Tuberkulose im Justizvollzug http://www.who.int/hiv/topics/prisons/en/ WHO Ergebnisse einer Arbeitstagung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Justiz und Öffentlichem Gesundheitsdienst Dr. med. L. Bös, MPH Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose
Einführung TB-Situation in Gefängnissen weltweit Wenig konkrete Daten => häufig keine Angaben zum Haftstatus in nationaler TB-Surveillance Deutlich erhöhte TB-Inzidenz und -Prävalenz bei inhaftierten Personen weltweit Hohe Rate an resistenten und multiresistenten Bakterienstämmen Hohe Rate an Koinfektionen wie HIV/AIDS oder Hepatitis Drobniewski 1995, Bone et al. 2000 2
Einführung Gründe für höhere TB-Raten in Gefängnissen weltweit Häufung von Risikofaktoren in der Gefangenenpopulation Alkoholkrankheit i.v.-drogenkonsum HIV/AIDS Obdachlosigkeit... Möglichkeit einer Übertragung der TB innerhalb der Haftanstalt enge räumliche Verhältnisse schlechte Ventilation => erhöhte Gefahr der Transmission große Fluktuation in der Gefangenenpopulation => zahlreiche Kontakte/Zeiteinheit mitunter mangelnde Compliance der Häftlinge... Drobniewski 1995, Bone et al. 2000 3
Einführung TB-Situation im Justizvollzug in Deutschland Wenig konkrete Daten zur TB-Situation im Justizvollzug TB-Inzidenz im deutschen Justizvollzug (2002): 101 Fälle / 100.000 Häftlinge ca. 11-fach erhöhtes Risiko verglichen mit Allgemeinbevölkerung Fallfindungsrate im Berliner Justizvollzug 1996-1998: 208 neu entdeckte Fälle / 100.000 Röntgenuntersuchungen 2007-2010: 177 Fälle / 100.000 Röntgenuntersuchungen Aerts 2006, Hauer 2001, Bös 2011 4
Einführung TB-Situation im Justizvollzug in Deutschland am Beispiel des Berliner Justizvollzugs (2007-2010) 62 TB-Fälle in vier Jahren, davon 60% mit ansteckungsfähiger TB 94% der Patienten männlich Medianes Alter 40 Jahre (IQR 30-46 Jahre) 63% der Patienten im Ausland geboren Symptomatik bei Diagnosestellung: Ein Viertel der Patienten ohne jegliche TB-spezifischen Symptome weitere 8% lediglich mit trockenem Reizhusten Bös 2011 5
Arbeitstagung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Justiz und Öffentlichem Gesundheitsdienst, 26.11.2013 Ziele der Arbeitstagung 1. Konstruktiver Austausch zwischen Vertreten aus Justiz und öffentlichem Gesundheitsdienst 2. Identifizierung von Problemen und offenen Fragen 3. Erarbeitung von Lösungsansätzen 7
Arbeitstagung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Justiz und Öffentlichem Gesundheitsdienst, 26.11.2013 Schwerpunkte der Diskussion 1. Screeningmaßnahmen bei Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt / bei Haftantritt 2. Umgang mit aus der Haft entlassenen, an TB erkrankten Häftlingen / Fortführung der Therapie nach Haftentlassung 3. Umgebungsuntersuchungen in Justizvollzugsanstalten 4. Präventive Behandlung der latenten TB im Justizvollzug 5. Sonstiges und Ausblick 8
Screeningmaßnahmen bei Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt / bei Haftantritt Hintergrund Verpflichtung zur Duldung einer ärztlichen Untersuchung und einer Röntgenaufnahme der Lunge bei Haftantritt ( 36 Abs. 4 IfSG) Kein bundeseinheitliches Vorgehen bezüglich der Screening- Untersuchung bei Haftantritt Arbeitstreffen: Einigkeit unter allen Anwesenden => bei Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt sollte immer ein Screening auf TB durchgeführt werden => Methode der Wahl: Rö-Thx p.a. 9
Screeningmaßnahmen bei Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt / bei Haftantritt Probleme/offene Fragen Logistische Gründe (JVAs ohne Röntgenanlage) Finanzielle Gründe (Röntgen zu teuer) Auswahl der zu untersuchenden Personen alle Neuaufnahmen? nur Risikogruppen nach Stratifizierung? Screening nur zu Haftbeginn oder in regelmäßigen Zeitabständen? 10
Screeningmaßnahmen bei Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt / bei Haftantritt Mögliche Lösungsansätze => Wenn eine Röntgenanlage vorhanden ist, so sollte diese benutzt werden! Digitales mobiles Röntgengerät (Beispiel Rheinland-Pfalz) Aufnahmeuntersuchungen über größere JVAs, dann Verlegung 1. Schritt: IGRA, nur falls positiv => Röntgen => Probleme: keine 100%ige Sensitivität Blutentnahmen nach IfSG nicht duldungspflichtig Untersuchungen von Personen mit Haftaufenthalt >3 Tage (analog zu 36 Abs. 4 IfSG zur Regelung in Obdachlosenunterkünften) 11
Umgang mit aus der Haft entlassenen, an TB erkrankten Häftlingen / Fortführung der Therapie nach Haftentlassung Hintergrund Diagnosestellung während Haftaufenthalt Einleitung einer adäquaten Therapie Erfolgreicher Therapieabschluss während des Haftaufenthaltes Haftentlassung unter antituberkulöser Therapie Lückenlose Weiterbehandlung durch niedergelassene Ärzte, Gesundheitsamt, Kliniken etc. 12
Umgang mit aus der Haft entlassenen, an TB erkrankten Häftlingen / Fortführung der Therapie nach Haftentlassung Probleme/offene Fragen Schwierigkeiten hinsichtlich der lückenlosen Weiterbehandlung nach Haftentlassung Fallserie in Berlin: 2/3 der Patienten werden unter antituberkulöser Therapie aus der Haft entlassen Auswertung der bundesweiten Meldedaten: Erfolgreiche Therapie bei Fällen, bei denen bei Aufnahme in eine JVA Tuberkulose diagnostiziert wurde signifikant seltener Problematisch insbesondere kurzfristige Haftentlassungen direkt im Anschluss an einen Verhandlungstermin beim Richter sowie Entlassungen am Wochenende 13
Umgang mit aus der Haft entlassenen, an TB erkrankten Häftlingen / Fortführung der Therapie nach Haftentlassung Mögliche Lösungsansätze Rechtzeitige Planung der Haftentlassung Gute Kommunikation zwischen im Justizvollzug tätigen Ärzten und Ärzten des öffentlichen Gesundheitsdienstes (Meldung der Entlassung an das zuständige Gesundheitsamt im Voraus) Bei ansteckungsfähiger Tuberkulose ggfs. Fahndung durch die Polizei Keine rechtliche Handhabe bei nicht-ansteckungsfähiger TB 14
Umgebungsuntersuchungen in Justizvollzugsanstalten Hintergrund Prinzipiell gelten hinsichtlich Umgebungsuntersuchungen dieselben Empfehlungen wie in der Allgemeinbevölkerung Probleme/offene Fragen Besonderes Augenmerk / Beobachten durch Medien und Presse Mitarbeit durch die Häftlinge mitunter sehr schwierig Mögliche Lösungsansätze Adäquate Information aller, sowohl der anderen Häftlinge als auch der Angestellten im Justizvollzug 15
Präventive Behandlung der latenten TB im Justizvollzug Hintergrund Prinzipiell gelten hinsichtlich der präventiven Behandlung der latenten TB dieselben Empfehlungen wie in der Allgemeinbevölkerung Probleme/offene Fragen Geringe Motivation zur präventiven Behandlung durch die Häftlinge Fehlende Kranheitseinsicht Mitunter fehlende Compliance Mögliche Lösungsansätze Eine präventive Therapie sollte bei bestehender Indikation angeboten, aber nicht erzwungen werden 16
Sonstiges Anmerkungen Dringend erforderlich: Engmaschige Überwachung der Häftlinge im Falle einer initialen Isolierung (vor Ausschluss einer aktiven Tuberkulose) anfangs häufig psychische Probleme der Häftlinge dadurch bedingte hohe Suizidalitätsrate Vorschlag: Kameraüberwachung in den Zellen 17
Zusammenfassung TB-Screening bei jeder Neuaufnahme in eine Justizvollzugsanstalt! Screening-Methode der Wahl: Röntgenaufnahme des Thorax p.a. In JVAs ohne Röntgenanlage: IGRA als Erstuntersuchung, bei positivem Ergebnis Röntgen-Thorax Ausführen der Häftlinge zur Erstuntersuchung in größere JVAs mit Röntgenanlage Anschaffung eines mobilen Röntgengeräts Gute Zusammenarbeit von Justizvollzugsanstalten und öffentlichem Gesundheitsdienst erforderlich Umgebungsuntersuchungen und präventive Behandlung wie auch außerhalb des Justizvollzugs gehandhabt 18
Ausblick Planung regelmäßiger Arbeitstreffen zum Thema Tuberkulose im Justizvollzug Vernetzung der Teilnehmer der Arbeitstagung, um Absprachen und Austausch untereinander zu verbessern Veröffentlichung eines Papiers mit Empfehlungen bzw. Vorschlägen zum Umgang mit der Tuberkulose im Justizvollzug 19
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! lboes@dzk-tuberkulose.de info@dzk-tuberkulose.de Tel. 030-8149 0922 www.pneumologie.de/dzk/ 20
Literatur Aerts, A., Hauer, B., Wanlin, M., Veen, J., 2006. Tuberculosis and tuberculosis control in European prisons. Int J Tuberc Lung Dis; 10:1215-23 Bös, L. 2011. Die Tuberkulosesituation im Berliner Justizvollzug 2007-2010. Masterarbeit zur Erlangung des Grades Master of Public Health (MPH) an der Berlin School of Public Health, Charité Universitätsmedizin Berlin Bone, A., Aerts, A., Grzemska, M., Kimerling, M., Kluge, H., Levy, M., Portaels, F., Raviglione, M., Varaine, F., 2000. Tuberculosis control in prisons. A Manual for Programme Managers. WHO/CDS/TB/2000.281 Drobniewski, F., 1995. Tuberculosis in prisons-forgotten plague. Lancet, 346:948-49 Hauer, B., 2001. Die Tuberkulosesituation im Berliner Justizvollzug 1996-1998. Magisterarbeit an der Technischen Universität Berlin, Institut für Gesundheitswissenschaften im postgradualen Studiengang Public Health, Berlin 21