«Trotzdem.» Ansprache zum 1. August 2011 von Ständerat Claude Janiak anlässlich der Bundesfeier 2011 in Zunzgen.

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Transkript:

«Trotzdem.» Ansprache zum 1. August 2011 von Ständerat Claude Janiak anlässlich der Bundesfeier 2011 in Zunzgen. Es gilt das gesprochene Wort. Seite 1 von 8

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident, liebe Frau ehemalige Gemeindepräsidentin, liebe Zunzgerinnen und Zunzger, liebe Baselbieterinnen und Baselbieter, liebe anwesende Ausländerinnen und Ausländer aus aller Herren Länder, Es ist mir eine große Freude, eine große Ehre und zugleich ein großes Vergnügen, an der Zunzger Bundesfeier mit Ihnen zu feiern. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Einladung. Meine Freude ist natürlich umso grösser, als sich niemand wegen der Umstände meiner Einladung gezwungen sah, ein Referendum zu ergreifen. Womit wir auch schon mitten in einem Kernthema unseres Staates wären. Denn: Das Referendum ist eines der mächtigsten Volksrechte unserer Demokratie. Und die Volksrechte sind eng verknüpft mit dem 1. August, dem mythischen Geburtstag der Schweiz im Jahre 1291 dem Anlass für die heutige Feier. I Etwas Geschichte 1291 das ist jetzt 720 Jahre her. Damals kannte in Zunzgen und nicht nur in Zunzgen niemand die eben gegründete Schweiz. Erst nach und nach sprach sich überhaupt herum, dass es eine Schweiz gibt. Das hat nicht nur damit zu tun, dass es unsere heutigen Medien damals noch nicht gab. Möglicherweise lautete einfach schon damals unser Lieblingsmotto: «Mir wei luege.» Denn es hat dann auch 210 Jahre gedauert, bis die Zunzgerinnen und Zunzger eidgenössisch wurden 1. Und Dank den nach und nach erkämpften Rechten konnten die Zunzgerinnen und Zunzger überhaupt ein Referendum ergreifen. Das ging nicht huschhusch, das hat Hunderte von Jahre gedauert. Das Referendum wurde übrigens erst 1874, das Initiativrecht erst 1891 und nicht etwa schon bei der Gründung des Bundesstaates eingeführt. 1 Beitritt Basels zur Eidgenossenschaft: 1501. Seite 2 von 8

Für uns ist das heute kaum noch vorstellbar. Und trotzdem gab es einmal eine Schweiz ohne Zunzgen. Über 200 Jahre lang. Eine Schweiz auch ohne Liestal. So, wie es ein Paris ohne Eifelturm gegeben hat. So, wie es ein Berlin ohne Brandenburger Tor gegeben hat. Und so, wie es auch eine Schweiz ohne Frauenstimmrecht gegeben hat. Nur können wir uns das heute kaum noch vorstellen. Die Vorstellung einer Schweiz ohne Matterhorn ist aus heutiger Sicht ebenso seltsam wie die Vorstellung eines Matterhorns ohne Schweiz. Ein Schriftsteller hat es einmal auf den Punkt gebracht: «Die Vergangenheit ist ein fremdes Land. Man macht die Dinge dort anders.» 2 Nicht besser, nicht schlechter, sondern: anders. Und manchmal derart anders, dass wir es uns gar nicht mehr vorstellen können so fremd ist uns dieses Land geworden. Dass wir heute Referenden ergreifen können, kommt uns selbstverständlich vor. Es ist Teil unserer demokratischen Rechte. Wir haben uns an diese Rechte gewöhnt. Das ist auch gut. Aber: Diese Rechte sind nicht selbstverständlich. Sie waren aber immer das Ergebnis von Menschen, die sich eingemischt und eingesetzt haben. Sie mussten während vieler Jahre, teilweise auch während vieler Jahrzehnte hartnäckig erkämpft werden. Viele Demokratinnen und Demokraten haben sich eingemischt, sich engagiert und diese Volksrechte erstritten. Das war manchmal aussichtslos, manchmal verwegen und allermeistens war es sehr, sehr mühsam. Aber am Ende hat sich das Engagement gelehnt. Dieses Engagement ist übrigens eine notwendige Voraussetzung für gelebte Demokratie, sie ist aber keine genügende Voraussetzung dazu. 2 Zitat des britischen Schriftstellers Leslie P[oles] Hartley (1895-1972): «The past is a foreign country: they do things differently there.» http://en.wikipedia.org/wiki/l._p._hartley Seite 3 von 8

II «Trotzdem» Manchmal könnten wir glauben, es sei alles eine einfache Frage der Mehrheiten. Schliesslich gewinnt ja die Mehrheit. Auf dem Papier stimmt das auch. In einer gelebten Demokratie wie der Schweiz aber stimmt das nicht. Sonst könnten wir die Tessiner und Westschweizer Männer und Frauen einfach ununterbrochen rücksichtslos überstimmen. Und uns sagen: Wenn's einmal drauf an kommt, halten wir dann trotzdem zu ihnen. Nur: Das käme nicht gut. Hand aufs Herz: Würden Sie bei ihrem Nachbarn «trotzdem» löschen, wenn es bei ihm brennt? Würden Sie ihrer Nachbarin «trotzdem» helfen, wenn sie Hilfe braucht? Der einzige Schweizer, der den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, war Carl Spitteler. Ein Baselbieter. Und er hat gesagt: «Das Wörtchen 'trotzdem' ist ein schlechtes Bindewort.» 3 Er hat das zum Zustand der Schweiz gesagt. Und diese Schweiz hat er vor fast 100 Jahren gefragt: «Wollen wir oder wollen wir nicht ein schweizerischer Staat bleiben, der dem Auslande gegenüber eine politische Einheit darstellt?» Und gleich ergänzt: «Wenn nein, wenn jeder sich dahin mag treiben lassen, wohin ihn seine Privatneigung schiebt und wohin er von aussen gezogen wird, dann ( ) lasse man's meinetwegen laufen, wie es geht und schlottert und lottert. 4» Spitteler hatte recht: Wenn wir nicht alle zusammenstehen als ein Land, dann schlottert und lottert es. Das gilt auch für den Kanton, für die Gemeinde, ja: es gilt auch für die Familie. Mit einem Wort: Es geht um Gemeinsames. Und dazu gehört immer auch Ausgleich. Denn ohne Ausgleich, ohne gegenseitige Rücksichtnahme wird eine Demokratie zur Diktatur einer Mehrheit. 3 Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Vortrag, gehalten in der Neuen Helvetischen Gesellschaft, Gruppe Zürich, am 14. Dezember 1914. Verlag von Rascher % Cie, Zürich, 1918 (= Schriften für Schweizer Art und Kunst 2), S. 5. 4 A.a.O., S. 7. Seite 4 von 8

Dass die Schweiz in den letzten 720 Jahren aber auf dem gegenteiligen Weg geblieben ist nämlich dem Weg zum Miteinander statt zum Gegeneinander, ist ganz bemerkenswert. Und alles andere als selbstverständlich. Man kann das gar nicht genug loben. Ich meine auch, kein Anlass eigne sich besser dazu, um das zu loben, als der 1. August. Und beizufügen wäre: es muss alles unterlassen werden, was das Gegeneinander in Fokus stellt. III Rechte und Pflichten Allerdings muss man auch die Kehrseite betonen, die Volkspflichten. Die gibt es nämlich auch. Was beschäftigt uns im Moment am meisten? Ich meine, außer der Frage, wann die Kinder ihre Lampions anzünden können, weil ich fertiggeredet habe? ;-) Ich nehme an, das ist für uns Erwachsene die weltweite Krise der Währungen. Zunächst zur Währung. Diese Krise hat zu einem bisher unbekannten Frankenhoch geführt. Das trifft uns als Export- und Tourismusnation stark, als Importnation ein Stück weit ebenfalls, weil die Währungsgewinne großmehrheitlich im Zwischenhandel hängen bleiben. Die Folgen für die nähere und fernere Zukunft sind noch nicht absehbar. Ja: Auch die Zukunft ist ein fremdes Land. Auch dort macht man die Sachen anders. Das wirklich Verrückte an der Situation ist aber, dass der starke Franken zeigt, wie gut wir bisher die Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden haben. Der starke Franken zeigt: Die Schweiz hat alles richtig gemacht und, aus Sicht der Frankenstärke und ihren Folge, auch alles falsch. Und zwar: Gleichzeitig, und mit denselben Aktionen. Es ist wie mit einem Medikament, das Nebenwirkungen hat. In einer bestimmten Situation ist es halt einfach das Mittel der Wahl oder sogar das einzige Mittel, das zur Verfügung steht. Aber was hat das mit Volksrechten oder Volkspflichten zu tun? Viel, sehr viel. Denn Sie sind die Schweiz! Sie hören richtig, Sie alle sind die Schweiz. Auch unsere aus- Seite 5 von 8

ländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zu unserem Wohlstand beitragen. In der Verfassung steht: Das Volk und die Kantone bilden die Eidgenossenschaft. Also sind sie alle die Schweiz. Und ist es Ihnen egal, was mit der Schweiz in dieser Situation passiert? Was damit auch mit Ihnen passiert? Ich hoffe nicht! Nun können Sie Ihre Rolle darin sehen, einfach für die Schweiz zu «fan»-en 5. Wie für DJ Bobo, Eptinger Mineralwasser oder für Ihre Lieblings-Guggenmusik oder eine politische Partei, die sich als besonders schweizerisch versteht - es gibt ja mittlerweile mehrere davon. Oder Sie können auf der Facebook-Seite der Bundesverwaltung morgen den Knopf «Finde ich gut» anklicken. Aber eben: Wirklich besser würde damit gar nichts. Verpflichtet sind sie dazu natürlich auch nicht. Immerhin schadet es nicht. Wir kämen im besten aller Fälle dann etwas vielleicht besser gelaunt über die Zeit des Frankenhochs, falls wir darüber kommen. Aber besser kämen wir nicht darüber. Das Mittel des Klickens wäre dazu schlicht und einfach untauglich. Die andere Variante: Sie können sich nicht als Fan verstehen, sondern als Bürgerin und Bürger des Landes, die sich für das Landeswohl einsetzen und mit anpacken. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie die Schweiz in zehn Jahren aussieht? Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie Sie möchten, dass die Schweiz in zehn Jahren aussieht? Nur wenn Sie sich engagieren, bewegt sich auch etwas in die Richtung, die Sie wollen. So, wie sich die Schweiz nur entwickelt hat, weil sich Demokratinnen und Demokraten engagiert haben für die Schweiz, in der wir heute leben. So gesehen, sind die Volksrechte nutzlos, wenn sie nicht ausgeübt werden. Sie gehen ein, wenn sie nicht gebraucht werden. Sie verkümmern. Wenn sich nur 30% beteiligen, haben wir ein Problem. Der Hochgesang auf die direkte Demokratie verliert an Glanz. 5 Von AE. fan [Anhänger/Bewunderer]). Seite 6 von 8

Sie können sich dafür einsetzen, dass die Schweiz das Land bleibt, in dem Sie sich wohl fühlen. So gesehen, sind die Volksrechte nutzlos, wenn sie nicht ausgeübt werden. Insofern gibt es tatsächlich eine Pflicht, wenn die Volksrechte gewahrt werden sollen. Ich möchte etwas beifügen. Auch über die Ausgestaltung unseres politischen Systems, unseres Regierungsmodell und natürlich auch der Volksrechte müssen wir laufend diskutieren. Wenn sich nur ein Drittel beteiligt, muss uns das zu denken geben. In einer sich rasch verändernden Welt müssen wir alles tun, um das Gesetz des Handelns in eigenen Händen zu behalten und nicht nur zu reagieren. Das haben wir im vergangenen Jahrzehnt zu oft gemacht bzw. wir waren gezwungen, etwas zu tun, was wir selbst bestimmt hätten neu gestalten können. Nicht zufällig steht am Anfang unserer Bundesverfassung auch, dass «nur frei ist, wer seine Freiheit gebraucht» 6. Die Volksrechte sind so gesehen nicht nur Rechte, sondern zugleich eine Verpflichtung. Der Satz mit der Freiheit in unserer Verfassung geht übrigens noch weiter. Dort steht nämlich auch, dass «die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen». Wie gesagt: Unsere Demokratie ist die Staatsform des Miteinander, nicht des Gegeneinander. Von einer guten Idee bis zu deren Verwirklichung braucht es zum Teil allerdings bis zu 100 Jahre 7. Es dauert halt etwas, bis wir uns einigermaßen einig sind. Und das ist noch nicht einmal besonders viel. Wie gesagt: Bis Zunzgen in der Schweiz war, hat noch länger gedauert, nämlich 210 Jahre. Aber wenn in der Schweiz einmal nach viel Überzeugungsarbeit die Zeit für eine mehrheitsfähige Lösung gekommen ist, dann ist diese Lösung zwar vielleicht nicht immer das Gelbe vom Ei. Aber es in aller Regel eine feste Grundlage, auf die sich bauen lässt. Sie kennen das Beispiel der AHV, die mehrere Jahrzehnte zur Verwirklichung gebraucht hat, und heute fest verankert ist. 6 7 Präambel BV. Beispiel: Mutterschaftsversicherung. Seite 7 von 8

Vielleicht brauchen wir angesichts der Frankenstärke wieder so einen Jahrhundertwurf. Wie gesagt: Auch die Zukunft ist ein fremdes Land. Und zwar eines, das wir täglich neu mitbauen. Wenn es uns nicht fremd werden soll. Ich lade Sie deshalb nicht trotzdem, sondern deshalb ein, an diesen Grundlagen weiterzubauen. Und damit die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt unseres Landes zu fördern 8 so, wie es im Zweckartikel unserer Bundesverfassung steht. Ich glaube, dass man am heutigen 1. August nicht darum herumkommt, auch nur kurz auf das Unfassbare einzugehen, das in einem Land mit vielen Gemeinsamkeiten mit der Schweiz, in Norwegen, passiert ist. Natürlich haben wir es mit einem einzelnen Massenmörder zu tun. Das seiner Tat zugrunde liegende Gedankengut hat nur dann keine Chance zu gedeihen, wenn wir als Gesellschaft immer und überall und nicht nur am 1. August das Miteinander in den Vordergrund stellen und das Gegeneinander, das Ausgrenzen, das Diffamieren und Diskriminieren ablehnen und allem eine Absage erteilen, was Hass nährt. Und das wiederum geht nur auf, wenn sich alle an die hier geltenden Spielregeln halten. IV Fazit/Schlusswort Zum Abschluss bitte ich Sie, dabei nicht zu vergessen: Jede Demokratie ist nur so gut und so stark, wie es die Demokratinnen und Demokraten sind. Von nichts kommt nichts. Und von alleine geschieht nichts. In diesem Sinn lade ich Sie alle ein, sich gut und stark für unsere Demokratie und die Schweiz einzusetzen. Für die Zukunft, die Sie wollen, für sich, für Ihre Kinder und Kindeskinder. Und auch für Ihre Nachbarin und Ihren Nachbarn, denen sie hoffentlich nicht «trotzdem» helfen würden, sondern darum, weil es Ihre Nachbarn sind. Dann stehen Sie am richtigen Ort und auf dem richtigen Standpunkt, nämlich auf dem demokratischen Schweizer Standpunkt. Ich wünsche Ihnen und uns allen einen schönen 1. August! 8 Art. 2 BV. Seite 8 von 8