Anfallsleiden posttraumatisch oder unfallunabhängig?

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Transkript:

Anfallsleiden posttraumatisch oder unfallunabhängig? Walter Fröscher 11. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Neurologische Begutachtung, Heidelberg, 24./25. April 2009. Begutachtung leichter Schädel-Hirn-Traumen Heidelberg, Oktober 1967, XI. Fortbildungskurs für sozialmedizinische Begutachtungskunde für Ärzte und Juristen Gerd Peters: Schwierigkeiten bei der Diagnostik und Beurteilung der posttraumatischen Epilepsie 1

Peters zitiert Tönnis (MedSach 1968): Das Unbefriedigende, das wir bei der Behandlung der frischen gedeckten Hirnschädigung empfinden, hat seine Ursache in der unzureichenden diagnostischen Erfassung von Art und Ausdehnung der Schädigung und insbesondere auch der daraus zu erwartenden Folgen. Daraus ergibt sich eine große Unsicherheit, auch in der gutachterlichen Bewertung der späteren Folgezustände Bildgebung damals: PEG, Angiographie heute: CT, MRT, spezielle MR- Sequenzen usw. Folgen für die Begutachtung: in manchen Fällen einfacher, in anderen Fällen komplizierter wegen unsicherer klinischer Relevanz von Befunden bildgebender Verfahren 2

Ein einmaliges leichtes Schädel-Hirn- Trauma (SHT) mit Commotio cerebri erschien als ein spurenloser Vorgang (Spatz zit. n. Scherzer u. Guth 1977), Heute: Leichtes SHT mit der Symptomatik einer Commotio cerebri in den neuen bildgebenden Verfahren nicht selten ein Vorgang mit Spuren 3

Epilepsie Die wichtigsten Fragen zur Epilepsie (Gesundheitsschaden) lauten: Ist die Epilepsie bzw. ein epileptischer Spätanfall bewiesen? Welcher Anfallstyp bzw. welches Epilepsiesyndrom liegen vor? Passen Anfallstyp/Epilepsiesyndrom zu einer symptomatischen Epilepsie? Epilepsie Frühestanfälle (Tag 1): ohne Einfluss auf Entwicklung einer Spätepilepsie (Clear u.chadwick 2000, Majkowski 1990, Frey 2003) Frühanfälle (Tag 2-7): Risikofaktor für das Auftreten von posttraumatischen Spätanfällen. Inzidenz n. leichtem SHT: 0,4 1,3 % (Annegers et al. 1980, Lee et al.1992) Spätanfälle (ab Tag 8): Gutachterliches Hauptproblem 4

Epilepsie Neue Definition von Epilepsie : (Fisher et al., Epilepsia 2005): Mindestens 1 Anfall, ohne oder mit (!) Provokation. Wichtige Voraussetzung: Dauerhafte Schädigung des Gehirns, welche die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Anfälle erhöht Epilepsie Sicherung der Diagnose epileptischer Anfall Wichtige Differentialdiagnose: Psychogene Anfälle Barry et al. 1998: Von 157 Pat. mit psychogenen Anfällen gaben 24 % ein SHT als Ursache an (meist leichtes SHT, meist nicht mehr als 1 Jahr zurückliegend) 5

Epilepsie Anfallstyp/Epilepsiesyndrom Fokal? passt zu (symptomatischer) posttraumatischer Epilepsie Besonders gewichtig: Anfallsbeginn im traumatisch geschädigten Bereich Primär generalisiert? spricht für idiopathische Epilepsie Trauma Leichtes Schädel-Hirn-Trauma (Gesundheitsschädigung) Divergierende Definitionen des leichten SHT! Leitlinien Neurologie 2008 (Diener et al.2008): GCS Score 15-13 (initial) Veränderung der quantitativen oder qualitativen Bewusstseinslage weniger als 15 Minuten 6

Trauma Leitlinien für Neurologie 2005 (Diener et al. 2005): Vorzugsbegriff leichtes SHT, Syn.: Commotio cerebri, SHT Grad I, mild traumatic brain injury (MTBI), GCS Score 15-14 (meist 15) Trauma Dauer der Veränderung der Bewusstseinslage beim leichten SHT unterschiedlich definiert: Viele Autoren geben die Obergrenze der Bewusstlosigkeit beim leichten SHT mit 30 Minuten an (American Congress of Rehab. Med. 1993, Annegers et al. 1998, Christensen et al. 2009, Lowenstein 2009) (Leitlinien 2008: 15 min). 7

Trauma Die Anerkennung einer posttraumatischen Epilepsie erfordert beim derzeitigen Wissensstand als Grundvoraussetzung unverändert den Nachweis einer substanziellen traumatischen Hirnschädigung (Glötzner 1991, Hausotter 2006, Peters 1968, Widder 2005). Trauma Dies führt bei der Begutachtung zu 4 Fragen: 1. Liegt eine substanzielle Hirnverletzung vor? 2. Kann diese Hirnverletzung zu epileptischen Anfällen führen? 3. Wie häufig sind Spätanfälle nach einem leichten SHT allgemein? 4. Gibt es vielleicht doch posttraumatische Spätanfälle nach leichtem SHT (bzw. Commotio cerebri) ohne nachgewiesene substanzielle Hirnverletzung? 8

Trauma Substanzielle Hirnverletzung bei leichtem SHT in der Bildgebung: Ein klinisch leichtes SHT kann mit einer fokalen Contusio und einer diffusen axonalen Schädigung (DAI) einhergehen (Blumbergs et al.1995, Jenkins et al. 1986, Pilz 1983, Wallesch und Hopf 2008). Borg et al. (2004, Lit.analyse): nach leichtem SHT bei bis zu 30% der Pat. abnorme Befunde im CT bei GCS 15: 5% abnorme Befunde im CT, bei GCS 14: 20%, bei GCS 13: 30%. ( Extra-u. intracerebrale Hämatome, SAB, Contusio, Schädelfraktur) Trauma Bei herkömmlicher MR-Technik ist der Befund (nur!) bei 43-68% der Patienten mit einem leichten SHT normal; mikroskopisch kleine DAIs sind mit der traditionellen Neuro-Imaging-Technik nicht feststellbar (Belanger et al. 2007); dies gelingt mit Anwendung von T2*-Gradientenecho (GRE)-Sequenzen (Widder 2005, Scheid et al. 2003) und DWI (Diffusion-weighted imaging)-sequenzen (akute Phase, Forsting 2007). 9

Trauma Weitere Techniken zur Sichtbarmachung von Läsionen: Diffusion tensor imaging (DTI) Magnetization Transfer Imaging (MTI) Perfusions-MR Magnet-Resonanz-Spektroskopie (MRS) Funktionelle Kernspintomographie Magnetic Source Imaging (MSI) SPECT,PET MEG Gutachterliche Signifikanz noch unklar (Belanger et al. 2007, Forsting 2007) Trauma 1. Liegt eine substanzielle Hirnverletzung vor? 2. Kann diese Hirnverletzung zu epileptischen Anfällen führen? 3. Wie häufig sind Spätanfälle nach einem leichten SHT allgemein? 4. Gibt es vielleicht doch posttraumatische Spätanfälle nach leichtem SHT (bzw. Commotio cerebri) ohne nachgewiesene substanzielle Hirnverletzung? 10

Trauma Contusio cerebri wird als mögliche Epilepsieursache allgemein akzeptiert Welche Bedeutung hat eine diffuse axonale Hirnschädigung (bei leichtem SHT) bei der Entwicklung einer posttraumatischen Epilepsie? Majkowski (Üb.,1990): Epilepsierisiko in der Allg.bevölkerung o,5%, nach leichtem SHT 2% (4 x) Annegers et al. (1998): um das 1,5-fache erhöhte Inzidenz (nichtprovozierter) Anfälle innerhalb der ersten fünf Jahre nach dem Trauma (Vgl. mit Hauser et al. 1993: kumulative Inz. nichtprovozierter Anfälle 4,1% bis zum 74.LJ ) 11

Trauma Christensen et al. (2009, Danish Civil Registration System): relatives Risiko (relative to no brain injury) einer posttraumatischen Epilepsie (G40,41) nach leichter Hirnverletzung 2,2 (Kinder und junge Erwachsene. Erhöhung des Risikos im ersten Jahr um das 5,5-fache, nach mehr als zehn Jahren um das 1,5-fache). Relative risk of epilepsy after brain injury in Denmark (1977-2002) Christensen J et al., Lancet, Feb 2009 12

Trauma 1. Liegt eine substanzielle Hirnverletzung vor? 2. Kann diese Hirnverletzung zu epileptischen Anfällen führen? 3. Wie häufig sind Spätanfälle nach einem leichten SHT allgemein? 4. Gibt es vielleicht doch posttraumatische Spätanfälle nach leichtem SHT (bzw. Commotio cerebri) ohne nachgewiesene substanzielle Hirnverletzung? Trauma Einzelbeobachtungen über epileptische Anfälle durch eine Schädelprellung bei vorgeschädigtem Gehirn, z.b. bei Vorliegen eines Hirntumors oder einer Arachnoidalzyste (Clear und Chadwick 2000, Wolf 2001). 13

E.H., m, geb. 1944 Vor-Diagnosen: Idiopathische GM-Epilepsie, V. a. kryptogenetische GM-Epilepsie Mit 22 Jahren (1966) beim Skifahren gestürzt, überschlug sich, ein Ski schlug gegen die rechte Stirn. Platzwunde an der Stirn. Nicht bewusstlos, konnte weiterfahren. Abends noch gefeiert, am folgenden Morgen erster GM-Anfall. Innerhalb von ein bis zwei Jahren nach dem Trauma drei Anfälle. Anfallsfrei unter Phenytoin bis 198o, dann ohne Antiepileptika bis 1994. Dann seltene GM, gelegentlich komplex-fokale Anfälle. Ab 1997 wieder Antiepileptika. Seit 2004 anfallsfrei unter LTG und LEV Neurolog. Befund, EEG, Standard-MR-Schädel (2007) o.b. Fokale Epilepsie nach leichtem SHT ohne Bewusstlosigkeit u. ohne Nachweis einer substanziellen Hirnschädigung Trauma Zur Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Hirnschädigung bei leichtem SHT und Spätanfällen stehen weitere Gesichtspunkte zur Verfügung. Waage von Rauschelbach (1977) 14

Rauschelbach H.-H, MED SACH 73 (1977) No 4 Argumente gegen einen ursächlichen Zusammenhang von Spätanfall u. leichtem SHT Läsionssitz in der Okzipitalregion Läsionssitz bei fokaler Contusio und DAI aber vorwiegend frontal und temporal (Fork et al. 2005). Latenzzeit > 2 Jahre 70 80% der Spätanfälle manifestieren sich innerhalb der ersten 2 Jahre (Glötzner 1979, Karbowski 1981. Trauma- Schwere dabei nicht berücksichtigt). 15

Latenzzeit nach leichtem SHT Annegers et al. (1998): ab 5 Jahren nach dem Trauma Anfallsinzidenz nicht mehr höher als in der Normalbevölkerung Aber!: Christensen et al. (2009): mehr als 10 Jahre nach leichtem SHT Anfallsrisiko noch um das 1,5 fache erhöht Tageszeitliche Bindung Petit mal-anfälle/kleine generalisierte Anfälle Generalisierte Krampfaktivität (bilateral synchrone SW-Komplexe) Merkmale einer idiopathischen Epilepsie Ausnahmen: u.a. frontaler Herd mit sek.bilat.synchronie: 16

Bedeutung der familiären Belastung: Widersprüchliche Angaben. Christensen et al. (2009): Patienten mit leichtem Hirnschaden und positiver Familienanamnese für Epilepsie hatten ein erhöhtes Epilepsierisiko. mit Abnehmen der Schwere der Verletzung Zunahme der Bedeutung der Disposition für die Entstehung der Epilepsie (Glötzner 1991, Majkowski 1990). 17

Zusammenwirken von Trauma und Disposition (Berkovic et al. 2006, Doose 1998; Lennox 1951)) Argumente für einen ursächlichen Zusammenhang von Spätanfall u. (leichtem) SHT Verletzung parietal, temporal, frontal Latenz < 2 Jahre Fokale Anfälle passen zum Verletzungssitz Status epilepticus Fehlende familiäre Belastung Herdbefund im EEG 18

Relevanz des EEG-Befundes für die Begutachtung umstritten: EEG-Herd im Akutstadium = Zeichen einer lokalen Hirnschädigung (Angeleri et al. 2002, Asikainen et al.1999) Leitlinie ( Begutachtung nach gedecktem SHT, Wallesch et al. 2005) empfiehlt Beobachtung des EEG-Verlaufs (Vergleich eines möglichst früh, z.b. nach 24h, abgeleiteten EEGs mit späteren Ableitungen) Fazit Das Risiko von epileptischen Spätanfällen nach leichtem SHT ist erhöht (1,5 4 x). Neue Bildgebungstechniken u.a. zeigen, dass ein leichtes SHT häufig kein spurenloser Vorgang ist. Eine gutachterliche Anerkennung von Anfällen als posttraumatisch auch nach leichtem SHT ist dadurch wahrscheinlich häufiger angezeigt als früher. 19

Bei leichtem SHT ohne nachweisbare substanzielle Hirnschädigung wird ein ursächlicher Zusammenhang von Anfall und Trauma in aller Regel abgelehnt. Prüfung des Einzelfalls unter Berücksichtigung neuer Techniken u. a. Befunde (neurolog., neuropsycholog., EEG u.a.)! Es sind prospektive Untersuchungen zum Epilepsierisiko nach leichtem SHT mit und ohne substanzielle Hirnverletzung erforderlich. Bibliotheksaal Weissenau Danke 20