Der Widerspruch des Betriebsrats bei Chancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 1
Formalitäten des Widerspruchs Grundlagen des Widerspruchs: - Beschluss des Betriebsrats (oder Ausschuss nach Übertragung) - Äußerung des Vorsitzenden gegenüber dem Arbeitgeber nicht einzelnes BR-Mitglied - Fehler bei der Willensbildung des BR muss der AG nicht berücksichtigen. - Arbeitgeber muss sich nicht überprüfen, ob Beschluss oder Äußerung des BR-Vorsitzenden richtig sind. - Ausnahme: Fehler sind ihm bekannt oder müssten ihm bekannt sein (Beispiel: BR-Vorsitzender erklärt sein Einverständnis sofort bei mündlicher Anhörung ohne das BR-Gremium). 2
Formalitäten des Widerspruchs Frist für den Widerspruch - bei ordentlicher Kündigung: 1 Woche - bei außerordentlicher Kündigung: unverzüglich, spätestens nach 3 Tagen - Frist kann einvernehmlich verlängert werden Fristberechnung - Fristbeginn: Abschluss der Anhörung - Bei Fristende am Samstag, Feiertag oder Sonntag stattdessen am darauffolgende Werktag - Fristende immer 24.00 Uhr nicht: Dienstschluss, Schichtende 3
Formalitäten des Widerspruchs Fristberechnung (Beispiele) Mo Di Mi Do Fr Sa So Anhörung ordentl. Kdg. Fristablauf 4
Formalitäten des Widerspruchs Fristberechnung (Beispiele) Mo Di Mi Do Fr Sa So Anhörung ordentl. Kdg. Anhörung ordentl. Kdg. Fristablauf Fristablauf 5
Formalitäten des Widerspruchs Fristberechnung (Beispiele) Mo Di Mi Do Fr Sa So Anhörung ordentl. Kdg. Anhörung ordentl. Kdg. Fristablauf Fristablauf Anhörung außerordentl. Kdg. Fristablauf 6
Formalitäten des Widerspruchs Form des Widerspruchs - schriftlich - unter Angaben von Gründen - Textform des 126 b BGB - Bestandteile: Person des Erklärenden Abschluss der Erklärung durch Unterschrift o.a. - auch Telefax (mit Unterschriftskopie) - auch Email (BAG, Beschl. V. 10.03.2009-1 ABR 93/07 = ArbuR 2009, 226, ArbRB 2009, 198-199) Anhörung betroffener Arbeitnehmer soll angehört werden Keine Wirksamkeitsvoraussetzung. 7
Formalitäten des Widerspruchs Inhaltliche Anforderungen an den Widerspruch - Konkrete Widerspruchsgründe - Wiederholung des Gesetzestextes genügt nicht. - Lebenssachverhalt mit Bezug zum gesetzl. Widerspruchsgrund muss beschrieben werden. Beispiel: - Nicht: Die Kündigung verletzt die notwendige Sozialauswahl. - Besser: Die Kündigung von Herrn Müller berücksichtigt nicht, dass er für eine 4 köpfige Familie unterhaltsverpflichtet ist und schon 8 Jahre bei uns beschäftigt ist, während in der Abteilung andere Kollegen mit geringeren Unterhaltsverpflichtungen weiterbeschäftigt werden. 8
Widerspruchsgründe: 1. Fehlerhafte Sozialauswahl 2.Verstoß gegen Auswahlrichtlinie 3. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit 4. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach zumutbarer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme 5. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Vertragsbedingungen 9
Widerspruchsgründe Der Betriebsrat kann auch einer außerordentlichen Kündigung widersprechen. Der Widerspruch gilt dann als qualifiziertes Bedenken. Keine weiteren Rechtsfolgen. Kein Weiterbeschäftigungsanspruch nach Widerspruch gegen außerordentliche Kündigung 10
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr.1: wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat Beachtung der Kriterien nach 1 Abs. 3 KSchG: - Betriebszugehörigkeit - Lebensalter - Unterhaltspflichten - Schwerbehinderung aber: weiter gefasst als 1 Abs. 3 KSchG ( Soziale Gesichts-punkte ) auch: z.b. Einkünfte des Ehepartners, alleinerziehend, Pflege von Angehörigen, Krankheit, schwierige wirtschaftl. Situation Nur vergleichbare Arbeitnehmer des Betriebes (nicht: Unternehmen) heranzuziehen. Andere Arbeitnehmer müssen vom BR entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale bestimmbar sein (BAG aber str.) 11
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr.2: wenn die Kündigung gegen eine Richtlinie nach 95 verstößt Personelle Auswahlrichtlinie nach 95 BetrVG Auswahlrichtlinie muss Grundzüge von 1 Abs. 3 KSchG und AGG ausreichend berücksichtigen aber: Widerspruch kann auch auf eine fehlerhafte Auswahlrichtlinie gestützt werden. Verstoß gegen Auswahlrichtlinie muss sich konkret auf die Kündigung auswirken Domino-Theorie vom BAG aufgegeben. 12
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr.3: wenn der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Arbeitsplatz muss frei sein. Widerspruch auch bei möglicher Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz (z.b. in einer anderen Schicht) str. anders BAG 1985 Betriebsrat muss im Widerspruch den Arbeitsplatz so genau wie möglich benennen (z.b. in der Abteilung X, Sachgebiet Y oder im Produktionsabschnitt X die Tätigkeit als Y ). Hinweis auf allgemeinen Beschäftigungsbedarf oder grundsätzliche Personalengpässe reicht nicht (z.b. da in der Abteilung X ständig Mehrarbeit anfällt ). Auch in naher Zukunft frei werdende Arbeitsplätze können herangezogen werden, z.b. von Leiharbeitnehmern Kein Anspruch auf Beförderung des gekündigten Arbeitnehmers. 13
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr.3: wenn der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens bestehen. Im Gemeinschaftsbetrieb: auch in anderen Betrieben den beteiligten Unternehmen (str.). Konzernweite Weiterbeschäftigung nur, wenn besondere Umstände: Konzernweiter Einsatz im Arbeitsvertrag vereinbart. Arbeitgeber hat sich selbst gebunden (z.b. Zusage bei Entsendung im Konzern) und hat Einfluss auf einen anderweitigen Einsatz im Konzern. 14
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr. 4: wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Nr. 4 steht in Beziehung zum Mitbestimmungsrecht nach 97 Abs. 2 BetrVG Unterlassungsanspruch des BR, wenn der Arbeitgeber unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts ausspricht. Untätigkeit des Betriebsrats in Bezug auf 97 Abs. 2 BetrVG hindert nicht den Widerspruch nach Nr. 4. 15
Die Widerspruchsgründe des 102 Abs. 3 BetrVG Nr. 5: wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Einverständnis gegenüber dem Betriebsrat. Betriebsrat muss das Einverständnis vor dem Widerspruch prüfen. Der Arbeitnehmer kann sein Einverständnis auch bedingt erteilen (z.b. vorbehaltlich der Überprüfung im Kündigungsschutzverfahren). Verweis auf die allgemeine Möglichkeit von Kurzarbeit reicht wohl nicht aus (str.). Widerspruch kann sich auf das Einverständnis des Arbeitnehmers mit anderen Arbeitszeitmodellen zum Ausgleich des verminderten Beschäftigungsbedarfs stützen. 16
Folgen eines wirksamen Widerspruch Arbeitgeber darf kündigen. Kündigungsschutzverfahren völlig losgelöst vom Widerspruchsverfahren Arbeitnehmer kann sich auch auf andere Unwirksamkeitsgründe berufen. Kein Einfluss auf Kündigungsschutzverfahren, wenn der BR nach Erörterung den Widerspruch zurücknimmt. Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer die Stellungnahme des BR überlassen ( 102 Abs. 4 BetrVG) aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers. 17
Weiterbeschäftigungsanspruch nach wirksamen Widerspruch ab Erhebung der Kündigungsschutzklage durch den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens Solange das Kündigungsschutzverfahren nicht abgeschlossen ist, muss der Arbeitgeber weiterbeschäftigen. Auch wenn der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht verliert, aber rechtzeitig Berufung einlegt. 18
Weiterbeschäftigungsanspruch nach wirksamen Widerspruch Beispiel: 28.2.: Ablauf der Kündigungsfrist 5.2.: Erhebung der Klage mit WB-Antrag 4.6. Einlegung der Berufung 28.1.10: Kündigung zum 28.2.10 6.5.: Urteil: Kündigung wirksam 27.10. Urteil des LAG: Kündigung wirksam. Weiterbeschäftigungsanspruch bis 27.10.2010 Vergütung bis zum 27.10.2010!!!! Ohne Widerspruch: Nur bis 28.2.2010 19
Wilfried Löhr-Steinhaus: Weiterbeschäftigungsanspruch nach wirksamen Widerspruch Voraussetzungen: Wirksamer Widerspruch Rechtzeitige Kündigungsschutzklage (binnen 3 Wochen) Länger als 6 Monate beschäftigt. Verlangen auf Weiterbeschäftigung innerhalb der Kündigungsfrist oder am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist oder innerhalb der 3 wöchigen Klagefrist spätestens allerdings zusammen mit der Kündigungsschutzklage Sonderfall: Arbeitgeber kündigt außerordentlich und hilfsweise ordentlich. Weiterbeschäftigungsanspruch besteht (str.) anders: Arbeitgeber kündigt nur außerordentlich kein Weiterbeschäftigungsanspruch aber: regelmäßig nur theoretisches Problem, da außerordentliche Kündigung regelmäßig nicht aus betriebsbedingten Gründen 20
Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht Durch das Arbeitsgericht. Auf Antrag des Arbeitgebers. Durch Einstweilige Verfügung. Wenn: Kündigungsschutzklage ohne Aussicht auf Erfolg Weiterbeschäftigung = unzumutbare wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers Widerspruch des BR offensichtlich unbegründet 21
Fazit: Der Widerspruch des Betriebsrates bei betriebsbedingten bedeutet für den gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzverfahrens: Sein Arbeitsverhältnis bleibt zunächst bestehen. Sein Vergütungsanspruch bleibt zunächst bestehen. Eine deutlich bessere Rechtsposition. Deswegen: Im Gremium über einen Widerspruch beraten und entscheiden. Gründlich begründen. Form und Frist wahren. 22
Jetzt aber endlich: Danke für Ihre Aufmerksamkeit!!!! Viel Spaß in der Kaffeepause!!!!! 23