Hausgeschichten aus dem Bahnhofsviertel Wäsche Weisse kontra Döner Die Nähe zur Lorenzkirche prägt das Haus nicht nur op sch. Die Nachbarscha erlegt den Hausbesitzern bis heute Auflagen auf. Unter ihnen drücken die Wäschefabrikanten Weiße dem Gebäude einen eigenen Stempel auf. Bereits Mi e des 19. Jahrhunderts finden sich in der Bauakte des Hofer Stadtbauamtes erste Einträge zum Grundstück Nr. 576 (später Nr. 5) in der Pfarr. Dessen Eigentümer Georg Buchta plant dort 1854 ein Salzlager und ein Hintergebäude mit Zimmern. Als erster Besitzer eines Wohnhauses ist der Webmeister Johann Strunz verzeichnet. Sein Nachfolger, der Kaufmann Heinrich Schmelz, leitet 1878 bereits rege Umbauten ein, die auch den Laden im Parterre betreffen. Er errichtet außerdem einen als Trinkhalle bezeichneten Pavillon am Gartenzaun und welch Komfort ein Pissoir im Hofraum. Dieser Hang, aber auch die Notwendigkeit zur Bautä gkeit setzen sich bei den späteren Eigentümern fort. Sie wechseln zunächst in rascher Folge. Nach Schmelz legt der Färber Nikolaus Oltsch im Januar 1888 erstmals Pläne für einen Anbau im Garten vor. Noch im gleichen Jahr aber verkau er das Anwesen an den Tischler Wolfgang Egelkraut. Der wiederum übereignet es 1891 an den Maler Johann Raithel und noch im gleichen Jahr erwirbt die 76 der Eisenbahnschaffner Ferdinand Weiße. Carl Ferdinand Weiße, geboren am 10. April 1833 in Mergendorf bei Meißen, ist 1869 aus dem sächsischen Riesa nach Hof gezogen. Mit seiner Frau Emilia Franz, geboren am 7. Dezember 1840 in Grimma, einer Putzmacherin, ist er da zwei Jahre verheiratet. Der erste Sohn Paul kommt 1868 noch in Riesa zur Welt. Der zweite Sohn Max wird am 7. Mai 1870 in Hof geboren. Ganze zehn Mal wechselt die Familie in Hof die Adresse, bis Ferdinand Weiße zu seiner Pensionierung das Haus in der Pfarr erwerben kann. Die Familie zieht dort am 29. Januar 1892 ein. Postkarte aus dem Jahr 1902: Blick zur Lorenzstraße von der Wörthstraße aus mit dem Seitenanbau des Hauses rechts. Original im Stadtarchiv Hof. Bereits drei Monate später stellt Weiße einen Antrag zur Erstellung eines Seitenanbaus nebst Schweinestall. Im Anbau sollen ein Verkaufsladen und ein Wohnzimmer Platz finden. Sohn Max meldet am 30. Januar 1902 eine Putzmacherei sowie einen Putz- und Weißwarenhandel in der Altstadt an. Als sein Vater 1906 den Laden in der Pfarr wieder umbaut, eröffnet er dort inzwischen Nr. 5 eine Filiale. Der steinerne Schri zug Wäsche Weisse prägt von nun an die Fassade des Anbaus. Nach Ferdinand Weißes Tod am 6. Juli 1907 übernimmt seine Witwe Emilia das Haus. 1919 wird Max Eigentümer der. Auf dem Einband des Hofer Adressbuchs von 1907 inseriert Max Weiße für seine Filiale in der Pfarr. Stets auf Lager seien dort garnierte Frauenhüte, Brautschleier, Gold-, Silber- und Myrten-Kränze.
Die Pläne von 1892 aus der Bauakte, mit freundlicher Genehmigung des Stadtbauamts Hof Baumeister Chris an Peters zeichnet im März 1892 die Baupläne für Weißes Anbau. Schon damals müssen zu solchen Vorhaben die Nachbarn gehört werden. Die Verwaltung der Lorenzkirche aber verweigert die Zus mmung, wie auf dem Plan vermerkt ist. Erst 1895 erklärt sie sich einverstanden unter der Bedingung, dass Weiße und sämtliche Nachfolger mehrere Auflagen zum Schutz der Kirchenmauer einhalten. Und auch in anderer Hinsicht machen Nachbarn und Mieter dem Hausbesitzer das Leben schwer. So wird Weiße 1899 angezeigt, weil er seit fünf bis sechs Jahren ein Waschhaus ohne polizeiliche Genehmigung betreibe. Die Auflagen der Kirchenverwaltung Vor dem königlich bayerischen Notar Georg Emmer in Hof gibt Ferdinand Weiße am 27. Mai 1895 folgende Erklärung ab: Ich besitze das Anwesen 76 alt und Nummer 5 neu in der Pfarr in Hof und beabsich ge an dieses Haus einen Anbau herzustellen, der mit der Rückseite an die Lorenzkirchhofmauer zu stehen kommen soll und habe ich mich diesbezüglich an die protestan sche Kirchenverwaltung Hof um Genehmigung zu diesem Anbau gewandt. Besagte Kirchenverwaltung hat nun die diesbezügliche Genehmigung zugesagt unter der Bedingung, daß ich mich für mich und meine Besitznachfolger verpflichte: a) die Lorenzkirchhofmauer auf der Länge des von mir beabsich- gten Anbaus und auf ihre ganze Höhe vom Erdboden an für alle Zeit zu unterhalten; b) in dem Anbau keinen Kamin zu errichten, sondern die Rauchableitung aus diesem Anbau in mein obenerwähntes Haus Nummer 5 in die Pfarr zu führen; c) die Dachwasserableitung von dem Anbau nicht gegen die Lorenzkirchhofmauer zu richten und d) daß sich verpflichtet wird, auf diesem Anbau niemals ein weiteres Stockwerk zu errichten, so daß dieser Anbau für alle Zeit nur aus dem Parterreraum und dem einzigen Obergeschoß, wie es jetzt erbaut wird, besteht. Heute nun und mit gegenwär ger Urkunde verpflichte ich mich für mich und meine Besitznachfolger bei obigem Anwesen in obige Verbindlichkeiten einzutreten und verfüge ich unter Anerkennung dieser Verbindlichkeiten auf Verlangen obiger Kirchenverwaltung um diesbezüglichen Eintrag im Hypothekenbuch bei meinem obigen Anwesen.
Max Weiße expandiert krä ig. Mit dem Webwarenfabrikanten Heinrich Werner betreibt er ab August 1912 in der Fischergasse 23 eine Mechanische Weberei. Auch für deren Erzeugnisse dient der Laden in der Pfarr als Verkaufslokal. In der Altstadt 6 befindet sich weiterhin das Hauptgeschä. Hier arbeiten die beiden ältesten Kinder des Unternehmers: Tochter Emma Marie (geboren 1898) als Putzmacherin und Sohn Paul, genannt Walther (1899), als Handlungsgehilfe. Weiße, der bereits 1897 die aus Thüringen stammende Emma Emilie Anna Henckel geheiratet hat, hat mit ihr vier weitere Kinder: Anna Luise Emma (geboren 1901), Anna Luise Gertrud (1902) sowie die Zwillinge Emil Gustav und Richard Paul (geboren 1904). Sie treten später in die Weberei ein. 1936 ist die Weberei aus dem Handelsregister verschwunden. Bereits fünf Jahre vorher wird Sohn Gustav zum Hauseigentümer der. Auf ihn wird 1935 dort auch die Firma Wäsche Weisse eingetragen. Sein Bruder Paul fungiert später als Tex lwarenund Garngroßhändler als eigene Firma unter der gleichen Adresse. Noch bis Ende der 1980er Jahre finden sich Einträge im Hofer Branchenverzeichnis. Das Haus geht 1984 in den Besitz einer anderen alteingesessenen Hofer Firma über: Zigarren-Wagner in der Altstadt. Tabakwarenhandel ist von jeher von Ladenpächtern immer wieder betrieben worden. Mit Ce n Kala beginnt 1987 die Ära der Döner-Meile. Er eröffnet mit Topkapi den ersten türkischen Imbiss in Hof. Zehn Jahre später wechselt das Haus komple in türkische Hand. Adnan und Figen Yumusak sowie Sedat und Filiz Saritekin möchten nicht nur das Döner-Lokal weiterführen. Sie planen umfangreiche Umbauten und Sanierungsarbeiten. Letzteres gelingt wohl nicht. Ab Herbst 2008 steht das Gebäude komple leer und wird schließlich ein Jahr später versteigert. Neuer Besitzer ist Kazim Bulut, der bereits an der Ecke Marienstraße/Friedrichstraße ein türkisches Restaurant besitzt. In der Pfarr möchte Bulut ein zweites Objekt aufmachen. Hofer Grillhaus soll es heißen. Das Besondere: Eine Terrasse auf dem Anbau. Dafür lässt Bulut den ersten Stock abtragen. Damit verschwindet der steinerne Schri zug Wäsche Weisse. Ein ganzes Jahr muss der neue Besitzer aufwenden, um das Gebäude zu entrümpeln und Bauschu zu entsorgen. Denn im Innern muss vom Keller bis zum Dach eine Grundsanierung durchgeführt werden. Bulut hat bereits drei Häuser renoviert und ist ein alter Hase. Doch der Zustand seiner Neuerwerbung ist wesentlich schlechter als erwartet. Durch Wasser, das vom Kirchengrundstück eingelaufen ist, ist das Gebäude schwer beschädigt. Dennoch packt er die Renovierung an: Ich habe mir das zugetraut, sagt Bulut. Figen Yumusak übernimmt 1997 das Topkapi, den ältesten Döner- Imbiss in der Stadt. Eigentlich ausgebildete Friseuse, wagt sie mit dem Topkapi den Schri in die Selbstständigkeit. Zunächst betreibt sie den Imbiss zusammen mit ihrer Schwester Filiz, 2002 wird sie alleinige Inhaberin. Ableger Topkapi II in der Marienstraße läu unter der Regie von Schwager Sedat Saritekin. Der Döner wird im Topkapi nach einem Hausrezept hergestellt. Das Rezept hat Figen Yumusak nicht verraten. Die Kunden bestä gen uns aber: Wir haben den besten Döner der Stadt. Aus der Serie Kloß&Döner, Hofer Anzeiger 2003 / Archivfoto
Die Liste der notwendigen Arbeiten wird lang: Innen und außen muss der Putz abgeschlagen und neu aufgetragen werden. Das Dach ist undicht und muss gedeckt werden. Sämtliche Fenster werden ersetzt, das Schaufenster ebenfalls. Zwei Kamine werden hochgemauert. Alle Böden, Elektro- und Wasserinstalla onen sowie Heizung müssen erneuert werden. Der Bauherr setzt Facharbeiter ein und vergibt Au räge an einheimische Firmen. Mit Unterstützung von Verwandten führt Kazim Bulut möglichst viele Eigenleistungen durch. Seine Erfahrung nützt ihm, doch der Umfang der Sanierung kostet eine Menge Nerven. Immer wieder gibt es Hindernisse: Die Ecklage und ein Halteverbot verhindern Materialabtransport. Bei der Farbauswahl für die Fassade gibt es wenig Spielraum. Zwar steht das Haus selbst nicht mehr unter Denkmalschutz, doch in einem denkmalgeschützten Umfeld. Die Gebäude will Bulut im tradi onellen Sinne nutzen. Im Parterre und im ersten Stock des Haupthauses soll das Restaurant Platz finden. Von dort geht man auf die Terrasse durch, die sich an die nun freiliegende Kirchenmauer anschließt. Sie soll eine Kunststoffverglasung ähnlich einem Wintergarten erhalten. Im zweiten Stock und unter dem Dach sollen wieder zwei Wohnungen entstehen. Im Juli 2012 will Kazim Bulut mit dem wohl größten Umbau in der Geschichte von Haus Nr. 5 fer g sein. Dann sollen die Gäste vor der Kirchenmauer nicht nur seine Spezialitäten, sondern auch den Blick auf die Pfarr genießen. Autorin: Beate Franck Fotos: Kamila Özdabak, Münster Mi elschule Hof 2011
Familie Bulut Von Arbeitern zu Unternehmern Im Hause Bulut wurde ich sehr freundlich empfangen. Nach türkischer Tradi on wurde mir gleich Tee angeboten, den ich natürlich nicht ablehnte. Frau Bulut (48 Jahre) heißt mit Vornamen Gülseren, was so viel bedeutet wie Rosenstrauß. Sie ist in Sivas im Zentrum der Türkei geboren. Aus Sivas stammt auch ihr Mann Kazim Bulut (56 Jahre), mit dem sie fünf Kinder hat: Serap (29), Seval (26), Sevilay (22), Selçuk (21) und Süleyman (15). Das ist Selçuk mit seiner Mu er Nach langen Renovierungsarbeiten, bei denen Kazim Bulut sehr viel selbst mit Hand anlegte, zog die Familie von Oberkotzau nach Hof. Um die leer stehende Fläche im Parterre zu nutzen, beschlossen die Buluts, ein Restaurant mit Imbiss zu eröffnen. Hier bieten sie selbst gemachte türkische Spezialitäten aller Art an. Beispiele sind Schiffchen, Man (Teigtaschen in Yoghurtsoße), türkische Pizza, Döner, Kö e und vieles mehr. Mi wochs gibt es sogar Dorade vom Grill. Worauf ist Gülseren Bulut besonders stolz? Auf alle meine Kinder, sagt sie. Auch mit ihrem Leben in Hof ist die Familie zufrieden. Kinder können hier ruhig und ohne Gefahren aufwachsen, meint Gülseren Bulut. Da muss ich mir weniger Sorgen machen. Gülseren folgte im Jahre 1974 ihren Eltern nach Oberfranken, nachdem ihr Vater 1970 mit der ersten Genera on von Gastarbeitern nach Deutschland gekommen war. Er arbeitete zunächst in Mar nlamitz in einem Eisenwerk und baute später das Gothaer Hochhaus in Hof mit auf. Ihren Mann Kazim Bulut heiratete sie 1981 in Sivas und brachte ihn mit nach Oberfranken. Zunächst lebte das Ehepaar in Oberkotzau. Gülseren Bulut war mehrere Jahre in einer Porzellanfabrik in Schwarzenbach und kurze Zeit bei Rehau-Plas cs tä g. Ich war flexibel, sagt sie. Ich habe alles gearbeitet. Mit der Geburt ihres vierten Kindes beschloss sie jedoch, zu Hause zu bleiben. Kazim Bulut, der eigentlich Grundschullehrer ist, arbeitete über zwölf Jahre bei Rehau-Plas cs, bis er aus gesundheitlichen Gründen kündigte. 1996 kau en sie ein Haus in der Marienstraße in Hof, wo sie mehr Platz und Möglichkeiten ha en. Dieses Haus musste jedoch komple umgebaut und renoviert werden, da es als Hotel diente. Früher hieß es Hotel Schweizer Hof. Heute leben dort elf Mietparteien. Kazim und Gülseren Bulut Autor: Nicolas Firlei Fernandez, Schiller-Gymnasium Hof 2011 Foto oben: Cynthia Lindner, Münster Mi elschule Hof 2011 Hausgeschichten ist ein Projekt aus: