Pflegerische Ansatzpunkte zur Vorbeugung von Delir im Akutspital

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Transkript:

Pflegerische Ansatzpunkte zur Vorbeugung von Delir im Akutspital Ilona Kaufmann-Molnàr Pflegeexpertin Medizin Andreas C. Schmid Konsiliar- und Liaisonpsychiater

Fallbeispiel 94-jähriger Patient lebt zu Hause, verheiratet, ausser Hypertonie keine bekannten Erkrankungen Nach Sturz Oberschenkelfraktur, OP nach 4 Stunden In der Nacht sehr unruhig Halluzinationen: sieht Vase am Boden herumtanzen, sieht seine Frau an der Decke schweben Kann sich am Morgen nicht entscheiden, ob er geträumt hat oder ob die Dinge wirklich in der Nacht in Bewegung waren 2

FRAGEN Ursache der nächtlichen Unruhe A) Die Narkose hat verwirrende Nachwirkungen B) Verdacht auf Hirnschlag C) Umgebungswechsel, Stress der Hospitalisation und Flüssigkeitsmangel sind riskant D) Pat hat eine Unterzuckerung 3

Fallbeispiel Fortsetzung Am nächsten Tag fragt er immer wieder, ob die Operation schon stattgefunden hat. Er beklagt sich ungewohnt heftig über das Pflegepersonal, man habe ihn aus dem Bett gezerrt und grob angefasst. Er lässt sich die Bedienung der Fernbedienung unzählige Male erklären, er begreift s nicht. Zeitweise ist er missgelaunt, dann wieder freundlich und ruhiger. Die Zeitung legt er, entgegen seiner Gewohnheit, bald zur Seite, scheint kaum interessiert. 4

FRAGEN 2 Was veranlasst die Ärztin? A) ein Schädel- CT zum Ausschluss einer Hirnblutung durch den Sturz oder eines Hirntumors B) Überweisung in das Felix-Platter Spital C) Nichts D) Verordnet beruhigende Medikamente E) Erkundigt sich nach den vom Patienten üblicherweise eingenommen Schlafmedikamenten 5

Definition Delir Veränderung der Hirnleistung und Stimmung, der Orientierung und Aufmerksamkeit, die nicht bestehen bleibt, sondern sich wieder erholt. Die Symptome entwickeln sich innerhalb kurzer Zeit, fluktuieren im Tagesverlauf und gehen zurück, sobald die Ursachen behoben oder gemildert sind. Ausgelöst meist durch eine Kombination verschiedener Faktoren: vorbestehende labile Hirnfunktion und akuter, auf das Hirn wirkender Stress: Fieber, Flüssigkeitsmangel, Entzug von gewohnten Substanzen, Veränderung der Blutzusammnsetzung ( Sauerstoff, Elektrolyte, Medikamente etc), Umgebungswechsel. 6

Delirien in Schlagworten Häufigkeit 10 30% aller hospitalisierten Patienten Hochrisikogruppen bis 52% internistischen Kliniken 13% - 20% chirurgischen Kliniken 15% - 79% Verlauf reversibel behandelbar vorbeugbar 7

Delirsymptome veränderte Bewusstseinslage Aufmerksamkeit kann kaum fokussiert werden Wahrnehmung ist verändert (Orientierung, Sprache, Auffassung) Gedächtnis (örtlich, zeitlich, persönlich, situativ) ist lückenhaft Psychomotorik gesteigert oder gedämpft Denkstörung (logisches Denken fehlt, sprunghaft) emotionale Veränderung (Angst) Schlaf- / Wachrhythmus verschoben akuter Beginn und fluktuierender Verlauf 8

Delir und seine Folgen Längere Verweildauer und vermehrte Komplikationen im Spital (O`Keeffe & Lavan, 1997) (Marcantonio et al., 2005) Schlechtere Rehabilitations-Outcomes (Olofsson et al., 2005) Höhere Mortalität (Ein Jahres-Mortalität liegt bei 35% - 40%) (McCusker, Cole, Abrahamowicz, Primeau & Belzile, 2002) Höhere Pflegebedürftigkeit mit häufiger Einweisung in Pflegeheim (McCusker, Cole, Dendukuri, Belzile & Primeau, 2001) Nur 1/3 der Patienten, bei denen ein Delir diagnostiziert wurde, konnten später wieder selbständig leben (Gillick MR, Serrell NA, Gillick SL, 1982) Dauerhafte Verschlechterung von kognitiven Fähigkeiten (Francis & Kapoor, 1992) Erhöhte Behandlungskosten (Inouye, 2006) Für den Patienten und Angehörige u.u. sehr verunsichernd 9

10

Faktoren, welche ein bestehendes Delir verschlechtern Eine Verschlimmerung der Delirsymptomatik trat ein unter folgenden Bedingungen: Spitaleintritt (Intensivbehandlung oder Langzeittherapie) Anzahl der Zimmerwechsel Fehlen einer Wand- oder Armbanduhr Fehlen von Lesebrillen Medikamentöse Ruhigstellung oder mechanische Fixierung McCusker, J., Cole, M., Abrahamowicz, M., Han, L., Podoba, J. E., & Ramman-Haddad, l. (2001). Enviromental Risk factors for Delirium in Hospitalized older People. (Article). J Am Geriatr Soc, 49(10), 1327 11

Prävention Patienten mit Hüftfraktur präoperativ reduzieren bzw. eliminieren der anticholinerg wirkenden Substanzen erniedrigte Sauerstoffsättigung korrigieren Elektrolyt- und Wasserhaushalt ausgleichen Schmerzen beheben Blasen- und Darmfunktion in Gang halten postoperative ausreichende Ernährung Frühmobilisation Die Delirrate wurde um 36% gesenkt und die Schwere der Delirien sogar um 59%. Marcantonio, E. R. Flacker, J.M. Wright, R.J.& Resnick, N. M. (2001) Reducing delirium after Hip fracture: a Randomized trial. J. am Geriatr Soc, 49(5), 516-522. 12

Delir Gesamtzahlen 2012 im SCS Bei 103 Patienten wurde ein Delir diagnostiziert Bei 2 Patienten wurde ein Alkoholentzugsdelir diagnostiziert Bei 10'234 stationären Patienten liegt die Delirrate bei 1% 4 Patienten hatten mehr als ein Delir Der Mittelwert liegt bei 81.5 Jahren und der Median bei 83 Jahren Der jüngste Delirpatient war 52 Jahre und die älteste 100 Jahre alt 13

Beratungen auf den Stationen 60 Beratungen wurden von Ilona Kaufmann durchgeführt 31 Patienten hatten ein Delir 4 Entzugsdelirien mit Alkohol oder Benzodiazepin 17 Patienten hatten eine Demenz 8 Patienten hatten verschiedene Ursachen 28 Delirien wurden von den Ärzten diagnostiziert 7 Delirien wurden nicht von den Ärzten diagnostiziert 14

Prozent Geschlecht der Delir Patienten Geschlecht 70 60 58 50 40 42 30 20 10 0 Männer (n=60) Frauen (n=43) 15

Prozent Häufigkeit der Delirien in beiden Kliniken Kliniken 70 60 62 50 40 38 30 20 10 0 Medizin (n=64) Chirurgie (n=39) 16

Prozent Delir Altersgruppen Alter 60 55 50 40 30 22 20 10 10 13 0 < 70 Jahre (n=10) 70-79 Jahre (n=23) 80-89 Jahre (n=57) 90-100 Jahre (n=13) 17

Prozent Risikofaktoren und Delir Delir Risikofaktoren 90 80 80 70 60 50 40 35 30 26 20 10 0 Notfälle (n=82) Infekt (n=35) Demenz (n=26) 18

Prozent Kombinierte Delir Risikofaktoren kombinierte Risikofaktoren 25 20 20 15 15 10 8 5 1 0 Notfall + Infektion (n=21) Notfall + Demenz (n=15) 3 Risikofaktoren (n=8) Demenz + Infektion (n=1) 19

Patientenbeispiel 86 jähriger Patient lebt mit Ehefrau zuhause Patient muss sehr häufig unter erschwerten und schmerzhaften Bedingungen urinieren Hohes Kreatinin > 500 und Dilatation der Harnwege Entscheid: Operation mit einer Nieren-Ableitung Patient wird vom Operationssaal auf die Medizin und am Nachmittag auf die urologische Station verlegt Morgens: der Patient schlägt um sich und ist aggressiv Er redet wirr, greift häufig in die Luft und hat seine Augen geschlossen und ist schwer weckbar 20

Pflegerische Massnahmen Vitalzeichen kontrollieren und Sauerstoffsättigung messen Schmerzen erfassen Atmung verbessern Stress reduzieren Wahrnehmung / Orientierung fördern Kommunikation fördern, kurze, klare Anweisungen geben Sicherheit vermitteln Ausscheidung (Urin, Stuhlgang) normalisieren Ernährung Flüssigkeitshaushalt normalisieren Mobilität / Aktivität zurückgewinnen Geschulte Personen erfassen das Delir mit verschiedenen Assessments, um das Ausmass einzuschätzen Medikamentöse Delirbehandlung Mit dem Arzt zusammen die Ursachen des Delirs suchen. 21

Nutzen für den Spitalalltag Frühzeitiges erfassen der Delirien mit verschiedenen Assessments Anpassung der Unruhe- und Schlafmedikation nach Durchführung des Uhrentests Einheitliche Grundsätze der medikamentösen Delir- Therapie Die Stationen, die das Delirmanagement umsetzen, fühlen sich sicher in der Früherkennung und Handhabung Unabhängiger und rascher Beratungsdienst für Ärzte und Pflegefachpersonen Regelmässige Besprechung und Standortbestimmung mit dem Arzt Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern 22

Patientennutzen Früherkennung In der Akutphase regelmässigen Besuch einer Pflegeexpertin Das Wohlbefinden des Patienten wird verbessert Die Angehörigen der Patienten werden früh möglichst befragt und integriert Die Patienten- und Angehörigen Zufriedenheit ist gestiegen Verminderung von Delirkomplikationen Verminderung eines Delirtraumas 23

Grundsätze der medikamentösen Delirtherapie 24

Delirmanagement 25

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 26 Ilona Kaufmann-Molnàr, St. Claraspital, Kleinriehenstrasse 30, 4058 Basel, Tel 061 685 88 24, E-Mail: ilona.kaufmann@claraspital.ch Dr. med. Andreas C. Schmid, Hirzbrunnenstrasse 58 4058 Basel, Tel 061 693 30 40, E-Mail: dr.a.schmid@bluewin.ch