Resilienz und psychische Gesundheit aktueller Diskurs in der Wissenschaft Charlotte Hanisch Professorin für Psychologie und Psychotherapie in Heilpädagogik und Rehabilitation
40 50% aller in 2015 nach Deutschland geflüchteten Menschen sind psychisch krank (BPtK, 2015) Flüchtlingsmädchen in Feldkirchen/Österreich, fotografiert von Martin Peneder/FF-Feldkirchen (19. 7. 2015) Die ZEIT no.1, 2016
Resilienz (1) eine geringere Verletzlichkeit gegenüber ungünstigen Bedingungen à die (schnellere) Überwindung von Stress und Widrigkeit à eine relativ (im Vergleich zu anderen) gute Entwicklung trotz ungünstiger Umstände Rutter, 2012
Resilienz (2)... ist über den Entwicklungsverlauf variable... situationsspezifisch... multidimensional nicht: Unverwundbarkeit (wie in den 1970/ 1980 ern gedacht) nicht: ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal, sondern prozesshaft und veränderbar Rutter, 2012
Resilienz entsteht in der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt
Bronfenbrenner: Individuum im Kontext von Systemen
Zusammenspiel aus Risikound Schutzfaktoren - Personen- und Umgebungsbezogen - Bio-psycho-sozial - Schutzfaktoren können Risikofaktoren abpuffern Schutzfaktoren Risikofaktoren - Zusammenspiel bestimmt Resilienz bzw. Vulnerabilität à nicht ein einzelner Faktor, sondern das Zusammenwirken ist entscheidend
Risiko elterliche Depression 220 Jugendliche mit depressiv erkrankten Eltern wurden über 4 Jahre untersucht 39% erfüllen Kriterien einer psychischen Störung 20% bleiben durchgängig psychisch gesund Je mehr Schutzfaktoren, desto besser: Ausdruck positiver Emotionen, Unterstützung vom nicht erkrankten Elternteil, gute soziale Beziehungen, Selbstwirksamkeit, regelmäßiges Sporttreiben Collishaw et al., 2016 Proportion of people without mental health problems 60 50 40 30 20 10 0 10 2% 12 5% 3 8% 0 or 1 2 3 Total number of protective factors 48 0% 37 5% 4 5
ü Die Anzahl von Schutz- und Risikofaktoren ist wichtig d.h. möglichst Schutzfaktoren aufund Risikofaktoren abbauen bei allen Kindern (und bei uns selbst)
Was müssen wir dazu wissen? 1. Woher weiß man, was schützt? 2. Ist ein Schutzfaktor immer ein Schutz, bzw. ein Risikofaktor immer ein Risiko? 3. Welche Schutzfaktoren sind besonders wichtig? 4. Evidenzbasierung: was hilft?
(A) 1. Woher weiß man, was schützt? Längsschnittstudien bei Risikokindern: wer bleibt gesund? Querschnittstudien: wie unterscheiden sich Gruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt? (B) Bonnano et al., 2013
2. Ist ein Schutzfaktor immer ein Schutz? Beispiel Freunde Und: Ist ein Risikofaktor immer ein Risiko? Beispiel elterliche Trennung
2. Ist ein Risikofaktor immer ein Risiko? Zusammenhang zwischen elterlicher Trennung und höherer Raten von aggressivem Verhalten und Depression wird durch Streit zwischen Eltern und ungünstiges Erziehungsverhalten mediiert (d.h. erklärt) (Fergusson et al., 1992) Broken home Aggressives Verhalten Streit zwischen den Eltern Ungünstiges Erziehungsverhalten Broken home Aggressives Verhalten
2. Ist ein Risikofaktor immer ein Risiko? Übernahme von Verantwortung für Eltern durch das Kind: ungünstig für das Kind, unter widrigen Umständen aber Positive kindliche Entwicklung Ausmaß Verantwortungsübernahme McMahon & Luthar, 2007: 361 Mutter-Kind Paare untersucht, Mütter wegen Drogenmissbrauch in Behandlung
ü Die genauen Umstände und die Kompetenz des Kindes entscheiden, ob ein Risikofaktor ein Risiko ist, dosierter Stress macht resilient
Resilienz entsteht in der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt - was heißt das genau?
Influence of Life Stress on Depression: Moderation by a Polymorphism in the 5-HTT Gene Caspi et al., 2003 18 JULY 2003 VOL 301 SCIENCE Moderierende Wirkung des Serotonin Transporter Genes (Review 34 Studien Uher & McGuffin, 2010)
Mütterliche Feinfühligkeit mit 7 Monaten und Ärgerneigung mit 14 Monaten Beobachtete mütterliche Feinfühligkeit mit 7 Monaten sagt voraus Ärgerneigung bei Eingrenzung mit 14 Monaten (Temperamentsfragebogen) n= 193 zwei Untersuchungszeitpunkte: 7 und 14 Monate MAOA Gene über Speichelprobe untersucht, spielen z.b. bei Impulsivität eine Rolle Pickles et al. (2013)
Mütterliche Feinfühligkeit mit 7 Monaten und Ärgerneigung mit 14 Monaten Pickles et al. (2013)
Was müssen wir dazu wissen? 1. Woher weiß man, was schützt? 2. Ist ein Schutzfaktor immer ein Schutz, bzw. ein Risikofaktor immer ein Risiko? Ø Längs- und Querschnittuntersuchungen liefern viele Daten, welche Faktoren schützen können Ø Resilienz entsteht durch eine komplexe Wechselwirkung aus kindlichen und Umweltvariablen
Was müssen wir dazu wissen? 1. Woher weiß man, was schützt? 2. Ist ein Schutzfaktor immer ein Schutz, bzw. ein Risikofaktor immer ein Risiko? 3. Welche Schutzfaktoren sind besonders wichtig? 4. Evidenzbasierung: was hilft?
Personale Schutzfaktoren SCHUTZFAKTOREN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN Stand der Forschung zu psychosozialen Schutzfaktoren für Gesundheit BAND 35 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Körperliche Schutzfaktoren und biologische Korrelate d Biologische Korrelate Temperament Erstgeborenes Kind Weibliches Geschlecht Kognitive und affektive Schutzfaktoren Positive Wahrnehmung der eigenen Person Positive Lebenseinstellung und Religiosität Kognitive Fähigkeiten und schulische Leistung Internale Kontrollüberzeugung Selbstwirksamkeitserwartung Selbstkontrolle und Selbstregulation Aktive Bewältigungsstrategien Realistische Selbsteinschätzung und Zielorientierung Besondere Begabungen, Ressourcen und Kreativität Interpersonelle Schutzfaktoren soziale Kompetenz Empfehlenswerte, frei verfügabe Quelle: Bengel, Meinders-Lu cking & Rottmann, 2009, BZgA Band 35
Familiäre Schutzfaktoren Strukturelle Familienmerkmale Merkmale der Eltern-Kind-Beziehung Sichere Bindung und positive Beziehung zu den Eltern Autoritative oder positive Erziehung Positives Familienklima und Kohäsion Positive Geschwisterbeziehungen Merkmale der Eltern Soziale Schutzfaktoren Soziale Unterstützung Erwachsene als Rollenmodelle oder eine gute Beziehung zu einem Erwachsenen Kontakte zu Gleichaltrigen Qualität der Bildungsinstitutionen Einbindung in prosoziale Gruppen
Präventionsprogramm für expansives Problemverhalten Richtet sich an Erzieher/innen und Eltern von Vorschulkindern mit expansivem Problemverhalten 8 Gruppentermine Zielt auf die Verbesserung der Eltern Kind Beziehung, eine Reduktion von dysfunktionalem und eine Steigerung positivem Elternverhaltens ab Information, Rollenspiele, Protokollbögen, Hausaufgaben (z.b. zu schöner Zeit, positiven Konsequenzen für Zielverhalten
Präventionsprogramm für expansives Problemverhalten (PEP, Plück et al., 2006) d = 0.4 d = 0.39 d = 0.31 d = 0.36 Hanisch et al. (2010). Effects of the indicated Prevention Programme for Externalizing Problem Behaviour on parenting, parent-child interactions, and parental quality of life. Behav Cog Psychother, 38, 95 112.
Elternverhalten positives Erziehungsverhalten negatives Erziehungsverhalten elterliche Wärme Selbstwirksamkeit 0.07* 0.16* Elterntraining Expansives Verhalten
Schulbasiertes Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten (SCEP) Definition individuelles Problem- und Zielverhalten Unterrichtsbesuch durch Coach für inhaltliche Planung des Coachings Anpassen Schul- und Klassenrahmenbedingungen Klassenmanagement Feedback (z.b. spezifisches Lob) Lehrer- Schüler Beziehung Stressprävention Veränderung Reaktion des Lehrers auf Problem- und Zielverhalten Regeln und Aufforderungen Positive und negative Konsequenzen
SCEP: Hanisch, Richard, Eichelberger, Greimel & Döpfner Kind- zentrierte Interventionen Selbstmanagement Wenn- dann- Pläne Zusammenarbeit mit Eltern (und Institutionen) Grundlegende Kommunikationsregeln Feedback Prozeduren
Lehrerbeurteilung Kindverhalten während der Schulstunden (N = 55) Aufmerksamkeitsprobleme mangelnde Regelbeachtung 3 3 Skalenwerte 2 1 Skalenwerte 2 1 0 t0 t1 t2 Warte Coaching 0 t0 t1 t2 Warte Coaching Vergleich Steigung Warte < Coaching: b= -0,42; p<,001; d = -0,65 Vergleich Steigung Warte < Coaching: b= -0,44; p<,016; d = -0,68 Breuer, D., Rettig, K. & Döpfner, M. (2009). Die Erfassung von Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen im Unterricht mit dem Fragebogen zur Verhaltensbeurteilung im Unterricht (FVU). Diagnostica, 55, 11-19.
Wo finden sich Förder- Ansatzpunkte im Alltag? Personale Schutzfaktoren Körperliche Schutzfaktoren und biologische Korrelate d Biologische Korrelate Temperament Erstgeborenes Kind Weibliches Geschlecht Kognitive und affektive Schutzfaktoren Positive Wahrnehmung der eigenen Person Positive Lebenseinstellung und Religiosität Kognitive Fähigkeiten und schulische Leistung Internale Kontrollüberzeugung Selbstwirksamkeitserwartung Selbstkontrolle und Selbstregulation Aktive Bewältigungsstrategien Realistische Selbsteinschätzung und Zielorientierung Besondere Begabungen, Ressourcen und Kreativität Interpersonelle Schutzfaktoren soziale Kompetenz
Wo finden sich Förder- Ansatzpunkte im Alltag? Familiäre Schutzfaktoren Strukturelle Familienmerkmale Merkmale der Eltern-Kind-Beziehung Sichere Bindung und positive Beziehung zu den Eltern Autoritative oder positive Erziehung Positives Familienklima und Kohäsion Positive Geschwisterbeziehungen Merkmale der Eltern Soziale Schutzfaktoren Soziale Unterstützung Erwachsene als Rollenmodelle oder eine gute Beziehung zu einem Erwachsenen Kontakte zu Gleichaltrigen Qualität der Bildungsinstitutionen Einbindung in prosoziale Gruppen
Beispiel Selbststeuerung Beispiel Wenn Dann Plan
Beispiel autoritative Erziehung Teufelskreis zwingender Interaktionen Aufforderung Wiederholung der Aufforderung Nein Wird befolgt? Ja Andere Tätigkeit Nein Nein Wird befolgt? Ja Andere Tätigkeit Lehrkraft droht Nein Wird befolgt? Ja Andere Tätigkeit Nein Lehrkraft ratlos Lehrkraft gibt nach Ja Andere Tätigkeit Lehrkraft reagiert wütend, genervt
Beispiel autoritative Erziehung Der Ausstieg aus dem Teufelskreis Ziele/ Regel Aufforderung Wiederholung der Aufforderung und Ankündigung der negativen Konsequenz Nein wird befolgt? Ja Belohnung / Positive Konsequenz wird befolgt? Ja Belohnung / Positive Konsequenz Negative Konsequenz Plück et al. (2006)
VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT Fragen/ Anmerkungen gern an charlotte.hanisch@uni-koeln.de