Strafrecht Allgemeiner Teil

Ähnliche Dokumente
Strafrecht Allgemeiner Teil

Sanktionen wozu? Altes und Neues zur Begründung von Strafen und Massnahmen. Christian Schwarzenegger

Bestrafung trotz Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tatbegehung?

Vorlesungsbegleitende Arbeitsgemeinschaft im Strafrecht für das 1. Semester (WS 11/12) Wiss. Mit. Jürgen Telke

4 Die Schutzgüter der Gefahrenabwehr: Die öffentliche Sicherheit und Ordnung. 1. Warum ist der Begriff der Gefahrenabwehr unvollständig?

Tutorate - Strafrecht AT HS 2014 Lektion 1 «Einführung; Deliktsaufbau»

BGH, Beschluss vom 6. Mai 1964, BGHSt 19, 305 Fahrerwechsel

Strafrecht Allgemeiner Teil

Strafrecht Allgemeiner Teil I

Grundkurs BGB I Prof. Dr. Burkhard Hess WS 2011/2012. Zeit: Montag - Mittwoch, 9 st-11 Uhr Ort: Neue Universität HS 13

2. Verhaltensweise a. was ist betroffen? Leib, Leben, Ehre, Vermögen b. Anwendbare Rechtsnorm

Verwaltungsstrafrecht 4. Juni 2010

Strafrecht AT Grundwissen 1. A. Einführung in das Strafgesetzbuch. 1. Strafrecht im formellen Sinn. 2. Strafe Rechtfertigung und Zweck.

Volker Geball Lüneburg ( v.geball@gmx.de ) Rechtliche Informationen für Karateka

Strafrecht Allgemeiner Teil

Rechtsgeschäftslehre 1: Willenserklärung - Rechtsgeschäft - Vertrag

22: Die Verwirklichungsstufen der vorsätzlichen Tat und Strafbarkeit des Versuch

EINFÜHRUNG IN DAS STRAFRECHT

Vorlesung. Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Prof. Dr. Andreas Donatsch. Wirtschaftsstrafrecht 1

Verantwortung und Haftung des Koordinators insbesondere unter dem Aspekt der Regressnahme

Vorlesung Öffentliches Recht I. Einführung

INHALTSVERZEICHNIS. Vorwort/ Dank 7. Inhaltsverzeichnis 9. Einführung 19. KAPITEL 1 Was ist Gerechtigkeit, Fairness? Wie wird sie durchgesetzt?

BOYKOTT UND STRAFRECHT DER WIRTSCHAFTLICHE BOYKOTT UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTI GUNG VON 26 ABS. 1 IN VERBINDUNG MIT 38 ABS. 1 NR.

Wirtschaft und Recht (WSG-W) Grundwissen Jahrgangsstufe 9

Freiheiteseinschränkende Massnahmen im Heimalltag

Vorlesung: Strafrecht Grundkurs I

Strafrecht Allgemeiner Teil

Strassenverkehrsrecht Referat für den Verein RePrAG vom 12. November 2014

SB 5: Strafrechtspflege und Kriminologie Unterschwerpunkt Kriminologie

BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1990, NStZ 1990, 537 1,1 Promille-Grenze

Strafrecht. 1. Allgemeines

Die Wiedergutmachung der Folgen einer Straftat

Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen

8 Unfallversicherung. Aufwendungen der GUV in Mrd. EUR. Rentenbestand

Strafrecht Allgemeiner Teil I

Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern

Frühstudium Rechtswissenschaft

Schuld und Strafe Straftheorien am praktischen Fall erörtert

Massnahmenfähigkeit aus juristischer Sicht

Geistiges Eigentum I Urheber- und Verlagsrecht

Einleitung Opferbegriff Teil 1: Das Opfer im Strafrechtssystem... 17

Rechtliche Grundlagen im WRD

BGH, Urteil vom 18. Mai 1993, BGH NStZ 1993, 489 Falscher Zeuge

Dr. Michael Kilchling Strafvollzugsrecht (5)

Voraussetzungen für einen Anspruch aus 823 I BGB 4. Rechtswidrigkeit

Täterschaft und Teilnahme

Das versuchte Erfolgsdelikt 1

Compliance Management in der Praxis

Vorlesung 8: Änderung und Beendigung der Sanktion

Roland Schmitz. Unrecht und Zeit. Unrechtsquantifizierung durch zeitlich gestreckte Rechtsgutsverletzung. Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden

Zur Strafbarkeit der parteipolitischen Amterpatronage in der staatlichen Verwaltung

Einführung in das Strafrecht

Anlage zur SPO Modulübersicht und Leistungspunktetabelle zu 41 Absatz 7

8: Schutz durch und vor staatlichen Gerichten

SchiedsamtsZeitung 34. Jahrgang 1963, Heft 09 Online-Archiv Seite 132a-136 Organ des BDS

Gesellschaftstheorien und das Recht

Kausalität. Objektive Zurechenbarkeit

Strafrecht BT, Prof. Wohlers

Bildungsplan 2004 Allgemein bildendes Gymnasium

2 - Kausalität und objektive Zurechnung

Haftungsfragen für Sicherheitsfachkräfte

Um verurteilt werden zu können, muss der Täter/die Täterin im Zeitpunkt der Tatbegehung schuldfähig sein.

Musterstudienplan Rechtswissenschaften, Studienbeginn im Wintersemester (gem. Anhang zur Studienordnung v )

Einführung in die Grundbegriffe des öffentlichen Rechts LV

Erpressung ausreisewilliger DDR-Biirger

Ansprüche 3: Ansprüche aus unerlaubter Handlung (I)

Notwendigkeit einer Rechtsordnung

316 StGB - Strafzumessung

Inhaltsverzeichnis. Erster Teil: Grundlagen

Modulhandbuch. Modulbeschreibung Basismodul A 101 Einführung in das deutsche Rechtssystem 6 LP Pflichtmodul Basismodul Inhalt:

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Strafrechts Das Bestimmtheitsgebot

Aggression und Gewalt im Arbeitsumfeld öffentlicher Verwaltungen

Basiswissen Strafrecht Allgemeiner Teil

BGB. 1 Einleitung. ErbR BGB. FamilienR BGB. Allg. Teil BGB. SachenR BGB. SchuldR BGB. BGB AT Grundwissen 1

Strafvollzugsrecht (6) Dr. Michael Kilchling

Vorlesung Lehren des Strafrecht AT und Delikte gegen die Person

Schikanen am Arbeitsplatz: Arbeitsrechtliche Möglichkeiten

Strafzumessung. Humboldt-Universität - Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie Prof. Dr. Klaus Marxen

Strafschadensersatz in Europa: Traditionen, dogmatische Bedenken und neuere Tendenzen. Prof. Dr. Ina Ebert, Münchener Rück

DVR-Presseseminar am 27./ in Kassel. Wie wirken Gesetze und Strafen? General- und Spezialprävention, Strafmaße

Unternehmerverantwortlichkeit und Strafrecht. Frank im Sande, Staatsanwaltschaft Braunschweig 1

AUSARBEITUNG. Nötigung von Verfassungsorganen durch den angekündigten Streik der Bahngewerkschaften

Von Dr. Benjamin F. Brägger, Sekretär des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweizer Kantone

Lösungsskizze zur 3. Klausur

gem. 276 III BGB unwirksam

Eingriffsmöglichkeiten

Strafrecht Allgemeiner Teil

Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Änderungen des Sanktionenrechts);

INHALTSVERZEICHNIS I. ALLGEMEINER TEIL ZUR DOGMATIK IM STRAFRECHT ZUM FRAGMENTARISCHEN CHARAKTER DES STRAFRECHTS ENTWICKLUNGSTENDENZEN DES STRAFRECHTS

vom 24. November 2010 (Stand 1. Januar 2011) 1 Anwaltsprüfung 1 Grundsatz

Prof. Dr. Christoph Gröpl. Vorlesung Staatsrecht II (Grundrechte)

U R T E I L S A U S Z U G

Staat USS. Strafgesetzbuch

JGG - Die Rechtslage ab

Alkohol am Steuer. Für eine sichere Fahrt in Ihre Zukunft. bfu Beratungsstelle für Unfallverhütung

Kantonspolizei. Schneeberger René. Polizeischule 1982/83. Dienstchef-Stv. Prävention MEOA.

Terminplan Stunde

RECHT AKTUELL. GKS-Rechtsanwalt Florian Hupperts informiert über aktuelle Probleme aus dem Beamten- und Disziplinarrecht

Prof. Dr. Christoph Gröpl Vorlesung Staatsrecht I Universität des Saarlandes

Transkript:

Strafrecht Allgemeiner Teil Stellung und in der Gesamtrechtsordnung Prof. Wohlers 31.08.2010 Seite 1 Hinweis zur Vorlesung In die Vorlesung mitzubringen sind: das Gesetz (Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311) Ausdruck der Folien (Download unter http://www.rwi.uzh.ch/wohlers) 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 2 Aufbau der Veranstaltung 1. Teil: Verbrechenslehre Einführung Das Fahrlässigkeitsdelikt Das vollendete vorsätzliche Täterschaft und Teilnahme Erfolgsdelikt Konkurrenzen Versuch und Rücktritt Die strafrechtliche Irrtumslehre Das vorsätzlich unechte Strafantrag Unterlassungsdelikt 2. Teil: Strafen und Massnahmen Einführung Bedingte und teilbedingte Strafen Sanktionsfolgen Massnahmen Strafzumessung Vollzug der Sanktion 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 3 1

Hinweis Tutorate Ab dem 8. November 2010 finden sechs Tutorate zum Strafrecht AT statt Montag 12 00 14 00 8./15./22./29. November und 6./13. Dezember Mittwoch 14 00 16 00 10./17./24. November und 1./8./15. Dezember Donnerstag 10 00 12 00 11./18./25. November und 2./9./16. Dezember Anmeldung und weitere Informationen über OLAT: www.olat.uzh.ch 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 4 Empfohlene Literatur Pflichtliteratur: WOHLERS WOLFGANG, Fallbearbeitung im Strafrecht, 3. Aufl., Zürich/Basel/ Genf 2009 DONATSCH ANDREAS/TAG BRIGITTE, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 8. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006 oder: STRATENWERTH GÜNTER, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 3. Aufl., Bern 2005 Zum Verfassen und Präsentieren von juristischen Arbeiten: RYSER NADINE/SCHLEGEL STEPHAN, Juristische Arbeiten erfolgreich schreiben und präsentieren, Zürich 2010 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 5 Fallbeispiel 1 Taxifahrer T hat einen über den Durst getrunken. Mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille setzt er sich hinter das Steuer seines Taxis. Nachdem er zunächst einige Fuhren heil hinter sich gebracht hat, passiert es: T verursacht einen Unfall mit einem vorfahrtberechtigten anderen PW. Der Fahrer des anderen Wagens wird leicht verletzt; beide Wagen haben Totalschaden. Welche rechtlichen Folgen können sich für T ergeben? 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 6 2

T 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 7 Verwaltungsbehörden Der andere Fahrer bzw. dessen Versicherung Versicherung(en) des T T Strafverfolgungsbehörde Arbeitgeber des T Taxifahrervereinigung 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 8 Verwaltungsbehörden: Entzug des Führerausweises und sonstiger Erlaubnisse Ordnungsbusse wegen Strassenverkehrsverstosses Der andere Fahrer bzw. dessen Versicherung: Heilbehandlung Schmerzensgeld Autoreparatur Strafverfolgungsbehörde Bestrafung wegen Verletzung eines Straftatbestandes T Versicherung(en) des T: Höherstufung Kündigung des Vertragsverhältnisses (für die Zukunft) Rückgriff gegenüber T Arbeitgeber des T: Kündigung Schadensersatz Vertrags- oder Betriebsstrafe Taxifahrervereinigung: Vereinsstrafe 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 9 3

Gesamtrechtsordnung Öffentliches Recht Privatrecht (Vertrags-, Vereins-, Betriebsstrafen) 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 10 Öffentliches Recht materielles Verfassungs- und Verwaltungsrecht unter anderem: Disziplinarrecht Ordnungswidrigkeitenrecht materielles Strafrecht Kernstrafrecht (StGB) Nebenstrafrecht (z.b. SVG) Prozessrecht Strafprozessrecht Strafvollzugsrecht 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 11 Straftheorien Absolute Straftheorien Relative Straftheorien Generalprävention Vergeltungstheorie Sühnetheorie Spezialprävention Negative Generalprävention Positive Generalprävention Abschreckungsprävention Integrationsprävention 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 12 4

Worin besteht die? Rechtsgüterschutz Sicherung/Aufrechterhaltung elementarer Normen Vgl. dazu auch DONATSCH/TAG, S. 3 ff. 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 13 1. Einwand: Ist Strafrecht neben den vielen anderen Möglichkeiten der sozialen Reaktion auf abweichendes Verhalten überhaupt notwendig? Bei bestimmten Normbrüchen ist eine andere (= restitutive) Reaktion gar nicht möglich Bei bestimmten Tätern greifen andere Mittel der sozialen Kontrolle nicht 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 14 2. Einwand: Das geltende Strafrecht geht aber weit über diesen Rahmen hinaus was ist die Funktion? Formalisierung der sozialen Reaktion auf Normbrüche (Abfederung und Kanalisierung faktisch bestehender Rachebedürfnisse) Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung durch Verhinderung des "Trittbrettfahrens" (= Normbrüche dürfen sich nicht lohnen) 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 15 5

Empirisches Problem: faktische Wirksamkeit des Strafrechts Strafrecht kommt immer zu spät Wirkung muss schon von der Androhung ausgehen durch Abschreckung potentieller Täter (negative Generalprävention) durch Bestätigung der Geltung der verletzten gesellschaftlichen Norm (positive Generalprävention) 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 16 1. ethisches Problem: Ist die Androhung und der Vollzug von Strafen nicht ein Missbrauch staatlichen Zwangs? Die Beeinträchtigung der Freiheit und/oder des Vermögens des Täters wird benutzt, um damit bestimmte gesellschaftliche Effekte zu erreichen. Aber: Wenn der Täter eine gesellschaftliche Norm gebrochen hat, hat er sich eines Verhaltens schuldig gemacht, das es rechtfertigt, ihn seinerseits in seinen Rechten einzuschränken (sog. Tatschuldausgleich = Vergeltungstheorie) 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 17 Strafrecht ist legitim, wenn es empirisch gesehen gesellschaftlich positive Wirkung(en) erzeugt an Normbrüche anknüpft, die eine vergeltende Reaktion rechtfertigen 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 18 6

2. ethisches Problem: Strafrecht kann faktisch sowohl gerechten als auch ungerechten gesellschaftlichen Normen Schutz gewähren die Legitimität strafrechtlicher Normen ist an übergeordneten verfassungsrechtlichen und ethischen Massstäben zu messen 31.08.2010 Strafrecht AT, Prof. Wohlers Seite 19 7