Rechtsgeschäft und Willenserklärung

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Transkript:

Rechtsgeschäft und Willenserklärung Ein Rechtsgeschäft besteht aus einer oder mehreren Willenserklärungen, die allein oder i.v.m. anderen Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführen, weil sie gewollt ist. Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines auf Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichteten Willens.

Vertrag ( 145 ff. BGB) Ein Vertrag ist ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft, das durch mindestens zwei einander entsprechende Willenserklärungen zustande kommt, die als Angebot (Offerte) und Annahme (Akzeptation) bezeichnet werden.

Grundsätze der Vertragsfreiheit Abschlussfreiheit Freie Entscheidung, ob man einen Vertrag abschließen will und so Rechte und Pflichten eingeht. Ausnahme: bei Monopolstellung besteht Abschlusszwang Gestaltungsfreiheit Inhalt des Vertrages kann frei ausgehandelt werden. Formfreiheit Verträge können mündlich, schriftlich, oder auch durch schlüssiges Verhalten abgeschlossen werden. Ausnahme: gesetzliches Formerfordernis oder Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien

Wichtige Vertragstypen Kaufvertrag 433 BGB Schenkung 516 BGB Mietvertrag 535 BGB Leihvertrag 598 BGB Dienstvertrag 611 BGB Werkvertrag 631 BGB Bürgschaft 765 BGB

Fall: Der Brötchenkauf A kauft beim Bäcker 1 Roggenbrötchen. Wie viele Rechtsgeschäfte werden getätigt?

Fall: Der Brötchenkauf Anzahl der Rechtsgeschäfte: Mindestens 3! Kaufvertrag über das Brötchen Übereignung des Brötchens Übereignung des Geldes

Fall: Der Brötchenkauf A Verpflichtungsgeschäft: Kaufvertrag Abstraktionsprinzip Erfüllungsgeschäft: Übergabe des Brötchens Erfüllungsgeschäft: Übergabe des Geldes B

Verpflichtungsgeschäft Unter einem Verpflichtungsgeschäft versteht man ein Rechtsgeschäft, durch das die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird. Bsp.: Der Kaufvertrag verpflichtet gemäß 433 Abs. 1 BGB den Verkäufer, dem Käufer den Kaufgegenstand zu übergeben und zu übereignen. Andererseits erwirbt der Verkäufer gemäß 433 Abs. 2 BGB das Recht, vom Käufer den Kaufpreis zu fordern. Durch den Kaufvertrag ändert sich an der Rechtslage hinsichtlich des Kaufgegenstands und des Kaufpreises aber nichts, d.h. der Verkäufer bleibt Eigentümer des Kaufgegenstands, der Käufer Eigentümer des Kaufpreises.

Verfügungsgeschäft Unter einem Verfügungsgeschäft versteht man eine Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird. Bsp.: Durch eine Übereignung gemäß 929 S. 1 BGB, d.h. durch Einigung über den Eigentumswechsel und Übergabe der Sache, geht das Eigentum am Kaufgegenstand vom Verkäufer auf den Käufer über. Durch eine weitere Übereignung gemäß 929 S. 1 BGB erwirbt der Verkäufer Eigentum am Kaufpreis.

Folgen des Abstraktionsprinzips Das Verfügungsgeschäft (z.b. Übereignung), welches auf eine Rechtsänderung gerichtet ist, ist vom Verpflichtungsgeschäft (z.b. Kaufvertrag) zu trennen. Das Verfügungsgeschäft (z.b. Übereignung) und das Verpflichtungsgeschäft (z.b. Kaufvertrag) sind in ihrer Wirksamkeit voneinander unabhängig. Bsp: A verkauft an B seinen Aston Martin DB 9. Später übereignet er den Wagen jedoch an die gut aussehende C. A und B haben einen wirksamen Kaufvertrag gem. 433 BGB geschlossen. Obwohl A dem B die Übereignung des Wagens versprochen hat, kann er diesen wirksam an die C übereignen. Allein wegen des Kaufvertrages ist B noch nicht Eigentümer des Wagens geworden. => Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft sind unabhängig von einander!

Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen I. Abgabe der Willenserklärung II. Zugang der Willenserklärung - Unter Anwesenden: Eine schriftliche Willenserklärung geht durch Aushändigung des Schriftstücks zu. Eine mündliche, wenn der Empfänger sie akustisch vernommen hat. - Unter Abwesenden: Eine Willenserklärung geht gemäß 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (z.b. Einwurf in Briefkasten). Sie wird gemäß 130 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann nicht wirksam, wenn dem Empfänger vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

Kündigung im Briefkasten Der D möchte innerhalb der vereinbarten 6-monatigen Probezeit seinem Arbeitnehmer A kündigen, weil er mit dessen Leistungen unzufrieden ist. Da die Probezeit am Mittwoch, d. 5.11. endet, gibt er am Montag, d. 3.11 das Kündigungsschreiben zur Post. Darin kündigt er dem A mit der Zweiwochenfrist des 622 Abs. 3 BGB zum 17.11. Der Postbote wirft den Brief am 4.11. in den Briefkasten des A. Dieser liest seine Post entsprechend seiner Gewohnheit jedoch erst am Wochenende, so dass er von der Kündigung am Samstag, d. 8.11. erfährt. Ist das Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden und ggf. wann?

Lösungsskizze I Vorüberlegungen: Ein Arbeitsverhältnis kann gemäß 622 Abs. 3 BGB während der Probezeit schriftlich ( 623 BGB) mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Da die Probezeit des A am 5.11. endet, muss ihm folglich spätestens an diesem Tag wirksam gekündigt werden, um das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwei Wochen zu beenden. Hier hat D am 3.11 eine schriftliche, d.h. formgemäße Kündigungserklärung abgegeben. Fraglich ist, wann diese wirksam geworden ist.

Lösungsskizze II Wirksamwerden am 3.11.? (-) Eine Kündigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die gemäß 130 Abs. 1 BGB nicht schon mit der Abgabe, sondern erst mit dem Zugang wirksam wird. Wirksamwerden am 4.11. oder am 8.11? Der Zugang setzt keine Kenntnis des anderen von der Willenserklärung voraus, sondern nur, dass sie so in dessen Machtbereich gelangt ist, dass er hätte Kenntnis erlangen können. Hier am 4.11.

Lösungsskizze III D hat am 4.11. zum 17.11. gekündigt, ist dies wirksam? Die Zweiwochenfrist des 623 Abs. 3 BGB beginnt gemäß 187 Abs. 1 BGB am 5.11. Sie endet gemäß 188 Abs. 2 BGB am 18.11. Eine Kündigung zum 17.11. war also nicht möglich. Aber: Dies macht Kündigung nicht unwirksam. Eine verspätete Kündigung wirkt zum nächsten Kündigungstermin (BAG NZA 1986, 229). Ergebnis: D hat das Arbeitsverhältnis mit A wirksam gekündigt. Das Arbeitsverhältnis endet aber nicht am 17.11., sondern am 18.11.