Herausforderungen in der Therapie und Schulung bei Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter Ao Univ. Prof. Dr. Birgit Rami-Merhar, MBA Univ. Kl. f. Kinder- und Jugendheilkunde Medizinische Universität Wien
Überblick Aktuelles zur Inzidenz/Pathogenese Kurzer Exkurs in aktuelle Forschungprojekte Altersspezifische Probleme Therapietrends Akute Komplikationen Kontinuierliche Glucosemessung Ernährung/Schulung Ziele/Wünsche für die Betreuung von DMT1- Patienten
DMT1-Inzidenz <15J WHO Diamond-Study Incidence and trends of childhood Type 1 diabetes worldwide 1990-1999. Diabet Med, 2006.
Weitere Zunahme der DMT1-Inzidenz <15 Jahren (EURODIAB) Patterson et al. Lancet 2009
Inzidenz/100.000/Jahr Inzidenz T1 + T2 < 15 Jahren in Österreich (1999-2009) Inzidenz Diabetes mellitus T1 und T2 < 15 Jahren in Österreich 20 18 16 14 12,89 11,98 16,12 17,01 15,38 16,63 18,69 17,45 17,98 12 10 8 6 4 2 0 12,25 12,76 0,14 0,28 0,42 0,55 0,23 0,21 0,07 0,14 0,34 0,4 0,42 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Jahre T1 T2 Zahlen bis inkl 2007: Schober E, Waldhör Th., Rami B., et al J Pediatr. 2009
Steiler Anstieg der DMT1-Inzidenz < 5 Jahre Schober E, Rami B, Waldhoer T, et al. Eur J Pediatr. 2008 (p<0,001) Fig. 1 Age-specific incidence rates (per 100,000 person-years) in children <15 years of age at diabetes manifestation in Austria between 1979 and 2005. Black 0 <5 years; green predicted incidence rate 0 <5 years; red 5 <10 years; blue 10 <15 years
Prognosen EURODIAB Patterson CC Lancet 2009
DMT1-Pathogenese bekannte Faktoren Autoimmunerkrankung Genetische Faktoren (MHC-Moleküle) Der Konsum von Kuhmilch in den ersten drei LM bei Kindern mit nur kurzer Stillzeit. Die sehr frühe Exposition gegenüber dem Protein Gluten, (dzt. sehr kontroversiell diskutiert). Diabetogene Viren: z.b. Coxsackie-B-Viren, intrauterine Rötelninfektion, Echoviren, CMV Umweltfaktoren??
Ursachen für die Zunahme des DMT1?? Es werden verschiedene Hypothesen diskutiert?zunahme des BMI ursächlich? HLA-Marker/non-HLA-Marker Perinataler Faktoren? Höheres mütterliches Alter, höheres GebGew, Sectio Polio-Hypothese Vitamin D
Es sind noch viele Fragen offen!
Aktuelle Forschung (ß-Zell-Präservation) Atkinson, Lancet 2001
Antigenspezifische Immunmodulation Beispiele: Intranasales Insulin GAD DiaPep277 Keine wesentlichen Erfolge -einige Studien laufen noch
Nicht-Spezifische Immunmodulation bei DMT1
..bis auf weiteres: Applikation von Insulin
Therapie des DMT1 - Basics Insulin BZ-Messung mindestens 4x/Tag, besser 6-7x Möglichst genaue Berechnung der BE, Möglichst fettarm, komplexe Kohlenhydrate, mehrere kleine Portionen Diabetes-Schulung (Den Patienten/die Familie/das Umfeld zu Experten machen)
Altersabhängiger Insulinbedarf 22 177 patients with DM1 (3 25 years of age, DM1 duration of more than 2 years, 48% female)
Altersspezifische Probleme
Probleme im Kleinkindesalter die Kinder werden immer jünger Sehr geringer Insulin-Bedarf Insulin muss of verdünnt werden Unplanbare Aktivitäten (Essen/Schlafen/Bewegung) Können Hyposymptome oft nicht ausdrücken Ausführliche Schulung aller Betreungspersonen notwendig
Probleme im Schulalter Supervision/Unterstützung durch Pädagogen fällt sehr unterschiedlich aus Es gibt in Österreich keine Krankenschwestern in den Schulen, die Schulärzten sind nur wenige Stunde/Wo anwesend Teilweise große Probleme, dass das betroffene Kind auch wirklich an allen Aktivitäten mitmachen kann/darf (z.b. Ausflüge/Skikurs, etc.)
Probleme in der Pubertät Peer-group-Verhalten Non-Compliance Loslösung von den Eltern Selbstständigkeit muss gefördert werden DAWN-Phänomen Insulinresistenz Essstörungen v.a. bei Md. Insulinmanipulation Alkohol/Nikotin
Therapie-Trends in der Pädiatrie
2010: entweder ICT oder Pumpe
Welche Insuline werden verwendet?
Therapieziele in der Pädiatrie Vermeidung von Akut- und/oder Spätkomplikationen Normale psychosoziale Entwicklung Normaler Alltag in Schule und Kindergarten Metabolisches Ziel: HbA1c < 7,5 rel.% (ISPAD 2009) HbA1c < 7,0 rel.% (APEDÖ 2010) Möglichst niedrigstes HbA1c ohne schwere Hypoglykämien
Metabolische Kontrolle bei 27,035 Patienten <21 Jahre aus 207 Zentren (D+Ö) über 10 Jahre. (Gerstl et al 2008)
Holl, DPV-Daten bis inkl 2009
Stellenwert der BZ-Messung Schneller Weniger Blut Messgenauigkeit verbessert Oftmals kein Code mehr notwendig Stechhilfen verbessert Aber immer noch blutig/kapillär.
BZ-Übermittlung an Pumpe -Weitere Bearbeitung über den Bolus- Kalkulationsprogramm möglich
HbA 1c (%) Einfluss der Blutzuckerselbstkontrolle auf die glykämische Kontrolle HbA 1c - Werte in Abhängigkeit von der Anzahl der täglichen Blutzuckermessungen: 8,5 8,0 3522 7,5 2923 2682 7,0 1264 6,5 784 747 6,0 216 184 246 59 0-1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 >10 Anzahl der Blutzuckermessungen /Tag 98 nach: Heinemann L et al.: ADA 2007
Akute Komplikationen
Diabetische Ketoazidose-DKA Definition: BZ > 200 mg/dl ph < 7,3 St HCO 3 < 15mmol/l Harn : Keton pos., Glucose pos. Ursache: Immer Insulinmangel (Therapiefehler, Pumpenprobleme, Krankheit, etc.) Symptome: idem wie bei Manifestation
DKA Häufigkeit (DMT1) Bei Manifestation 15 60 % in USA und Europa In Ö ~35% gleichbleibend Risikofaktoren: < 4 Jahre Niedriger Sozialstatus Keine Verwandten mit DM Mit bekannter Diagnose DKA 1-10 %/Jahr Risikofaktoren: Schlechte Metabol.Kontrolle Schon einmal DKA Niedriger Sozialstatus Psychiatr.Erkrankung Fehlende Supervision DKA-Risiko (DMT1) 4-6/100 Patientenjahre
DKA = häufigste Todesursache bei DMT1-Kindern 0,15-1,0% Mortalität (USA,UK) 0,1% Onset-Mortalität (A) 57-87% Hirnödem als Todesursache Hirnödem 25 % --tödlich 25 % --bleibende Schäden (Amaurose, Hormonmangel, Paresen) Bei Verdacht auf DKA-> akuter Transfer ad Zentrum
Schwere Hypoglykämie (SH) Nicht der BZ-Wert ist entscheidend, sondern die Symptomatik: Bei Fremdhilfe Krampfanfall Bewußtlosigkeit Therapie: Glukagon oder Glucose iv SH-Nur sehr selten lebensbedrohlich Insgesamt nehmen die SH eher ab
Kontinuierliche Glukosemessung (subkutane Sensoren-CGMS)
Glukose (mg/dl) Messung ist zeitverzögert 200 175 time- : lag25 min 150 125 100 Blutglukose (Labor) Minimum Referenz 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Zeit (min) Minimum Sensor Sensorglukose
Tab. 1.: Subkutane Sensoren (Glucose-oxidase-beschichtet) Eigenschaften erhältlicher bzw. marktreifer Systeme (bis auf Freestyle Navigator alle in Österreich erhältlich): Medtronic ipro 2 Medtronic Paradigm REAL- Time/VEO-Pumpe DexCom STS TM FreeStyle Navigator Stärke der Sensorelektrode 23 Gauge (= 0,6 mm) 23 Gauge (= 0,6 mm) 25 Gauge (= 0,5 mm) 22 Gauge (= 0,7 mm) Länge der Sensorelektrode 12,7 mm 12,7 mm 13 mm 6 mm Einstechwinkel 45 Grad 45 Grad 45 Grad 90 Grad Lebensdauer 3-6 Tage 3-6 Tage 7 Tage 5 Tage Zeit Sensoranlage bis Messbeginn 2 Stunden 2 Stunden 2 Stunden 10 Stunden Kalibrierung Retrospektiv, via Asulesen des BZ- Messgerätes 2, 8, dann alle 12 h 1, 1.5, alle 12 h 10, 12, 24. 72 h Aktuelle Werte verblindet alle 5 Minuten alle 5 Minuten jede Minute Displayanzeigen keine 3, 6, 12, 24 h 1, 3, 9 h 2, 4, 6, 12, 24 h Daten Download möglich möglich möglich möglich
Was sagen die Studien?
Veränderungen des HbA1c zwischen Kontroll- und Interventions-Gruppe nach Altersgruppen 15-24J 0.08 (95% CI), -0.17 to 0.33; P=0.52 > 25J 8-14J -0.53% (95% CI), -0.71 to -0.35; P<0.001-0.13; 95% CI, -0.38 to 0.11; P=0.29 N Engl J Med. 2008 Oct
Sensor-Verwendung in den 3 Gruppen N Engl J Med. 2008 Oct
Metaanalyse 2011 (Gandhi et al) Effekt auf den HbA1c
Stellenwert der Ernährung
Praktische Anwendung Das Essen sollte abgewogen werden Ca. 5-7 über den Tag verteilte Mahlzeiten fast alles ist möglich aber es muss berechnet werden Möglichst komplexe KH und fettarm DiätologInnen!
Wolpert HA Diabetes Care 2008
Zukunft?? Fett-Protein-Einheit berechnen??
Diabetes-Schulung
Allgemeine Grundsätze der Schulung (APEDÖ-Leitlinien 2010) Kindern, Jugendlichen deren Eltern/Betreuern muss der Zugang zur Schulung ermöglicht werden. Diabetesschulung soll in einem pädiatrischen, multidisziplinärem Team erfolgen Dem Schulungspersonal soll eine ständige, fachspezifische Fortbildung ermöglicht werden. Effektive Diabetesschulung als kontinuierlicher Prozess etwa alle 2 Jahre wiederholen. Betreuern in KiGa/Schulen/ Hort soll eine Schulung angeboten werden. Diabetesschulung muss flexibel auf die einzelne Person zugeschnitten sein und dem Alter, der Diabetesphase, dem Lebensstil sowie dem kulturellen Hintergrund entsprechen.
Anforderungen an Schulungsprogramme und Ressourcen Strukturierte Schulungsprogramme haben größere Effekte Schulungsprogramme möglichst in der Muttersprache Schulung sollte begleitet sein von schriftlichen Unterlagen als Richtlinien (kindgerecht/ f. Eltern verständlich) Möglichkeit für Individualsowie Gruppenschulungen Gruppenschulung ist kosteneffizient, von Jugendlichen bevorzugt. (z.b. Reha) bringt langfristige Verbesserungen Evaluation von Schulungsprogrammen ist notwendig
Hürden bei der Schulung 1 Es gibt kein Patentrezept, welches für alle (Patienten, Eltern, Alter, Herkunft, intellektuelle Fähigkeiten, sprachliche Kompetenz, u.v.m.) funktioniert! Kompetentes, qualifiziertes multidisziplinäres Team notwendig, möglichst keine Einzelpersonen (Krankheit, Urlaub, etc..)
Hürden bei der Schulung 2 Sprachliche Probleme Intellektuelle Probleme bei Eltern/Kind Akute Schocksituation bei Diagnosestellung Teilleistungsschwächen (z.b. Dyskalkulie) - (bei Bedarf die Kinder testen lassen!) Psychologische/psychiatrische Probleme in der Familie Sehr oft Personal- und Raummangel im Diabetesteam
Schulung abseits vom Krankenhaus
VIE-ODE (online-schulung)
Apps, z.b.mysugr
Zusammenfassung DMT1-Inzidenz nimmt im Alter bis 15 Jahre weiter zu Ursachen nach wie vor nicht restlos geklärt Insulintherapie: fast nur noch FIT oder Pumpe CGMS als zusätzlich Option vorhanden Ernährung: nicht alles ist möglich/optimal Umfassende Schulung essentiell für das outcome
Wünsche bezüglich der Betreuung von Patienten mit DMT1 DMT1-Patienten sollen in spezialisierten Zentren von einem multidisziplinären Team betreut werden. Diese Team sollten entsprechend personell und räumlich ausgestattet sein. Schulung extramural (Schulen/Hort/KiGa) muss ermöglich werden
Langfristiges Ziel der Bemühungen Normales Aufwachsen Möglichst beste Stoffwechseleinstellung Vermeidung von Akutkomplikationen (SH und DKA) Problemlose Alltagsbewältigung (Schule/Kindergarten) Vermeidung von Spätkomplikation (Erblindung, Nierenversagen, Neuropathie, Herzinfarkt, Schlaganfall, u.v.m.)
Die Schulung kann nie zu früh beginnen!!