Fall 4: Die Trierer Weinversteigerung A. V K auf Bezahlung und Abnahme des Weines gemäß 433 II Voraussetzung: Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages I. Vertragsschluss Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag durch Meistgebot und Zuschlag zustande ( 156 BGB). Dabei ist das Handheben des Bietenden als Angebot, der Zuschlag des Versteigerers als Annahme zu werten. 1. Gebot des K Konkludentes Gebot durch Winken? Willenserklärung: Private Willensäußerung, die auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist a. Objektiver Tatbestand Verhalten, das aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers ( 133, 157) den Schluss auf einen bestimmten Rechtsbindungswillen zulässt. Handheben des K nach den Gebräuchen der Versteigerung für V als Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages zu verstehen Objektiver Tatbestand liegt vor. b. Subjektiver Tatbestand Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille erforderlich. (a) Handlungswille K hob willentlich die Hand (b) Erklärungsbewusstsein (auch sog. Rechtsbindungswille) K wollte grüßen, keine rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben (aktuelles) Erklärungsbewusstsein fehlt (c) Rechtliche Behandlung? streitig (1) e.a. (Willenstheorie): (aktuelles) Erklärungsbewusstsein notwendiges Element jeder WE, ohne ist Tb der WE nicht erfüllt (nachzulesen in: Staudinger vor 116 Rn.26; Canaris, NJW 1984, 2281); arg.: Privatautonomie, Vertragsabschlussfreiheit Erst-Recht-Schluss zu 118 BGB als gesetzlich geregeltem Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins (Scherzerklärung), hier bewusst äußerer Tb einer WE gesetzt, gegen subjektive Einstellung 1
Allerdings gewährt diese Ansicht als Ausgleich für das in Anspruch genommene schutzwürdige Vertrauen des anderen Teiles Schadensersatz analog 122 I BGB bzw. aus 280 I, 311 II Nr. 1, 2, 241 II BGB (früher: culpa in contrahendo) auf das negative Interesse bei Verschulden (2) a.a. (Erklärungstheorie) Wirksame WE, wenn der Handelnde bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (also fahrlässig nicht erkannt hat), dass sein Verhalten als WE aufgefasst werden kann (potentielles Erklärungsbewusstsein) Wie Erklärungsirrtum: Anfechtbarkeit gem. 119 I 2 BGB (analog? str.); arg.: Verkehrsschutz Selbstverantwortung für Möglichkeit, Willen konkludent zu äußern, muss der Handelnde das Risiko des Missverständnisses (Erklärungsrisiko) tragen (3) Ergebnis: K hat ein wirksames, wenn auch anfechtbares Angebot abgegeben (d.h. Erklärungstheorie); arg.: Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers Privatautonomie wird auch durch Anfechtbarkeit gewahrt, Erklärender steht bei Anfechtungsmöglichkeit sogar besser, weil er entscheidet, ob er sich an dem Vertrag festhalten lassen will 118 BGB regelt den Fall der gewollten Nichtgeltung und ist mit dem Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins nicht wirklich vergleichbar 122 BGB analog zeigt, dass der Verkehrsschutz Berücksichtigung finden muss 2. Zuschlag des V erfolgte II. Ergebnis Vertragsschluss (+) B. Ergebnis Anspruch des V auf Abnahme und Zahlung des Weines besteht. 2
Ausführliche Lösung V kann von K Bezahlung und Abnahme des Weins gem. 433 Abs. 2 verlangen, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein Kaufvertrag erfordert zwei aufeinander bezogene, inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, Antrag und Annahme. Bei Versteigerung kommt der Vertrag gem. 156 durch Gebot des Bietenden und den Zuschlag des Versteigerers zustande. a) Gebot des K Möglicherweise hat K durch das Heben der Hand gegenüber V ein Vertragsangebot (hier Gebot) auf Abschluss eines Kaufvertrages über ein Fass Wein abgegeben. Dazu müsste das Heben der Hand die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung erfüllen. aa) Objektiver Tatbestand einer WE Ob eine Willenserklärung vorliegt, ist durch Auslegung gem. 133, 157 zu ermitteln. Demnach liegt der objektive Erklärungstatbestand einer Willenserklärung vor, wenn das Verhalten des Erklärenden aus Sicht eines objektiven Empfängers den Schluss auf einen bestimmten Rechtsbindungswillen zulässt. K hob während einer Versteigerung eines Fasses Weins die Hand. Durch ein solches Handzeichen wird üblicherweise der rechtsverbindliche Kaufwille des zur Versteigerung gebrachten Gegenstands zum zuletzt genannten Kaufpreis angezeigt. V durfte daher davon ausgehen, dass K ihm gegenüber ein Gebot über ein Fass Wein abgegeben hat. Der objektive Tatbestand liegt vor. bb) Subjektiver Tatbestand der Willenserklärung Fraglich ist, ob auch der subjektive Tatbestand einer WE erfüllt ist. Dazu müsste der objektive Erklärungsinhalt von einem entsprechenden Willen des Erklärenden K getragen sein. Dies ist der Fall, wenn K bei Abgabe der Erklärung, also beim Heben der Hand, Handlungs-, Erklärungs- und Geschäftswillen hatte. (1) K hob willentlich die Hand. Ein subjektiver Handlungswille liegt daher vor. (2) Fraglich ist allerdings, ob K auch Erklärungsbewusstsein (auch sog. Rechtsbindungswille) hatte. Unter Erklärungsbewusstsein versteht man den Willen, ü- berhaupt eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben und rechtliche Folgen herbeizuführen. K hob die Hand lediglich, um einem Freund in der Menge zuzuwinken, nicht um ein Fass Wein zu ersteigern. B kannte die Gepflogenheiten bei Versteigerungen nicht und war sich deshalb nicht bewusst, durch das Handzeichen ein Kaufangebot über ein Fass Wein abzugeben. Der subjektive Tatbestand ist daher nicht erfüllt. 3
(3) Fraglich ist, welche Folgen das Fehlen des Erklärungsbewusstseins auf die Wirksamkeit der Willenserklärung hat. (a) Nach der sogenannten Willenstheorie wird das Erklärungsbewusstsein als eine unabdingbare Voraussetzung einer Willenserklärung angesehen. Ist sich der Erklärende nicht einmal bewusst, im Rechtsverkehr aufzutreten, liege keine privatautonome Gestaltung vor, so dass es gegen die Selbstbestimmung des Individuums verstoße, ihn am objektiv Erklärten festzuhalten. Dieser Ansicht zufolge liegt mangels Erklärungsbewusstsein kein wirksames Kaufangebot des K vor. Allerdings wird zum Ausgleich für die Nachteile des Erklärungsempfängers als Erweiterung dieser Theorie auch ein Schadensersatzanspruch z.b. analog 122 Abs. 1 BGB postuliert. (b) Nach der Erklärungstheorie ist hingegen eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung zwar wirksam, gem. 119 I Alt. 2 analog jedoch anfechtbar, wenn der Erklärende hätte erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst wird und auch tatsächlich so aufgefasst wurde. Nur wenn in der Person des Erklärenden eine solche Erklärungsfahrlässigkeit (potentielles Erklärungsbewusstsein) nicht vorliegt, könne ihm das objektiv Erklärte nicht zugerechnet werden. Begründet wird dies damit, dass sich der Erklärende bei fehlendem Erklärungsbewusstsein ähnlich wie bei einem Erklärungsirrtum, bei dem Wille und Erklärung auseinander fallen, über die Rechtsfolgen seiner Erklärung nicht im Klaren sei. Ob sich jemand über die konkrete Rechtsfolge seiner Erklärung irre, oder darüber, überhaupt Rechtsfolgen ausgelöst zu haben, müsse wegen der identischen Interessenlage von Erklärendem und Erklärungsempfänger gleich behandelt werden. Der Erklärende soll daher durch die analoge Anwendung von 119 I BGB eine Wahlmöglichkeit erhalten, entweder das objektiv Erklärte gelten zu lassen oder anzufechten. Die Bedeutung des Handhebens bei Versteigerungen ist allgemein bekannt, jedenfalls hätte sich K bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nach der Bedeutung bei seinem Begleiter erkundigen müssen. K hätte dieser Ansicht nach somit potentielles Erklärungsbewusstsein. Aufgrund des durch das Handheben begründeten Vertrauens des V in den Kaufwillen der K ist V auch schutzwürdig. K muss sich sein Verhalten als Willenserklärung zurechnen lassen. Ein Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags über ein Fass Wein zu dem zuletzt genannten Kaufpreis liegt daher vor. (c) Die Willenstheorie, nach der eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung nichtig sein soll, ist abzulehnen. Das angeführte Argument, dass nur die Nichtigkeit der Erklärung den Schutz der Privatautonomie gewährleistet, verfängt nicht. Dem Schutz der Privatautonomie des Erklärenden wird durch die Anfechtungsmöglichkeit Rechnung getragen. Auf diese Weise hat der Erklärende sogar die Wahlmöglichkeit, seine WE entweder gelten zu lassen oder anzufechten, 4
steht also im Vergleich zur Unwirksamkeit nach der Willenstheorie sogar besser. Außerdem erscheint es gerechtfertigt, dem Erklärenden den Ersatz des Vertrauensschadens im Fall der Anfechtung ( 122 I) nur dann aufzuerlegen, wenn er die Bedeutung seines Handeln hätte erkennen können 1. Daher ist der zweiten Ansicht zu folgen. Für die gegenteilige Ansicht können Sie ebenfalls argumentieren, jedenfalls, wenn Sie auch hier dem Erklärungsempfänger einen Schadensersatzanspruch zuerkennen. Dann besteht der Unterschied der Theorien nur noch darin, dass bei der Erklärungstheorie der Erklärende die Erklärung anfechten kann und sie erst dann nach 142 Abs. 1 BGB nichtig wird, die Erklärung ist also vernichtbar. Damit kann der Erklärende für ihn vorteilhaft auch das Geschäft wirksam bestehen lassen, während bei der Willenstheorie wie bei 118 BGB die Nichtigkeit automatisch eintritt. Dieser Nachteil lässt sich aber relativieren: Rein praktisch kann der Erklärende häufig dadurch den Vertrag erhalten, dass er seinen Fehler nicht offenbart. Dann ist zwar vielleicht der Vertrag nichtig, was aber praktisch dann egal ist, wenn der andere Teil davon keine Kenntnis hat. Außerdem kann in dieser Variante notfalls die Nichtigkeit noch viel später geltend gemacht werden (allerdings sind hier Beweisprobleme zu beachten), während eine Anfechtung nach 121 BGB nur unverzüglich erfolgen kann. Die Erklärungstheorie bringt also für den Erklärenden auch einige Nachteile mit sich, während die Vorteile praktisch nur eine begrenzte Bedeutung haben. Für die Scherzerklärung (eigentlich ein Sonderfall des fehlenden Erklärungsbewusstseins) ist nach 118 BGB die automatische Nichtigkeit der Erklärung vorgesehen. Das wird damit begründet, dass der Scherzerklärer sich des Risikos, dass er mit seiner Erklärung in die Welt setzt, eher bewusst ist als der, der bloß fahrlässig eine Willenserklärung abgibt. An sich müsste also der fahrlässige Erklärer besser dastehen als der Scherzerklärer. Dies ist aber nicht immer der Fall. Hier könnten Sie einen Widerspruch in der Erklärungstheorie sehen. Durch das Heben der Hand hat K gegenüber V ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages über ein Fass Wein zu dem zuletzt genannten Kaufpreis abgegeben. b) Annahme des V durch Zuschlag V müsste das Angebot des K angenommen haben. Gem. 156 kommt bei Versteigerung der Vertrag mit dem Zuschlag zustande. V erteilte K den Zuschlag, so dass zwischen V und K ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ergebnis: V kann von K Abnahme und Bezahlung des Weinfasses gem. 433 Abs. 2 verlangen. Kurz noch einmal zur Problemlage nach der h.m. (potentielles Erklärungsbewußtsein): - Die Erklärung wurde nicht einmal fahrlässig abgegeben: Keine Willenserklärung, kein Schadensersatzanspruch - Die Erklärung wurde fahrlässig nicht als solche erkannt (potentielles Erklärungsbewusstsein): Die Erklärung gilt, kann aber innerhalb der An- 1 Sofern die um einen Schadensersatzanspruch erweiterte Willenstheorie vertreten wird, fehlt natürlich insofern ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Theorien. 5
fechtungsfrist angefochten werden. Es besteht also ein zeitlich befristetes Wahlrecht zwischen Erfüllung des Vertrages und der Anfechtung (mit der Folge Schadensersatz nach 122 Abs. 1 BGB) Gute, knappe Darstellung der Problematik bei Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, C.H. Beck 2005, 21 Rn. 22. 6