1.5 Restklassen, Äquivalenzrelationen und Isomorphie

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Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 39 1.5 Restklassen, Äquivalenzrelationen und Isomorphie In diesem Abschnitt wird zunächst der mathematische Begriff einer Relation kurz und informell eingeführt. Eigentliches Thema ist dann das für viele mathematische Konstruktionen zentrale Konzept einer Äquivalenzrelation sowie die daraus abgeleiteten Begriffe Äquivalenzklasse, Partition einer Menge und Repräsentantensystem. Das für uns derzeit wichtigste Beispiel einer Äquivalenzrelation ist eine Relation zwi- schen ganzen Zahlen, nämlich die sogenannte Kongruenz modulo m. Die Äquivalenzklassen dieser Relation heißen Restklassen; auf der Menge Z/mZ aller Restklassen wird eine algebraische Struktur eingeführt, die man als eine verbesserte (aber auch abstraktere) Version des Ringes (Z m, + m, m) aus dem vorigen Abschnitt ansehen kann. Wir beenden den Abschnitt mit einer (weiteren) Ergänzung zum vorigen Abschnitt, nämlich der Einführung und Erläuterung des Isomorphiebegriffs für algebraische Strukturen. Erklärung 1.5.1 Eine Relation auf einer Menge M bezieht sich auf je zwei Elemente a, b M (unter Beachtung der Reihenfolge). Es muss für jedes Paar (a, b) festliegen, ob a in Relation zu b steht oder nicht. Beispiele 1.5.2 (1) a b kleiner gleich auf Z oder R (2) a b teilt auf Z (3) a b teilt auf N (4) A B ist enthalten in auf der Potenzmenge P(M) einer Menge M (5) g h (6) a R b ist parallel zu auf der Menge G aller Geraden der Ebene steht in Rel. R zu allgemeine Situation Definition 1.5.3 (Kongruenz modulo m) Sei m eine feste natürliche Zahl. Zwei Zahlen a, b Z heißen kongruent (genauer: kongruent modulo m), falls m b a. In Zeichen wird dieses geschrieben als a m b, manchmal auch kurz a b. Die Schreibweise a b (mod m) statt a m b ist ebenfalls üblich und sogar gebräuchlicher. Man sollte hier nicht die Klammern weglassen. Die Zeichenfolge b mod m ohne vorhergehendes a m hat ja bereits eine eigene Bedeutung: sie bezeichnet eine ganze Zahl, den Rest von b nach m ist; siehe oben. Für die Negation wird die Notation a m b verwendet. Definition 1.5.4 Eine Relation auf einer Menge M heißt Äquivalenzrelation, wenn sie die folgenden drei Eigenschaften hat: 1. a a für alle a M Reflexivität 2. a b = b a für alle a, b M Symmetrie 3. a b und b c = a c für alle a, b, c M Transitivität Satz 1.5.5 Sei m fest. Die Kongruenz-Relation m auf Z ist refelxiv, symmetrisch und transitiv, also eine Äquivalenzrelation.

40 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau Beweis(skizze): Man benutzt die folgenden Eigenschaften der Teilerrelation, für festes m N. 1. m 0 2. m x = m ( x) für alle x Z 3. m x m y = m (x + y) für alle x, y Z. Dieses zeigt man ohne Mühe unter direktem Rückgriff auf die Definition der Teilerrelation. Wiederum unmittelbar aufgrund der Definition der Eigenschaft reflexiv, symmetrisch bzw. transitiv zeigt man dann, dass aus 1., 2., 3. jeweils die entsprechende Eigenschaft 1., 2., 3. einer Äquivalenzrelation folgt. Wir wenden uns dem Zusammenhang zwischen der modulo-relation und der Division mit Rest zu. Die definierende Gleichung a = qm + r zeigt unmittelbar, dass der Rest r = a mod m kongruent zu a ist: r m a. Diese Beobachtung ist der Ausgangspunkt für folgenden Satz: Satz 1.5.6 Sei m N fest. Zwei Zahlen a, b Z sind kongruent modulo m genau dann, wenn sie bei Division durch m denselben Rest lassen. M.a.W. a m b a mod m = b mod m. Hilfssatz Es seien r, s Z m mit r m s. Dann ist r = s. Beweis: s r ist nach Voraussetzung ein Vielfaches von m, andererseits vom Betrag her kleiner als m, weil r und s beide zwischen 0 und m 1 liegen. Es bleibt nur die Möglichkeit s r = 0. Beweis von 1.5.6: Wir setzen vorbereitend r := a mod m, s := b mod m; dann gilt a = q 1 m+r, b = q 2 m+s mit q 1, q 2 Z. Nun der eigentliche Beweis, der wie bei jeder Äquivalenz aus zwei Teilen besteht: zu = : Voraussetzung ist hier r = s. Dann ist b a = (q 2 q 1 )m+ (s r) = (q 2 q 1 )m ein Vielfaches von m, also a m b, wie gewünscht. zu = Wegen a m b ist b a = (q 2 q 1 )m + (s r) ein Vielfaches von m, also (q 2 q 1 )m + (s r) = qm, q Z, also s r = (q + q 1 q 2 )m ein Vielfaches von m, also r m s. Aus dem Hilfssatz folgt r = s, wie gewünscht. Die Tatsache, dass m eine Äquivalenzrelation ist, kann man alternativ zu dem früheren Beweis von Satz 1.5.5 leicht aus dem letzten Satz gewinnen. Hierzu betrachtet man die Funktion f : Z Z, x x mod m. Satz 1.5.6 besagt, dass die Relation durch die Bedingung f(a) = f(b) gegeben ist. Hieraus folgen sofort die drei Eigenschaften einer Äquivalenzrelation. Allgemeiner gilt offenbar Folgendes: Bemerkung 1.5.7 Es sei M eine beliebige Menge und f : M Y eine Abbildung. Dann ist die durch f(a) = f(b) definierte Relation auf M eine Äquivalenzrelation. Zusammengefasst liefert also die Kennzeichnung der Kongruenzrelation gemäß1.5.6 eine neue und vielleicht eingängigere Erklärung, warum diese Relation eine Äquivalenzrelation ist. Wir führen die Diskussion zu 1.5.6 und 1.5.5 weiter, indem wir den Begriff der Äquivalenzklasse ins Spiel bringen:

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 41 Definition 1.5.8 (Äquivalenzklassen, Restklassen) a) Es sei E eine Äquivalenzrelation auf der Menge M und a M. Die Äquivalenzklasse von a bezüglich E ist die Teilmenge aller zu a in Relation stehenden Elemente von a: [a] E := {x M xea} b) Die Äquivalenzklassen für die Kongruenzrelation m heißen Restklassen (genauer: Restklassen modulo m) und werden mit [a] m bezeichnet. Es gilt also für a Z: Zahlenbeispiel m = 4: [a] m = {x Z x m a} [0] 4 = {..., 8, 4, 0, 4, 8,...} [1] 4 = {..., 7, 3, 1, 5, 9,...} [2] 4 = {..., 6, 2, 2, 6, 10,...} [3] 4 = {..., 5, 1, 3, 7, 11,...} Es gibt keine weiteren Restklassen modulo 4, da zum Beispiel: [4] 4 = [0] 4, [5] 4 = [1] 4, [6] 4 = [2] 4,... Die Äquivalenzklassen einer im Prinzip beliebigen Äquivalenzrelation werden als eigenständige, neue mathematische Objekte aufgefasst und zu einer Menge zusammengefasst, die in der nächsten Definition eine eigene Bezeichnung bekommt. Definition 1.5.9 a) Es sei E eine Äquivalenzrelation auf der Menge M. Die Menge aller Äquivalenzklassen bezüglich E wird mit M/E (lies: M nach E) bezeichnet. Es ist also M/E := {[a] E a M}. b) Die Menge aller Restklassen modulo m wird mit Z/mZ (lies: Z nach mz oder Z modulo mz ) bezeichnet. Es ist also Z/mZ := {[a] m a Z m }. In dem obigen Beispiel konnten wir beobachten, dass die Restklassen modulo 4 eine Zerlegung der Menge Z lieferten. Diese gilt ganz, allgemein, wie wir nun im folgenden Satz festhalten: Satz 1.5.10 Sei E eine Äquivalenzrelation auf der Menge M. a) Die Äquivalenzklassen bezüglich E bilden eine Partition (oder Zerlegung) von M. Das heißt: 1. Jedes Element von M liegt in einer Äquivalenzklasse. 2. Zwei Äquivalenzklassen sind disjunkt (d.h. haben kein Element gemeinsam), oder sie stimmen überein. b) Für zwei beliebige Elemente a, b M gilt aeb [a] E = [b] E.

42 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau Beweis: zu a) Behauptung 1: Dieses ist klar, denn ein beliebiges a M liegt in seiner eigenen Äquivalenzklasse, a [a] E. (Wir haben Aussage 1 explizit aufgeführt, um den allgemeinen Begriff der Partition zu erklären: Eine Partition einer Menge besteht aus Teilmengen, deren Vereinigung die gesamte Menge ist.) zu a) Behauptung 2: Es seien [a] E und [b] E zwei Äquivalenzklassen, die wenigstens ein Element gemeinsam haben. Wir zeigen in einem ersten Schritt aeb. Dazu wähle ein Element c [a] E [b] E. Dann gilt cea, also auch aec, ferner ceb. Aus der Transitivität folgt nun aeb, wie gewünscht. Nun folgern wir aus aeb, dass [a] E = [b] E ist. Weil die Situation symmetrisch in a und b ist, genügt es, [a] E [b] E zu zeigen. (Dann gilt automatisch auch die umgekehrte Inklusion, also Gleichheit der beiden Mengen.) Sei also x [a] E. Dann gilt nach Definition xea, wegen der Voraussetzung aeb und der Transitivität also auch xeb, was genau die gewünschte Beziehung x [b] E liefert. zu Behauptung b): Dieses ergibt sich sofort aus dem unter a) zum zweiten Punkt Gesagten. Der nächste Satz wird ebenfalls durch das obige Beispiel nahegelegt. Satz 1.5.11 Sei m N. Es gibt genau m Äquivalenzklassen für die Relation m, nämlich die Mengen [a] m für a = 0, 1,..., m 1. Es ist also Z/mZ = {[0] m, [1] m,..., [m 1] m }. Beweis: Wir zeigen erstens, dass diese Restklassen alle voneinander verschieden sind. Anderenfalls gäbe es r, s Z m mit r s und [r] m = [s] m. Dann wäre insbesondere r [s] m, also r m s. Nach dem obigen Hilfssatz aus dem Beweis von 1.5.6 wäre dann doch r = s, ein Widerspruch zur Annahme. Wir müssen zweitens zeigen, dass es keine weiteren Restklassen gibt. Hierzu überlegen wir uns naheliegenderweise, dass für ein beliebiges a Z gilt [a] m = [r] m, wobei wir r := a mod m wählen. Es gilt jedenfalls r m a (siehe oben). Die gewünschte Mengengleichheit [a] m = [r] m folgt nun aus Teil b) des Satzes 1.5.10. Die eben festgestellte Rolle der Zahlen 0, 1,... m 1 für die Relation der Kongruenz modulo m kann wie folgt verallgemeinert werden: Definition 1.5.12 Sei E eine Äquivalenzrelation auf M. Eine Teilmenge V M heißt Repräsentantensystem oder Vertretersystem für E, wenn jede Äquivalenzklasse [a] E genau ein Element r V enthält, den sogenannten Repräsentanten oder Vertreter der Klasse. Es gilt dann nach dem vorigen Satz 1.5.10 [a] E = [r] E, die Menge aller Äquivalenzklassen kann also als M/E = {[r] E r V } beschrieben werden, und hier tritt keine Äquivalenzklasse doppelt auf. Beispiel: Für die Äquivalenzrelation m auf Z ist die bekannte Menge Z m = {0, 1, 2,..., m 1} ein Vertretersystem. Es gibt beliebig viele weitere Möglichkeiten. Eine naheliegende Wahl wäre z.b. {1, 2,..., m}. Man kann auch die vom Betrag her kleinstmöglichen Reste als Vertreter wählen, also etwa { 2, 1, 0, 1, 2} für m = 5, für allgemeines ungerades m = 2k + 1 die Menge { k, (k 1),..., 1, 0, 1,..., k 1, k}.

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 43 Für ein Vertretersystem reicht es, m Elemente a 1,..., a m anzugeben, von denen keine zwei kongruent modulo m sind. Dieses gilt ganz allgemein für jede Äquivalenzrelation mit m (also nur endlich vielen) Äquivalenzklassen: Wenn man m Elemente a i angibt, von denen keine zwei äquivalent zueinander sind, dann sind ihre Klassen [a i ] E alle verschieden voneinander, und aus Anzahlgründen sind das dann alle Klassen, die a i bilden also ein Vertretersystem. Für den nächsten Satz können wir die Äquivalenzklassen zumindest für einen Augenblick vergessen; er handelt, wenn man so will, von einer algebraischen Zusatzeigenschaft der Kongruenzrelation. Satz 1.5.13 (Rechnen mit Kongruenzen) Sei m N fest. Kongruenzen (modulo m) darf man addieren und multiplizieren. Genauer gilt Folgendes: Seien a, a, b, b Z so, dass Dann ist auch a m a und b m b a + b m a + b a b m a b Mit dem nächsten, für vieles grundlegenden und stark verallgemeinerungsfähigen Satz kommen wir zum eigentlichen Ziel dieses Abschnittes. Satz 1.5.14 (Restklassenaddition und -multiplikation) a) Auf der Menge Z/mZ aller Restklassen modulo m werden durch [a] m [b] m := [a + b] m und [a] [b] = [a b] zwei Verknüpfungen und sinnvoll definiert. b) Z/mZ zusammen mit und ist ein kommutativer Ring mit Einselement. Wir nennen ihn auch den Restklassenring modulo m. Beweis: zu Teil a): Behauptet wird, dass die Verknüpfung (wir betrachten zunächst die Addition) bei gegebenem [a] m und [b] m ein eindeutiges Ergebnis liefert. Das heißt, die rechte Seite [a + b] m darf nur von [a] m und [b] m abhängen (aber nicht von a und b selbst). Zu zeigen ist also folgendes: wenn a, b Z weitere Elemente sind so, dass [a] m = [a ] m und [b] m = [b ] m, dann muss auch [a + b] m! = [a + b ] m sein. Aus den Voraussetzungen [a] m = [a ] m und [b] m = [b ] m folgt a m a und b m b (siehe 1.5.10 b)). Nach 1.5.13 folgt: a + b m a + b. Wieder nach 1.5.10 b) folgt [a + b] m = [a + b ] m, wie gewünscht. Der Beweis für die Multiplikation ist völlig analog. zu Teil b): Hier sind keinerlei komplizierte Rechnungen erforderlich. Alle Gesetze ergeben sich aus der Definition der Verknüpfungen der entsprechenden Regel in Z. Als Beispiel betrachten wir das Distributivgesetz: Gegeben sind hier drei Elemente [a] m, [x] m, [y] m Z/mZ. Dann gilt

44 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau [a] m ([x] m [y] m ) = [a] m [x + y] m = [a (x + y)] m = [a x + a y] m = [a x] m [a y] m = [a] m [x] m [a] m [y] m Für die Aufstellung von Verknüpfungstafeln oder sonstige konkrete Rechnungen wird man alle Klassen durch ihre jeweiligen Vertreter darstellen, d.h. die Menge Z/mZ in der Form {[r] m r Z m } benutzen. Dann müssen auch Summen und Produkte entsprechend ersetzt werden: [a] m [b] m = [a + b] m = [(a + b) mod m] m [a] m [b] m = [a b] m = [(a b) mod m] m Hier kommt also in natürlicher Weise die früher definierte mod-m-addition und -Multiplikation auf Z m ins Spiel: Bemerkung Für je zwei Elemente a, b Z m gilt [a] m [b] m = [a + m b] m, [a] m [b] m = [a m b] m. Beispiel: Die Verknüpfungstafeln für (Z/5Z,, ): [0] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [0] 5 [0] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [1] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [0] 5 [2] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [0] 5 [1] 5 [3] 5 [3] 5 [4] 5 [0] 5 [1] 5 [2] 5 [4] 5 [4] 5 [0] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [0] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [0] 5 [0] 5 [0] 5 [0] 5 [0] 5 [0] 5 [1] 5 [0] 5 [1] 5 [2] 5 [3] 5 [4] 5 [2] 5 [0] 5 [2] 5 [4] 5 [1] 5 [3] 5 [3] 5 [0] 5 [3] 5 [1] 5 [4] 5 [2] 5 [4] 5 [0] 5 [4] 5 [3] 5 [2] 5 [1] 5 Wenn man sich die eckigen Klammern und die Indizes 5 wegdenkt, sind das genau die früheren Tafeln für + 5 und 5. Mit anderen Worten, bis auf Bezeichnungen hat man die gleichen Tafeln wie bei + 5 und 5. Zwei mathematische Strukturen (hier Gruppen oder Ringe), die sich in diesem Sinne nicht wesentlich voneinander unterscheiden, nennt man isomorph. Um zu einer mathematisch präzisen Defnition zu kommen, präzisiert man zunächst den Bezeichnungswechsel als eine bijektive Abbildung zwischen den zugehörigen Mengen, hier ϕ : Z m Z/mZ, r [r] m. Diese ist mit den Verknüpfungen verträglich : ϕ(r + m s) = ϕ(r) ϕ(s) und auch ϕ(r m s) = ϕ(r) ϕ(s) Diese Überlegungen führen auf die folgende Definition 1.5.15 (Isomorphismus, Isomorphie) a) Ein Isomorphismus einer Gruppe (G, ) auf eine Gruppe (H, ) (bzw. eines Ringes (R, +, ) auf einen Ring (S,, ) ) ist eine Abbildung ϕ : G H (bzw. ϕ : R S) mit folgenden beiden Eigenschaften: 1. ϕ ist bijektiv. 2. ϕ ist verknüpfungstreu, d.h. für alle x, y G gilt ϕ(x y) = ϕ(x) ϕ(y) (bzw. im Fall der Ringe ϕ(x+y) = ϕ(x) ϕ(y) und ϕ(x y) = ϕ(x) ϕ(y) für alle x, y R).

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 45 Eine verknüpfungstreue Abbildung wird auch Homomorphismus genannt. b) Eine Gruppe (G, ) heißt isomorph zu einer Gruppe (H, ), falls ein Isomorphismus von (G, ) auf (H, ) existiert; entsprechend für Ringe. Ähnlich wie beim Begriff gleichmächtig kommt es auf die Reihenfolge von G und H nicht an, wir können auch sagen G und H sind isomorph (zueinander); siehe die obige Bemerkung nach der Definition 1.1.22. Beispiel zur Isomorphie: Als erste Gruppe betrachten wir das direkte Produkt (Z 2 Z 2, + 2 ). Es hat die Verknüpfungstafel + 2 (0, 0) (1, 0) (0, 1) (1, 1) (0, 0) (0, 0) (1, 0) (0, 1) (1, 1) (1, 0) (1, 0) (0, 0) (1, 1) (0, 1) (0, 1) (0, 1) (1, 1) (0, 0) (1, 0) (1, 1) (1, 1) (0, 1) (1, 0) (0, 0) Für die Definition der zweiten Gruppe betrachten wir die folgenden Elemente (Permutationen) in der symmetrischen Gruppe S 4 : [ ] [ ] [ ] 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4 π =, ρ =, σ =. 2 1 4 3 3 4 1 2 4 3 2 1 (Es handelt sich also um die paarweisen Vertauschungen innerhalb von jeweils zwei Zweiermengen in {1, 2, 3, 4}.) Dann ist V 4 := {id, π, ρ, σ} eine Untergruppe von S 4, die sogenannte Kleinsche Vierergruppe. Ihre Verknüpfungstafel ist id π ρ σ id id π ρ σ π π id σ ρ ρ ρ σ id π σ σ ρ π id In beiden betrachteten Gruppen gilt: Jedes Element verknüpft mit sich selbst ergibt das neutrale Element; wenn man zwei der drei nicht neutralen Elemente verknüpft, erhält man das dritte. Wenn man diese Tafel in neutralen Bezeichnungen aufschreibt, ergibt sich e a b c e e a b c a a e c b b b c e a c c b a e Mit e = (0, 0), a = (1, 0), b = (0, 1), c = (1, 1) liefert das die erste Verknüpfungstafel, mit e = id, a = π, b = ρ, c = σ die zweite. Die Gruppen Z 2 Z 2 und V 4 mit ihren jeweiligen Verknüpfungen sind also gleich bis auf Bezeichnungen, das heißt isomorph. Als Isomorphismus im Sinne der exakten Definition kann man die Abbildung ϕ : Z 2 Z 2 V 4, (0, 0) id, (1, 0) π, (0, 1) ρ, (1, 1) σ

46 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau nehmen. Wir halten schließlich noch die obige Beobachtung, die zur Einführung des Begriffes Anlass war, als Satz fest: Satz 1.5.16 Für jede natürliche Zahl m ist der Ring (Z m, + m, m) isomorph zu dem Ring (Z/mZ,, ). Ein Isomorphismus ist durch die bijektive Abbildung r [r] m gegeben. In Wirklichkeit liefern unsere Überlegungen sogar eine schärfere Aussage. Wir erinnern daran, dass wir nie vollständig gezeigt haben, dass (Z m, + m, m) alle Eigenschaften eines Ringes besitzt: Die Assoziativgesetze und das Distributivgesetz waren nicht so leicht aus der Definition abzuleiten. Auf der anderen Seite war es überhaupt kein Problem (auch wenn wir nicht alles hingeschrieben haben), die Ringeigenschaften von (Z/mZ,, ) zu zeigen. Nun sieht man sehr leicht, dass sich mittels der bijektiven verknüpfungstreuen Abbildung alle Rechnungen sofort von (Z/mZ,, ) auf (Z m, + m, m) übertragen. Das heißt, die Ringeigenschaften von (Z m, + m, m) folgen aus denen von (Z/mZ,, ). Wir können das Prinzip wie folgt formulieren: Bemerkung 1.5.17 a) Es seien (R, +, ) und (S,, ) zwei Mengen mit jeweils zwei Verknüpfungen und ϕ : R S bijektiv und verknüpfungstreu. Wenn eins der beiden Objekte (R, +, ) und (S,, ) ein Ring ist, dann ist es auch das andere. b) Ist R eine Menge, (S,, ) ein Ring und ϕ: R S eine bijektive Abbildung, dann werden durch a + b := ϕ 1 (ϕ(a) ϕ(b)) und a b := ϕ 1 (ϕ(a) ϕ(b)) zwei Verknüpfungen auf R definiert, sodass (R, +, ) ein Ring ist und ϕ ein Homomorphismus von Ringen ist. Wir merken noch an, dass das Entsprechende natürlich auch für Gruppen gilt. Die Idee der letzten Bemerkung 1.5.17, wie schon bei der Definition von Isomorphie unter 1.5.15 ist, dass eine bijektive verknüpfungstreue Abbildung alle wesentlichen Eigenschaften einer Struktur erhält; sie transportiert lediglich die Struktur von der einen Menge in die andere. Zu dieser Idee noch ein weiteres Beispiel: Wenn R und S zwei Ringe mit Einselement sind und ϕ : R S ein Homomorphismus, der die Eins von R auf die Eins von S abbildet (eine harmlose Zusatzbedingung, die in fast allen Beispielen erfüllt ist), dann ist das Bild jeder Einheit in R eine Einheit in S, d.h. ϕ(r ) S. Der einfache Beweis wird direkt anhand der Definition 1.3.20 geführt. Wenn ϕ zusätzlich bijektiv, also ein Isomorphismus ist, folgt daraus: R ist genau dann ein Körper, wenn S ein Körper ist. Aus Theorem 1.3.25 folgt nun unmittelbar: Satz 1.5.18 Für jede Primzahl p ist der Restklassenring Z/pZ ein Körper.