: Arbeitsvertrag mit dem Betriebsinhaber Zugehörigkeit zu dessen Betrieb 13
Arbeitnehmer Aufgegeben durch die Rechtsprechung bei sogenannter gespaltener Arbeitgeberstellung Betriebszugehörigkeit wird funktional und nicht räumlich bestimmt. 14
Begriff des Arbeitgebers 3. Arbeitgeber Keine Definition im BetrVG Mehrere Vertragsarbeitgeber führen einen Betrieb: Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen ( 1 Abs. 2 BetrVG) Externe Konzernierungsvorgänge ebenfalls erfasst, wenn ein Unterordnungskonzern entsteht (KBR). Andere Formen unternehmerischer Zusammenarbeit etwa Kooperation in Unternehmensnetzwerken und dergleichen - erfasst das BetrVG grundsätzlich (Ausnahme von 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BetrVG) nicht. 15
3 BetrVG III. Autonome Gestaltungsmöglichkeiten nach 3 BetrVG 1. Betrieb a) Ersetzung des Betriebs durch andere Vertretungseinheiten ( 3 Abs. 1 Nr. 1 3 BetrVG) Abweichungsmöglichkeit bezieht sich nicht auf die Bildung der Obersätze, sondern auf die Subsumtion. 16
3 BetrVG 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG: Zusammenfassung von Betrieben, Betriebsteilen oder Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG: Zusammenfassung von Teilen von Unternehmen oder Konzernen im Fall von produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen. 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG: Etablierung völlig anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen im Rahmen von Unternehmens- oder Konzernorganisationen oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen allerdings nur durch Tarifvertrag. 17
3 BetrVG b) Reichweite der Abweichungsmöglichkeiten aa) Restriktive Auffassung: Nur Regelung der Basisrepräsentationseinheit zulässig Argument: Gesetzeswortlaut: 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG: Auf die in ihnen gebildeten Arbeitnehmervertretungen finden die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung. 18
3 BetrVG Nach restriktiver Auffassung läuft 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG im Bereich der anderen Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen (2. Variante) weitgehend leer. Stichworte: virtuelles Unternehmen oder Unternehmensnetzwerke 19
3 BetrVG bb) Andere Auffassung: Weitergehende Abweichungsmöglichkeiten von Rechtsvorschriften des BetrVG aufgrund 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Argument: Gesetzeswortlaut von 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG: andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen 20
3 BetrVG cc) Klarstellungsbedarf für den Gesetzgeber c) Instrumente der Abweichung Regelfall: Tarifvertrag Betriebsvereinbarung nur bei nicht tarifgebundenen Unternehmen ( 3 Abs. 2 BetrVG) Vollständig ausgeschlossen bei 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG 21
3 BetrVG 2. Arbeitnehmer a) Einbeziehung von Nichtarbeitnehmern in die Betriebsverfassung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung? aa) Arbeitnehmerbegriff des 5 BetrVG als zwingendes Recht BetrVG gilt auch für Heimarbeiter, wenn sie in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten ( 5 Abs. 1 S. 2 BetrVG). 22
3 BetrVG bb) Sonderproblem: Anwendung des europäischen Kartellrechts auf etwaige Tarifverträge für Crowdworker? EuGH vom 4. 12. 2014 C-413/13 EuZW 2015, 313 - FNV Kunsten. 23
3 BetrVG b) Zuordnung der Arbeitnehmer zum Betrieb Zwei-Komponenten-Lehre: Arbeitsvertrag mit dem Inhaber des Betriebs und Eingliederung in diesen Betrieb M. E. de lege ferenda keine Abweichungsmöglichkeit zugunsten der Tarifvertragsparteien oder der Betriebspartner 24
Vielen Dank für Ihre Geduld! Bei Fragen und Anregungen: lehrstuhl.franzen@jura.uni-muenchen.de www.jura.uni-muenchen.de/personen 25