III. Themen der Sozialpsychologie (3): Prosoziales Verhalten

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Transkript:

III. Themen der Sozialpsychologie (3): Prosoziales Verhalten 1. Begriffsdefinitionen 2. Erklärungsebenen 3. Helfen in Notfällen 4. Bezug zu Grundprinzipien der SP

1. Begriffsdefinitionen Hilfeverhalten: Soziale Interaktion, die Kosten für eine Person (HelferIn) verursacht und einer anderen Person (HilfeempfängerIn) Nutzen bringt. Prosoziales Verhalten: Hilfeverhalten, bei dem die helfende Person nicht aus beruflicher Verpflichtung handelt. Altruismus: Prosoziales Verhalten, bei dem die helfende Person die Perspektive der Hilfe empfangenden Person einnimmt.

Gibt es echten Altruismus? Kontinuum: egoistisch altruistisch

Warum helfen Menschen? 2. Erklärungsebenen 4 Analyseebenen / Erklärungsansätze: biologische individualistische interpersonale sozial-systemische Biologischer Ansatz: Erhöhung der "inclusive fitness" durch Hilfe für Verwandte reziproken Altruismus (oder besser: reziprokes Helfen) (s. 5. Sitzung)

Individualistische Erklärungen: Wer hilft? Stimmung: Gute Stimmung erhöht meist die Hilfsbereitschaft. Prozesse: - stimmungskongruentes Denken - "mood maintenance" Schlechte Stimmung erhöht manchmal die Hilfsbereitschaft. Prozesse: - erhöhte Selbstaufmerksamkeit (Wicklund) - Schuldgefühle nach Schädigung eines anderen - Helfen, um neg. Stimmung zu beseitigen ("negative state relief model", Cialdini)

Überprüfung des "negative state relief model": Scheinbares "Einfrieren" der Stimmung Anzahl Anrufe 4 3.5 3 2.5 2 1.5 1 0.5 0 traurig neutral fröhlich Stimmung variabel "eingefroren" Quelle: Manucia, Baumann & Cialdini (1984)

Persönlichkeitsmerkmale: - soziale Verantwortung - internale Kontrollüberzeugungen - Empathie - Glaube an eine gerechte Welt (Lerner, 1980) kann Hilfeverhalten fördern ("rationale Reaktionsweise") oder hemmen (durch Abwertung der Opfer)

Empathie als situationale Variable: Definition von Empathie: - eine kognitive Komponente: Perspektivenübernahme - zwei emotionale Komponenten: persönliche Betroffenheit ("distress") und empathische Besorgnis ("concern") Batson: Empathie-Altruismus-Hypothese - Voreinstellung: Personen sind egoistisch und helfen nur, wenn keine Fluchtmöglichkeit besteht - Empathie º Altruismus - Perspektivenübernahme ist notwendig, sonst entsteht persönlicher Stress, der egoistisch abgebaut wird

- Batsons Theorie gut belegt, wenn Kosten für Helfende gering. - Alternativerklärungen (Cialdini): - Gefühl des "Einsseins" - negative Stimmung º doch egoistisches Motiv?

Interpersonale Erklärungen: In welcher Art von sozialer Beziehung wird geholfen? Soziale Austauschtheorien: Motiv der Nutzenmaximierung Austauschbeziehungen: Equity-Norm = individueller Nutzen für jeden Partner proportional zum Beitrag Enge Beziehungen: Nicht eigener Nutzen, sondern Nutzen für Partner oder Beziehung wird maximiert; Equality-Prinzip (Kelley & Thibaut, 1978: prosoziale Transformation). Kritik: Unabhängige Definitionskriterien für Austauschbeziehungen vs. enge Beziehungen? Nur ein Spezialfall von Hilfe durch Empathie?

Sozial-systemische Erklärungen: In welchem gesellschaftlich-kulturellen Kontext wird geholfen? Rollen, Traditionen, Werte, soziale Normen können Hilfeverhalten fördern Fairnessnormen: Menschen helfen eher, wenn sie sich selbst faitr behandelt glauben (Miller, 1977) Fast alle Religionen fordern prosoziales Verhalten Zum letzten Punkt eine Schlüsseluntersuchung, die sich mit Variablen der Religiosität und Helfen in einem Notfall befasste.

3. Helfen in Notfällen Warum helfen Menschen häufig nicht? These von Darley & Batson (1973): Situative Einflüsse sind stärker als Normen und religiöse Überzeugungen. Experiment: Theologiestudenten bereiten eine kurze Rede vor. Auf dem Weg zu dem Raum, in dem sie die Rede halten sollen, begegnen sie einer Person, die offensichtlich Hilfe benötigt. 2 Faktoren: Zeitdruck (hoch, mittel, niedrig) Thema der Rede (Berufsperspektiven, "Gleichnis vom Samariter") av: Wird geholfen oder nicht?

[Ein Schriftgelehrter]... sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen. Es begab sich aber ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit; da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß darein Öl und Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein.... Welcher dünkt dich, der unter diesen Dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihn tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen! Quelle: Die Bibel (Luther 1912), Lukas 10:29-37

Priming einer Verhaltensnorm und Zeitdruck als Determinanten des Hilfeverhaltens 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 80 50 42 33 25 0 hoch mittel niedrig Zeitdruck Thema: Berufsperspektiven Gleichnis vom Samariter Quellen: Darley & Batson (1973); Greenwald (1975)

Interpretation der Ergebnisse nach Darley & Batson: Hypothese wird voll gestützt, da allein die Zeitdruck- Variable signifikanten Einfluss hatte. Kritik: Obwohl nicht statistisch signifikant, weisen die Ergebnisse in Richtung eines Einflusses der aktivierten Norm. Teststärke zu gering, um einen Einfluss auszuschließen (Greenwald, 1975). [generelles Problem bei Forschungshypothesen, die Nullhypothesen sind!] Dennoch zeigt die Studie, dass situative Bedingungen entscheidenden Einfluss ausüben.

Bekanntestes Forschungsprogramm zu situativen Einflüssen: Latané & Darley (1970, 1976) Problem: Apathie von Zuschauern bei Notfällen ("bystander nonintervention"); spektakuläres Beispiel: Mordfall Kitty Genovese These: Bedeutender situativer Faktor ist Anzahl der Zuschauer. Je mehr Zuschauer, desto weniger ist jeder Einzelne bereit zu helfen. Schlüsselstudie hierzu: Latané & Rodin (1969) Männliche Versuchsteilnehmer arbeiten an Fragebogen; Versuchsleiterin im Nebenzimmer hinter unverschlossener Falttür; simulierter Sturz von einem Stuhl Schmerzenslaute, Vorfall dauert 130 Sekunden

Experimentelle Variation der Situation: Vp arbeitet allein in Gesellschaft eines Eingeweihten, der sich passiv verhält mit einer fremden Mit-Vp mit einer befreundeten Mit-Vp av: Wird geholfen oder nicht?

Weitere Ergebnisse zur Anzahl von Zuschauern: Hilfe bei vermeintlichem epileptischen Anfall (Darley & Latané, 1968)

Fazit: Deutlicher Einfluss der Anzahl von Zuschauern, aber auch andere Faktoren wichtig (Verhalten der anderen, Beziehung zwischen Zuschauern) Verhalten potentieller Helfer von Latané und Darley konzipiert als sequentieller Entscheidungsprozess in 5 Phasen

1. Wird eine potentielle Notfallsituation bemerkt? Nein ö keine Hilfe Ja ú 2. Frage der Interpretation: "wirklich ein Notfall?" Nein ö keine Hilfe Ja ú 3. Frage der Übernahme von Verantwortung: "Bin ich für Hilfeleistung verantwortlich?" Nein ö keine Hilfe Ja ú 4. Frage der eigenen Kompetenz: "Bin ich zum Helfen in der Lage?" Nein ö keine Hilfe oder indirekte Hilfe Auch wenn die Person eigene Kompetenz wahrnimmt, stellt sich noch ú 5. die Frage der Handlungsinitiierung.

Hierbei wichtig: 3 Prozesse 1. sozialer Einfluss ("pluralistische Ignoranz") 2. Verantwortungsdiffusion 3. Bewertungsangst Die Stärke aller drei Faktoren ist eine direkte Funktion der Anzahl anwesender Personen.

Anwendung: Was tun in einem Notfall? Aus Erklärungen für Hilfeverhalten und vor allem für unterlassene Hilfeleistung lassen sich folgende Maximen ableiten (nach Smith & Mackie, 2000): Ambiguität reduzieren und Notwendigkeit der Hilfe klarmachen. Selbstkonzept der Hilfsbereitschaft in anderen stärken. Identifikation mit denen stärken, die Hilfe benötigen. Normen etablieren, die Hilfeverhalten unterstützen. Normen in der Situation aktivieren. Verantwortung individuell fokussieren.

4. Bezug zu Grundprinzipien der SP wird am Ende der nächsten Sitzung gemeinsam mit dem Thema "Aggression" diskutiert